Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 13.07.2017, Az. AK 32/17

3. Strafsenat | REWIS RS 2017, 8043

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:130717BAK32.17.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS

AK 32/17
vom
13. Juli 2017
in dem Ermittlungsverfahren
gegen

wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung

-
2
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Der 3.
Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des Beschuldig-ten und seiner Verteidiger am 13. Juli 2017 gemäß §§
121, 122 StPO
beschlossen:
Die Untersuchungshaft hat [X.].
Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesge-richtshof findet in drei Monaten statt.
Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem nach den [X.] Vorschriften zuständigen Gericht übertragen.

Gründe:
Der Beschuldigte ist aufgrund Haftbefehls des Ermittlungsrichters des [X.] vom 13. Dezember 2016 (2 [X.] 895/16) am 20. Dezember
2016 festgenommen worden und befindet sich seither ununterbrochen in
Untersuchungshaft.

1. Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der Beschuldigte habe sich in den Jahren 2014 und 2015 in der [X.], in [X.] und an ande-ren Orten als Mitglied des sog. Islamischen Staates ([X.]) betätigt und damit an einer Vereinigung im Ausland beteiligt, deren Zwecke und deren Tätigkeit [X.] gerichtet sind, Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB) zu bege-hen.

Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.
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2. Nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Geschehen auszugehen:
a) Der "[X.]" ist eine Organisation mit militant-fundamentalistischer islamischer Ausrichtung, die es sich ursprünglich zum Ziel gesetzt hatte, einen das Gebiet des heutigen [X.] und die historische Region "ash-Sham" -
die heutigen [X.] [X.], [X.] und [X.] sowie Paläs-tina -
umfassenden und auf ihrer Ideologie gründenden
"Gottesstaat" zu errich-ten und dazu die schiitisch dominierte Regierung im [X.] und das Regime des [X.] Präsidenten [X.] zu stürzen. Zivile Opfer nahm und nimmt sie bei ihrem fortgesetzten Kampf in Kauf, weil sie jeden, der sich ihren Ansprüchen entgegenstellt, als "Feind des Islam" begreift; die Tötung solcher "Feinde" oder ihre Einschüchterung durch Gewaltakte sieht die Vereinigung als legitimes Mit-tel des Kampfes an.

Die Führung der Vereinigung, die sich mit der Ausrufung des "Kalifats" im Juni
2014 aus "[X.] im [X.] und in [X.]" in "[X.]" umbenannte -
wodurch sie von der regionalen Selbstbeschränkung auf ein "[X.]" Abstand nahm -, hat der "Emir" [X.] inne, der von seinem Sprecher zum "Kalifen" erklärt wurde, dem die Muslime welt-weit Gehorsam zu leisten hätten. Ihm unterstehen ein Stellvertreter sowie "Mi-nister" als Verantwortliche für einzelne Bereiche, so ein "[X.]" und ein "Propagandaminister". Zur Führungsebene gehören außerdem beratende "[X.]". Veröffentlichungen werden in der Medienabteilung "[X.]" produziert und über die Medienstelle "al-I'tisam" verbreitet, die dazu einen ei-genen Twitterkanal und ein [X.] nutzt. Das auch von den [X.] verwendete Symbol der Vereinigung besteht aus dem "Prophetensiegel", einem weißen Oval mit der Inschrift: "Allah -
Rasul -
Muhammad", auf schwar-4
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zem Grund, überschrieben mit dem [X.] Glaubensbekenntnis. Die meh-reren Tausend Kämpfer sind dem "[X.]" unterstellt und in lokale Kampfeinheiten mit jeweils einem Kommandeur gegliedert.

