Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 10.06.2009, Az. XII ZB 182/08

XII. Zivilsenat | REWIS RS 2009, 3136

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[X.]BESCHLUSS [X.] 182/08 vom 10. Juni 2009 in dem Verfahren Nachschlagewerk: ja [X.]: nein [X.]R: [X.] [X.] ([X.]) [X.]. 2 Nr. 4, 20 Abs. 1, 21 ff. Dem [X.] wird folgende Frage zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts gemäß Art. 234 [X.]V zur Vorabentschei-dung vorgelegt: Sind die Vorschriften der [X.]. 21 ff. der Verordnung ([X.]) Nr. 2201/2003 des Rates über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Ent-scheidungen in Ehesachen und im Verfahren betreffend die elterliche Verant-wortung und zur Aufhebung der Verordnung ([X.]) Nr. 1347/2000 ([X.] [X.] = [X.]) über die Anerkennung und Vollstreckung von Ent-scheidungen anderer Mitgliedstaaten nach Art. 2 Nr. 4 [X.] auch auf [X.] einstweilige Maßnahmen hinsichtlich des Sorgerechts [X.]. 20 der [X.] [X.] anwendbar? [X.], Beschluss vom 10. Juni 2009 - [X.] 182/08 - [X.] [X.]
- 2 - Der [X.]. Zivilsenat des [X.] hat am 10. Juni 2009 durch die Vorsitzende Richterin [X.], [X.] Dr. [X.] und [X.], die Richterin [X.] und [X.] beschlossen: [X.] Das Verfahren wird ausgesetzt. I[X.] Dem [X.] wird fol-gende Frage zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts gemäß Art. 234 [X.]V zur Vorabentscheidung vorgelegt: Sind die Vorschriften der [X.]. 21 ff. der Verordnung ([X.]) Nr. 2201/2003 des Rates über die Zuständigkeit und die Aner-kennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und im Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung ([X.]) Nr. 1347/2000 ([X.] = [X.] [X.]) über die Anerkennung und Voll-streckung von Entscheidungen anderer Mitgliedstaaten nach Art. 2 Nr. 4 [X.] auch auf vollstreckbare einstweilige Maßnahmen hinsichtlich des Sorgerechts [X.]. 20 [X.] [X.] anwendbar? - 3 - Gründe: [X.] 1 Die Parteien streiten um die Vollstreckbarkeit einer einstweiligen Maß-nahme eines [X.] Gerichts zum Aufenthaltsbestimmungsrecht und zur Kindesherausgabe in [X.]. 2 Mitte 2005 zog die Antragsgegnerin zu dem Antragsteller nach [X.], wo beide dann in nichtehelicher Lebensgemeinschaft lebten. Nach einer kom-plizierten Schwangerschaft wurden am 31. Mai 2006 die Zwillingskinder der Parteien als Frühgeburten geboren. Der Sohn [X.] konnte das Krankenhaus im September 2006 verlassen. Die Tochter [X.] konnte nach zwischenzeit-lich eingetretenen Komplikationen erst im März 2007 entlassen werden. Zuvor hatte sich das Verhältnis der Parteien deutlich verschlechtert. Die Antragsgegnerin wollte mit ihren Kindern nach [X.] zurückkehren, [X.] der Antragsteller damit zunächst nicht einverstanden war. Am 30. Januar 2007 schlossen die Parteien eine notarielle Vereinbarung, wonach die [X.] mit den Kindern nach [X.] zurückkehren durfte und dem An-tragsteller ein Umgangsrecht mit den Kindern zustehen sollte. Die [X.] beabsichtigte sodann gemeinsam mit ihrem (aus einer früheren Bezie-hung hervorgegangen) [X.] und den beiden gemeinsamen Kindern nach [X.] zurückzukehren. Als notwendige Begleitpersonen für den Flug der Kleinkinder waren die Antragsgegnerin einerseits und der Bruder des [X.] andererseits vorgesehen. 3 Als die gemeinsame Tochter [X.] wegen eingetretener Komplikatio-nen und eines notwendigen chirurgischen Eingriffs nicht aus dem Krankenhaus entlassen werden konnte, reiste die Antragsgegnerin am 2. Februar 2007 mit 4 - 4 - dem gemeinsamen Sohn [X.] nach [X.]. Nach ihrem Vortrag sollte die Tochter [X.] nach der Entlassung aus dem Krankenhaus ebenfalls nach [X.] gebracht werden. 5 Der Antragssteller, der sich in der Folgezeit nicht mehr an die notarielle Vereinbarung gebunden fühlte, leitete im Juni 2007 in [X.] ein einstweiliges Sorgerechtsverfahren ein. In diesem Verfahren erließ das [X.] Gericht erster Instanz in [X.] am 8. November 2007 die hier [X.] einstweilige Maßnahme mit folgendem Inhalt: "Als dringende und sofortige einstweilige Maßnahme wird in Ent-scheidung des Antrags von G. V.

