Bundesgerichtshof, Urteil vom 08.02.2024, Az. IX ZR 2/22

9. Zivilsenat | REWIS RS 2024, 390

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INSOLVENZRECHT

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Gegenstand

Insolvenzanfechtungsanspruch: Rückgewähr gezahlter Einfuhrumsatzsteuer


Leitsatz

Die Geltendmachung eines Insolvenzanfechtungsanspruchs auf Rückgewähr gezahlter Einfuhrumsatzsteuer verstößt nicht gegen Treu und Glauben.

Tenor

Auf die Revision des [X.] wird der die Berufung zurückweisende Beschluss des 5. Zivilsenats des [X.] vom 22. Dezember 2021 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger ist Verwalter in dem auf Eigenantrag vom 12. November 2015 am 29. Januar 2016 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der [X.] (nachfolgend: Schuldnerin). Die Schuldnerin handelte mit Outdoor-Bekleidung. Zu diesem Zweck führte sie Bekleidung aus einem Drittland ([X.]) in die [X.] ein und entrichtete dafür die geschuldete Einfuhrumsatzsteuer. In der [X.] vom 14. November 2014 bis zum 27. Oktober 2015 betrugen die Zahlungen insgesamt 1.082.512,06 €. Die Zahlungen brachte die Schuldnerin als Vorsteuer bei den entsprechenden Umsatzsteuervoranmeldungen in Abzug.

2

Unter dem Gesichtspunkt der Insolvenzanfechtung nimmt der Kläger die beklagte B.                      auf Rückgewähr der Einfuhrumsatzsteuerzahlungen in Anspruch. Die von ihm verwaltete Masse deckt die fälligen Masseverbindlichkeiten.

3

Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des [X.] hat keinen Erfolg gehabt. Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger den insolvenzanfechtungsrechtlichen [X.] in voller Höhe weiter.

Entscheidungsgründe

4

Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses sowie zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

5

Das Berufungsgericht hat den streitgegenständlichen [X.] aus § 143 [X.] teilweise angenommen. Zum Teil hat es eine Gläubigerbenachteiligung im Sinne von § 129 Abs. 1 [X.] offengelassen. Unter Berücksichtigung von [X.] und Glauben sei der Kläger allerdings (jedenfalls) gehindert, den [X.] durchzusetzen.

6

Der Annahme einer Gläubigerbenachteiligung stehe insgesamt nicht entgegen, dass die angefochtenen Zahlungen der Schuldnerin in Gestalt der Vorsteuerabzugsberechtigung auch Vorteile gebracht hätten. Es bestehe kein Automatismus zwischen der [X.]zahlung und der [X.]. Der Annahme einer Gläubigerbenachteiligung stehe jedenfalls teilweise auch kein anfechtungsfestes Absonderungsrecht der Beklagten an der eingeführten Bekleidung entgegen. Eine mögliche [X.] gemäß § 76 Nr. 4 Satz 1 [X.] sei hinsichtlich Überweisungen über 261.849,24 € und 421.347,49 € bereits mehrere Wochen zuvor gemäß § 76 Abs. 4 Satz 2 [X.] erloschen gewesen. Im Übrigen könne die Frage der [X.] offenbleiben, weil der Kläger unter Berücksichtigung von [X.] und Glauben an der Durchsetzung des [X.]s gehindert sei.

7

Die Voraussetzungen des § 133 Abs. 1 [X.] aF seien für alle streitgegenständlichen Zahlungen erfüllt. Insbesondere sei die Schuldnerin während des gesamten [X.] zahlungsunfähig gewesen und habe die Beklagte die Zahlungsunfähigkeit erkannt gehabt.

