Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.06.2021, Az. XII ZB 588/20

12. Zivilsenat | REWIS RS 2021, 4729

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Gegenstand

Familienstreitsache: Statthaftigkeit einer zulassungsfreien Rechtsbeschwerde gegen die Verwerfung des Antrags eines Beteiligten auf Terminierung wegen einer behaupteten Unwirksamkeit eines zuvor abgeschlossenen Vergleichs im Beschwerdeverfahren


Leitsatz

Gegen den in einer Familienstreitsache ergangenen Beschluss des Oberlandesgerichts, mit dem der Antrag eines Beteiligten auf Terminierung wegen einer behaupteten Unwirksamkeit eines zuvor abgeschlossenen Vergleichs verworfen wurde, findet eine zulassungsfreie Rechtsbeschwerde nicht statt.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 11. Zivilsenats und [X.] des [X.] vom 8. Dezember 2020 wird auf Kosten des Antragsgegners verworfen.

Wert: 165.000 €

Gründe

I.

1

Der Antragsgegner wendet sich gegen die Verwerfung seines Antrags, nach Abschluss eines von ihm für unwirksam gehaltenen Vergleichs einen neuen Verhandlungstermin zu bestimmen.

2

Das Amtsgericht hat den Antragsgegner zur Zahlung von Zugewinnausgleich verurteilt. Im Beschwerdeverfahren haben die Beteiligten vor dem [X.] am 6. August 2019 einen Vergleich geschlossen, den der Antragsgegner für unwirksam hält. Mit [X.] seines früheren Verfahrensbevollmächtigten vom 27. April 2020 hat der Antragsgegner deshalb Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens gestellt. Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung hat das [X.] mit Beschluss vom 28. Juli 2020 festgestellt, dass der Rechtsstreit durch den Vergleich beendet ist. Mit [X.] seiner Verfahrensbevollmächtigten vom 10. September 2020 hat der Antragsgegner beantragt, „einen neuen Verhandlungstermin für die Berichtigung des Vergleichs vom 06.08.2019 zu bestimmen“. Diesen Antrag hat das [X.] verworfen. Hiergegen wendet sich der Antragsgegner mit der Rechtsbeschwerde.

II.

3

Die Rechtsbeschwerde ist nicht statthaft und daher zu verwerfen.

4

1. Die Rechtsbeschwerde ist vom [X.] nicht gemäß § 70 Abs. 1 FamFG zugelassen worden.

5

Nach der gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 FamFG auch in Ehesachen und Familienstreitsachen anwendbaren Vorschrift des § 70 Abs. 1 FamFG findet die Rechtsbeschwerde gegen Beschlüsse in Verfahren nach dem Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit grundsätzlich nur dann statt, wenn sie von dem Beschwerdegericht zugelassen worden ist. Eine Beschwerde gegen eine unterbliebene Zulassung hat der Gesetzgeber in dem Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit bewusst nicht eröffnet (vgl. BT-Drucks. 16/6308 S. 225).

6

Das [X.] hat die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Rechtsbehelfsbelehrung, die der angegriffenen Entscheidung beigefügt ist. Denn dort wird nur ausgeführt, dass gegen diesen Beschluss „möglicherweise die Rechtsbeschwerde nach §§ 70 ff., 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO analog statthaft“ ist. Aus dieser Formulierung kann nicht geschlossen werden, dass das [X.] die Rechtsbeschwerde gegen seine Entscheidung zulassen wollte. Zudem stellt eine von dem Beschwerdegericht erteilte Rechtsmittelbelehrung grundsätzlich keine Entscheidung über die Zulassung der Rechtsbeschwerde dar (vgl. Senatsbeschluss vom 20. Juli 2011 - [X.] 445/10 - FamRZ 2011, 1728 Rn. 16).

7

2. Die Voraussetzungen für eine zulassungsfreie Rechtsbeschwerde gemäß § 70 Abs. 3 FamFG liegen ebenfalls nicht vor.

8

3. Die [X.] der Rechtsbeschwerde ergibt sich auch weder aus einer direkten noch einer entsprechenden Anwendung von § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG, §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO.

