Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.02.2011, Az. XII ZB 182/08

12. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 9649

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Gegenstand

Elterliche Sorge: Anwendbarkeit der Vorschriften über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung in Bezug auf einstweilige Maßnahmen hinsichtlich des Sorgerechts


Leitsatz

1. Erlässt ein nach Art. 8 ff. Brüssel IIa-VO in der Hauptsache zuständiges Gericht eine einstweilige Maßnahme, welche den Bereich der elterlichen Sorge betrifft, richtet sich die Anerkennung und Vollstreckung dieser Maßnahme in anderen Mitgliedstaaten nach Art. 21 ff. Brüssel IIa-VO .

2. Erlässt demgegenüber ein nach Art. 8 ff. Brüssel IIa-VO unzuständiges Gericht eine einstweilige Maßnahme auf der Grundlage des Art. 20 Brüssel IIa-VO, sind die Art. 21 ff. Brüssel IIa-VO nicht anwendbar . In diesen Fällen kommt die Anerkennung und Vollstreckung der Maßnahme in Anwendung gegenüber der Brüssel IIa-VO nachrangiger Übereinkommen bzw. des nationalen Rechts in Betracht . Sind allerdings die Voraussetzungen des Art. 20 Brüssel IIa-VO nicht gegeben, bleibt es bei dem insoweit abschließenden Charakter der Brüssel IIa-VO .

3. Für die Abgrenzung einstweiliger Maßnahmen des in der Hauptsache zuständigen Gerichts von solchen Maßnahmen, die gegebenenfalls auf Art. 20 Brüssel IIa-VO beruhen, ist nicht entscheidend, ob das die einstweilige Maßnahme erlassende Gericht tatsächlich in der Hauptsache zuständig war. Vielmehr ist danach abzugrenzen, ob das Ursprungsgericht seine Zuständigkeit auf Art. 8 ff. Brüssel IIa-VO gestützt hat .

4. Enthält die eine einstweilige Maßnahme anordnende Entscheidung keine eindeutige Begründung für die Zuständigkeit des Ursprungsgerichts in der Hauptsache unter Bezugnahme auf eine der in den Art. 8 bis 14 Brüssel IIa-VO genannten Zuständigkeiten, und ergibt sich die Hauptsachezuständigkeit auch nicht offensichtlich aus der erlassenen Entscheidung, ist davon auszugehen, dass die Entscheidung nicht nach den Zuständigkeitsvorschriften der Brüssel IIa-VO ergangen ist. In diesem Fall ist zu prüfen, ob die Entscheidung unter die Öffnungsklausel des Art. 20 Brüssel IIa-VO fällt .

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des 17. Zivilsenats - Familiensenat - des [X.] vom 22. September 2008 aufgehoben.

Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - [X.] vom 3. Juli 2008 abgeändert.

Der Antrag des Antragstellers, die einstweilige Anordnung des [X.] Nr. 4 [X.]/[X.] vom 8. November 2007 ([X.].: 467/07) für in der [X.] vollstreckbar zu erklären, wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Gerichtskosten erster Instanz. Die Verfahren der Beschwerde und der Rechtsbeschwerde sind gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

[X.]: 3.000 €

Gründe

I.

1

Die Parteien streiten um die Vollstreckbarkeit der einstweiligen Maßnahme eines [X.] Gerichts zum Aufenthaltsbestimmungsrecht und zur Herausgabe des in [X.] lebenden Kindes.

2

Mitte 2005 zog die Antragsgegnerin zu dem Antragsteller nach [X.], wo beide dann in nichtehelicher Lebensgemeinschaft lebten. Am 31. Mai 2006 wurden die gemeinsamen Zwillingskinder der Parteien als Frühgeburten geboren. Der Sohn [X.] konnte das Krankenhaus im September 2006 verlassen. Die Tochter [X.] konnte nach zwischenzeitlich eingetretenen Komplikationen erst im März 2007 entlassen werden.

