Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.05.2021, Az. 1 StR 139/21

1. Strafsenat | REWIS RS 2021, 5760

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Gegenstand

Einziehung: Begründung einer Einziehungsanordnung gegen einen als Gesellschaftsorgan handelnden Täter


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten [X.]wird das Urteil des [X.] vom 7. Dezember 2020 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit gegen den Angeklagten und die Mitangeklagte A.            als Gesamtschuldner die Einziehung des Wertes von Taterträgen angeordnet worden ist.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten [X.]              und die nicht revidierende Mitangeklagte A.              jeweils wegen Betruges in 117 tatmehrheitlichen Fällen verurteilt. Gegen den Angeklagten hat das [X.] deswegen eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verhängt. Die Mitangeklagte hat es zu einer solchen von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Zur Kompensation einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung hat das [X.] von den verhängten Gesamtfreiheitsstrafen jeweils zwei Monate als vollstreckt erklärt. Zudem hat es gegen beide Angeklagte als Gesamtschuldner die Einziehung eines Betrages von 1.014.116,97 Euro angeordnet. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat hinsichtlich der [X.] Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

2

1. Das [X.] hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

3

a) Der Angeklagte war geschäftsführender Direktor der [X.]. (im Folgenden: [X.].), die [X.] ihre Tätigkeit im Groß- und Einzelhandel von Münzen und Edelmetallen aufgenommen hatte. Der Verkauf erfolgte ganz überwiegend über ein Internetportal der Mitangeklagten gegen Vorkasse. Die [X.]. besaß selbst keine Warenvorräte und musste sich daher für die von den Kunden bestellten Waren im Nachgang selbst bei [X.] eindecken. Über das Konto der [X.] bei der [X.]      waren sowohl der Angeklagte als auch die Mitangeklagte verfügungsberechtigt. Der zeitlich verzögerte Wareneinkauf führte bei fast allen Bestellungen dazu, dass der von der [X.]. aufzuwendende Einkaufspreis höher war als der mit den Kunden vereinbarte Kaufpreis. In dem Buchhaltungsprogramm der [X.] war kein Warenwirtschaftssystem integriert; sonstige Aufzeichnungen wurden ebenfalls nicht vorgenommen. Ab dem [X.] konnten aufgrund fehlender Liquidität der [X.]. die von den Kunden bestellten Waren nur noch teilweise ausgeliefert werden, weil die Bezahlung der Münz- und Edelmetalllieferanten mit [X.] erfolgen musste, die aus den Vorauszahlungen anderer Kunden stammten. Im Zeitraum vom 4. März 2016 bis zum 19. Juli 2017 wurden von 117 Kunden Bestellungen und Vorauszahlungen entgegengenommen, wobei bei 110 Kunden überhaupt keine Lieferung und bei den Übrigen nur Teillieferungen vorgenommen werden konnten. Die Kunden leisteten ihre Vorauszahlungen jeweils aufgrund eines täuschungsbedingten Irrtums über die Lieferfähigkeit und Lieferwilligkeit der Angeklagten. Hierdurch entstand ihnen ein Gesamtschaden von 1.126.796,63 Euro, was der Angeklagte und die Mitangeklagte billigend in Kauf nahmen.

4

Beide Angeklagte handelten in allen Fällen in der Absicht, sich durch die wiederholte Tatbegehung eine Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Umfang zu verschaffen. Die Mitangeklagte A.          bezog als Angestellte der [X.]. ein monatliches Bruttogehalt von 2.200 Euro. Der Angeklagte [X.]              war bei der [X.] auf 450-Euro-Basis angestellt und sozialversichert. Beiden Angeklagten stand zudem das Firmenfahrzeug zur Verfügung. Dass sich die Angeklagten an dem Firmenvermögen „in sonstiger Weise zu Unrecht bereichert“ oder Edelmetalle beiseitegeschafft hätten, konnte das [X.] nicht feststellen (UA S. 12).

5

b) Das [X.] hat das Verhalten der Angeklagten als 117 selbständige, jeweils gemeinschaftlich begangene Taten des Betruges gemäß § 263 Abs. 1 StGB gewertet. Gemäß §§ 73, 73c StGB hat es gegen beide Angeklagte als Gesamtschuldner die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 1.014.116,97 Euro angeordnet. Hierbei hat es im Hinblick auf „kostenfreie Zugaben“ an geschädigte Kunden von der Gesamtschadenssumme „vorsorglich“ zehn Prozent in Abzug gebracht.

6

2. Mit Ausnahme der [X.] hat die Nachprüfung des Urteils auf die Sachrüge hin keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten [X.]             ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).

7

3. Die [X.] hinsichtlich des Wertes von Taterträgen (§ 73 Abs. 1, § 73c StGB) hat demgegenüber keinen Bestand.

8

a) Ein Vermögenswert ist nach § 73 Abs. 1 StGB „durch die Tat“ erlangt, wenn er dem Beteiligten in irgendeiner Phase des Tatablaufs aus der Verwirklichung des Tatbestands so zugeflossen ist, dass er hierüber tatsächliche Verfügungsgewalt ausüben kann und ihm so aus der Tat unmittelbar messbar zugutegekommen ist (st. Rspr.; [X.], Beschlüsse vom 15. Januar 2020 - 1 StR 529/19 Rn. 11; vom 17. Januar 2019 - 4 StR 486/18 Rn. 9; vom 23. Oktober 2018 - 5 [X.] und vom 14. November 2018 - 3 [X.] Rn. 8). Bei der Bestimmung des „erlangten Etwas“ ist der tatsächliche Vorgang maßgeblich (vgl. [X.], Urteil vom 12. Juli 2018 - 3 [X.] Rn. 11).