[X.]

gegen Frau B. [X.]vorsorglich beschlossen: 1. Die Übertragung des gemeinsamen Sorgerechts für die beiden Kinder [X.] und [X.] V. P.

an den Vater G. V. [X.]

; die elterliche Gewalt verbleibt bei beiden [X.]. Zur Ausführung dieser Verfügung muss die Mutter den minder-jährigen Sohn [X.] seinem in [X.] ansässigen Vater zu-rückgeben. Es sind geeignete Maßnahmen zu treffen, die es der Mutter ermöglichen, mit dem Jungen zu reisen und [X.] und [X.] zu besuchen, wann immer sie es wünscht, bzw. ist ihr ei-ne Wohnung zur Verfügung zu stellen, die der familiäre Treff-punkt sein kann oder von dem Verwandten oder der dritten [X.] gestellt werden kann, die bei den Besuchen [X.] der ganzen Zeit, die die Mutter mit den Kindern verbringt, anwesend sein muss, oder die väterliche Wohnung sein kann, falls beide Parteien dies vereinbaren sollten. 2. Verbot, ohne vorherige gerichtliche Genehmigung mit den bei-den Kindern das [X.] Hoheitsgebiet zu verlassen. 3. Verbleib der Reisepässe der beiden Kinder in der Gewalt des Elternteils, der das Sorgerecht ausübt. - 5 - 4. Unterstellung sämtlicher Wohnungswechsel der beiden Kinder [X.] und [X.] unter vorheriger richterlicher Genehmigung. 5. Die Festsetzung einer Unterhaltspflicht zu Lasten der Mutter er-folgt nicht. Es erfolgt keine Kostenverurteilung.
Dieser Beschluss ist bei Eröffnung eines Hauptverfahrens in die entsprechende Verfahrensakte aufzunehmen. Dieser Beschluss ist in der gesetzlichen Form und unter Hinweis auf seine Unanfechtbarkeit den Parteien und der [X.] zuzustellen." Nach der Bescheinigung des [X.] Gerichts gemäß Art. 39 Abs. 1 der Verordnung ([X.]) Nr. 2201/2003 des Rates über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und im [X.] betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der [X.] ([X.]) Nr. 1347/2000 ([X.]; im Folgenden [X.] [X.]) ist die einstweilige Maßnahme nach [X.]m Recht vollstreckbar. 6 Schon vor der Entscheidung des [X.] Gerichts hatte die [X.] am 20. September 2007 in einem Hauptsacheverfahren vor dem [X.] beantragt, ihr das Sorgerecht für die beiden gemeinsamen Kinder zu übertragen. Das Sorgerechtsverfahren war vom 19. März bis zum 28. Mai 2008 nach Art. 16 des [X.] über die zivilrechtli-chen Aspekte internationaler Kindesentführung vom 25. Oktober 1980 (im [X.] [X.]) ausgesetzt und wurde sodann gemäß § 13 IntFamRVG an das Amtsgericht [X.] abgegeben. Das Amtsgericht [X.] hat den Erlass ei-ner neuen einstweiligen Anordnung über das Sorgerecht für die beiden gemein-samen Kinder abgelehnt. In der Hauptsache hat es noch nicht entschieden, sondern Bedenken gegen seine internationale Zuständigkeit geäußert. Es be-7 - 6 - absichtigt eine Aussetzung des Sorgerechtsverfahrens nach Art. 19 Abs. 2 [X.] [X.] im Hinblick auf ein in [X.] anhängiges Hauptsache-verfahren zur Übertragung der elterlichen Sorge. 