3

Zuvor hatte sich das Verhältnis der Parteien deutlich verschlechtert. Die Antragsgegnerin wollte mit ihren Kindern nach [X.] zurückkehren, während der Antragsteller damit zunächst nicht einverstanden war. Am 30. Januar 2007 schlossen die Parteien eine notarielle Vereinbarung, wonach die Antragsgegnerin mit den Kindern nach [X.] zurückkehren durfte und dem Antragsteller ein Umgangsrecht mit den Kindern zustehen sollte. Die Antragsgegnerin beabsichtigte sodann, mit ihrem (aus einer früheren Beziehung hervorgegangen) [X.] und den beiden gemeinsamen Kindern nach [X.] zurückzukehren. Als [X.] wegen eingetretener Komplikationen und eines notwendigen chirurgischen Eingriffs nicht aus dem Krankenhaus entlassen werden konnte, reiste die Antragsgegnerin am 2. Februar 2007 mit [X.] nach [X.]. Nach ihrem Vortrag sollte [X.] nach der Entlassung aus dem Krankenhaus ebenfalls nach [X.] gebracht werden.

4

Der Antragsteller, der sich nicht mehr an die notarielle Vereinbarung gebunden fühlte, leitete im Juni 2007 in [X.] ein einstweiliges Sorgerechtsverfahren ein. In diesem Verfahren erließ das [X.] Gericht erster Instanz am 8. November 2007 die hier relevante einstweilige Maßnahme mit folgendem Inhalt:

5

"Als dringende und sofortige einstweilige Maßnahme wird … vorsorglich beschlossen:

6

Die Übertragung des Sorgerechts für die beiden Kinder [X.] und [X.] … an den Vater …; die elterliche Gewalt verbleibt bei beiden Elternteilen.

7

Zur Ausführung dieser Verfügung muss die Mutter den minderjährigen Sohn [X.] seinem in [X.] ansässigen Vater zurückgeben. …"

8

In den Gründen der Entscheidung stellte das [X.] Gericht unter anderem fest, dass sich der Antragsteller auf das [X.] Übereinkommen vom 25. Oktober 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (Art. 1 und 2), auf die Verordnung ([X.]) Nr. 2201/2003 und auf Art. 8 des [X.] vom 14. November 1983 über die Zuständigkeit der [X.] Gerichte berufe. Weiter führte es aus, dass sich das [X.] Gericht angesichts der angeführten [X.] Gesetzgebung und der zwischen [X.] und [X.] geschlossenen Abkommen eindeutig als zuständig erweise. Sodann begründete das [X.] Gericht seine Zuständigkeit insbesondere mit Art. 769.3 der [X.] Zivilprozessordnung und Art. 1 des [X.] Übereinkommens vom 25. Oktober 1980. Im Einzelnen verwies es insbesondere auf den letzten Wohnsitz der Familie, den gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes bis zur Ausreise nach [X.], die Staatsangehörigkeit des Antragstellers, seinen ständigen Wohnsitz in [X.] und den Umstand, dass das vorliegende Verfahren das erste in der Sache eingeleitete Verfahren sei. Außerdem erwähnte es die Auffassung der [X.] Staatsanwaltschaft, die zusätzlich zu den bereits genannten Gesichtspunkten berücksichtige, dass die notariell beglaubigte Urkunde in [X.] ausgefertigt und das Kind [X.] in [X.] geboren worden sei, und die außerdem bezweifle, dass die Ausreise [X.]s aus [X.] ordnungsgemäß erfolgt sei.

9

Der Antragsteller hat beantragt, die [X.] Entscheidung für in der Bundesrepublik [X.] vollstreckbar zu erklären. Entsprechend hat das Amtsgericht beschlossen, dass die Entscheidung des [X.] Gerichts mit der Vollstreckungsklausel zu versehen sei. Die dagegen gerichtete Beschwerde der Antragsgegnerin hatte keinen Erfolg. Mit ihrer Rechtsbeschwerde begehrt die Antragsgegnerin nach wie vor die Ablehnung des Antrags auf Vollstreckbarerklärung.