9

a) Eine direkte Anwendung dieser Vorschriften scheitert bereits am eindeutigen Wortlaut des § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO. Zwar gilt in Ehe- und Familienstreitsachen nach § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG die Vorschrift des § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO entsprechend (Senatsbeschluss vom 9. Dezember 2015 - [X.] 614/14 - FamRZ 2016, 452 Rn. 5). Sie erfasst in Ehe- und Familienstreitsachen jedoch nur das Rechtsmittel gegen einen die Beschwerde verwerfenden Beschluss (vgl. Senatsbeschluss vom 9. Dezember 2015 - [X.] 614/14 - FamRZ 2016, 452 Rn. 5, 9). Im vorliegenden Fall hat das [X.] mit dem angefochtenen Beschluss jedoch nicht eine Beschwerde des Antragsgegners verworfen, sondern nur über seinen in der Beschwerdeinstanz gestellten Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens nach Abschluss des dort geschlossenen Vergleichs entschieden.

b) Eine analoge Anwendung des § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG iVm §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO, wie sie das [X.] in der dem Beschluss beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung für möglich gehalten hat, kommt nicht in Betracht. Eine solche erfordert neben einer planwidrigen Regelungslücke die Vergleichbarkeit der zur Beurteilung stehenden Sachverhalte. Beide Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.

aa) Es liegt bereits keine planwidrige Regelungslücke vor. Der Gesetzgeber hat die [X.] der mit dem Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit neu eingeführten Rechtsbeschwerde bewusst von der Zulassung durch das Beschwerdegericht oder durch das [X.] im ersten Rechtszug abhängig gemacht, damit das Rechtsbeschwerdegericht in erster Linie mit Verfahren befasst wird, denen aufgrund ihrer grundsätzlichen Bedeutung eine über den Einzelfall hinausreichende Wirkung zukommt (vgl. BT-Drucks. 16/6308 S. 209). Von dem Zulassungserfordernis hat der [X.] nur ausnahmsweise unter den Voraussetzungen des § 70 Abs. 3 FamFG und § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG iVm § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO abgesehen.

Mit der Regelung des § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FamFG wollte der Gesetzgeber einen zulassungsfreien Zugang zum [X.] eröffnen, um in Betreuungs-, Unterbringungs- und Freiheitsentziehungssachen und somit in Verfahren, in denen gerichtliche Entscheidungen mit besonders hoher Intensität in höchstpersönliche Rechte der Beteiligten eingreifen, eine Verbesserung des Rechtsschutzes zu erreichen (vgl. Bericht und Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses BT-Drucks. 16/9733 S. 290). Während in Unterbringungs- und Freiheitsentziehungssachen die Vorschrift keine Einschränkung enthält, sieht § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FamFG in [X.] die [X.] der zulassungsfreien Rechtsbeschwerde nur für Entscheidungen vor, die die Bestellung eines Betreuers, die Aufhebung einer Betreuung oder die Anordnung bzw. Aufhebung eines Einwilligungsvorbehalts zum Inhalt haben. Damit benennt das Gesetz für [X.] abschließend die Entscheidungen, in denen der Gesetzgeber Anlass für eine Ausnahme von dem Zulassungserfordernis nach § 70 Abs. 1 FamFG gesehen hat (Senatsbeschluss vom 19. September 2018 - [X.] 427/17 - FamRZ 2018, 1935 Rn. 7 mwN).

Mit dem in § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG enthaltenen Verweis auf § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO wollte der Gesetzgeber einen Gleichklang mit der Berufung erreichen. Ebenso wie die Verwerfung der Berufung sollte auch die entsprechende Entscheidung des [X.] in Ehe- und Familienstreitsachen mit der Rechtsbeschwerde angefochten werden können, ohne dass diese zugelassen sein muss (Senatsbeschluss vom 9. Dezember 2015 - [X.] 614/14 - FamRZ 2016, 452 Rn. 8 mwN). Die sich aus § 117 FamFG ergebenden Modifikationen und Ergänzungen des Rechtsmittelverfahrens nach den §§ 58 ff. FamFG gelten jedoch nicht für Familiensachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit (vgl. Senatsbeschluss vom 27. November 2013 - [X.] 464/13 - juris Rn. 4). In diesen Verfahren hat der Gesetzgeber an dem Erfordernis der Zulassung der Rechtsbeschwerde festgehalten.

