Bundesfinanzhof, Beschluss vom 06.07.2012, Az. V B 103/11

5. Senat | REWIS RS 2012, 4934

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

(Zur Aufforderung, einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen)


Leitsatz

1. NV: Die Aufforderung, einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen, ist eine prozessleitende Verfügung, die nicht mit der Beschwerde angefochten werden kann .

2. NV: Hat das Finanzgericht den Kläger aufgefordert, einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen, so gilt die Aufforderung für das gesamte Verfahren. Das gilt auch nach einer Zurückverweisung durch den Bundesfinanzhof, die kein neues Verfahren vor dem Finanzgericht eröffnet .

Tatbestand

1

I. Das Finanzgericht ([X.]) wies die Klage der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) mit Urteil vom 26. August 2009  1 K 1197/06 wegen Körperschaftsteuer und Umsatzsteuer für 2001 und 2002 ab. Die hiergegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde verwarf der [X.] ([X.]) --soweit sie die Umsatzsteuer 2001 und 2002 betraf-- mit Beschluss vom 10. Juni 2010 I B 186/09 ([X.]/NV 2010, 1864) als unzulässig. Daraufhin erhob die Klägerin insoweit Restitutionsklage (1 K 1450/10) mit dem Antrag, die Nichtigkeit des Urteils vom 26. August 2009 (1 K 1197/06) festzustellen. Das [X.] wies die Klage 1 K 1450/10 am 17. Februar 2011 ab. Die hiergegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde verwarf der [X.] mit Beschluss vom 20. Oktober 2011 als unzulässig (V B 30/11).

2

Daneben beantragte die Klägerin am 14. März 2011 u.a. [X.], Tatbestandsergänzung und Urteilsergänzung. Das [X.] lehnte den Antrag mit Beschluss vom 17. März 2011 ab. Auf die hiergegen gerichtete Beschwerde hob der [X.] mit Beschluss vom 10. August 2011 den Beschluss des [X.] auf und verwies die Sache an das [X.] zurück (V B 52/11), weil das [X.] nicht durch Beschluss, sondern durch Urteil über den Antrag der Klägerin hätte entscheiden müssen. Mit Urteil vom 13. Oktober 2011 wies das [X.] den Antrag auf [X.], Tatbestandsergänzung und Urteilsergänzung als unbegründet zurück.

3

Gegen die Nichtzulassung der Revision gegen dieses Urteil richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der die Klägerin Verfahrensfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--) geltend macht. Das Urteil des [X.] verletze ihren Anspruch auf rechtliches Gehör. Es liege eine Überraschungsentscheidung vor, weil das [X.] ausgeführt habe, dass der Antrag auf Urteilsergänzung nicht ansatzweise die Voraussetzungen für eine entsprechende Verfahrenshandlung erfülle.

4

Außerdem habe das [X.] eine erneute Aufforderung nach § 53 Abs. 3 Satz 1 [X.]O einschließlich Belehrung übersenden und eine großzügig bemessene Ladungsfrist wählen müssen. Da beides nicht geschehen sei, sei sie, die Klägerin, an der Teilnahme und an der Vorbereitung der mündlichen Verhandlung gehindert gewesen.

Entscheidungsgründe

5

[X.] Die Beschwerde hat keinen Erfolg, weil [X.] entweder nicht i.S. des § 116 Abs. 3 Satz 3 [X.]O ordnungsgemäß dargelegt worden sind oder nicht vorliegen.

6

Die Revision war nicht wegen Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O zuzulassen.

7

1. Eine Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf rechtliches Gehör durch eine Überraschungsentscheidung (Art. 103 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 [X.]O) liegt nicht vor.

8

Nach der Rechtsprechung des [X.] ist eine Überraschungsentscheidung gegeben, wenn das Gericht seine Entscheidung auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt gestützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gegeben hat, mit der auch ein kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht rechnen musste (ständige Rechtsprechung, z.B. [X.]-Beschlüsse vom 18. November 2011 V B 25/11, [X.]/NV 2012, 257, unter [X.]; vom 21. September 2011 XI B 24/11, [X.]/NV 2012, 277, jeweils m.w.N.). Das Gebot, rechtliches Gehör zu gewähren, verpflichtet das Gericht aber nicht, den Beteiligten die für die Entscheidung maßgeblichen Gesichtspunkte anzudeuten und sie mit ihnen umfassend zu erörtern (z.B. [X.]-Beschlüsse in [X.]/NV 2012, 257, unter [X.]; in [X.]/NV 2012, 277; vom 25. Juli 2011 I B 8/11, [X.]/NV 2011, 1867, unter [X.]2.).

9

Es wäre daher unschädlich, wenn das [X.] die Klägerin nicht vorab über seine Rechtsauffassung zur Begründetheit des Antrags auf Urteilsergänzung informiert hätte. Vorliegend hatte das [X.] aber bereits im Beschluss vom 17. März 2011 (1 K 1450/10) ausgeführt:

"Der als 'Antrag auf Urteilsergänzung' bezeichnete Antrag erfüllt nicht ansatzweise die Voraussetzungen für eine entsprechende Verfahrenshandlung. Der Kläger benennt keine Streitgegenstände, die bei der Entscheidung übersehen worden sein könnten. Das Urteil vom 17. Februar 2011 hat zudem offensichtlich über alle anhängigen Streitgegenstände entschieden. Die Klägerin begehrt keine Urteilsergänzung i.S.d. § 109 [X.]O, sondern eine andere Entscheidung in der Sache. Dies ist im vorliegenden Verfahren aber nicht möglich."