Der [X.] hat das Verfahren mit Beschluss vom 10. Juni 2009 ausgesetzt und dem [X.] die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob die Vorschriften der Art. 21 ff. der Verordnung ([X.]) Nr. 2201/2003 des Rates über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und im Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung ([X.]) Nr. 1347/2000 ([X.] [X.] = [X.]) über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen anderer Mitgliedstaaten auch auf vollstreckbare einstweilige Maßnahmen hinsichtlich des Sorgerechts im Sinne von Art. 20 [X.] [X.] anwendbar sind. Der Gerichtshof hat diese Frage mit Urteil vom 15. Juli 2010 ([X.]. [X.]/09, [X.], 1521) grundsätzlich verneint.

II.

Die zulässige Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin hat Erfolg und führt zur Aufhebung der angefochtenen Beschlüsse und zur Ablehnung des Antrags auf Vollstreckbarerklärung.

1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, Gründe, die einer Vollstreckbarkeit der Entscheidung des [X.] Gerichts entgegenstünden, seien nicht ersichtlich. Zwar handle es sich um eine einstweilige Maßnahme. Die [X.] [X.] unterscheide im Rahmen der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen anderer Mitgliedstaaten aber nicht nach der Entscheidungsform, sondern fordere lediglich eine "gerichtliche Entscheidung".

2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

Der [X.] hat mit Urteil vom 15. Juli 2010 ([X.]. [X.]/09, [X.], 1521) die Vorlagefrage dahingehend beantwortet, dass die Vorschriften der Art. 21 ff. [X.] [X.] nicht auf einstweilige Maßnahmen hinsichtlich des Sorgerechts nach Art. 20 dieser Verordnung anwendbar sind. An dieses Auslegungsergebnis sind die nationalen Gerichte gebunden.

Hieraus ergibt sich allerdings nicht, dass von dem Gericht eines Mitgliedstaates erlassene einstweilige Maßnahmen in einem anderen Mitgliedstaat generell nicht anerkannt und vollstreckt werden können. Diese Schlussfolgerung ist bereits deshalb unzutreffend, weil nicht jede von einem Mitgliedstaat erlassene einstweilige Maßnahme auf Art. 20 [X.] [X.] beruht. Vielmehr ist ein nach Art. 3 ff. [X.] [X.] zuständiges Gericht nicht nur für die Entscheidung in der Hauptsache zuständig, sondern auch für den Erlass einstweiliger Maßnahmen. Demgegenüber erfasst Art. 20 [X.] [X.] nur Maßnahmen von nach der [X.] [X.] unzuständigen Gerichten ([X.] [X.], 1521 Rn. 62 ff. - im [X.]; Schlussanträge der Generalanwältin vom 20. Mai 2010 im [X.] - juris Rn. 106, 132, 155; [X.] FamRZ 2009, 1400, 1401 mwN; [X.]/[X.] Art. 20 [X.] 2003 Rn. 6 f.). Die Frage nach der Anerkennungsfähigkeit und Vollstreckbarkeit lässt sich daher nicht einheitlich beantworten. Vielmehr ist - jedenfalls für den Bereich des Sorgerechts - folgende Differenzierung angezeigt:

a) [X.] ein nach Art. 8 ff. [X.] [X.] in der Hauptsache zuständiges Gericht eine einstweilige Maßnahme, richtet sich die Anerkennung und Vollstreckung dieser Maßnahme in anderen Mitgliedstaaten nach Art. 21 ff. [X.] [X.] ([X.], Urteil vom 9. November 2010 - [X.]/10 - NJW 2011, 363 Rn. 73; Schlussanträge der Generalanwältin vom 20. Mai 2010 im [X.] - juris Rn. 132, 155).

