Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 11.04.2018, Az. 4 AZR 265/17

4. Senat | REWIS RS 2018, 10961

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Gegenstand

Auslegung einer individualvertraglichen Verweisungsklausel - dynamische Verweisung - Verdrängung durch Nachwirkung einer Betriebsvereinbarung


Tenor

1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 24. April 2017 - 9 [X.] 906/16 - wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Anwendung der Eingruppierungsbestimmungen des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst im Bereich der [X.] ([X.]/[X.]) auf ihr Arbeitsverhältnis und in diesem Zusammenhang auch über [X.] für den Zeitraum von November 2015 bis Mai 2016.

2

Die Beklagte betreibt ua. ein [X.]eniorenzentrum in [X.] Am 17. Februar 1993 hatte deren Rechtsvorgänger mit dem bei ihm gebildeten Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung zur Regelung der arbeitsrechtlichen Verhältnisse für die Angestellten, Arbeiter/-innen und Auszubildenden der Einzelfirma [X.] (im Folgenden Betriebsvereinbarung 1993) geschlossen, die auszugsweise wie folgt lautet:

        

§ 1 Geltungsbereich

        

Diese Betriebsvereinbarung gilt für alle Angestellten, Arbeiter/-innen und Auszubildenden des [X.], mit Ausnahme der geringfügig Beschäftigten.

        

§ 2 Lohn- und Vergütungsrichtlinien

        

1. Für die Angestellten nach § 1 dieser Betriebsvereinbarung gelten analog die für die Angestellten des [X.] und der Länder vereinbarten Bestimmungen des Lohn- und Vergütungstarifvertrages - [X.] - vom 11. Januar 1961.

        

…       

        

4. Änderungen beziehungsweise Ergänzungen der Bestimmungen der Absätze 1 … treten zu dem Zeitpunkt in [X.], in denen die Änderungen beziehungsweise Ergänzungen für Angestellte … des [X.] und der Länder wirksam werden.

                 
        

5. Absatz 4 gilt sinngemäß auch für die in den Absätzen 1 … genannten Bestimmungen, die außer [X.] treten.

        

§ 3 [X.]onderregelungen

        

1. Anwendung des Rahmentarifvertrages [X.] (und die diesen ändernden Vorschriften) mit Ausnahme folgender Paragraphen:

        

§ 3, § 6, § 15a, § 16, § 17, § 25, § 35, § 36, § 37, § 39, § 40, § 41, § 42, § 43, § 44, § 46, § 49, § 55, § 56, § 62, § 63, § 64, § 65, § 69 und § 74. 

        

…“    

3

Die Betriebsvereinbarung 1993 wurde mit Wirkung zum 31. Dezember 2001 gekündigt.

4

Die Klägerin ist auf der Grundlage eines Arbeitsvertrags vom 15. August 2001 - inzwischen unbefristet - bei der Beklagten als Pflegehelferin beschäftigt. Der Arbeitsvertrag lautet auszugsweise wie folgt:

        

§ 1 Beginn des Beschäftigungsverhältnisses          

        

Frau P beginnt ihre befristete Tätigkeit als Krankheitsvertretung für die [X.]telleninhaberin [X.] am 16.08.2001. [X.]ie wird als Pflegehelferin eingestellt und als Angestellte geführt. …

        

§ 2 Vergütung            

        

Der Mitarbeiter erhält eine Grundvergütung entsprechend des [X.] Kr I/[X.]tufe 9 inkl. [X.] und allgemeine Zulage i.[X.].v. DM 3.822,58; [X.]. Zulagen für [X.]amstags-, [X.]onntags-, Nacht- u. Feiertagsarbeit entsprechend der Betriebsvereinbarung.

        

Mit dieser Vergütung sind alle weitergehenden Ansprüche aus der vereinbarten Tätigkeit abgegolten.

        

§ 3 [X.]onderzahlungen            

        

In der Betriebsvereinbarung vom 17.02.1993, welche ein Bestandteil dieses Arbeitsvertrages ist, sind alle [X.]onderzahlungen geregelt.