8

Die Beklagte könne sich gegenüber dem Anfechtungsanspruch auf den "dolo-agit"-Einwand berufen. Danach handele derjenige treuwidrig, der etwas verlange, was er alsbald zurückgewähren müsse. Diese Voraussetzungen seien erfüllt, weil der Anfechtungsanspruch des [X.] auf Rückgewähr der von der Schuldnerin gezahlten [X.] gemäß § 17 Abs. 3 UStG die Berichtigung des erfolgten Vorsteuerabzugs zur Folge habe und es sich bei diesem Berichtigungsanspruch um eine Masseverbindlichkeit handele. Die Ansprüche stünden sich im Rechtsverhältnis zwischen Kläger und Beklagter gegenüber, da es sich bei der Umsatzsteuer um eine Gemeinschaftssteuer handele, für die sowohl die Beklagte als auch der [X.] die Ertragshoheit hätten gemäß Art. 106 Abs. 3 GG. Selbst wenn man von einer Verschiedenheit der Rechtsverhältnisse ausgehe, greife der [X.]. Eine Rechtsausübung sei auch dann wegen der Verpflichtung zur Rückgewähr eines Gegenstands treuwidrig, wenn diese Rückgewähr über Dritte erfolgen müsste. So liege der Streitfall, weil die Beklagte die geleisteten [X.] an den Kläger bezahlen müsste, der diese aufgrund des [X.] an den [X.] erstatten müsste. Der [X.] wiederum müsste die Erstattung jedenfalls teilweise an die Beklagte auskehren.

9

Die Sachkompetenz des Berufungsgerichts zur Entscheidung über die Frage der Vorsteuerberichtigung gemäß § 17 Abs. 3 UStG folge aus § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG. In Anbetracht der gegebenen [X.]widrigkeit könne dahinstehen, ob die streitgegenständliche Insolvenzanfechtung auch insolvenzzweckwidrig sei.

II.

Das hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Die Rechtsverfolgung des [X.] verstößt nicht gegen [X.] und Glauben (§ 242 [X.]).

1. Es ist allgemein anerkannt, dass die Ausübung eines Rechts gegen [X.] und Glauben verstoßen und die Rechtsausübung deshalb unzulässig sein kann. Zur einfacheren und zugleich rechtssichereren Beurteilung der Frage, ob die Ausübung eines Rechts gegen [X.] und Glauben verstößt, haben sich in Praxis und Wissenschaft Fallgruppen herausgebildet. Zu diesen Fallgruppen zählt auch der vom Berufungsgericht für einschlägig gehaltene dolo-agit-Einwand. Unzulässig ist danach die Durchsetzung eines Anspruchs, wenn der Gläubiger das Erlangte wieder an den Schuldner herauszugeben hätte (dolo agit, [X.], quod statim redditurus est; vgl. [X.], Urteil vom 12. Juli 2022 - [X.]/21, [X.], 1695 Rn. 17; vom 17. Januar 2023 - [X.], [X.], 422 Rn. 50; st. Rspr.). Dies setzt voraus, dass für die Ausübung der bestehenden Rechtsstellung keine schutzwürdigen Interessen bestehen, sondern das Erheben des Anspruchs dem Schuldner unnötige Beschwernisse und zusätzliche Insolvenzrisiken aufbürdet, ohne dem Gläubiger legitime Vorteile zu bringen (vgl. [X.]/[X.], 9. Aufl., § 242 Rn. 560). Ein Rückgriff auf § 242 [X.] ist nur zur Korrektur schlechthin unangemessener und untragbarer Ergebnisse geboten ([X.], Urteil vom 10. Juli 1991 - [X.], [X.]Z 115, 132, 136 mwN).