b) [X.] demgegenüber ein nach Art. 8 ff. [X.] [X.] unzuständiges Gericht eine einstweilige Maßnahme, kann diese Maßnahme Art. 20 [X.] [X.] zur Grundlage haben. Art. 20 [X.] [X.] begründet dabei allerdings keine Zuständigkeit im Sinne der Verordnung ([X.] [X.], 1521 Rn. 61, 87 - im [X.]; Schlussanträge der Generalanwältin vom 20. Mai 2010 im [X.] - juris Rn. 106, 169; [X.]/[X.] [X.]/ [X.] [2010] Art. 20 [X.] [X.] Rn. 17; [X.]/[X.] Art. 20 [X.] 2003 Rn. 10). Entsprechend sind auf eine derartige Maßnahme - wie der Gerichtshof der [X.] Union im [X.] entschieden hat - die Art. 21 ff. [X.] [X.] nicht anwendbar.

Dies steht indes der Anerkennung und Vollstreckung einer auf der Grundlage des Art. 20 [X.] [X.] ergangenen Maßnahme in anderen Mitgliedstaaten nicht von vornherein entgegen. Vielmehr handelt es sich bei Art. 20 [X.] [X.] um eine Öffnungsklausel. Während die [X.] [X.] grundsätzlich unter den in Art. 59 bis 63 der Verordnung genannten Voraussetzungen Vorrang vor den meisten einschlägigen internationalen Übereinkommen hat ([X.] [X.], 1521 Rn. 69 - im [X.]), lässt Art. 20 [X.] [X.] unter den dort genannten Voraussetzungen den Rückgriff auch auf an sich nachrangige Übereinkommen und gegebenenfalls auf das nationale Recht zu. Dies bedeutet nicht nur, dass sich die Zuständigkeit für einstweilige Maßnahmen unter den Voraussetzungen des Art. 20 [X.] [X.] aus nachrangigen Übereinkommen und dem nationalen Recht ergeben kann (Schlussanträge der Generalanwältin vom 20. Mai 2010 im [X.] - juris Rn. 177; [X.]/[X.] Art. 20 [X.] 2003 Rn. 7, 10; [X.]/[X.] aaO Art. 20 [X.] [X.] Rn. 17), sondern auch, dass die Anerkennung und Vollstreckung solcher Maßnahmen auf der Grundlage der dort enthaltenen [X.] in Betracht kommt ([X.] [X.], 1521 Rn. 92 - im [X.]; Schlussanträge der Generalanwältin vom 20. Mai 2010 im [X.] - juris Rn. 176 f.; [X.] FamRZ 2009, 1400, 1401).

c) Sind schließlich auch die Voraussetzungen des Art. 20 [X.] [X.] nicht gegeben, kommt eine Anerkennung und Vollstreckung der von einem nach der [X.] [X.] unzuständigen Gericht erlassenen einstweiligen Maßnahme grundsätzlich nicht in Betracht. Art. 20 [X.] [X.] erlaubt den Rückgriff auf die genannten anderen [X.] nur, wenn die zu treffende Maßnahme dringlich ist, einstweiligen Charakter hat und sich auf Personen oder Vermögensgegenstände bezieht, die sich in dem Mitgliedstaat befinden, in dem das mit der Sache befasste Gericht seinen Sitz hat ([X.] [X.], 1521 Rn. 77 - im [X.]; [X.] [X.], 525 Rn. 39 f.; 2009, 843 Rn. 47). Ist dies nicht der Fall, bleibt es bei dem abschließenden Charakter der [X.] [X.].