        

…       

        

§ 9 Betriebsvereinbarung            

        

Die als Anlage beigefügte Betriebsvereinbarung vom 17.02.1993 ist Bestandteil des Arbeitsvertrages. Darüber hinaus gelten alle betrieblichen Regelungen, sofern in diesem Arbeitsvertrag keine andere Vereinbarung getroffen ist sowie die Bestimmungen des allgemeinen Arbeitsrechts.“

5

Die Klägerin erhielt seit Beginn des Arbeitsverhältnisses durchgehend eine Vergütung auf der Grundlage des [X.]-Angestelltentarifvertrags ([X.]) unter Einschluss der Tariferhöhungen und wurde ab August 2005 im Wege des [X.] nach der Vergütungsgruppe [X.] 9 [X.] vergütet.

6

Nach Inkrafttreten des [X.] am 1. Oktober 2005 erhielt die Klägerin ihr bisheriges Gehalt weiter. Die von der Beklagten erstellten Abrechnungen wiesen bis in das [X.] die Vergütungsgruppe „[X.] 09“ aus.

7

Mit [X.]chreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 12. Mai 2016 machte die Klägerin erfolglos eine Vergütung nach der [X.] 3a [X.]tufe 6 des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst der Länder ([X.]) geltend, hilfsweise nach der [X.] 3a [X.]tufe 6 [X.]/[X.].

8

Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin - soweit für die Revision von Bedeutung - auf der Grundlage der jeweils aktuellen [X.]n des [X.]/[X.] für die Monate November 2015 bis Mai 2016 die Zahlung von [X.] in - rechnerisch unstreitiger - [X.]öhe von 3.413,43 Euro brutto sowie die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten, sie nach der [X.] 3a [X.]tufe 6 der [X.] des [X.]/[X.] zu vergüten. [X.]ie hat die Auffassung vertreten, § 2 Arbeitsvertrag enthalte aufgrund der Nennung der Vergütungsgruppe und des konkreten Gehalts eine dynamische Bezugnahme auf den [X.]. Die durch die Tarifreform im öffentlichen Dienst 2005 eingetretene Beendigung des [X.] habe zu einer nicht vorgesehenen [X.] geführt, die nach den Grundsätzen der ergänzenden Vertragsauslegung durch die dynamische Anwendung des [X.]/[X.] zu schließen sei. Dementsprechend sei sie nach der [X.] 3a [X.]tufe 6 der [X.] des [X.]/[X.] zu vergüten.

9

Die Klägerin hat zuletzt beantragt,

        

1.    

die Beklagte zu verurteilen, an sie 3.413,43 Euro brutto nebst Zinsen i[X.]v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Juni 2016 zu zahlen, und

        

2.    

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, sie vom 1. Juni 2016 bis zum 31. Dezember 2016 nach der Vergütungsgruppe 3a [X.]tufe 6 der [X.] des TVöD für den Bereich der [X.], hilfsweise nach der Vergütungsgruppe 3a [X.]tufe 6 des [X.] (Pflegepersonal) zu vergüten.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. [X.]ie hat die Ansicht vertreten, der Arbeitsvertrag enthalte keine eigene Bezugnahme auf den [X.], sondern verweise lediglich auf die Betriebsvereinbarung 1993. Bei der konkreten Bezugnahme der Vergütungsgruppe aus dem [X.] handele es sich lediglich um eine Wissenserklärung im [X.]inblick auf die damals aktuelle Eingruppierung, wie sie den Parteien seinerzeit zutreffend erschien. Da zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bereits die Betriebsvereinbarung 1993 gegolten habe, hätte kein Anlass bestanden, eine konstitutive Vergütungsabrede zu treffen. Aus der Betriebsvereinbarung 1993 ergäbe sich der begehrte Zahlungsanspruch nicht. [X.]elbst wenn man unterstellte, die Betriebsvereinbarung 1993 sei lückenhaft geworden, könne diese Lücke nicht im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung geschlossen werden.

Das Arbeitsgericht hat der Klage im noch streitigen Umfang stattgegeben. Das [X.] hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und die Revision für die Beklagte zugelassen. Mit ihr begehrt die Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der [X.]n ist unbegründet. Das [X.] hat die Berufung der [X.]n gegen das erstinstanzliche Urteil zu Recht zurückgewiesen. Die auch im Feststellungsantrag zulässige Klage (st. Rspr. [X.]. nur [X.] 22. Februar 2017 - 4 [X.] - Rn. 13 mwN) ist begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf die begehrte Feststellung und die geforderten Vergütungsdifferenzen einschließlich der Zinsen.

