Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27.03.2019, Az. IV ZR 10/18

4. Zivilsenat | REWIS RS 2019, 8848

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Gegenstand

Verletzung des rechtlichen Gehörs des Feuerversicherers: Nichtberücksichtigung des Bestreitens der Wiederherstellungsabsicht des Versicherungsnehmers


Tenor

Auf die Beschwerde der Beklagten wird die Revision gegen das Urteil des 7. Zivilsenats des [X.] vom 22. Dezember 2017 zugelassen.

Das vorbezeichnete Urteil wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Streitwert: 85.200 €

Gründe

1

I. Die Klägerin verlangt Schadensersatz wegen Verzuges des beklagten Feuerversicherers mit Entschädigungsleistungen nach einem Brand, bei dem das versicherte Büro- und Verwaltungsgebäude am 14. März 2004 erheblich beschädigt wurde. Die Klägerin hatte einen Teil des Gebäudes vor dem Brand selbst genutzt und weitere Räume jeweils bis Ende 2009 mit einer Verlängerungsoption von weiteren fünf Jahren an zwei Gesellschaften vermietet. Beide Mieterinnen stellten die Mietzahlungen kurze [X.] nach dem Brand ein.

2

Im [X.] 2004 vereinbarten die Parteien die Durchführung des [X.] nach § 15 der dem Versicherungsvertrag zugrundeliegenden Allgemeinen Bedingungen für die Feuerversicherung ([X.]). Dieses führten sie in der Folgezeit auch noch fort, nachdem die [X.] am 14. Oktober 2004 den Rücktritt vom Versicherungsvertrag und die Arglistanfechtung ihrer Vertragsannahme erklärt hatte. Im anschließenden Rechtsstreit wurde - rechtskräftig seit September 2009 - festgestellt, dass die [X.] dem Grunde nach verpflichtet ist, der Klägerin den durch den Brand entstandenen Schaden gemäß den Versicherungsbedingungen und den im Sachverständigenverfahren zu treffenden Feststellungen zu ersetzen. Nachdem das Sachverständigenverfahren auch bis Ende 2010 nicht zu einem Abschluss gekommen war, erklärte die Klägerin Anfang 2011, dass sie es als gescheitert ansehe.

3

Die Klägerin hatte bereits 2010 eine Klage auf Abschlagszahlungen auf den [X.]wertschaden des Gebäudes, auf Aufräumungs- und Abbruchkosten sowie auf [X.] in Höhe von insgesamt 710.000 € nebst Zinsen erhoben. Die [X.] hatte noch im Jahr 2010 400.000 € nebst Zinsen auf den Gebäudeschaden geleistet und zahlte im Jahr 2011 weitere 91.000 € nebst Zinsen. Abschlagszahlungen für Aufräumungs- und Abbruchkosten und für [X.] in Höhe von 208.320 € nebst Zinsen erfolgten erst 2013 nach Verurteilung der [X.]n durch das [X.]surteil vom 19. Juni 2013 ([X.], [X.], 385). Ein Wiederaufbau des versicherten Gebäudes ist bislang nicht erfolgt. Die endgültige Regulierung des [X.]wertschadens ist Gegenstand eines anderweitig anhängigen Rechtsstreits zwischen den Parteien.

4

Im vorliegenden Verfahren begehrt die Klägerin Ersatz ihres verzugsbedingten Mietausfallschadens für das [X.] in Höhe von 85.200 € nebst Zinsen, den sie auf der Grundlage der bis zum Brand von ihren Mieterinnen geleisteten Mieten berechnet. Sie behauptet, sie hätte die Benutzbarkeit der durch den Brand geschädigten Räume innerhalb von neun Monaten wiederherstellen und die Räume an die bisherigen Mieterinnen oder zu gleichen Konditionen an andere Mieter vermieten können, wäre die [X.] ihren Zahlungsverpflichtungen rechtzeitig und vollständig nachgekommen.

5

Die [X.] nimmt unter anderem in Abrede, mit der Regulierung des Gebäudeschadens in Verzug geraten zu sein. Aus dem bisherigen Verhalten der Klägerin ergebe sich außerdem, dass diese an einer Wiederherstellung des Gebäudes nicht interessiert sei.

6

II. Das [X.] hat der Klage - mit Ausnahme eines Teils der geltend gemachten Zinsen - stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Berufung der [X.]n ist erfolglos geblieben, während das Berufungsgericht auf die Berufung der Klägerin das Urteil im [X.] geändert und der Klage auch insoweit stattgegeben hat.

7

Es hat angenommen, die [X.] habe sich im [X.] mit der Zahlung eines ganz erheblichen Teils der aufgrund des Versicherungsfalles geschuldeten [X.]wertentschädigung in Verzug befunden. Deren Fälligkeit sei zwar ungeachtet der Anfechtungs- und Rücktrittserklärung der [X.]n vom 14. Oktober 2004 grundsätzlich bis zum Abschluss des [X.] aufgeschoben gewesen. Ohne dass es einer zusätzlichen Mahnung bedurft habe, sei jedoch Anfang 2011 mit der Erklärung der Klägerin, das Sachverständigenverfahren als gescheitert anzusehen, wieder Verzug eingetreten.