2. Nach diesen Grundsätzen ist das auf § 143 [X.] gestützte Verlangen des [X.] auf Rückgewähr der streitgegenständlichen Zahlungen von [X.] keine unzulässige Rechtsausübung.

a) Dabei kann offenbleiben, ob eine Rückgewähr der angefochtenen [X.]zahlungen eine Pflicht des [X.] zur Berichtigung des Vorsteuerabzugs gemäß § 17 Abs. 3 UStG zur Folge hätte. Die Geltendmachung des insolvenzanfechtungsrechtlichen [X.]s verstößt selbst dann nicht gegen [X.] und Glauben, wenn man mit dem Berufungsgericht von einer Pflicht zur Berichtigung des Vorsteuerabzugs ausgeht und annimmt, dass eine daraus folgende Umsatzsteuerschuld eine Masseverbindlichkeit darstellt.

b) Mit Recht hat sich das Berufungsgericht für zuständig gehalten, im Rahmen der Prüfung des dolo-agit-Einwands über die Frage der Berichtigungspflicht nach § 17 Abs. 3 UStG zu befinden. Nach § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG entscheidet das Gericht des zulässigen Rechtswegs den Rechtsstreit unter [X.] in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten. Allerdings wird die Entscheidung über eine zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung für unzulässig gehalten, die weder unstreitig noch rechts- oder bestandskräftig festgestellt ist (vgl. etwa [X.], 384, 386; [X.], 55, 58). Das wird damit begründet, dass es sich bei der Prozessaufrechnung um einen weiteren Streitgegenstand handelt (vgl. [X.], aaO) und wegen der [X.] einer Entscheidung über die Gegenforderung (§ 322 Abs. 2 ZPO) die Gefahr besteht, dass ein an sich nicht zuständiges Gericht mit Bindungswirkung gegenüber den nach der [X.] entscheidungsbefugten Gerichten entscheidet (BFH, aaO).

Diese Bedenken greifen hier nicht durch. Die Wirkungen des (begründeten) dolo-agit-Einwands auf die Rechtsverfolgung des Anspruchsinhabers ähneln zwar denen der Aufrechnung (vgl. [X.]/[X.], 9. Aufl., § 242 Rn. 561; [X.]/[X.], [X.], 17. Aufl., § 242 Rn. 111). Allerdings handelt es sich weder um einen weiteren Streitgegenstand noch erwächst die Entscheidung über die Pflicht des Anspruchsinhabers zur Rückgewähr des [X.] in Rechtskraft. Insbesondere wäre die Finanzgerichtsbarkeit nicht gehindert, eine Pflicht zur Berichtigung des Vorsteuerabzugs gemäß § 17 Abs. 3 UStG anzunehmen, wenn das mit dem dolo-agit-Einwand befasste Zivilgericht eine solche Pflicht verneinen würde.

c) Die (hier unterstellte) Pflicht zur Berichtigung des Vorsteuerabzugs nach § 17 Abs. 3 UStG begründet den vom Berufungsgericht angenommenen dolo-agit-Einwand nicht.

aa) § 242 [X.] kann [X.]falls in Extremfällen die Durchsetzung eines anfechtungsrechtlichen [X.]s aus § 143 Abs. 1 [X.] hindern (vgl. [X.], Urteil vom 11. Dezember 2008 - [X.], [X.]Z 179, 137 Rn. 21; vom 8. Juli 2013 - [X.], [X.], 1533 Rn. 31 mwN). Dies gilt auch für den dolo-agit-Einwand. Bei einem insolvenzanfechtungsrechtlichen [X.] sind neben den Interessen der Masse und denen des [X.]s auch diejenigen weiterer Beteiligter an dem Insolvenzverfahren in den Blick zu nehmen. Dazu zählt insbesondere das Interesse der Beteiligten des Insolvenzverfahrens, dass die unterschiedlichen insolvenzrechtlichen Bestimmungen über die Geltendmachung von Forderungen und deren Befriedigung eingehalten werden. Diesem Interesse steht es entgegen, wenn eine Forderung gegen die Masse außerhalb der insolvenzrechtlichen Regeln durch die Geltendmachung des dolo-agit-Einwands und dessen einer Aufrechnung ähnlichen Wirkungen (vgl. [X.]/[X.], 9. Aufl., § 242 Rn. 561; [X.]/[X.], [X.], 17. Aufl., § 242 Rn. 111) Berücksichtigung findet. Ist der Einwand begründet, wird der [X.] von der Erfüllung des anfechtungsrechtlichen [X.]s (teilweise) frei. Dadurch findet seine (Gegen-)Forderung gleichsam vorab eine Befriedigung, die er anderenfalls nach den dafür einschlägigen insolvenzrechtlichen Regelungen suchen müsste. Es liegt auf der Hand, dass dies den Interessen der weiteren Beteiligten zuwiderläuft, die sich an die insolvenzrechtlichen Regelungen halten müssen.