I. Das [X.] hat rechtsfehlerfrei festgestellt, dass die [X.] verpflichtet ist, die Klägerin nach der Vergütungsgruppe 3a Stufe 6 der [X.] des [X.]/[X.] zu vergüten. Das ergibt sich aus einer ergänzenden Auslegung des Arbeitsvertrags.

1. Die Parteien haben in ihrem Arbeitsvertrag vom 15. August 2001 hinsichtlich der Vergütung eine Vereinbarung getroffen, mit der die Eingruppierungs- und Vergütungsregelungen des [X.] dynamisch in Bezug genommen worden sind.

a) Der Arbeitsvertrag vom 15. August 2001 ist ein Formularvertrag, dessen Bestimmungen nach den Regelungen über Allgemeine Geschäftsbedingungen auszulegen sind (zu den Maßstäben [X.]. nur [X.] 14. Dezember 2011 - 4 [X.] - Rn. 29 mwN). Die Auslegung von typischen [X.]sklauseln ist der uneingeschränkten Überprüfung durch das Revisionsgericht zugänglich (st. Rspr. des [X.], zB [X.] 7. Dezember 2016 - 4 [X.] - Rn. 21; 19. März 2003 - 4 [X.] - zu I 2 a der Gründe, [X.]E 105, 284).

b) Bei Anwendung dieser Auslegungsregeln ergibt sich aus der vertraglichen Vereinbarung eine dynamische Verweisung auf die entsprechenden Bestimmungen des [X.]. Einer Anwendung der Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB bedarf es de[X.]alb nicht.

aa) Verknüpft ein Arbeitgeber in dem von ihm verwendeten Arbeitsvertragsformular die dort genannte Vergütung mit einer konkreten tariflichen [X.] eines dem Anwendungsbereich nach einschlägigen Tarifvertrags, bringt er damit als [X.] zum Ausdruck, er vergüte den Arbeitnehmer entsprechend den einschlägigen tariflichen Entgeltbestimmungen. Der durchschnittliche Arbeitnehmer darf bei einer derartigen Verknüpfung von einem festen Entgeltbetrag und dessen Zuordnung zu einer tariflichen Vergütungsgruppe [X.] davon ausgehen, der in der Klausel festgehaltene Betrag werde für die Dauer des Arbeitsverhältnisses nicht statisch sein, sondern solle sich entsprechend den tariflichen Entwicklungen des genannten Gehaltstarifvertrags entwickeln (vgl. nur [X.] 13. Mai 2015 - 4 [X.] - Rn. 17 mwN). Die pauschale Bezugnahme im Arbeitsvertrag auf tarifliche Vergütungsbestimmungen ohne Angabe einer konkret nach Datum festgelegten Fassung des in Bezug genommenen Tarifvertrags ist regelmäßig dynamisch zu verstehen. Nur wenn es eindeutige Hinweise für eine statische Bezugnahme gibt, kann von dieser Auslegungsregel abgewichen werden (st. Rspr., vgl. nur [X.] 7. Dezember 2016 - 4 [X.] - Rn. 25; 25. Februar 2015 - 5 [X.] - Rn. 15, jeweils mwN).

bb) Danach haben die Parteien in § 2 Arbeitsvertrag die Vergütung zeitdynamisch, orientiert an den [X.] des [X.] vereinbart. Dazu gehört auch die Tarifautomatik, §§ 22, 23 [X.].

(1) Die Arbeitsvertragsparteien haben die Vergütungsgruppe der Vergütungsordnung zum [X.] sowie weiterhin die sich bei Anwendung des Tarifvertrags ergebende Vergütungsstufe, aus denen sich der Betrag ergibt, ausdrücklich benannt. Diese entspricht auch der vereinbarten Arbeitsleistung der Klägerin als Pflegehelferin mit entsprechender Tätigkeit. Nach dem Wortlaut des Arbeitsvertrags wurde der Tätigkeit der Klägerin eine tarifliche Vergütungsgruppe des [X.] zugeordnet und die Grundvergütung „inkl. [X.] und allgemeiner Zulage“ berechnet.