Dabei ist das Gericht, das über die Anerkennung und Vollstreckung einer von einem nach der [X.] [X.] unzuständigen Gericht erlassenen Maßnahme zu befinden hat, nicht daran gehindert zu überprüfen, ob bei Erlass der Maßnahme die Voraussetzungen des Art. 20 [X.] [X.] gegeben waren (vgl. [X.] [X.], 1521 Rn. 78 - im [X.]). Denn da die Art. 21 ff. [X.] [X.] auf derartige Maßnahmen nicht anwendbar sind, greift auch Art. 24 [X.] [X.] nicht, der ansonsten eine Überprüfung der Zuständigkeit verbieten würde (Schlussanträge der Generalanwältin vom 20. Mai 2010 im [X.] - juris Rn. 179).

d) Aus den vorstehend erläuterten Grundsätzen folgt, dass für die Anerkennung und Vollstreckung einer einstweiligen Maßnahme von entscheidender Bedeutung ist, auf welcher Grundlage sie beruht.

aa) Maßgebend für die Abgrenzung kann insofern nicht sein, ob das die einstweilige Maßnahme erlassende Gericht tatsächlich in der Hauptsache zuständig war. Vielmehr ist der Anwendungsbereich der Art. 21 ff. [X.] [X.] danach abzugrenzen, ob das [X.] seine Zuständigkeit auf Art. 8 ff. [X.] [X.] gestützt hat. Denn Art. 24 [X.] [X.] untersagt es dem Vollstreckungsgericht, die Zuständigkeit des Gerichts des [X.] zu überprüfen. Hat das [X.] seine Zuständigkeit nach Art. 8 ff. [X.] [X.] bejaht, ist das Vollstreckungsgericht an diese Beurteilung der Zuständigkeit gebunden. Dies ist Ausfluss des Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens, auf dem die vereinfachte Anerkennung und Vollstreckung gemäß Art. 21 ff. [X.] [X.] beruhen (21. Erwägungsgrund der [X.] [X.]; [X.] [X.], 1521 Rn. 71 f., 74 - im [X.] und [X.], 525 Rn. 45; Schlussanträge der Generalanwältin vom 20. Mai 2010 im [X.] - juris Rn. 92, 112, 125).

bb) Indes kann zweifelhaft sein, worauf das [X.] seine Zuständigkeit gestützt hat. In derartigen Fällen verbietet es Art. 24 [X.] [X.] nicht, anhand der in der Entscheidung des [X.]s enthaltenen Ausführungen zu prüfen, ob dieses seine Zuständigkeit auf eine Vorschrift der [X.] [X.] stützen wollte. Denn eine derartige Prüfung beinhaltet keine Nachprüfung der Zuständigkeit des [X.]s, sondern dient nur der Ermittlung der Grundlage, auf der das Gericht seine Zuständigkeit bejaht hat ([X.] [X.], 1521 Rn. 75 - im [X.]; Schlussanträge der Generalanwältin vom 20. Mai 2010 im [X.] - juris Rn. 139).

cc) Ergibt diese Prüfung, dass die zu vollstreckende Entscheidung keine eindeutige Begründung für die Zuständigkeit des [X.]s in der Hauptsache unter Bezugnahme auf eine der in den Art. 8 bis 14 [X.] [X.] genannten Zuständigkeiten enthält, und ergibt sich die Hauptsachezuständigkeit auch nicht offensichtlich aus der erlassenen Entscheidung, so ist davon auszugehen, dass die zu vollstreckende Entscheidung nicht nach den Zuständigkeitsvorschriften der [X.] [X.] ergangen ist. In diesem Fall ist anhand von Art. 20 der Verordnung zu prüfen, ob die einstweilige Maßnahme unter diese Öffnungsklausel fällt ([X.] [X.], 1521 Rn. 76 - im [X.]; vgl. außerdem [X.] Slg. 1999, [X.] Rn. 50, 53 ff. zum Übereinkommen vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen).

(1) Nur eine derartige Sichtweise entspricht den Zielen der [X.] [X.]. Denn wäre in den vorgenannten Zweifelsfällen zu vermuten, dass sich das Gericht des Ursprungsmitgliedstaates auf seine Zuständigkeit in der Hauptsache gestützt hat, bestünde die Gefahr einer Umgehung der [X.] [X.] (vgl. [X.] Slg. 1999, [X.] Rn. 47, 55 zum Übereinkommen vom 27. September 1968 aaO).