Aus den genannten Vorschriften und der Gesetzesbegründung ergibt sich daher, dass die Ausnahmen, in denen im Anwendungsbereich des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit eine zulassungsfreie Rechtsbeschwerde statthaft sein soll, eine bewusste gesetzgeberische Entscheidung darstellen und abschließend sein sollten.

bb) Zudem fehlt es an der für eine Analogie notwendigen Vergleichbarkeit der Interessenlagen. Diese Voraussetzung ist nach ständiger Rechtsprechung nur dann erfüllt, wenn der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht so weit mit dem gesetzlich geregelten Tatbestand vergleichbar ist, dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung - bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen [X.] - zu dem gleichen [X.] gekommen (vgl. Senatsurteil vom 16. Dezember 2020 - [X.] - FamRZ 2021, 584 Rn. 27 mwN). Diese Voraussetzung ist vorliegend nicht erfüllt.

Ebenso wie die Verwerfung der Berufung soll über den Verweis in § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG auf § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO auch die entsprechende Entscheidung des [X.] in Ehe- und Familienstreitsachen mit der zulassungsfreien Rechtsbeschwerde angefochten werden können (BT-Drucks. 16/6308 S. 372). Der Grund dafür, dass bei einer Verwerfung der Berufung (in Ehe- und Familienstreitsachen im Sinne des § 117 Abs. 1 FamFG der Beschwerde) als unzulässig die zulassungsfreie Rechtsbeschwerde (§§ 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO) eröffnet ist, ist im Wesentlichen darin zu sehen, dass eine das Rechtsmittel als unzulässig verwerfende Entscheidung der revisions- bzw. rechtsbeschwerdegerichtlichen Nachprüfung stets zugänglich sein soll, damit sich das Berufungs- bzw. Beschwerdegericht nicht unberechtigt einer Sachentscheidung über das Rechtsmittel entziehen kann (vgl. zum früheren Recht [X.] Beschluss vom 2. April 1982 - [X.] - NJW 1982, 2071, 2072). Zudem soll damit der [X.] als Revisions- und Rechtsbeschwerdegericht die Möglichkeit erhalten, Einfluss auf die Anwendung und Auslegung der formalen Zulässigkeitsvoraussetzungen für die Berufung oder Beschwerde zu nehmen (vgl. BT-Drucks. 14/4722 S. 96).

Im vorliegenden Fall ist jedoch nicht ein Rechtsmittel des Antragsgegners, sondern nur sein (wiederholter) Antrag auf Fortsetzung des durch den Vergleich in der Beschwerdeinstanz beendeten Rechtsstreits als unzulässig verworfen worden. Die gesetzgeberischen Zwecke, die der Eröffnung der zulassungsfreien Rechtsbeschwerde im Falle der Verwerfung der Berufung (in Ehe- und Familienstreitsachen der Beschwerde) zugrunde liegen, greifen somit nicht. Daher ist nicht anzunehmen, dass der Gesetzgeber die Verwerfung eines solchen Antrags der Verwerfung einer Berufung bzw. Beschwerde gleichgestellt hätte.

Dose     

      

Schilling     

      

Günter

      

Nedden-Boeger     

      

Guhling     

      

Meta

XII ZB 588/20

23.06.2021

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG Nürnberg, 8. Dezember 2020, Az: 11 UF 579/19

§ 70 Abs 3 FamFG, § 117 Abs 1 S 4 FamFG, § 522 Abs 1 S 4 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.06.2021, Az. XII ZB 588/20 (REWIS RS 2021, 4729)

Papier­fundstellen: MDR 2021, 1411-1412 REWIS RS 2021, 4729

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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