(2) Für dieses Ergebnis spricht auch die tatsächliche Durchführung des [X.]s durch die Parteien. So hat die [X.] die tariflich vorgesehenen Vergütungserhöhungen weitergegeben. Ferner ist die Klägerin im August 2005 nach Maßgabe der damals geltenden tariflichen Regelungen des [X.] im Wege des [X.] höhergruppiert worden. Auch weisen ihre Entgeltabrechnungen bis in das [X.] hinein die dadurch erreichte tarifliche Vergütungsgruppe („[X.] Stufe 09“) als maßgebend aus.

2. Die hiergegen gerichteten Angriffe der Revision sind erfolglos. Entgegen ihrer Auffassung hat die Betriebsvereinbarung 1993 die Vergütung der Klägerin nicht festgelegt.

a) Das gilt zunächst für den Hinweis, die vertragliche Bezugnahme auf die Vergütungsregelungen des [X.] sei lediglich deklaratorisch und wiederhole die ohnehin durch die normative Wirkung der Betriebsvereinbarung 1993 geschaffene Rechtslage. Wie sich aus der Formulierung von § 2 Arbeitsvertrag ergibt, haben die Parteien in ihrer Vereinbarung zwischen den sich aus der Betriebsvereinbarung 1993 ergebenden Regelungen und der arbeitsvertraglichen Bestimmung der „Grundvergütung“ ausdrücklich unterschieden. Hierzu gäbe es keinen Anlass, wenn sich die Grundvergütung als solche schon aus der Betriebsvereinbarung 1993 selbst ergeben würde. Bei der Höhe der Vergütung sollte sich ihre unmittelbare Wirkung nach dem Arbeitsvertrag lediglich auf die „Zulagen für Samstags-, Sonntags-, Nacht- und Feiertagsarbeit“ (§ 2 Halbs. 2 Arbeitsvertrag) sowie auf die „Sonderzahlungen“ (§ 3 Arbeitsvertrag) erstrecken.

b) Damit geht auch das Argument der [X.]n ins Leere, der Arbeitsvertrag sei „betriebsvereinbarungsoffen“ gestaltet. Die Parteien haben über die Vergütung eine ausdrückliche individualvertragliche Vereinbarung geschlossen, die durch die ganz allgemein gehaltene Bezugnahme auf die Betriebsvereinbarung 1993 in § 9 Arbeitsvertrag nicht verdrängt oder abgelöst wird. Diese ist allenfalls als eine „im Übrigen“ geltende Verweisung auf die Betriebsvereinbarung 1993 auszulegen.

c) Der weitere Angriff der Revision, selbst bei einer konstitutiven vertraglichen Vereinbarung der Vergütungs- und Eingruppierungsbestimmungen des [X.] sei die seinerzeit geltende normative Inbezugnahme derselben Regelungen durch die Betriebsvereinbarung 1993 günstiger gewesen und habe die - schlechtere - vertragliche Verweisung auf Dauer verdrängt, geht ebenfalls fehl. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Betriebsvereinbarung insoweit überhaupt wirksam war und ob die Auffassung der [X.]n von dem Ergebnis eines Günstigkeitsvergleichs zutreffend ist. Die normative Wirkung der Betriebsvereinbarung 1993 ist jedenfalls mit deren Ende entfallen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt lebte die - hier zugunsten der [X.]n unterstellt - bis dahin verdrängte vertragliche Regelung jedenfalls wieder auf.

aa) Die Betriebsvereinbarung 1993 war zum 31. Dezember 2001 gekündigt worden. Ihre unmittelbare und zwingende Wirkung (§ 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG) endete zu diesem Zeitpunkt.

bb) Die beendete Betriebsvereinbarung entfaltete im Arbeitsverhältnis der Parteien auch keine Nachwirkung, die über diesen Zeitpunkt hinaus einen Einfluss auf den Inhalt der arbeitsvertraglichen Vergütungsvereinbarung hätte haben können.