bb) Den vorstehenden Erwägungen entspricht es, dass die insolvenzrechtlichen Folgen einer Anfechtung nach den §§ 129 ff [X.] dem [X.] keine Vorrangstellung gegenüber anderen Beteiligten am Insolvenzverfahren einräumen. Nach § 144 Abs. 1 [X.] lebt die Forderung des [X.]s wieder auf, wenn er das Erlangte zurückgewährt. Im Zusammenspiel mit § 143 [X.] wird auf diese Weise auch zugunsten des [X.]s der Zustand hergestellt, der ohne die anfechtbare Rechtshandlung bestanden hätte. Deshalb handelt es sich bei der nach § 144 Abs. 1 [X.] wiederauflebenden Forderung in aller Regel um eine Insolvenzforderung im Sinne des § 38 [X.]. Ausnahmsweise soll auch eine Masseverbindlichkeit denkbar sein (vgl. MünchKomm-[X.]/Kirchhof/Piekenbrock, 4. Aufl., § 144 Rn. 14). § 144 Abs. 1 [X.] vermittelt keine Rechte, die ohne die anfechtbare Rechtshandlung nicht bestanden hätten. Vielmehr führt die Regelung den [X.] auf die Rechtsposition zurück, die ohne die anfechtbare Rechtshandlung bestanden hätte. Deshalb verbietet sich die Annahme, der [X.] könne auf eine gegenüber anderen Gläubigern bevorrechtigte Befriedigung seiner wiederauflebenden Forderung drängen.

Im Blick auf eine Aufrechnung gegen den insolvenzanfechtungsrechtlichen [X.] wird dies zum einen durch § 96 Abs. 1 Nr. 1 [X.] sichergestellt (vgl. [X.] in [X.]/[X.], [X.], 2023, § 144 Rn. 15), zum anderen dadurch, dass es zum Wiederaufleben der Forderung nach § 144 Abs. 1 [X.] erst kommt, wenn und soweit der [X.] seiner Rückgewährpflicht genügt hat (vgl. [X.], Urteil vom 4. Februar 2016 - [X.], Z[X.] 2016, 572 Rn. 29 mwN). Das spätere Wiederaufleben der Forderung nach § 144 Abs. 1 [X.] begründet auch keinen dolo-agit-Einwand, auch nicht in Höhe einer etwa zu erwartenden Quote. Sonst käme es ähnlich den Wirkungen einer Aufrechnung zu einer bevorrechtigten Befriedigung der wiederauflebenden Forderung. Die Zulassung des dolo-agit-Einwands führte überdies zu einer unbilligen Überfrachtung des [X.]. Der Tatrichter wäre gehalten, Feststellungen zum Wert der wiederauflebenden Forderung im gedachten Zeitpunkt ihrer Befriedigung zu treffen. Er müsste klären, ob und welche Beträge letztlich zur Befriedigung der wiederauflebenden Forderung des [X.]s verblieben. Das würde den [X.] mit kaum zu [X.] Unsicherheiten belasten (vgl. [X.], Urteil vom 7. Mai 1991 - [X.], [X.]Z 114, 315, 323).

