Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21.09.2017, Az. 1 StR 268/17

1. Strafsenat | REWIS RS 2017, 4987

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Strafzumessung: Strafschärfende Berücksichtung von Äußerungen eines Angeklagten über das Tatopfer


Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 25. Januar 2017 wird als unbegründet verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Neben- und Adhäsionsklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in zehn Fällen, jeweils in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von [X.], und wegen sexuellen Missbrauchs von [X.] in 29 weiteren Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Daneben hat es eine Adhäsionsentscheidung zugunsten der [X.] und Nebenklägerin getroffen und im Übrigen von einer Entscheidung über den [X.] abgesehen. Die Revision des Beschwerdeführers, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt, hat keinen Erfolg.

2

1. Der Revisionsangriff des Beschwerdeführers gegen den Schuldspruch und den Adhäsionsausspruch hat aus den in der Antragsschrift des [X.] ausgeführten Gründen keinen Erfolg. Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der [X.] hat insoweit keinen den Angeklagten [X.] Rechtsfehler ergeben (§ 349 Abs. 2 [X.]).

3

2. Auch die Strafaussprüche haben Bestand.

4

a) Allerdings hat das [X.] strafschärfend berücksichtigt, „dass der Angeklagte - trotz seines weitreichenden Geständnisses - in der Hauptverhandlung kaum eine Gelegenheit ungenutzt ließ, seine während des gesamten Prozesses in ihrer Rolle als Nebenklägerin persönlich anwesende Stieftochter als ´wahre Täterin` hinzustellen und diese, ebenso wie seine Ehefrau und seinen Stiefsohn, zum Teil übel zu diffamieren“ ([X.]). Dies war unter den gegebenen Umständen rechtsfehlerhaft, weil das [X.] dem Angeklagten zulässiges Verteidigungsverhalten strafschärfend angelastet hat. Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] dürfen Zeugen und Mittäter betreffende Angaben nur dann strafschärfend berücksichtigt werden, wenn sie eindeutig die Grenzen angemessener Verteidigung überschreiten und Rückschlüsse auf eine rechtsfeindliche Einstellung des Angeklagten zulassen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 7. März 2001 - 2 StR 21/01, [X.], 419 und vom 22. Juni 1999 - 1 StR 238/99, [X.], 536 mwN). Daher dürfen auch Äußerungen über ein Tatopfer nur dann strafschärfend verwertet werden, wenn in ihnen eine über das Leugnen eigener Schuld hinausgehende Ehrverletzung des Tatopfers oder eine rechtsfeindliche Gesinnung gesehen werden kann (vgl. [X.], Beschluss vom 6. Juli 2010 - 3 StR 219/10, [X.], 692 mwN; [X.], StGB, 64. Aufl., § 46 Rn. 53 f. mwN). Solches ist hier jedoch nicht tragfähig festgestellt.

5

Zwar ist der Angeklagte nach der Wertung des [X.]s die Nebenklägerin während der drei Hauptverhandlungstage in einer Weise angegangen, dass sein Einlassungsverhalten nicht mehr als durch die Wahrnehmung seiner prozessual und verfassungsrechtlich verbürgten Verteidigungsrechte gerechtfertigt angesehen werden könne ([X.]). Diese Wertung wird jedoch von den in den Urteilsgründen hierfür als Beleg angeführten Äußerungen des Angeklagten aus seiner „Erklärung zur Adhäsionsforderung“ nicht getragen. Vielmehr dienten alle dort angeführten Äußerungen des Angeklagten seiner Verteidigung im Hinblick auf das Zustandekommen der Taten und betrafen damit unmittelbar strafzumessungsrelevante Tatsachen. Der Angeklagte hatte sich eingelassen, seine sexuellen Handlungen seien jeweils von der Nebenklägerin veranlasst gewesen; sie sei immer der aktivere Teil gewesen und habe ihn zum Teil auch erpresst ([X.]). Wenn sich der Angeklagte aber gegen den Vorwurf, die Tathandlungen seien jeweils von ihm ausgegangen, obwohl die Nebenklägerin ihm mehrfach gesagt habe, dass sie das nicht möchte ([X.] f.), mit der Behauptung verteidigt, das seien alles „Lügengeschichten“ ([X.]) und er sei Opfer einer Intrige der Nebenklägerin und deren Mutter, seiner Ehefrau ([X.]), so verlässt dies noch nicht den Bereich zulässiger Verteidigung. Auch soweit der Angeklagte Formulierungen verwendete, wie etwa, er sei völlig fassungslos, mit welcher Gefühlskälte die Nebenklägerin seinen Untergang geplant habe bzw. sie habe „ihren mörderischen Lügenteppich konsequent über alles ausgebreitet“ ([X.]), bezweckte er ersichtlich noch seine Verteidigung und verließ noch nicht eindeutig den Bereich zulässiger Verteidigung. Darüber hinausgehende diffamierende Äußerungen des Angeklagten hat das [X.] nicht benannt. Damit hat es noch zulässiges Verteidigungsverhalten rechtsfehlerhaft strafschärfend gewertet.