9

Dabei ist bei juristischen Personen, die über eine eigene Vermögensmasse verfügen, zwischen der Vermögenssphäre der [X.] und derjenigen des [X.] zu trennen. Handelt der Täter lediglich als Beauftragter, Vertreter oder Organ einer juristischen Person für eine solche [X.] und tritt die Vermögensmehrung ausschließlich bei ihr ein, kann demnach nicht ohne Weiteres angenommen werden, dass der Täter - auch in Fällen einer (legalen) Zugriffsmöglichkeit - eigene Verfügungsgewalt über das Erlangte hat (vgl. [X.], Beschluss vom 24. März 2021 - 1 StR 13/21 Rn. 11 mwN). In solchen Fällen ist eine Dritteinziehung bei der [X.] nach § 73b StGB anzuordnen. Die [X.] ist dann als Einziehungsbetroffene am Verfahren zu beteiligen oder es ist ein selbstständiges Einziehungsverfahren gegen sie zu führen ([X.], Beschlüsse vom 6. Juni 2019 - 1 StR 75/19 Rn. 13; vom 14. November 2018 - 3 [X.] Rn. 10 und vom 7. September 2016 - 2 StR 352/15 Rn. 10 f.; Urteil vom 28. November 2019 - 3 StR 294/19, [X.]St 64, 234 Rn. 21 f.).

Zur Begründung einer [X.] gegen einen als Organ handelnden Täter bedarf es der über die faktische Verfügungsgewalt hinausgehenden Feststellung, dass dieser selbst etwas erlangte, was zu einer Änderung seiner Vermögensbilanz führte. Dies kann etwa darin liegen, dass der Täter die [X.] nur als einen formalen Mantel seiner Tat nutzte, eine Trennung zwischen dem eigenen Vermögen und demjenigen der [X.] aber nicht vornahm, oder darin, dass jeder aus der Tat folgende Vermögenszufluss an die [X.] sogleich an den Täter weitergeleitet wird. Wird der Vermögensvorteil hingegen von der [X.] vereinnahmt, so kann nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden, dass der wirtschaftliche Wert der Geschäftsanteile im Privatvermögen des [X.] mit jeder Zahlung oder jeder zurückgewiesenen Forderung steigt oder sich der Zufluss auf die Höhe einer späteren Entnahme aus dem [X.]svermögen auswirkt (vgl. [X.], Beschlüsse vom 24. März 2021 - 1 StR 13/21 Rn. 11; vom 15. Januar 2020 - 1 StR 529/19 Rn. 10 ff., 15; vom 14. November 2018 - 3 [X.] Rn. 10 f. mwN und vom 31. Juli 2018 - 3 StR 620/17 Rn. 26).

b) Ausgehend von diesen Maßstäben erweisen sich die der [X.] zugrundeliegenden Feststellungen als lückenhaft. Festgestellt ist lediglich, dass die Kunden die Vorauszahlungen für ihre Bestellungen auf das Konto der [X.]. geleistet und die Zahlungen somit dem Firmenvermögen der [X.] zugeführt haben ([X.]). Besondere, den Zugriff auf das Vermögen des Angeklagten rechtfertigende Umstände hat das [X.] bislang nicht getroffen. Insbesondere ist den Urteilsfeststellungen nicht zu entnehmen, dass der Angeklagte die [X.]. lediglich als formalen Mantel seiner Taten nutzte. Vielmehr konnte es nicht feststellen, dass sich der Angeklagte, der bei der [X.]. auf 450-Euro-Basis angestellt war, an dem Firmenvermögen „in sonstiger Weise zu Unrecht bereichert“ hat. Dies stellt keine tragfähige Grundlage für die vom [X.] getroffene [X.] gegen den Angeklagten dar.

Im Hinblick darauf, dass das [X.] betreffend die Einziehung des Wertes von Taterträgen beim Angeklagten von unzutreffenden Maßstäben ausgegangen ist, hebt der Senat die [X.] mit den zugrundeliegenden Feststellungen auf und verweist er die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurück. Denn es ist nicht auszuschließen, dass noch Feststellungen getroffen werden können, die eine Einziehung des Wertes von Taterträgen beim Angeklagten rechtfertigen.

4. Die Aufhebung ist gemäß § 357 StPO auf die die Mitangeklagte betreffende [X.] zu erstrecken, da diese Anordnung auf demselben sachlich-rechtlichen Fehler beruht (vgl. [X.], Beschluss vom 5. März 2013 - 1 StR 52/13).

5. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat zur Entscheidung über die Verfahrenskosten im Falle der Abänderung der [X.] nach Aufhebung durch das Revisionsgericht auf die Senatsbeschlüsse vom 25. Februar 2021 im Verfahren 1 StR 423/20 und vom 24. März 2021 im Verfahren 1 StR 13/21 (Rn. 13) hin.

Raum     

        

Jäger     

        

Bellay

        

Hohoff     

        

Pernice     

        

Meta

1 StR 139/21

19.05.2021

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Freiburg (Breisgau), 7. Dezember 2020, Az: 16 KLs 420 Js 20635/16 AK 4/18

§ 73 Abs 1 StGB, § 73b StGB, § 73c StGB, § 261 StPO, § 267 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.05.2021, Az. 1 StR 139/21 (REWIS RS 2021, 5760)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 5760

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