cc) [X.]ist [X.]in und muss wegen ihrer nach § 144 Abs. 1 [X.] wiederauflebenden [X.]forderungen Befriedigung wie jeder andere ([X.] suchen. Das stellt die angefochtene Entscheidung über die Berufung des [X.] nicht infrage. Sie stützt den dolo-agit-Einwand vielmehr auf die aus § 17 Abs. 3 UStG abgeleitete Verpflichtung des [X.], den Vorsteuerabzug in Höhe der Rückgewähr anfechtbarer [X.]zahlungen zu berichtigen, und die Annahme, dass es sich bei der Umsatzsteuerforderung, die aus der Berichtigung resultiere, um eine Masseverbindlichkeit handele. Das begründet den dolo-agit-Einwand nicht.

(1) Die vom Senat unterstellte Pflicht zur Berichtigung des Vorsteuerabzugs begründet für sich genommen keine Umsatzsteuerforderung. Die Berichtigung ist neben Umsätzen und abziehbaren Vorsteuerbeträgen unselbständige Besteuerungsgrundlage einer Steuerberechnung nach den §§ 16 ff UStG. Eine Aufrechnung mit oder gegen Besteuerungsgrundlagen ist nicht möglich (vgl. [X.], 137 Rn. 26). Die Berichtigung erfolgt nicht rückwirkend, sondern findet Eingang in die Berechnung für den Besteuerungszeitraum, während dessen der [X.] - hier durch Erstattung der [X.]zahlungen - verwirklicht worden ist (§ 17 Abs. 3 Satz 2 iVm Abs. 1 Satz 8 UStG). Ob und in welcher Höhe eine Umsatzsteuerforderung gegen die Masse entsteht, lässt sich unter Berücksichtigung dessen erst am Ende des [X.] feststellen, in dem der insolvenzanfechtungsrechtliche [X.] erfüllt wird. Im vorausgehenden [X.] steht lediglich fest, dass die Berichtigung Eingang in die entsprechende Steuerberechnung zu finden hat. Das reicht nicht aus, um den dolo-agit-Einwand zu begründen.

(2) Dem steht die im öffentlichen Interesse stehende Schonung gerichtlicher oder sonstiger staatlicher Ressourcen nicht entgegen. Vielmehr besteht ein von der Pflicht zur Berichtigung des Vorsteuerabzugs unabhängiges Besteuerungsverfahren, in dem die Höhe einer etwaigen Umsatzsteuerschuld nach Ablauf des entsprechenden [X.] zu klären ist. Die (vorweggenommene) Berechnung einer Umsatzsteuerschuld würde den [X.] überfrachten.

(3) Es besteht kein durchgreifendes Interesse der beklagten B.                     an einer Berücksichtigung der künftigen Umsatzsteuerforderung bereits im [X.]. Sie ist nur Teilgläubigerin der Umsatzsteuer (vgl. [X.], Urteil vom 19. Juli 2007 - [X.], [X.], 1612 Rn. 10). Deshalb trägt sie das Vollstreckungsrisiko und das Risiko einer Insolvenz - hier in Gestalt einer möglichen Masseunzulänglichkeit - nur in Höhe des auf sie entf[X.]den Anteils der Umsatzsteuer. Daran ändert der vom Berufungsgericht angeführte [X.] nichts, der [X.]falls eingreift, wenn das Erlangte über einen [X.] an den Schuldner und nicht an einen [X.] herauszugeben ist (vgl. [X.], Urteil vom 17. Januar 2023 - [X.], [X.], 422 Rn. 52 mwN). Die Beklagte ist außerdem [X.]in. Nach den §§ 143 f [X.] müsste sie die wiederauflebenden [X.]forderungen als [X.] verfolgen. Eine vorweggenommene Berücksichtigung des Anspruchs auf die Quote im [X.] schiede aus. Soweit aus der (unterstellten) Pflicht zur Berichtigung des Vorsteuerabzugs eine Masseverbindlichkeit folgen sollte (vgl. [X.], 571 Rn. 16 ff; 257, 465 Rn. 22 ff), handelt es sich um eine Besonderheit des Steuerrechts. Aus ihr ergibt sich keine Vorrangstellung der Beklagten gegenüber anderen Massegläubigern.