8 Im vorliegenden Verfahren hatte der Antragsteller zunächst u.a. Heraus-gabe des gemeinsamen Kindes [X.] verlangt und nur vorsorglich die Voll-streckbarerklärung der [X.] Entscheidung beantragt. Später hat er die Vollstreckbarkeitserklärung vorrangig weiterbetrieben. Entsprechend haben das Amtsgericht und das [X.] die Entscheidung des [X.] Ge-richts mit der Vollstreckungsklausel versehen und ein Ordnungsgeld gegen die Antragsgegnerin angedroht. Gegen diese Entscheidungen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin, mit der sie nach wie vor Abweisung des Antrags auf Vollstreckbarerklärung begehrt. I[X.] 1. Das Beschwerdegericht hat in der angefochtenen Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt: 9 Gründe, die einer Vollstreckbarkeit der Entscheidung des [X.] Gerichts entgegenstünden, seien nicht ersichtlich. Zwar handele es sich um eine einstweilige Maßnahme des [X.] Gerichts. Die [X.] [X.] unterscheide im Rahmen der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen anderer Mitgliedstaaten in Art. 2 Nr. 4 aber nicht nach der [X.], sondern fordere lediglich eine "gerichtliche Entscheidung". Auch wenn die gemeinsamen Kinder nicht von dem [X.] Gericht ange-hört worden seien, verletze dies keine wesentlichen verfahrensrechtlichen Grundsätze des [X.] Rechts, zumal die Kinder im Zeitpunkt der [X.] - 7 - scheidung erst eineinhalb Jahre alt gewesen seien. Soweit die Antragsgegnerin wegen einer verspäteten Einleitung des Hauptsacheverfahrens die [X.] der [X.] Entscheidung in Zweifel stelle, stehe dem die Beschei-nigung des [X.] Gerichts nach Art. 39 der [X.] [X.] ent-gegen. Auch Versagungsgründe nach Art. 23 der [X.] [X.] lägen nicht vor. Insbesondere sei kein Verstoß gegen den [X.] ordre public er-sichtlich; das rechtliche Gehör der Antragsgegnerin sei durch ihre Ladung zum Termin gewahrt gewesen. Dass sie den Termin nicht persönlich wahrgenom-men, sondern sich lediglich anwaltlich habe vertreten lassen, beruhe auf ihrer eigenen Entscheidung. Eine Sachprüfung des in [X.] entschiedenen Sorge-rechtsverfahrens sei dem Gericht im Anerkennungs- und Vollstreckungsverfah-ren verwehrt. 2. Die Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin greift die Entscheidung des [X.]s mit der Begründung an, die Anerkennung und Vollstre-ckung von Entscheidungen anderer Mitgliedstaaten erfasse nach Art. 2 Nr. 4 [X.] [X.] nicht einstweilige Maßnahmen [X.]. 20 [X.] [X.], weil diese nicht als "Entscheidungen über die elterliche Ver-antwortung" zu qualifizieren seien. 11 Dafür spreche schon der Erwägungsgrund 16 der Verordnung, wonach die vorliegende Verordnung die staatlichen Gerichte nicht an einstweiligen [X.] hindere. Einstweilige Maßnahmen, die nach Art. 20 der [X.] [X.] ungeachtet der Bestimmungen der Verordnung zulässig seien, [X.] der Verordnung deswegen nicht umfasst. 12 Nach der Rechtsprechung des [X.] ([X.]. 125/79 -Denilauler = [X.] 1981, 95) seien die Vorschriften des [X.]er [X.] über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung [X.] - 8 - richtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27. September 1968 in der Fassung des [X.] vom 29. November 1996 (im Folgenden EuGVÜ) zwar grundsätzlich auch auf einstweilige Maßnahmen anwendbar; dies gelte aber nicht für einstweilige oder auf eine Sicherung ge-richtete Maßnahmen, die ohne Ladung der Gegenpartei ergangen seien oder die ohne vorherige Zustellung vollstreckt werden sollen. Dies gelte nach Auffas-sung des [X.] (Beschluss vom 21. Dezember 2006 - [X.]/05 - NJW-RR 2007, 1573) in gleicher Weise für die [X.]. 32, 34 Abs. 2 der Verordnung [X.] Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handels-sachen ([X.]; im Folgenden [X.] I-Verordnung). Zwar könne diese Rechtsprechung nicht unmittelbar auf den vorliegen-den Fall übertragen werden, weil die [X.] I-Verordnung lediglich auf Zivil- und Handelssachen anwendbar sei, während Ehe- und [X.] dem Anwendungsbereich der [X.] [X.] unterlägen. Der [X.] "Entscheidung" in Art. 2 Nr. 4 [X.] [X.] sei im Hinblick auf die Rechtsprechung des [X.] aber unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck dieser Verordnung auszulegen. Die Zielsetzung der Verordnung bilde eine Grenze für eine Auslegung, so dass eine teleologische Auslegung erforderlich sei. 14 Nach dem Erwägungsgrund Nr. 19 der Verordnung komme der [X.]ö-rung des betroffenen Kindes eine wichtige Rolle zu, die durch die [X.]örung der Eltern nicht ersetzt werden könne. Es sei deswegen geboten, einstweilige [X.] aufgrund ihrer Vorläufigkeit von der erleichterten Anerkennung und Vollstreckung nach der [X.] [X.] auszunehmen und die [X.] einer Vollstreckung von [X.] vorzubehalten. 15 - 9 - Schließlich verstoße die [X.] Entscheidung auch gegen den [X.] ordre public. II[X.] 16 1. Die Rechtsbeschwerde ist nach Art. 34 [X.] [X.] i.V.m. § 28 IntFamRVG und § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Sie ist auch zulässig, weil die Rechtsfrage, ob die Vorschriften der [X.]. 21 ff. [X.] [X.] über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen anderer Mitglied-staaten nach Art. 2 Nr. 4 [X.] [X.] auch für einstweilige [X.] [X.]. 20 [X.] [X.] oder nur für Entscheidungen in der Hauptsache gelten, in der Literatur umstritten und in der Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt ist. 2. Auch in der Sache ist die Entscheidung über die Rechtsbeschwerde von dieser Rechtsfrage abhängig. In der Literatur werden insoweit Rechtsauf-fassungen vertreten, die vom vollständigen Ausschluss einstweiliger Maßnah-men bis hin zur umfassenden Einbeziehung solcher Entscheidungen in den Anwendungsbereich der [X.] [X.] reichen. 17 a) Teilweise werden - gestützt auf den Wortlaut - einstweilige Maßnah-men im Sinne des Art. 20 der [X.] [X.] grundsätzlich von dem Anwendungsbereich der Vorschriften über die Anerkennung und Vollstreckung nach den [X.]. 21 ff. [X.] [X.] ausgenommen. Art. 20 der [X.] [X.], der in dringenden Fällen ungeachtet der weiteren Bestimmun-gen der Verordnung einstweilige Maßnahmen einschließlich Schutzmaßnah-men nach dem Recht des betreffenden Mitgliedstaats zulässt, wird von den Vertretern dieser Auffassung als reine Zuständigkeitsregelung eingestuft. Dafür 18 - 10 - könnte auch die Entscheidung des [X.] vom 2. April 2009 sprechen, wonach einstweilige Maßnahmen im Sinne von Art. 20 der [X.] [X.] vorü-bergehender Art sein müssen und sich deren Durchführung und Bindungswir-kung nach nationalem Recht bestimmt ([X.] - [X.]. [X.]/07 - FamRZ 2009, 843 [X.]. 46 ff.). 19 Zwar seien einstweilige Maßnahmen nach ständiger Rechtsprechung des [X.] vom Regelungsgehalt des EuGVÜ (Art. 24 EuGVÜ) und der seit dem 1. März 2002 geltenden [X.] I-Verordnung (Art. 31 [X.] I-Verordnung) erfasst, wobei lediglich die ungeschriebenen Einschränkungen zu beachten seien, die der [X.] solcher einstweili-ger Maßnahmen vorsehe. Nur Maßnahmen, die ohne vorherige [X.]