Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.11.2012, Az. X ZR 95/11

10. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 1199

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Gegenstand

Patentnichtigkeitsverfahren: Beweiserhebung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens nach neuem Recht - Führungsschiene


Leitsatz

Führungsschiene

Zur Beweiserhebung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens im Patentnichtigkeitsverfahren nach neuem Recht.

Gründe

I.

1

Der Senat ist auf Grund der mündlichen Verhandlung zu folgender vorläufiger Bewertung gelangt:

2

1. Das Streitpatent betrifft eine Führungsschiene für einen Kraftfahrzeugsitz mit Anbauteilen zur Anbindung des [X.] oder eines Sicherheitsgurtes. Der Streitpatentschrift zufolge werden bei den bekannten Kraftfahrzeugsitzen zur Anbringung von Sitzgestellen Befestigungswinkel oder Rohrschellen verwendet, die mit Nieten oder Schrauben fixiert werden. Derartige Befestigungsstellen müssten, um die unter Umständen sehr hohen, bei Zusammenstößen möglichen Kräfte aufzunehmen, sehr massiv ausgebildet sein, was vergleichsweise viel Material und Bauraum beanspruche.

3

Der Erfindung liegt deshalb das Problem zugrunde, Mittel zur Anbindung von Anbauteilen an Führungsschienen eines Kraftfahrzeugsitzes zur Verfügung zu stellen, die sich durch eine hohe Belastbarkeit bei geringem Materialeinsatz auszeichnen und sich für eine automatisierte Fertigung eignen.

4

Dafür schlägt Patentanspruch 1 eine Führungsschiene für einen Kraftfahrzeugsitz mit Anbauteilen zur Anbindung eines [X.] oder eines Sicherheitsgurtes vor, bei der wenigstens ein Teil der Anbauteile zumindest mit einem Teilbereich stumpf auf eine Oberfläche der Führungsschiene aufgesetzt und durch Laserschweißen mit der Führungsschiene verbunden ist. Hierdurch soll bei geringer thermischer Belastung der zu verbindenden Bauteile eine hoch belastbare Verbindung bereitgestellt werden.

5

2. Als Fachmann ist ein mehrjährig auf dem Gebiet der Konstruktion von Kraftfahrzeugsitzen tätiger Maschinenbauingenieur anzusehen, der gegebenenfalls in ein Entwicklerteam eingebunden ist, in dem ihm erforderlichenfalls fertigungs- und verbindungstechnische Kenntnisse vermittelt werden.

6

3. Im Stand der Technik waren als Lösungen, an die aus fachmännischer Sicht für die Weiterentwicklung der Anbindung von [X.] oder Sicherheitsgurten angeknüpft werden konnte, vorzufinden:

a) die Verbindung von Anbauteilen durch Schrauben oder Nieten, wie sie etwa in den [X.] [X.] oder 197 15 626 als Stand der Technik beschrieben ist;

b) stumpf im Schutzgasschweißverfahren angeschweißte Anbauteile wie bei den [X.] ([X.] [X.] und Anlage [X.]0, Bezugszeichen [X.] und [X.]) oder [X.] verwirklicht;

c) nach der Behauptung der Klägerin ferner Laserschweißen mit überlappenden Anbauteilen beim A.    ([X.] [X.]).

7

4. Der Senat vermag auf der Grundlage des bisherigen Sach- und Streitstandes nicht abschließend zu beurteilen, ob der Fachmann Anlass hatte, bei der Lösung des technischen Problems auf die in [X.] offenbarte Lösung zurückzugreifen und diese dahin weiterzuentwickeln, dass stumpf auf die Führungsschiene aufgesetzte Anbauteile durch Laserschweißen mit der Führungsschiene verbunden werden.

8

a) Die Laserschweißtechnologie wurde zwar schon vor dem [X.] von verschiedenen Autoherstellern in einzelnen Bereichen eingesetzt (s. dazu das Privatgutachten von Prof. Dr. H.    [[X.]]: [X.] ab 1987, [X.] ab 1991, [X.] ab 1996; auch das Gutachten von Prof. Dr. R.   vom 27. Januar 2010; zur Verbreitung vgl. M&N7 und dort insbesondere das Diagramm nach S. 6 sowie - zum [X.] bei [X.] - die 2009 nachveröffentlichte [X.], dort insbesondere [X.]. Sp.; das Handbuch von [X.], erschienen im [X.], Anlagen [X.] und [X.], wird von den [X.]en kontrovers erörtert, vgl. einerseits Schriftsatz Rechtsanwälte E.       vom 22. Juni 2012 S. 37 ff. unter Bezugnahme auf [X.] und Schriftsatz Rechtsanwälte J.         vom 17. September S. 24 ff. unter Bezugnahme auf [X.]). In der vor dem [X.] veröffentlichten Entgegenhaltung [X.] (Fachbuchreihe Schweißtechnik, erschienen 1994, [X.]: "[X.]/Kehl-Naht am T-Stoß - im [X.] wegen der erheblichen Toleranzen und Positionierprobleme nicht geeignet") und auch noch in einer im Jahr 2005 veröffentlichten Ausarbeitung (M&N9 S. 2 li. Sp. oben) werden aber Vorbehalte gegen die Herstellung von [X.] im Karosseriebau geäußert. Andererseits befasst sich unter anderem die [X.] Patentschrift 43 41 255 (Anlage [X.]; Patentinhaberin: D.   AG) mit Schweißverbindungen an T-Stößen; die Schrift beschreibt ein Verfahren zum Laserstrahlschweißen von Bauteilen und weist dabei auf "normale in der Automobilindustrie verwandte Bleche" hin (Beschreibung Spalte 2 Z. 32 ff.).

