Bundesfinanzhof, Beschluss vom 24.11.2010, Az. II B 48/10

2. Senat | REWIS RS 2010, 1112

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Gegenstand

(Voraussetzungen der Beiladung nach § 174 Abs. 5 Satz 2 AO - Rechtsstellung des nach § 174 Abs. 5 Satz 2 AO am Verfahren Beteiligten - Kostenentscheidung in Zwischenverfahren)


Leitsatz

NV: Als "bestimmter Sachverhalt" i.S. des § 174 Abs. 4 und 5 AO ist ein einheitlicher Lebensvorgang anzusehen, aus dem steuerrechtliche Folgerungen sowohl beim Steuerpflichtigen als auch bei einem Dritten zu ziehen sind. Es genügt, dass derselbe Sachverhalt bei mehreren Steuerpflichtigen erfasst und irrig beurteilt worden ist .

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und [X.]eschwerdeführerin (Klägerin) sowie ihr [X.]ruder ([X.]) sind die beiden Miterben nach ihrer 1994 verstorbenen Mutter. Diese hatte wesentliche Teile ihres Vermögens (Grundbesitz, Gesellschaftsbeteiligungen) testamentarisch den Kindern jeweils konkret zugeordnet und zugleich den Willen bekundet, keinen zu bevorzugen sowie eine "Gleichstellung" zu erreichen. Das Nachlassgericht erteilte einen Erbschein, wonach die Geschwister Miterben je zur Hälfte seien.

2

Der [X.]eklagte und [X.]eschwerdegegner (das Finanzamt --[X.]--) setzte gegen die Klägerin eine nach der Hälfte des [X.] bemessene Erbschaftsteuer fest. Zwischen den Miterben war es allerdings zu einem [X.] darüber gekommen, ob die Klägerin durch die Nachlassteilung weniger als die Hälfte erhalten habe. Der Rechtsstreit endete mit einem Vergleich, wonach [X.] der Klägerin einen Ausgleichsbetrag zu zahlen hatte.

3

Die Klägerin hat den gegen sie ergangenen Steuerbescheid mit der [X.]egründung angefochten, sie habe wertmäßig weniger als die Hälfte des nach [X.] bewerteten Nachlasses erworben, so dass ihre Erbquote laut Erbschein nicht zugrunde zu legen sei. Zu diesem Finanzrechtsstreit lud das Finanzgericht ([X.]) gemäß § 60 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) [X.] bei. Auf die [X.]eschwerde der Klägerin hob allerdings der [X.]undesfinanzhof ([X.]FH) den [X.]eiladungsbeschluss durch [X.]eschluss vom 18. Dezember 2009  II [X.] 165/09 ([X.]FH/NV 2010, 677) auf. Zur [X.]egründung führte er aus, verfahrensrechtlich sei die Steuerschuld jedes Erwerbers selbständig. Es gebe außerhalb des [X.]ereichs der Haftung kein streitiges Rechtsverhältnis derart, dass die Entscheidung mehreren an dem Erbfall [X.]eteiligten gegenüber i.S. des § 60 Abs. 3 [X.]O nur einheitlich ergehen könne, sofern diese nicht ihrerseits bürgerlich-rechtlich verbunden seien. Da das [X.] demgegenüber angenommen habe, die Voraussetzungen einer notwendigen [X.]eiladung lägen vor, habe es sein Ermessen, eine einfache [X.]eiladung i.S. des § 60 Abs. 1 [X.]O zu beschließen, nicht ausgeübt.

4

Mit [X.]eschluss vom 20. April 2010 hat das [X.] [X.] erneut beigeladen. Es hat dazu ausgeführt, das [X.] habe seinen Antrag nach § 174 Abs. 5 der Abgabenordnung [X.]) i.V.m. § 60 Abs. 1 [X.]O aufrechterhalten und es erfolge die [X.]eiladung nach § 174 Abs. 5 Satz 2 [X.]. Danach sei eine [X.]eiladung unabhängig von den tatbestandlichen Voraussetzungen des § 60 [X.]O zulässig, wenn ein Steuerbescheid i.S. des § 174 Abs. 4 [X.] wegen irriger [X.]eurteilung eines bestimmten Sachverhalts möglicherweise aufzuheben oder zu ändern sei. Insoweit genüge es, wenn eine Folgeänderung nicht auszuschließen sei.

5

Die Klägerin hält die Voraussetzungen für eine [X.]eiladung weiterhin für nicht gegeben. Der [X.]eschwerde der Klägerin hat das [X.] nicht abgeholfen.