(1) Betriebsvereinbarungen wirken nach ihrem Ablauf nach, soweit sie Angelegenheiten der erzwingbaren Mitbestimmung betreffen (§ 77 Abs. 6 BetrVG). Freiwillige Betriebsvereinbarungen wirken nicht nach (vgl. nur [X.] 29. Aufl. § 77 Rn. 186 mwN). Bei einer Betriebsvereinbarung mit teilweise mitbestimmten Regelungen sind die einzelnen Regelungskomplexe getrennt zu behandeln. Eine Nachwirkung erfolgt dann nur hinsichtlich der Angelegenheiten, die der zwingenden Mitbestimmung unterliegen ([X.] 10. Dezember 2013 - 1 [X.] - Rn. 17 mwN, [X.]E 147, 19). Sinn der Nachwirkung nach § 77 Abs. 6 BetrVG ist - zumindest auch - die kontinuierliche Wahrung betriebsverfassungsrechtlicher Mitbestimmungsrechte. Sind solche nicht betroffen, bedarf es der Nachwirkung nicht ([X.] 26. August 2008 - 1 [X.] - Rn. 16, [X.]E 127, 297).

(2) Soweit hier überhaupt eine zwingende Wirkung der Betriebsvereinbarung auf die Anwendung der Vergütungsordnung des [X.] und die Verpflichtung zur Zahlung des dort festgelegten [X.] in Betracht käme - was zB wegen einer möglicherweise unzulässigen dynamischen „Blankettverweisung“ in der Betriebsvereinbarung 1993 zweifelhaft erscheint (vgl. dazu nur [X.] 28. März 2007 - 10 [X.] 719/05 - Rn. 34) -, beträfe sie die konkrete Höhe des vertraglichen Entgelts unmittelbar und wäre damit keinem Tatbestand des Katalogs von § 87 Abs. 1 BetrVG, insbesondere der Nr. 10, zuzuordnen (bspw. [X.] 21. Februar 2017 - 1 [X.] - Rn. 23; 5. Mai 2015 - 1 [X.] 435/13 - Rn. 15, jeweils mwN). Eine untrennbare Verbindung der konkreten Entgeltfestsetzung mit weiteren, evtl. mitbestimmungspflichtigen Bestandteilen der Betriebsvereinbarung 1993 (vgl. hierzu zB [X.] 5. Oktober 2010 - 1 [X.] - Rn. 18 ff., [X.]E 135, 382) ist nicht erkennbar.

cc) Die zwingende Wirkung gegenüber ungünstigeren arbeitsvertraglichen Regelungen nach § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG beschränkt sich insoweit auf die Dauer der Geltung der Betriebsvereinbarung und endet mit deren Ablauf ([X.] 28. März 2003 - 1 [X.] 366/99 - zu II 2 b cc der Gründe, [X.]E 94, 179; grdl. 21. September 1989 - 1 [X.] 454/88 - zu [X.] der Gründe, [X.]E 62, 360; vgl. auch [X.] 29. Aufl. § 77 Rn. 126; [X.] BetrVG 16. Aufl. § 77 Rn. 173; entspr. für Tarifnormen [X.] 12. Dezember 2007 - 4 [X.] 998/06 - Rn. 41 ff., [X.]E 125, 179, jeweils mwN). [X.] eine Betriebsvereinbarung nach ihrem Ende keine Wirkung mehr auf das Arbeitsverhältnis, lebt dessen ursprüngliche Regelung wieder auf. Das ist hier jedenfalls mit dem Ende der Betriebsvereinbarung 1993 am 31. Dezember 2001 erfolgt.

3. Die so verstandene arbeitsvertragliche Bezugnahme auf die [X.] des [X.] ist zwar zeitdynamisch, aber nicht inhaltsdynamisch ausgestaltet. Sie ist de[X.]alb mit der Ablösung des [X.] durch den [X.] und den [X.] lückenhaft geworden. Die mit der Ersetzung des [X.] entstandene nachträgliche Regelungslücke ist im Wege der ergänzenden [X.]sauslegung zu schließen. Dies führt zur Anwendbarkeit der Entgeltordnung des [X.]/[X.] auf das Arbeitsverhältnis der Parteien.