örung des [X.] - also nicht in einem kontradiktorischen Verfahren - erlassen seien, blieben von der Anerkennung nach diesen Vorschriften ausgeklammert. Auf den ersten Blick entspreche die Rechtslage für einstweilige Maßnahmen im Rahmen der [X.] [X.] zwar derjenigen nach der [X.] I-[X.]. Indem Art. 20 Abs. 1 [X.] [X.] einstweilige Maßnahmen und Schutzmaßnahmen nach dem Recht eines Mitgliedstaats "in Bezug auf in diesem Staat befindliche Personen oder Vermögensgegenstände" zulasse, er-schöpfe sich der Wortlaut aber in einer Konkretisierung der realen Verknüpfung zwischen dem Gegenstand der einstweiligen Maßnahme und der gebietsbezo-genen Zuständigkeit des [X.], die der [X.] auch für Art. 24 der [X.] I-Verordnung fordere. Aus dem Wortlaut der [X.]. 2 Nr. 4 und 20 Abs. 1 der [X.] [X.] folge, dass der Geltungsbereich der Verordnung - anders als der nach Art. 25 EuGVÜ und Art. 32 der [X.] I-Verordnung - expressis verbis auf Entscheidungen im Sinne des Art. 1 Abs. 1 [X.] [X.], mithin auf Entscheidungen in der Hauptsache, be-schränkt sei ([X.] in: [X.]/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen Nr. 545 Art. 20 Rdn. 23 f.; [X.] Die Regelung zur interna-- 11 - [X.] Zuständigkeit in Ehesachen in der Verordnung [[X.]] Nr. 2201/2003 Rdn. 312 ff.; [X.] Einstweilige Maßnahmen im Anwendungsbereich von Art. 31 [X.] in [X.] und [X.] Seite 16 f.; [X.]/[X.] ZPO 27. Aufl. [X.] II [X.]-VO Ehesachen, Verfahren betreffend elterliche Ver-antwortung Art. 2 Rdn. 8 und Art. 20 Rdn. 13; zur [X.] II-Verordnung vgl. [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.] ZPO 63. Aufl. [X.] I § 606 a [EheGVVO] Art. 13 Rdn. 4; für [X.] [X.]/Tülk ZfRV 2002, 95, 101 f.). b) Teilweise wird der Geltungsbereich des Art. 2 Nr. 4 [X.] [X.] auf solche vorläufigen Anordnungen ausgedehnt, die ein zu-ständiges Gericht innerhalb eines Hauptsacheverfahrens erlässt, soweit das rechtliche Gehör zumindest nachträglich gewährleistet ist. Anders als das EuGVÜ und die [X.] I-Verordnung sei die [X.] [X.] nicht auf ein zweiseitiges Rechtsverhältnis ausgerichtet, sondern diene der Handhabung von Dreiecksverhältnissen, bei denen einer dritten Person, nämlich dem Kind, besondere Schutzbedürftigkeit zukomme. Es müsse deswegen sichergestellt werden, dass rechtliches Gehör überhaupt, gegebenenfalls auch nach Erlass einer einstweiligen Anordnung im Rahmen einer Rechtsbehelfsmöglichkeit, ge-währleistet sei. Das entspreche der Rechtsprechung des [X.] ([X.]. 166/80 - Klomps/Michel = [X.] 1981, 781 f.), wonach auch eine nachträgliche [X.]ö-rung zur Gewährleistung eines fairen Verfahrens ausreiche (Holzmann [X.] [X.]: Elterliche Verantwortung und internationale Kindesentführung [X.] ff.; [X.]/Andrae [X.] I zum II[X.] Abschnitt [X.]BGB Art. 21 Rdn. 5; [X.] in: [X.]/[X.]/[X.] ZPO 29. Aufl. [X.] Art. 21 Rdn. 3; [X.]/[X.] Hk-ZPO 2. Aufl. [X.]. 2 Rdn. 5 und [X.] FamRZ 2001, 257, 260 zur [X.] II-Verordnung). 20 c) Wieder andere Stimmen beschränken die Geltung der [X.] [X.] auf einstweilige Maßnahmen, die - ggf. in einem [X.] - 12 - schen Verfahren - nach Gewährung rechtlichen Gehörs erlassen worden sind. Eine bloße Nachholung rechtlichen Gehörs könne einstweilige Maßnahmen ohne vorherige [X.]