Die von ihr besetzten Gebiete hat die Vereinigung in Gouvernements eingeteilt und einen [X.] eingerichtet; diese Maßnahmen [X.] auf die Schaffung totalitärer staatlicher Strukturen. Angehörige der [X.], aber auch von in Gegnerschaft zum [X.] stehenden [X.], ausländische Journalisten und Mitarbeiter von Nichtregierungsorgani-sationen sowie Zivilisten, die den Herrschaftsanspruch des [X.] in Frage stellen, sehen sich Verhaftung, Folter und Hinrichtung ausgesetzt. Filmaufnahmen von besonders grausamen Tötungen wurden mehrfach vom [X.] zu Zwecken der Einschüchterung veröffentlicht. Darüber hinaus begeht der [X.] immer wieder Massaker an Teilen der Zivilbevölkerung und außerhalb seines Machtbereichs Terroranschläge. So hat er auch für Anschläge in [X.], etwa in [X.] und [X.], die Verantwortung übernommen.

b) Der Beschuldigte gehörte jedenfalls von Oktober 2014 bis November 2015 zu der als "[X.] Zelle"
bezeichneten Gruppierung des [X.], die von dem [X.]n Staatsangehörigen

A.

geleitet wurde, der mit der Führungsebene in [X.] in unmittelbarem Kontakt stand und dessen Aufgabe es war, [X.] in Westeuropa zu koordinie-ren. So trat

A.

als Planer und [X.] der Anschlä-ge in [X.] am 13. November 2015 in Erscheinung, steuerte den Angriff auf einen Thalys-Schnellzug in [X.] am 21. August 2015 und leitete die [X.] für den am 22. März 2016 von Mitgliedern der Gruppierung schließ-lich ausgeführten Anschlag auf den [X.] "[X.]"
in [X.]. An die-7
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sem Anschlag selbst war

A.

nicht mehr beteiligt, da er am
18. November 2015 in [X.]/[X.] von der [X.] Polizei er-schossen worden war.

In diese Gruppierung um

A.

war der Beschuldigte, der ein enges Verhältnis zu diesem hatte, eingebunden. Von Oktober bis De-zember
2014 hielt er sich mit

A.

und anderen Mitgliedern der nach außen hin abgeschotteten Gruppe in einer konspirativen Wohnung in E.

in der [X.] auf, für deren Sicherung er zu sorgen hatte. Ende [X.] reisten die Mitglieder der Gruppe, deren Ziel Westeuropa war, nach [X.] weiter, wobei der Beschuldigte bei der [X.] mithalf. In At.

bezogen die Beteiligten -
unter anderem der Beschuldigte -
wiederum zwei konspirative Wohnungen, von denen aus

A.

Planungen zu [X.], insbesondere in [X.] und hier bereits zu diesem Zeitpunkt konkret den Anschlag auf den [X.] "Zaven-tem"
in [X.], koordinierte und die Weiterreise von Gruppenmitgliedern nach [X.] plante. In At.

nutzte der Beschuldigte zusammen mit

A.

gemeinsam einen Laptop und ein Mobiltelefon, wobei sich auf dem Handy unter anderem eine Skizze befand, die den geplanten Anschlag auf den genannten [X.] zum Gegenstand hatte. An den im Frühjahr 2015 stattfin-denden Vorbereitungen von [X.] war der Beschuldigte unter an-derem insoweit beteiligt, als er Anfang 2015 von

A.

den Auf-trag erhielt, den Reiseweg von [X.] und [X.] nach
Österreich sowie die zu erwartenden Kontrollmaßnahmen zu erkunden. Diesem Auftrag kam der Beschuldigte auch zunächst nach. Die Unternehmungen wurden aber dadurch unterbrochen, dass in V.

([X.]), wo sich bereits Mitglieder der Gruppe aufhielten, am 15. Januar 2015 ein Polizeieinsatz stattfand, bei dem zwei Gruppenmitglieder getötet wurden.

A.

und der Beschuldigte 9
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kehrten daraufhin zunächst in die [X.] zurück, von wo aus der Beschuldigte sich nach [X.] begab, wo er im Mai 2015 ankam.

3. Der dringende Tatverdacht ergibt sich hinsichtlich der Einbindung des Beschuldigten in die von

A.

geführte Gruppe und in die ge-nannten Anschlagsvorbereitungen aus den Beweismitteln, die in dem Sach-standsbericht des [X.] vom 29. Mai 2017 zusammengefasst worden sind, insbesondere aus den Aussagen der Zeugen

D.

, Y.