(2) Auch der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens erfordert keine Vermutung zugunsten der Inanspruchnahme einer Hauptsachezuständigkeit. Denn dieser Grundsatz ist mit der Erwartung verknüpft, dass das Gericht, welches über die Anordnung einer einstweiligen Maßnahme zu befinden hat, seine Zuständigkeit anhand der Art. 8 bis 14 [X.] [X.] überprüft und dass aus der von ihm erlassenen Entscheidung klar hervorgeht, dass es sich den in dieser Verordnung vorgesehenen unmittelbar anwendbaren Zuständigkeitsvorschriften hat unterwerfen wollen oder nach diesen entschieden hat ([X.] [X.], 1521 Rn. 68, 73 mwN - im [X.]).

(3) Das Vollstreckungsgericht ist in Zweifelsfällen auch nicht verpflichtet, sich zunächst bei dem Gericht des Ursprungsmitgliedstaates zu erkundigen, auf welcher Grundlage dieses sich für zuständig erachtet habe (so aber die Schlussanträge der Generalanwältin vom 20. Mai 2010 im [X.] - juris Rn. 144 f., 155). Zwar hat der [X.] in einem zwischen den Parteien dieses Verfahrens geführten Parallelverfahren entschieden, dass das später angerufene Gericht zu Erkundigungen beim [X.] verpflichtet sein kann, wenn es die Frage nach einer etwa entgegenstehenden Rechtshängigkeit gemäß Art. 19 Abs. 2 [X.] [X.] zu klären hat ([X.] Urteil vom 9. November 2010 - [X.]/10 - Purrucker - NJW 2011, 363 Rn. 81 f.). Diese Entscheidung lässt sich indes nicht auf die hier zu entscheidende Frage der Vollstreckbarkeit einer ausländischen Entscheidung übertragen. Ob das später angerufene Gericht das Verfahren gemäß Art. 19 Abs. 2 [X.] [X.] auszusetzen hat, hängt unter anderem davon ab, welches der Gegenstand des vor dem zuerst angerufenen Gericht anhängigen Verfahrens ist, also von Umständen, die außerhalb des Verfahrens des später angerufenen Gerichts liegen. Insoweit liegt es nahe, in Zweifelsfällen weitere Ermittlungen und gegebenenfalls Erkundigungen zu fordern. Demgegenüber betrifft die Frage nach der Grundlage einer zu vollstreckenden Entscheidung allein deren Auslegung, also eine ureigene Aufgabe des Vollstreckungsgerichts. Eine Verpflichtung zur Rückfrage wäre insoweit systemfremd und wurde dementsprechend vom [X.] im [X.] auch nicht thematisiert.

3. Nach diesen Grundsätzen kann die einstweilige Anordnung des [X.] Gerichts vom 8. November 2007 nicht für in der Bundesrepublik [X.] vollstreckbar erklärt werden.

a) Eine Hauptsachezuständigkeit ergibt sich nicht offensichtlich aus der Entscheidung des [X.] Gerichts.

aa) Die Voraussetzungen des Art. 10 [X.] [X.] sind nicht offensichtlich erfüllt. Vielmehr ist in Anbetracht der in der Entscheidung vom 8. November 2007 mitgeteilten Umstände zweifelhaft, ob die Antragsgegnerin das Kind [X.] widerrechtlich nach [X.] verbracht oder dort widerrechtlich zurückgehalten hat.