örung nicht dem Anerkennungssystem der [X.] [X.] unterziehen. Der Grundfehler der Verordnung, die Übernahme der für kontradiktorische Verfahren konzipierten Instrumente für Sorgerechtssa-chen statt der Übernahme des ausgewogenen Systems des [X.] über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung, könne nicht zum Anlass genommen werden, den Anwendungsbereich der [X.] zu Lasten des ausgewogenen Systems auszudehnen ([X.] Eu-ropäisches Zivilprozessrecht 2. Aufl. [X.] [X.] Art. 2 Rdn. 15, Art. 20 Rdn. 18 und Art. 21 Rdn. 2; vgl. auch [X.], 1761, 1762). d) Schließlich wird auch eine umfassende Einbeziehung einstweiliger Maßnahmen in das System der [X.] [X.] zur Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen befürwortet. Teilweise werden einstweilige Maßnahmen nach Art. 20 [X.] [X.] als Entscheidun-gen im Sinne des Art. 2 Nr. 4 [X.] [X.] angesehen, für die die Vorschriften der [X.]. 21 ff. [X.] [X.] über die Anerkennung und Vollstreckung gelten ([X.]/ [X.] IntVerfREhe [2005] [X.] Art. 20 Rdn. 51 und Art. 21 Rdn. 32; [X.]/Gruber BGB [X.] I zum II[X.] Abschnitt [X.]BGB Art. 20 Rdn. 12). Teilweise wird von den Vertretern dieser Auffassung sogar vorgebracht, dass einstweilige Maßnahmen im Sinne des Art. 20 der [X.] [X.] zwar nicht von der Definition in Art. 2 Nr. 4 [X.] [X.] erfasst seien. Gleichwohl seien für solche Maßnahmen die Vorschriften der [X.]. 21 ff. über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen anderer Mitgliedstaaten anwendbar ([X.] ZPO 3. Aufl. Bd. 3 [X.] Art. 20 Rdn. 10). 22 - 13 - 3. Der durch eine Auslegung der Art. 2 Nr. 4, 20, 21 ff. [X.] [X.] zu ermittelnde Anwendungsbereich der [X.] [X.] lässt sich danach nicht eindeutig bestimmen. 23 24 Folgt man der unter [X.] a dargestellten Auffassung, könnte die einstwei-lige Maßnahme des [X.] Gerichts nicht nach den [X.]. 21 ff. Brüs-sel [X.] für vollstreckbar erklärt werden und die Rechtsbeschwerde hätte Erfolg. Folgt man hingegen den unter [X.] b und c dargestellten Auffassungen, hängt der Erfolg der Rechtsbeschwerde davon ab, ob der Antragsgegnerin im Verfahren der einstweiligen Maßnahme ausreichendes rechtliches Gehör ge-währt worden ist. Dafür spricht allerdings, dass sie zu der mündlichen [X.] geladen war und die Kinder ein Alter hatten, in dem von einer [X.]örung keine weiteren Erkenntnisse erwartet werden konnten (vgl. unten 4 c). 25 Nur auf der Grundlage der unter [X.] d dargestellten Auffassung wären die [X.]. 21 ff. [X.] [X.] zweifelsfrei auf die einstweilige Maßnah-me des [X.] Gerichts anwendbar. Die Rechtsbeschwerde hätte dann - vorbehaltlich der weiteren Ausführungen zur Erheblichkeit - keinen Erfolg. 26 4. [X.] ist für die Entscheidung des Rechtsstreits auch erheblich. Wenn die Vorschriften der [X.]. 21 ff. [X.] [X.] auch für einstweilige Maßnahmen im Sinne des Art. 20 dieser Verordnung gelten, haben die Instanzgerichte den [X.] Sorgerechtsbeschluss zu Recht mit einer Vollstreckungsklausel versehen. Denn die weiteren Einwände der [X.] gegen die angefochtene Entscheidung überzeugen nicht. Insbesondere verletzt die einstweilige Maßnahme des [X.] Gerichts nicht den [X.] ([X.]. 