a) Die im Arbeitsvertrag enthaltene zeitdynamisch ausgestaltete Verweisung auf die Vergütungsordnung des [X.] ist infolge der Ablösung dieses tariflichen Regelungswerks zu einer statischen geworden, weil das Bezugnahmeobjekt von den Tarifvertragsparteien nicht mehr weiterentwickelt wird. Ein damit verbundenes „Einfrieren“ der Vergütung auf diesem Stand entsprach jedoch nicht dem Willen der Parteien. Der [X.] ist nachträglich lückenhaft geworden, weil die arbeitsvertragliche Bezugnahme auf der Dynamik der tarifvertraglichen Vergütungsregelungen aufbaute (st. Rspr., vgl. nur [X.] 19. Mai 2010 - 4 [X.] 796/08 - Rn. 25 ff., [X.]E 134, 283; 18. Mai 2011 - 5 [X.] 213/09 - Rn. 16).

b) Diese nachträglich entstandene Regelungslücke ist im Wege der ergänzenden [X.]sauslegung zu schließen. Dabei tritt an die Stelle der lückenhaften Klausel diejenige Gestaltung, die die Parteien bei einer angemessenen Abwägung der beiderseitigen Interessen nach [X.] und Glauben als redliche [X.]sparteien vereinbart hätten, wenn ihnen die Unwirksamkeit der Geschäftsbedingung bekannt gewesen wäre. Die [X.]sergänzung muss de[X.]alb für den betroffenen [X.]styp als allgemeine Lösung eines stets wiederkehrenden Interessengegensatzes angemessen sein. [X.] Zeitpunkt für die Feststellung und Bewertung des mutmaßlichen typisierten Parteiwillens und der Interessenlage ist der Zeitpunkt des [X.]sschlusses, da die ergänzende [X.]sauslegung eine anfängliche Regelungslücke rückwirkend schließt. Das gilt auch, wenn eine Lücke sich erst nachträglich als Folge des weiteren Verlaufs der Dinge ergeben hat (st. Rspr., [X.] 18. April 2012 - 4 [X.] 392/10 - Rn. 20, [X.]E 141, 150; 19. Mai 2010 - 4 [X.] 796/08 - Rn. 31 mwN, [X.]E 134, 283).

c) In Anwendung dieser Grundsätze ist für das Arbeitsverhältnis der Parteien seit dem 1. Oktober 2005 die Entgeltordnung des [X.]/[X.] maßgebend.

aa) Die ergänzende [X.]sauslegung bedeutet vorliegend in einem ersten Schritt, dass die Parteien [X.] für den Fall der hier vorliegenden Tarifsukzession des im Arbeitsvertrag benannten tariflichen Regelungswerks ein nachfolgendes tarifliches Regelungswerk des öffentlichen Dienstes vereinbart hätten, weil eine statische Regelung der Arbeitsbedingungen auf den Zeitpunkt der bestehenden Tarifsukzession nicht ihren Interessen entsprach. Die Parteien haben mit der dynamischen Ausgestaltung der Bezugnahme auf das Tarifwerk des [X.] die Regelungen der Arbeitsbedingungen für die Zukunft der Regelungsmacht der Tarifvertragsparteien des öffentlichen Dienstes anvertraut.

bb) Wegen der Aufspaltung der bis zum 30. September 2005 gleichlautenden Regelungen für die Angestellten des öffentlichen Dienstes bei [X.], [X.] und [X.] ist in einem weiteren Schritt zu bestimmen, welche Nachfolgeregelung für die Vergütung der Klägerin maßgebend sein soll. Dabei ist zu ermitteln, welches der dem [X.] nachfolgenden [X.] die Parteien in Bezug genommen hätten, wenn sie bei ihrer vertraglichen Vereinbarung - auf die Betriebsvereinbarung 1993 kommt es hierbei nicht an - eine Tarifsukzession bedacht hätten. Dies ist im Streitfall der [X.] in der im Bereich der [X.] ([X.]) geltenden Fassung, weil die [X.] aufgrund ihrer Aufgaben am ehesten dem öffentlichen Dienst der [X.] zuzurechnen ist (vgl. [X.] 25. Februar 2015 - 5 [X.]  - Rn. 18  ff., [X.]E 151, 56). Etwas anderes ergibt sich nicht daraus, dass die Unternehmensgruppe, der die [X.] angehört, bundesweit tätig ist. Mehrere Unternehmen eigener Rechtspersönlichkeit einer Unternehmensgruppe bilden keine dem [X.] als oberster territorialer Körperschaft des öffentlichen Rechts vergleichbare Einheit. Entscheidend ist vielmehr, welche Gebietskörperschaft des öffentlichen Rechts die Aufgaben wahrnehmen würde, also die Zuordnung der Aufgaben innerhalb der Gebietskörperschaften des öffentlichen Dienstes und nicht, dass die [X.] Schwesterunternehmen in anderen [X.] oder [X.] hat, die sich derselben Aufgabe widmen. Vorliegend sind das die [X.] als Körperschaften des öffentlichen Rechts für Selbstverwaltungsangelegenheiten.