Erfolgt eine auf Dauer angelegte Ausreise eines Kindes mit Zustimmung aller Sorgeberechtigter, ist das Verbringen des Kindes ebenso wenig widerrechtlich wie dessen dauerhafter Aufenthalt im [X.]. Der Aufenthalt wird auch nicht dadurch nachträglich widerrechtlich - mit der Folge, dass nunmehr ein widerrechtliches Zurückbehalten zu bejahen wäre -, dass ein Sorgeberechtigter nach der Ausreise nicht mehr mit dem weiteren Aufenthalt des Kindes im [X.] einverstanden ist und dessen Rückkehr fordert (vgl. [X.], 239; [X.]/Schütze/[X.] Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen Art. 10 [X.] [X.] Rn. 11; [X.]/[X.] aaO Art. 2 [X.] [X.] Rn. 26).

Wie sich aus der zu vollstreckenden Entscheidung vom 8. November 2007 ergibt, haben die Parteien am 30. Januar 2007 eine notarielle Vereinbarung geschlossen, wonach die Antragsgegnerin mit den Kindern nach [X.] zurückkehren durfte. [X.] diese Vereinbarung mangels gerichtlicher Genehmigung auch nicht vollstreckbar sein (vgl. Schlussanträge der Generalanwältin vom 20. Mai 2010 im [X.] - juris Rn. 51), so kommt in ihr doch zum Ausdruck, dass der Antragsteller zunächst mit der auf Dauer angelegten Ausreise der Kinder nach [X.] einverstanden war.

Weiter folgt aus der zu vollstreckenden Entscheidung nicht ohne weiteres, dass der Antragsteller bereits vor der Ausreise [X.]s nicht mehr mit dieser einverstanden war. Zwar wird einerseits in der Entscheidung mitgeteilt, dass der Antragsteller noch vor der Ausreise die Polizei aufgesucht habe, weil er eine Ausreise der Antragsgegnerin mit beiden Kindern befürchtet habe, und dass er bei der Gemeindeverwaltung um Auskunft und Hilfe gebeten habe. Andererseits wird aber von erst nach der Ausreise eingetretenen Umständen berichtet, die der Antragsteller zum Anlass genommen habe, sein vor dem Notar erklärtes Einverständnis zurückzuziehen, was für einen erst nach der Ausreise erfolgten Sinneswandel des Antragstellers sprechen könnte.

Weil somit nicht unzweifelhaft davon ausgegangen werden kann, dass die auf Dauer angelegte Ausreise [X.]s ohne Zustimmung des Antragstellers erfolgte, ist ein widerrechtliches Verbringen oder Zurückhalten nicht offensichtlich zu bejahen. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der Antragsteller ausweislich des zu vollstreckenden Beschlusses angedeutet hat, die notarielle Vereinbarung könnte unter betrügerischem Einfluss und unter Druck unterzeichnet worden sein. Dies gilt schon deshalb, weil der Antragsteller solches nicht einmal konkret behauptet hat.

bb) Ebenso wenig hatte [X.] im Zeitpunkt der Einleitung des Eilverfahrens vor dem [X.] Gericht seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne des Art. 8 [X.] [X.] offensichtlich noch in [X.]. Zwar waren bei Einleitung des Eilverfahrens seit der Ausreise weniger als vier Monate vergangen. Jedoch kommt der Erwerb eines gewöhnlichen Aufenthalts im [X.] auch nach derart kurzer Zeit dann in Betracht, wenn der Aufenthalt von vornherein auf Dauer angelegt ist und die auf Dauer angelegte Ausreise rechtmäßig erfolgt ist ([X.], 239 mwN; vgl. auch [X.]sbeschluss [X.], 248, 257 = FamRZ 2005, 1540, 1543) - was aus den vorstehenden Gründen nicht ausgeschlossen werden kann. Die für die Frage nach dem gewöhnlichen Aufenthalt maßgebenden Umstände des Einzelfalls begründen vor diesem Hintergrund nicht offensichtlich einen fortbestehenden gewöhnlichen Aufenthalt in [X.].

cc) Schließlich sind auch keine Anhaltspunkte mitgeteilt, die eine Zuständigkeit nach Art. 9 oder Art. 12 ff. [X.] [X.] rechtfertigen könnten. Insbesondere fehlt es an einer Anerkennung der Zuständigkeit der [X.] Gerichte durch die Antragsgegnerin im Sinne des Art. 12 Abs. 3 [X.] [X.]. Sie hat der Zuständigkeit der [X.] Gerichte vielmehr ausdrücklich widersprochen.

b) Weiter findet sich in der Entscheidung des [X.] Gerichts keine eindeutige Begründung für dessen Hauptsachezuständigkeit unter Bezugnahme auf eine der in den Art. 8 bis 14 [X.] [X.] genannten Zuständigkeiten.