23, 31 Abs. 2 [X.] [X.]). 27 - 14 - a) Wenngleich das [X.] materielle Recht eine Übertragung der elter-lichen Sorge auf einen nichtehelichen Vater nur mit Zustimmung der Mutter [X.], widerspricht das [X.] Recht, das auch für nichteheliche Kinder von einem gemeinsamen Sorgerecht der Eltern ausgeht, nicht dem [X.] ordre public. Auch das [X.] Recht sieht die Möglichkeit der Übertragung des Sorgerechts auf den nichtehelichen Vater vor (§ 1626 a Abs. 1 BGB; vgl. auch Senatsbeschluss vom 26. September 2007 - [X.] 229/06 - FamRZ 2007, 1969). Zwar ist die Übertragung des Sorgerechts auf den Vater von einer Zu-stimmung der Mutter abhängig. Indem das [X.] diese Regelung für verfassungsgemäß erachtet hat ([X.], [X.], 285), hat es sie jedoch nicht als einzige verfassungsrechtlich zulässige Regelungsmög-lichkeit bezeichnet. Vielmehr hat es dem Gesetzgeber aufgegeben, die Entwick-lung der zugrunde liegenden gesellschaftlichen Umstände zu beachten. Aus diesem Grund hat das [X.] jüngst ein Forschungsvor-haben zum Thema "gemeinsames Sorgerecht nicht miteinander verheirateter Eltern" in Auftrag gegeben. 28 b) Auch soweit das [X.] Gericht seiner einstweiligen Maßnahme den Vortrag des Antragstellers zugrunde gelegt hat, kann dies keine Gründe gegen eine Anerkennung der Entscheidung gemäß Art. 23 der [X.] [X.] rechtfertigen. Denn die Antragsgegnerin war zu der [X.] geladen und dabei auch anwaltlich vertreten. Sie hätte rechtzeitig vor Er-lass der einstweiligen Maßnahme abweichend vortragen können. Ihr neuer Vor-trag im Vollstreckbarkeitsverfahren führt nicht zu einem Verfahrensverstoß durch das [X.] Gericht im Ausgangsverfahren [X.]. 23 der [X.] [X.]. 29 c) Zu Recht weist das Beschwerdegericht schließlich darauf hin, dass die fehlende [X.]örung des gemeinsamen Kindes nicht zu einem erheblichen [X.] - 15 - fahrensverstoß führt. Zwar liegt ein solcher Verstoß nach Art. 23 Ziff. b der [X.] [X.] dann vor, wenn die Entscheidung - ausgenommen in dringenden Fällen - ergangen ist, ohne dass das Kind die Möglichkeit hatte, gehört zu werden, und damit wesentliche verfahrensrechtliche Grundsätze des Mitgliedstaats, in dem die Anerkennung beantragt wird, verletzt werden. Das Kind war hier im Zeitpunkt der Entscheidung allerdings erst knapp eineinhalb Jahre alt und hätte sich zur Übertragung des Sorge- und Aufenthaltsbestim-mungsrechts ohnehin noch nicht äußern können. Eine [X.]örung des Kindes wäre deswegen auch im Rahmen eines Sorgerechtsverfahrens in [X.] unterblieben. 5. Für die Beantwortung der entscheidungserheblichen Rechtsfrage [X.] es einer Auslegung der Verordnung ([X.]) Nr. 2201/2003 des Rates über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur 31 - 16 - Aufhebung der Verordnung ([X.]) Nr. 1347/2000, die nach Art. 234 [X.]V dem [X.] obliegt. Hahne [X.] [X.] Vézina Dose
Vorinstanzen: AG [X.], Entscheidung vom 03.07.2008 - 20 F 835/08 - OLG [X.], Entscheidung vom 22.09.2008 - 17 [X.]/08 -

Meta

XII ZB 182/08

10.06.2009

Bundesgerichtshof XII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 10.06.2009, Az. XII ZB 182/08 (REWIS RS 2009, 3136)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2009, 3136

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