8

Der Klägerin stehe ein Anspruch auf den ihr durch den Verzug der [X.]n entgangenen Gewinn zu. Hierbei könne sie den Schaden nach § 252 BGB abstrakt berechnen, da bei [X.] die Gewinnerzielung dem gewöhnlichen Lauf der Dinge entspreche. Nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge sei zu erwarten gewesen, dass die Klägerin bei fristgerechter Zahlung der [X.]wertentschädigung das Gebäude wiederhergestellt und die Räumlichkeiten - wie vor dem Brand - vermietet hätte. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass eine solche Nutzung des Gebäudes nicht erfolgt wäre, lägen nicht vor. Nicht ausreichend sei es, dass die [X.] lediglich die Wiederherstellungsabsicht der Klägerin bestritten und diesbezüglich auf den [X.]ablauf verwiesen habe, da der Klägerin schlicht die zum Wiederaufbau erforderlichen Mittel gefehlt hätten. Auch seien von der [X.]n keine konkreten Anhaltspunkte dafür dargetan, dass eine Vermietung an ein anderes Unternehmen nicht möglich gewesen wäre; das [X.] habe zu Recht darauf abgestellt, dass nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge bei fristgerechter Zahlung und Wiederherstellung des Gebäudes von der Erzielung entsprechender Mieteinnahmen durch anderweitige Vermietung auszugehen sei.

9

III. [X.] gegen die Nichtzulassung der Revision führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht, weil dieses das Recht der [X.]n auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt hat, indem es entscheidungserheblichen Sachvortrag der [X.]n nicht berücksichtigt hat.

1. Die Gewährleistung rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Bei vom Gericht entgegengenommenem Vorbringen der Parteien ist zwar grundsätzlich davon auszugehen, dass dies geschehen ist, obgleich das Gericht nicht verpflichtet ist, jedes Vorbringen in den Gründen seiner Entscheidung ausdrücklich zu bescheiden. Ein Verstoß gegen die Pflicht zur Berücksichtigung von Vorbringen liegt aber dann vor, wenn im Einzelfall zu erkennen ist, dass erhebliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung ersichtlich nicht erwogen worden ist. So kann es sich verhalten, wenn das Gericht auf [X.] des Vortrags einer Partei zu einer zentralen Frage des Verfahrens in den Entscheidungsgründen nicht eingeht (vgl. [X.]sbeschluss vom 4. Juni 2014 - [X.], [X.] 2014, 424 Rn. 9 m.w.N.). Das ist hier geschehen.

Indem das Berufungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, dass nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge eine Wiederherstellung des Gebäudes und eine Anschlussnutzung wie vor dem Brandschaden zu erwarten gewesen seien und keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass eine solche Nutzung nicht erfolgt wäre, hat es wesentlichen Vortrag der [X.]n übergangen.

Die Beschwerde weist zu Recht darauf hin, dass die [X.] in der Berufungsbegründung vom 21. Februar 2017 eine Wiederherstellungsabsicht der Klägerin bestritten und hierbei nicht nur aus dem - trotz Abschlagszahlungen auf die [X.]wertentschädigung - unterbliebenen Wiederaufbau des Gebäudes geschlossen hat, dass die Klägerin in Wahrheit nur eine Verbesserung ihrer Zahlungsfähigkeit anstrebe. Die [X.] hat vielmehr auch darauf verwiesen, dass die bereits mehrfach von Brandschäden betroffene Klägerin in zumindest einem Fall trotz Zahlung einer Entschädigungsleistung von 7.838.166 DM das seinerzeit brandgeschädigte Gebäude nicht wiederhergestellt, sondern mittels der Versicherungsleistung lediglich ihre Liquidität verbessert habe. Diesen Vortrag hat das Berufungsgericht - wie die Beschwerde zu Recht rügt - gehörswidrig übergangen. Denn seine Erwägung, konkrete Anhaltspunkte dafür, dass eine Vermietung nicht erfolgt wäre, lägen nicht vor, die [X.] könne aus dem [X.]ablauf nichts herleiten, weil es der Klägerin bisher an den erforderlichen Mitteln für einen Wiederaufbau und mithin an Planungssicherheit gefehlt habe, beantwortet gerade nicht die von der [X.]n aufgeworfene Frage, ob die Klägerin einen solchen Wiederaufbau überhaupt anstrebt oder ob sich aus den von der [X.]n konkret angesprochenen früheren Schadenregulierungen Anhaltspunkte gegen eine Wiederherstellungsabsicht der Klägerin ergeben.

2. Die Gehörsverletzung ist entscheidungserheblich. Der [X.] kann nicht ausschließen, dass das Berufungsgericht unter Berücksichtigung des Vorbringens der [X.]n zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre. Denn sollte sich erweisen, dass die Klägerin nicht beabsichtigt, das abgebrannte Gebäude neu zu errichten, wäre der Mietausfall unabhängig vom Verzug der [X.]n mit der [X.]wertentschädigung eingetreten.

[X.]     

        

Felsch     

        

Prof. [X.]

      

Dr. Brockmöller     

      

Dr. Götz     

        

Meta

IV ZR 10/18

27.03.2019

Bundesgerichtshof 4. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Frankfurt, 22. Dezember 2017, Az: 7 U 188/16

Art 103 Abs 1 GG, § 252 BGB, § 286 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27.03.2019, Az. IV ZR 10/18 (REWIS RS 2019, 8848)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 8848

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