Zwar mag die zu vollstreckende Entscheidung einige Anhaltspunkte dafür aufweisen, dass sich das Gericht nach der [X.] [X.] in der Hauptsache für zuständig gehalten hat (vgl. im Einzelnen Schlussanträge der Generalanwältin vom 20. Mai 2010 im [X.] - juris Rn. 61, 104, 146). Unzweifelhaft ist dies indes nicht. Vielmehr entsprechen mehrere Umstände, auf die sich das Gericht zur Begründung seiner Zuständigkeit bezogen hat, nicht solchen Kriterien, die eine Zuständigkeit der [X.] Gerichte nach der [X.] [X.] begründen könnten. Die Erwähnung dieser Umstände - etwa die Staatsangehörigkeit des Antragstellers und die Ausfertigung der notariellen Urkunde in [X.] - ergibt nur dann einen Sinn, wenn man unterstellt, dass das [X.] Gericht über die Öffnungsklausel des Art. 20 [X.] [X.] Zuständigkeiten in Anspruch genommen hat, die aus gegenüber der [X.] [X.] nachrangigen Übereinkommen bzw. aus nationalem Recht folgen. Erst recht lassen die Ausführungen des [X.] Gerichts nicht erkennen, nach welcher Vorschrift der [X.] [X.] das Gericht gegebenenfalls seine Zuständigkeit bejaht haben könnte (vgl. [X.] [X.], 1521 Rn. 65 f. - im [X.]).

c) Ist somit davon auszugehen, dass die Entscheidung des [X.] Gerichts nicht nach den Zuständigkeitsvorschriften der [X.] [X.] ergangen ist, kommt eine Vollstreckbarerklärung der Entscheidung nicht in Betracht. Denn auch die Voraussetzungen der Öffnungsklausel des Art. 20 [X.] [X.], die eine Vollstreckbarerklärung in Anwendung anderer internationaler oder nationaler Rechtsvorschriften ermöglichen könnte, sind nicht erfüllt. Es fehlt bereits am erforderlichen Inlandsbezug, da sich [X.] im Zeitpunkt des Erlasses der einstweiligen Maßnahme nicht in [X.], sondern in [X.] befunden hat.

III.

Nach alledem ist der angefochtene Beschluss aufzuheben. Der [X.] kann in der Sache selbst abschließend entscheiden, da weitere tatsächliche Feststellungen nicht erforderlich sind. Da eine Vollstreckbarerklärung der Entscheidung des [X.] Gerichts nicht in Betracht kommt, war der entsprechende Antrag des Antragstellers abzulehnen.

[X.]                                     Dose

                  Schilling                                                   [X.]

Meta

XII ZB 182/08

09.02.2011

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend EuGH, 15. Juli 2010, Az: C-256/09, Urteil

Art 8 EGV 2201/2003, Art 8ff EGV 2201/2003, Art 9 EGV 2201/2003, Art 10 EGV 2201/2003, Art 11 EGV 2201/2003, Art 12 EGV 2201/2003, Art 13 EGV 2201/2003, Art 14 EGV 2201/2003, Art 20 Abs 1 EGV 2201/2003, Art 21 EGV 2201/2003, Art 21ff EGV 2201/2003, Art 24 EGV 2201/2003

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.02.2011, Az. XII ZB 182/08 (REWIS RS 2011, 9649)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 9649

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