(4) Schließlich ist ein schutzwürdiges Interesse der Masse an der Durchsetzung des Anspruchs auf Rückgewähr der [X.]zahlungen selbst dann nicht ausgeschlossen, wenn sich die als Masseverbindlichkeit zu berichtigende Umsatzsteuerforderung in Höhe des [X.]s aus § 143 [X.] erhöht. Die Durchsetzung des Anspruchs verschafft der Masse bis zum Ablauf des [X.], in dem der [X.] erfüllt wird, eine zusätzliche Liquidität. Sollte die erfolgreiche Anfechtung der [X.]zahlungen eine Masseverbindlichkeit in gleicher Höhe auslösen und für die Masse kein wirtschaftlicher Vorteil bleiben, sondern nur zu einer Erhöhung der Verwaltervergütung und somit mittelbar zu einer verminderten Befriedigung der Insolvenzgläubiger führen, wäre zu prüfen, ob dies einen unter den Voraussetzungen des § 60 [X.] ersatzpflichtigen Gesamtschaden begründet.

III.

Die angefochtene Entscheidung ist nicht aus anderen Gründen richtig (§ 561 ZPO). Die Rechtsverfolgung des [X.] ist insbesondere nicht insolvenzzweckwidrig.

1. Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter über (§ 80 Abs. 1 [X.]). Diesem steht bei der Ausübung seiner Tätigkeit grundsätzlich ein weiter Ermessensspielraum zu. Seine Rechtsmacht ist allerdings durch den [X.] (§ 1 [X.]) beschränkt. Nach gefestigter Rechtsprechung des [X.] sind Rechtshandlungen des Insolvenzverwalters unwirksam, welche der gleichmäßigen Befriedigung aller Insolvenzgläubiger klar und eindeutig zuwiderlaufen; sie verpflichten die Masse nicht. Dies trifft indes nur dann zu, wenn der Widerspruch zum [X.] unter [X.] in Betracht kommenden Gesichtspunkten für jeden verständigen Beobachter ohne Weiteres ersichtlich ist, wenn der Widerspruch zum [X.] also evident war und sich dem Geschäftspartner aufgrund der Umstände des Einzelfalls ohne Weiteres begründete Zweifel an der Vereinbarkeit der Handlung mit dem Zweck des Insolvenzverfahrens aufdrängen mussten, ihm somit der Sache nach zumindest grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist. Um [X.]widrigkeit anzunehmen, genügt es nicht, dass die Handlung des Insolvenzverwalters nur unzweckmäßig oder unrichtig ist ([X.], Urteil vom 14. Juni 2018 - [X.], [X.]Z 219, 98 Rn. 13 mwN).

2. Diese Voraussetzungen liegen offenkundig nicht vor.

a) Der Widerspruch zum [X.] ist bereits nicht unter [X.] in Betracht kommenden Gesichtspunkten für jeden verständigen Beobachter ohne weiteres ersichtlich. Ob die Durchsetzung des Anspruchs auf Rückgewähr der [X.]zahlungen überhaupt eine Pflicht zur Berichtigung des Vorsteuerabzugs nach sich zieht, ist eine höchstrichterlich bislang ungeklärte Rechtsfrage (vgl. [X.], [X.], 177). Die Antwort auf diese Frage lässt sich auch nicht zweifelsfrei aus dem Gesetz ableiten. § 17 Abs. 3 UStG macht die Pflicht zur Berichtigung des Vorsteuerabzugs davon abhängig, dass [X.], die als Vorsteuer abgezogen worden ist, herabgesetzt, erlassen oder erstattet worden ist. Da § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG die Berechtigung zum Vorsteuerabzug an die Entstehung und nicht an die Entrichtung der [X.] anknüpft, erscheint es geboten, auch für die Berichtigung des Abzugs den Bestand der Steuer in den Blick zu nehmen. Die Tatbestandsmerkmale "herabgesetzt" und "erlassen" betreffen auch den Bestand der Steuer. Erstattet werden (etwa irrtümlich) kann [X.] dem Wortsinne nach auch bei Fortbestand der Steuerpflicht. Die Rückgewähr entrichteter [X.] nach § 143 [X.] führt zum Wiederaufleben der Steuerforderung (§ 144 Abs. 1 [X.]). Ein Vorschlag des [X.], § 17 Abs. 3 UStG dahin zu ergänzen, dass die Berichtigungspflicht auch dann besteht, wenn die entstandene [X.] nicht entrichtet wurde und die Einziehung keinen Erfolg haben wird (BT-Drucks. 18/4902, [X.]), ist nicht Gesetz geworden.