6

b) Dieser Rechtsfehler erfordert indes nicht die Aufhebung der Strafaussprüche und die Zurückverweisung der Sache an das [X.], da sowohl die Einzelstrafen als auch die vom [X.] verhängte Gesamtfreiheitsstrafe trotz dieses Strafzumessungsfehlers angemessen sind (§ 354 Abs. 1a Satz 1 [X.]).

7

aa) Ob eine Rechtsfolge als angemessen im Sinne des § 354 Abs. 1a [X.] angesehen werden kann, hat das Revisionsgericht auf der Grundlage der Feststellungen des angefochtenen Urteils unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Gesichtspunkte, insbesondere aller nach § 46 StGB für die Strafzumessung erheblichen Umstände zu beurteilen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 17. März 2005 - 3 StR 39/05, [X.], 465 und vom 3. Mai 2013 - 1 [X.], [X.], 307). Dies ist vorliegend auch möglich, weil alle für die Strafzumessung erforderlichen Feststellungen vom [X.] getroffen worden sind und es daher keiner weiteren Feststellungen mehr bedarf (vgl. [X.], Beschluss vom 29. April 2014 - 4 StR 23/14). Der Senat hat der Verteidigung Gelegenheit gegeben, zu einer Vorgehensweise nach § 354 Abs. 1a [X.] Stellung zu nehmen (vgl. dazu [X.] in [X.]/[X.], [X.], 60. Aufl., § 354, Rn. 28a mwN). Da die Verteidigerin in ihrer Stellungnahme hierzu vom 20. September 2017 keine neuen strafzumessungsrelevanten Umstände mitgeteilt hat und solche auch auf anderem Weg nicht bekannt geworden sind, kann der Senat auf der Grundlage des vom [X.] zutreffend ermittelten, vollständigen und aktuellen [X.] die für die Strafzumessung relevanten Umstände und deren konkretes Gewicht selbst abwägen (vgl. dazu [X.], Beschluss vom 14. Juni 2007 - 2 BvR 1447/05, Rn. 102, [X.]E 118, 212, 238).

8

bb) Ausgehend von diesen Maßstäben hält der Senat insbesondere im Hinblick auf die Vielzahl der von dem Angeklagten zu Lasten der Nebenklägerin, seiner Stieftochter, begangenen Taten und die bei der Nebenklägerin eingetretenen Tatfolgen ([X.]) die vom [X.] verhängten Strafen für angemessen im Sinne des § 354 Abs. 1a [X.]. Dies gilt in gleicher Weise für die Einzelstrafen von jeweils acht Monaten in den ersten zehn Fällen, für die Einzelstrafen von jeweils sechs Monaten in den weiteren 29 Fällen und für die Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten. Diese Strafen sind auch unter Berücksichtigung der vom [X.] strafmildernd berücksichtigten Umstände ([X.]) angemessen im Sinne des § 354 Abs. 1a [X.]. Zu diesen Umständen zählen insbesondere, dass der nicht vorbestrafte Angeklagte ein - freilich nicht von Reue und Schuldeinsicht getragenes - Geständnis ablegte, mit einer Selbstanzeige die eigene strafrechtliche Verfolgung initiierte, dass die Taten im unteren Bereich denkbarer sexueller Handlungen anzusiedeln sind und dass das langjährig gefestigte [X.] Leben des Angeklagten durch die [X.] und seine nach der Selbstanzeige erfolgte Inhaftierung vollständig zerbrochen ist.

Raum     

       

Jäger     

       

Cirener

       

Bär     

       

Hohoff     

       

Meta

1 StR 268/17

21.09.2017

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Bamberg, 25. Januar 2017, Az: 62 KLs 1108 Js 3658/16 jug

§ 46 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21.09.2017, Az. 1 StR 268/17 (REWIS RS 2017, 4987)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 4987

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

1 StR 268/17 (Bundesgerichtshof)


3 StR 436/22 (Bundesgerichtshof)


5 StR 112/17 (Bundesgerichtshof)

Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen: Anforderungen an einen Missbrauch der Abhängigkeit


1 StR 201/16 (Bundesgerichtshof)

Strafzumessung bei sexuellem Kindesmissbrauch: Berücksichtigung weiterer Straftaten oder deren Folgen für das Tatopfer


3 StR 193/21 (Bundesgerichtshof)

Strafverurteilung wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.: Strafzumessung bei Eindringen mit einer Sache; Wahrung …


Referenzen
Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.