Auch wenn dieser Beschluss vom [X.] aufgehoben worden ist, weil das [X.] statt durch Urteil durch Beschluss entschieden hatte, war der Klägerin nicht nur das Rechtsproblem, sondern sogar die vom [X.] hierzu vertretene Auffassung bekannt. Die Entscheidung des [X.] war für die Klägerin folglich nicht überraschend.

2. Soweit sich die Klägerin gegen die Aufforderung, einen Prozessbevollmächtigten zu benennen als solche wendet, ist die Beschwerde nicht statthaft. Gemäß § 128 Abs. 2 [X.]O können prozessleitende Verfügungen nicht mit der Beschwerde angefochten werden (vgl. hierzu [X.]-Beschluss vom 6. April 2011 IX B 54/11, [X.]/NV 2011, 1373 Leitsatz 1). Zu solchen Verfügungen zählt auch --wie im [X.] die Aufforderung, einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen ([X.] in [X.]/[X.]/[X.], § 53 [X.]O Rz 39).

3. Soweit die Klägerin rügt, sie sei nicht ordnungsgemäß zur mündlichen Verhandlung geladen worden, liegt dieser Mangel nicht vor. Das [X.] hat die Klägerin, die ihren Sitz in [X.] hat, im Verfahren 1 K 1450/10 mit Verfügung vom 24. Januar 2011 aufgefordert, gemäß § 53 Abs. 3 [X.]O einen Zustellungsbevollmächtigten im Inland zu bestellen und bis spätestens 31. Januar 2011 zu benennen. Das [X.] hat dabei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass [X.] dies nicht geschieht-- eine Sendung mit der Aufgabe zur Post als zugestellt gilt. Mit am 22. September 2011 zur Post gegebener Verfügung lud das [X.] die Klägerin zur mündlichen Verhandlung am 13. Oktober 2011. Das begegnet keinen verfahrensrechtlichen Bedenken.

Die Ladungsfrist beträgt beim [X.] gemäß § 91 Abs. 1 [X.]O zwei Wochen. Diese Frist hat das [X.] eingehalten, weil die Ladung vorliegend mit der Aufgabe zur Post als zugegangen gilt. Bestellt der Kläger, der --wie hier die [X.] seinen Wohnsitz oder Sitz nicht im Geltungsbereich der [X.]O hat, trotz richterlicher Aufforderung und Hinweises auf die verfahrensrechtlichen Folgen keinen inländischen Zustellungsbevollmächtigten, gilt eine Anordnung oder Entscheidung gemäß § 53 Abs. 3 Satz 2 [X.]O mit deren Aufgabe zur Post als wirksam zugestellt (vgl. hierzu auch [X.]-Beschlüsse vom 30. November 2011 VI B 22/11, [X.]/NV 2012, 436 Leitsatz 2 und unter [X.]3.; vom 7. Dezember 2005 I B 113, 114/05, [X.]/NV 2006, 602, unter [X.]; vom 10. August 2004 III R 19/04, [X.]/NV 2004, 1668 Leitsatz 2 und unter [X.]1.).

Diese Regelung begegnet auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (Beschluss des [X.] vom 19. Februar 1997  1 BvR 1353/95, Neue Juristische Wochenschrift 1997, 1772 zu der vergleichbaren Regelung in § 175 Abs. 1 der Zivilprozessordnung in der vom 1. Januar 1964 bis 31. Dezember 2001 geltenden Fassung, und [X.]-Beschluss in [X.]/NV 2012, 436, unter I[X.]).

Die Aufforderung, einen Zustellungsbevollmächtigten im Inland zu benennen, war nicht auf den Termin der mündlichen Verhandlung am 17. Februar 2011 beschränkt, sondern hat für das gesamte Verfahren 1 K 1450/10 gegolten. Mit der Zurückverweisung durch Beschluss ist kein neues Verfahren vor dem [X.] eröffnet worden, sondern das ursprüngliche Verfahren ist fortgesetzt worden ([X.]-Urteile vom 14. August 1980 V R 142/75, [X.]E 131, 440, [X.] 1981, 71 Rz 11; vom 18. Februar 1997 IX R 63/95, [X.]E 182, 287, [X.] 1997, 409, unter [X.]2.). Das [X.] war deshalb nicht verpflichtet, die Klägerin nach der Zurückverweisung der Sache an das [X.] erneut zur Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten aufzufordern.

Meta

V B 103/11

06.07.2012

Bundesfinanzhof 5. Senat

Beschluss

vorgehend Finanzgericht des Saarlandes, 13. Oktober 2011, Az: 1 K 1450/10, Urteil

§ 53 FGO, § 91 Abs 1 FGO, § 96 Abs 2 FGO, § 109 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 128 Abs 2 FGO, Art 103 GG, § 175 Abs 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 06.07.2012, Az. V B 103/11 (REWIS RS 2012, 4934)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 4934

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

12 K 977/20 (FG München)

Teilweise unzulässige Wiederaufnahmeklage - unbegründete Nichtigkeitsklage


V B 149/09 (Bundesfinanzhof)

Beschwer bei Ablehnung Urteils- und Tatbestandsergänzung - Beschwerde gegen Entscheidung über einen Antrag auf Tatbestandsberichtigung


II B 85/17 (Bundesfinanzhof)

Nichtzulassungsbeschwerde; Zustellung, Vertretungszwang, Darlegungsanforderungen


VI B 22/11 (Bundesfinanzhof)

(Ausnahmen vom Vertretungszwang - Verfassungsmäßigkeit des § 62 Abs. 4 FGO - Wirksamkeit der Aufforderung …


X B 27/11 (Bundesfinanzhof)

Ergänzung und Berichtigung eines BFH-Beschlusses


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.