4. Unter Zugrundelegung der so verstandenen Bezugnahmeklausel hat die Klägerin einen Anspruch auf Vergütung nach der [X.] 3a Stufe 6 der [X.] des [X.]/[X.].

a) Gemäß § 17 Abs. 1 TVÜ-[X.] aF galten dabei die §§ 22, 23 [X.] einschließlich der Vergütungsordnung bis zum Inkrafttreten entsprechender Regelungen des [X.]/[X.] fort. Für die Überleitung in die neue Entgeltordnung von bereits vor dem 1. Oktober 2005 im Pflegebereich beschäftigten Arbeitnehmern wurden die Vergütungsgruppen der Vergütungsordnung (Anlage 1b zum [X.]) den [X.]n des [X.] zugeordnet (Protokollerklärung zu § 4 Abs. 1 TVÜ-[X.] iVm. Anlage 4, aF).

b) Danach ist die [X.] verpflichtet, die Klägerin nach der [X.] 3a Stufe 6 der [X.] des [X.]/[X.] zu vergüten; hierüber besteht im Ergebnis zwischen den Parteien auch kein Streit.

aa) Die Klägerin war aufgrund eines [X.] noch vor Inkrafttreten der Tarifreform im öffentlichen Dienst seit August 2005 in der Vergütungsgruppe [X.] eingruppiert. Unter Anwendung der Anlage 4 zum TVÜ-[X.] aF („[X.]“) ergibt sich daraus die Überleitung in die [X.] 3a ([X.] mit Aufstieg nach II“) der neuen Entgeltordnung.

bb) Die durch die Überleitung erreichte Stufe der zutreffenden [X.] ergibt sich für die Klägerin aus § 6 Abs. 1 TVÜ-[X.]. Danach war sie entsprechend ihrem Vergleichsentgelt zunächst einer individuellen Zwischenstufe zwischen den Stufen 5 und 6 zugeordnet worden. Seit dem 1. Oktober 2007 hat sie damit Anspruch auf Entgelt nach der Stufe 6 ihrer [X.] (§ 6 Abs. 1 Satz 2 TVÜ-[X.]).

II. Die Klage ist auch hinsichtlich des [X.] begründet. Die sich aus der [X.] 3a Stufe 6 der [X.] des [X.]/[X.] ergebenden Einzelbeträge sowie die Gesamtsumme für den Streitzeitraum sind zwischen den Parteien nicht streitig. Der geltend gemachte Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 286, 288 BGB iVm. § 24 Abs. 1 Satz 2 [X.].

III. Die [X.] hat die Kosten der Revision zu tragen, weil sie mit ihrem Rechtsmittel erfolglos bleibt (§ 97 Abs. 1 ZPO).

        

    Eylert    

        

    Rinck    

        

    Creutzfeldt    

        

        

        

    Steding    

        

    H. Klotz    

                 

Meta

4 AZR 265/17

11.04.2018

Bundesarbeitsgericht 4. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Essen, 30. September 2016, Az: 3 Ca 1523/16, Urteil

§ 77 Abs 4 S 1 BetrVG, § 305c Abs 2 BGB, § 77 Abs 6 BetrVG, § 87 Abs 1 Nr 10 BetrVG, BAT

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 11.04.2018, Az. 4 AZR 265/17 (REWIS RS 2018, 10961)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 10961

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