Selbst wenn eine Berichtigungspflicht bestünde und sich deshalb die als Masseverbindlichkeit zu berichtigende Umsatzsteuerforderung in Höhe des [X.]s aus § 143 [X.] erhöhte, ist ein Widerspruch zum [X.] nicht ohne weiteres ersichtlich (vgl. oben Rn. 26).

b) [X.] kann deshalb, ob und falls ja welche Wirkungen sich im Streitfall aus einer [X.]widrigkeit ergäben. Es fehlt an einer materiell-rechtlichen Vereinbarung, welche die Masse binden könnte. Die vom Kläger zur Rechtsverfolgung vorgenommenen Prozesshandlungen können von den Wirkungen einer [X.]widrigkeit kaum erfasst sein.

IV.

Der die Berufung zurückweisende Beschluss ist danach aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 ZPO). Eine eigene Sachentscheidung kann der Senat nicht treffen, weil die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO). Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

1. Die fehlenden Feststellungen zu einer [X.] gemäß § 76 [X.] werden wegen der möglichen Wirkungen auf die Annahme einer Gläubigerbenachteiligung nach § 129 [X.] (vgl. [X.], Urteil vom 9. Juli 2009 - [X.], [X.], 1674 Rn. 12 mwN) nachzuholen sein.

2. Der Annahme einer Gläubigerbenachteiligung steht nicht entgegen, wenn eine Pflicht zur Berichtigung des Vorsteuerabzugs nach § 17 Abs. 3 UStG bestünde und sich deshalb die als Masseverbindlichkeit zu berichtigende Umsatzsteuerforderung in Höhe des [X.]s aus § 143 [X.] erhöhte. Auch das (ursprüngliche) Recht der Schuldnerin zum Vorsteuerabzug vermag eine Gläubigerbenachteiligung nicht auszuschließen. Beides hat der Senat mit Urteil vom heutigen Tage ([X.], [X.] Rn. 12 ff) entschieden und näher begründet.

3. Hinreichende Feststellungen zu den subjektiven Voraussetzungen des vom Berufungsgericht seiner Entscheidung nur zugrunde gelegten Anfechtungstatbestands des § 133 Abs. 1 [X.] aF sind nicht getroffen. Das Berufungsgericht ist lediglich von einer objektiven Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin ausgegangen, welche die Beklagte erkannt gehabt habe. Für die ab dem 12. August 2015 erfolgten Zahlungen wird das Berufungsgericht zudem § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.] zu erwägen haben.

Schoppmeyer     

      

Schultz     

      

Selbmann

      

Weinland     

      

Kunnes     

      

Meta

IX ZR 2/22

08.02.2024

Bundesgerichtshof 9. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG München, 22. Dezember 2021, Az: 5 U 4451/21

§ 242 BGB, § 129 InsO, § 143 Abs 1 InsO, § 144 Abs 1 InsO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 08.02.2024, Az. IX ZR 2/22 (REWIS RS 2024, 390)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2024, 390

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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