9

Das Patentgericht hat angenommen, dass die grundsätzliche Eignung des [X.]s - u.a. aufgrund der [X.] - für den Fachmann auf der Hand gelegen habe, zumal gerade die Fügesituation der Anbauteile an der Führungsschiene des Sitzes besonders für das Laserschweißen geeignet sei, weil die Laserstrahlachse vorteilhaft in die [X.] gelenkt werden könne. Die in der [X.] angesprochenen Toleranz- und Positionierungsprobleme bezögen sich im [X.] auf in der Regel nicht geradlinige Verläufe von gepressten oder gestanzten Blechteilen der Fahrzeugkarosserie; solche Positionierprobleme träten bei einer Verbindung zwischen einer Führungsschiene und einem Anbauteil regelmäßig nicht auf, da die Führungsschiene ihrem Zweck entsprechend sehr formhaltig sein müsse. Die Beklagte ist dem letzteren Argument mit der Behauptung entgegengetreten, dass der Fachmann von einem geradlinigen Verlauf der [X.], u.a. im Hinblick auf die Auswirkungen der erforderlichen Abkantungen des Bleches und der Einbringung von Öffnungen nicht habe ausgehen können. Sie hat ferner die Auffassung vertreten, dass die Entgegenhaltung [X.] notwendig die Gewährleistung eines - bei der Lösung des Streitpatents zu vermeidenden - [X.] zwischen den zu verbindenden Bauteilen voraussetze, der zwar nicht zwingend durchgängig exakt dieselbe Höhe aufweisen müsse, aber für eine praktische Umsetzung des Verfahrens eine Mindesthöhe nicht unter- und eine Maximalhöhe nicht überschreiten dürfe (Schriftsatz der Beklagten vom 17. September 2012 S. 21 f. und Berufungsbegründung S. 22 ff.), und dass ferner aus fachmännischer Sicht der Vorschlag der [X.], einen Fügespalt durch aufgeschmolzenes Material aufzufüllen, das sich aus dem in der Schrift beschriebenen [X.] speist, im Zusammenhang mit der Verbindung eines [X.] mit der Sitzführungsschiene nicht in Betracht gezogen worden wäre. Schließlich hat die Beklagte geltend gemacht, dass die auf dem hier in Rede stehenden Fachgebiet tätigen Unternehmen über keine praktischen Erfahrungen mit dem Laserschweißen verfügt hätten.

b) Die [X.]en haben ferner kontrovers diskutiert, ob und inwiefern aus der Sicht des Fachmanns am [X.] die in der [X.] verwirklichte, aber bei den [X.] der betreffenden Fahrzeugmodelle nicht aufgegriffene T-Stoß-Verbindung zwischen Anbauteilen und Führungsschiene Anlass gab, eine solche T-Stoß-Verbindung nunmehr mittels [X.] zu realisieren.

5. Es bedarf daher der weiteren Klärung, ob für den Fachmann Veranlassung bestand, den Einsatz der Laserschweißtechnologie dort in Erwägung zu ziehen, wo [X.] zur Verbindung von Anbauteilen und Führungsschiene bereits verwirklicht worden waren, oder ob der Einsatz dieser Technologie zur Herstellung einer T-Stoß-Verbindung in dem hier zu beurteilenden Zusammenhang aufgrund der allgemein geäußerten Vorbehalte, des Gangs der Entwicklung auf dem Gebiet der Konstruktion von Fahrzeugsitzen und ihrer Führungsschienen und der Ausbildung und Erfahrung der auf diesem Gebiet tätigen Fachleute und ihrer Einschätzung der Vor- und Nachteile der bisher verwirklichten Lösungen eher fernlag.

II.