A.

und

C.

sowie der Auswertung der bei einer Durchsuchung der beiden genannten Wohnungen in At.

sichergestellten [X.], vor allem mehrerer Mobiltelefone und des Laptops. Der Beschuldigte hat den ge-meinsamen Aufenthalt mit

A.

in E.

und At.

sowie die gemeinsame Nutzung des Mobiltelefons
eingeräumt. Wegen weiterer Einzelhei-ten nimmt der [X.] auf die Darstellung im Haftbefehl Bezug.

4. Es besteht nach alledem der dringende Tatverdacht, dass sich der Beschuldigte nach § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Sätze 1 und 2 StGB strafbar gemacht hat. Der [X.] stellt auf der Grundlage des Ermittlungsergebnis-ses eine ausländische terroristische Vereinigung im Sinne von § 129b Abs. 1 StGB dar. Die mitgliedschaftliche Beteiligung des Beschuldigten an dem [X.] ergibt sich daraus, dass er im Rahmen der abgeschotteten Gruppe um

A.

, der als eine Führungsperson des [X.] anzusehen ist, in An-schlagplanungen in Westeuropa, insbesondere [X.], einbezogen war und von diesem erteilte Aufträge annahm.

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Es ist [X.] Strafrecht anwendbar: Dies folgt -
unabhängig von der Frage, ob sich der Beschuldigte auch im Inland mitgliedschaftlich an der [X.] beteiligt hat -
jedenfalls aus § 129b Abs. 1 Satz 2 Varian-te 4 StGB, weil der Beschuldigte sich in [X.] befindet (vgl. zum Straf-anwendungsrecht nach § 129b Abs. 1 Satz 2 StGB [X.], Beschluss vom 6.
April 2017
-
AK 11-13/17, juris Rn.
16; vgl. auch [X.], Beschluss vom 6.
Oktober 2016 -
AK 52/16, juris
Rn.
33 ff.).

Die nach § 129b Abs. 1 Sätze 2 und 3 StGB erforderliche Ermächtigung zur strafrechtlichen Verfolgung von Mitgliedern des [X.] liegt vor.

5. Der bestehende Tatverdacht nach § 129a
Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Sätze 1 und 2 StGB begründet den Haftgrund der Schwerkriminalität (§ 112 Abs. 3 StPO). Aus den Gründen des Haftbefehls, auf die der [X.] zur Ver-meidung von Wiederholungen Bezug nimmt, besteht zudem der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO). Die für die genannte Tat zu erwartende Strafe bildet einen erheblichen Fluchtanreiz, der es wahrscheinlicher macht, dass sich der Beschuldigte, der im Inland über keinerlei Bindungen verfügt und dessen Asylantrag inzwischen bestandskräftig abgelehnt worden ist, dem Straf-verfahren entziehen wird, als dass er sich ihm stellt. Aus diesen für die [X.] maßgeblichen Gründen sind weniger einschneidende Maßnahmen nach § 116 Abs. 1 StPO nicht geeignet, die Erreichung des Zwecks der Unter-suchungshaft zu gewährleisten.

6. Die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der Unter-suchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) liegen vor. Der Umfang der Ermittlungen und ihre besondere Schwierigkeit haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen die Fortdauer der Untersuchungshaft. 12
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Die bei der Durchsuchung der konspirativen Wohnungen in At.

sichergestell-ten zahlreichen Datenträger mussten ausgewertet werden. Die Auswertungen sind noch nicht abgeschlossen. Außerdem wurden Zeugen -
teilweise auch im Wege der Rechtshilfe -
vernommen. Am 29. Mai 2017 hat das [X.] einen ausführlichen Sachstandsbericht erstellt. In einem Haftprüfungster-min am 18. Mai 2017 hat der Pflichtverteidiger des Beschuldigten dessen [X.], Angaben zu machen, bekundet. Die Vernehmung hat am 8. Juni 2017 stattgefunden. Nach Mitteilung des [X.] ist beabsich-tigt, zeitnah Anklage zu erheben. Der [X.] geht deshalb davon aus, dass zum nächsten [X.] eine Anklage vorliegen wird.

7. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht zu den gegen den Beschuldigten erhobenen Vorwürfen derzeit noch nicht außer Verhältnis (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).

[X.] Tiemann

16

Meta

AK 32/17

13.07.2017

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: False

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 13.07.2017, Az. AK 32/17 (REWIS RS 2017, 8043)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 8043

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