Entscheidungsgründe

6

II. [X.] ist unbegründet und war daher zurückzuweisen.

7

1. Das [X.] hat die [X.]eiladung des [X.] zu Recht auf § 174 Abs. 5 Satz 2 [X.] gestützt.

8

a) Nach § 174 Abs. 4 Satz 1 [X.] können in dem Fall, dass auf Grund [X.] [X.]eurteilung eines bestimmten Sachverhalts ein Steuerbescheid ergangen ist, der auf Grund eines Rechtsbehelfs oder sonst auf Antrag des Steuerpflichtigen durch die Finanzbehörde zu seinen Gunsten aufgehoben oder geändert wird, aus dem Sachverhalt nachträglich durch Erlass oder Änderung eines Steuerbescheids die richtigen steuerlichen Folgerungen gezogen werden. Dies gilt ausweislich der Regelung in § 174 Abs. 5 Satz 1 [X.] auch gegenüber [X.], wenn sie an dem Verfahren, das zur Aufhebung oder Änderung des fehlerhaften Steuerbescheids geführt hat, beteiligt waren. § 174 Abs. 5 Satz 2 [X.] sieht dazu vor, dass die [X.]eiladung des [X.] zu diesem Verfahren zulässig ist. Eine [X.]eiladung nach § 174 Abs. 5 Satz 2 [X.] setzt danach voraus, a) dass ein Steuerbescheid möglicherweise wegen [X.] [X.]eurteilung eines Sachverhalts aufzuheben oder zu ändern ist, b) dass hieraus sich möglicherweise steuerliche Folgerungen für einen [X.] durch Erlass oder Änderung eines Steuerbescheides ziehen lassen und c) dass das [X.] die [X.]eiladung veranlasst und beantragt hat ([X.]FH-[X.]eschluss vom 18. September 2001 V [X.] 227/00, [X.]FH/NV 2002, 158, m.w.N.).

9

b) Als "bestimmter Sachverhalt" i.S. des § 174 Abs. 4 und Abs. 5 [X.] ist ein einheitlicher Lebensvorgang anzusehen, aus dem steuerrechtliche Folgerungen sowohl bei dem Steuerpflichtigen als auch bei dem [X.] zu ziehen sind. Es genügt, dass derselbe Sachverhalt bei mehreren Steuerpflichtigen erfasst und irrig beurteilt worden ist ([X.]FH-Urteil vom 18. September 2003 [X.]/97, [X.]FHE 203, 337, [X.]St[X.]l II 2007, 749). Wird die rechtliche [X.]eurteilung zugunsten des einen Steuerpflichtigen richtiggestellt, so kann im Rahmen des § 174 Abs. 4 [X.] i.V.m. § 174 Abs. 5 [X.] grundsätzlich auch bei dem anderen Steuerpflichtigen durch Erlass oder Änderung eines Steuerbescheids die entsprechende, richtige steuerliche Folgerung gezogen werden ([X.]FH-Urteil in [X.]FHE 203, 337, [X.]St[X.]l II 2007, 749). Nach einer Richtigstellung der rechtlichen [X.]eurteilung zugunsten des einen Steuerpflichtigen kann damit korrespondierend aus dem einheitlichen Lebenssachverhalt die richtige Folgerung auch bei dem anderen Steuerpflichtigen im Wege der Änderung seiner bestandskräftigen Steuerfestsetzung gezogen werden. § 174 Abs. 4 und Abs. 5 [X.] gewährleisten somit, dass ein und derselbe Sachverhalt, der sich bei zwei verschiedenen Steuerpflichtigen auswirkt, auch bei beiden gleich beurteilt werden kann ([X.]FH-Urteile in [X.]FHE 203, 337, [X.]St[X.]l II 2007, 749; vom 18. Februar 2009 [X.], [X.]FHE 225, 193, [X.]St[X.]l II 2010, 109).

c) Im Streitfall liegen die vorgenannten Voraussetzungen für eine [X.]eiladung nach § 174 Abs. 5 Satz 2 [X.] vor. Es besteht aufgrund des von der Klägerin angestrengten Klageverfahrens die Möglichkeit, dass sie mit ihrer Auffassung durchdringt, dass der Wert ihres Erwerbs von Todes wegen nicht unter [X.]erücksichtigung einer Erbquote von ½, sondern nach dem ihr tatsächlich zugeflossenen Vermögen unter [X.]erücksichtigung des am 14. August 2008 geschlossenen Vergleichs zu ermitteln ist. Dies wiederum kann dazu führen, dass das [X.] gegenüber dem [X.]eigeladenen entsprechende erbschaftsteuerliche Folgen zieht. Das [X.] hat im Übrigen die [X.]eiladung des [X.] beantragt. Dass es sich dabei statt alleine auf § 174 Abs. 5 Satz 2 [X.] fehlerhaft auch auf § 60 Abs. 1 [X.]O gestützt hat, weil ein nach § 174 Abs. 5 Satz 2 [X.] am Verfahren [X.]eteiligter die Rechtsstellung eines notwendig [X.]eigeladenen erlangt (vgl. [X.]FH-Urteil vom 25. August 1987 IX R 98/82, [X.]FHE 151, 506, [X.]St[X.]l II 1988, 344), ist unschädlich, da das [X.] die von ihm vorgenommene [X.]eiladung unter Auslegung des Antrags des [X.] zu Recht alleine auf § 174 Abs. 5 Satz 2 [X.] gestützt hat.

2. Eine Kostenentscheidung ist nicht zu treffen, da die Entscheidung über die [X.]eiladung in einem unselbständigen Zwischenverfahren ergeht (§ 143 Abs. 1 [X.]O) und die Kosten dieses Nebenverfahrens mit denen des Hauptverfahrens eine Einheit bilden (vgl. [X.]FH-[X.]eschluss vom 19. Februar 2004 IX [X.] 3/03, [X.]FH/NV 2004, 918, m.w.N.).

Meta

II B 48/10

24.11.2010

Bundesfinanzhof 2. Senat

Beschluss

vorgehend FG Münster, 20. April 2010, Az: 3 K 1331/01 Erb, Beschluss

§ 174 Abs 4 AO, § 174 Abs 5 S 2 AO, § 60 Abs 1 FGO, § 60 Abs 3 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 24.11.2010, Az. II B 48/10 (REWIS RS 2010, 1112)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 1112

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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