Es soll ein schriftliches Sachverständigengutachten zu der Frage eingeholt werden, welche fachlichen Gesichtspunkte für und welche Gesichtspunkte gegen die Annahme sprechen, dass ein mit der Lösung des technischen Problems befasster Fachmann am [X.] (13. September 2001) Anbauteile zur Anbindung eines [X.] oder eines Sicherheitsgurts an die Sitzführungsschiene stumpf aufgesetzt und durch Laserschweißen mit der Führungsschiene verbunden hätte?

Bei der Beantwortung dieser Frage soll der Sachverständige insbesondere auch auf folgende Gesichtspunkte eingehen:

1. Inwieweit ergaben sich aus den Verhältnissen und Gegebenheiten in den mit der Entwicklung solcher Konstruktionen befassten Unternehmen, dem Stand der Technik im Bereich der Laserschweißtechnologie am [X.], den Hinweisen, die der Fachmann der Literatur zu den Einsatzmöglichkeiten des [X.] entnehmen konnte, und den konkreten Verhältnissen bei der Verbindung eines [X.] mit der Führungsschiene und deren [X.] Ansatzpunkte dafür, auf dem vom Streitpatent beschrittenen Weg eine Lösung für das dem Streitpatent zugrunde liegende Problem zu suchen?

2. Bot aus fachlicher Sicht die Lehre der [X.] vor dem Hintergrund der Verbreitung und des Stands des [X.] in der Automobilindustrie eine Anregung für die Verwendung des [X.] bei stumpf aufgesetzten Anbauteilen der Führungsschiene oder konnte sie eher Veranlassung geben, in diesem Zusammenhang von der Laserschweißtechnologie Abstand zu nehmen?

3. Was spricht dafür und was spricht dagegen, dass der Fachmann bei der Lösung des dem Streitpatent zugrunde liegenden Problems in Erwägung gezogen hätte, auf die in der [X.] verwirklichte T-Stoß-Verbindung zurückzugreifen? Hatte in diesem Zusammenhang der Umstand Bedeutung, dass die Lösung der [X.] keiner aktuellen "Sitzgeneration" eines Automobilherstellers zugrunde lag? Deutete bei der Lösung gemäß [X.] das Vorhandensein des auch als "Gurtschwert" bezeichneten Bauteils aus fachmännischer Sicht darauf hin, dass stumpf angeschweißte Anbauteile unter Festigkeits- und damit zugleich Sicherheitsgesichtspunkten einer Unterstützung bedürfen? Wenn ja, hatte dieser Umstand Bedeutung für die Erwägung, eine T-Stoß-Verbindung im [X.] zu realisieren (vgl. dazu insbesondere Berufungsbegründung S. 27 ff. = [X.]. 38 ff.; Schriftsatz vom 22. Juni 2012 S. 24 ff. = [X.]. 113 ff.; Schriftsatz vom 17. September 2012 S. 9 ff. = [X.]. 144 ff.)?

4. Welche Schlussfolgerungen ergaben sich aus fachlicher Sicht aus dem Umstand, dass die zu verbindenden Teile bei der in [X.] offenbarten Lösung überlappend verschweißt wurden, hinsichtlich der Möglichkeit eines stumpfen Anschweißens? Zur Beantwortung dieser Frage soll unterstellt werden, dass die Lösung gemäß [X.] bereits vor dem [X.] eingesetzt wurde.

III.

1. Den [X.]en wird aufgegeben, innerhalb eines Monats jeweils mindestens zwei Vorschläge für fachlich qualifizierte unabhängige Sachverständige zu machen, die der Senat mit der Erstellung des Gutachtens beauftragen kann. Die für die andere [X.] bestimmten Abschriften des betreffenden Schriftsatzes sollen über den Senat zugeleitet werden, der dies erst veranlassen wird, wenn ihm die Vorschläge beider Seiten vorliegen.

2. Dem gerichtlichen Sachverständigen sollen von den [X.]en auch die von ihnen in der mündlichen Verhandlung vor dem Patentgericht und dem Senat vorgeführten Musterstücke zur Vorbereitung [X.] zur Verfügung gestellt werden.

3. Die Anforderung eines Auslagenvorschusses (§ 17 Abs. 3 GKG) bleibt vorbehalten.

Meier-Beck     

        

Gröning     

        

Richter am Bundesgerichtshof
Dr. [X.] kann wegen
Urlaubs nicht unterschreiben.

                                   

Meier-Beck

        

Bacher     

        

Schuster     

        

Meta

X ZR 95/11

20.11.2012

Bundesgerichtshof 10. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend BPatG München, 13. April 2011, Az: 5 Ni 1/10 (EU), Urteil

§ 88 Abs 1 PatG, § 119 Abs 5 PatG, § 359 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.11.2012, Az. X ZR 95/11 (REWIS RS 2012, 1199)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 1199

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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