Bundesgerichtshof, Beschluss vom 04.06.2019, Az. 5 StR 96/19

5. Strafsenat | REWIS RS 2019, 6658

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Gegenstand

Revision in Strafsachen: Verbot der Doppelbestrafung nach dem Schengen-Übereinkommen; Begriff der einheitlichen Tat


Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 27. August 2018 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Verabredung zur Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Seine hiergegen gerichtete Revision führt zur Aufhebung des Urteils.

2

1. Nach den Feststellungen plante der Angeklagte, ein [X.] Staatsangehöriger, gemeinsam mit dem anderweitig verurteilten            [X.]      Ende 2011, mindestens 80 Kilogramm qualitativ hochwertiges Haschisch von einer [X.] in einem hierfür umgebauten Schmuggelfahrzeug von [X.] nach [X.] bringen zu lassen, um es dort gewinnbringend zu verkaufen. Die von beiden ausgewählte [X.] wurde auf der Fahrt von [X.] nach [X.] in der Nacht auf den 7. Februar 2012 an der [X.] angehalten. In dem Fahrzeug wurden von [X.] Beamten 80 Kilogramm Haschisch mit einem Wirkstoffgehalt von 19 % bis 27 % THC sichergestellt. Im Rahmen eines anderen, in [X.] geführten Strafverfahrens fanden [X.] Ermittler im Juli 2012 bei einer Durchsuchung auf einem vom Angeklagten genutzten Grundstück weitere 60 Kilogramm Haschisch. Wegen Besitzes dieses zum Verkauf bestimmten Haschischs ist der Angeklagte in [X.] gesondert verurteilt worden und befand sich dort bis zu seiner Überstellung nach [X.] zum Zwecke der Durchführung des hiesigen Strafverfahrens in Strafhaft.

3

2. Das Urteil ist aufzuheben.

4

Der Senat kann auf der Grundlage der Urteilsfeststellungen und des ihm zugänglichen Akteninhalts nicht ausschließen, dass der Verurteilung des Angeklagten wegen der verfahrensgegenständlichen Tat mit [X.]ick auf seine Verurteilung durch das [X.] in [X.] vom 3. April 2013 in der Fassung des Urteils der [X.] des [X.]s [X.] vom 30. Mai 2013 das von Amts wegen zu beachtende Verfahrenshindernis des zwischenstaatlichen Verbots der Strafverfolgung wegen derselben Tat gemäß Art. 54 [X.] entgegensteht.

5

a) Nach den vom [X.] in [X.] getroffenen Feststellungen wurden am 26. Juli 2012 auf dem Grundstück des Beschuldigten 60 Kilogramm Haschisch mit einem Wirkstoffgehalt von 22,13 % THC sichergestellt, das vom Angeklagten zum Verkauf oder zur Abgabe an Dritte bestimmt war ([X.]. 222 d. A.). Infolgedessen wurde der Angeklagte wegen einer Straftat gegen die öffentliche Gesundheit (Art. 368 [X.] Strafgesetzbuch) zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt ([X.]. 227 f. d. A.). In jenem Verfahren hatte er eine Tatbegehung noch bestritten und angedeutet, die Betäubungsmittel seien von [X.] ohne sein Wissen auf seinem Grundstück versteckt worden ([X.]. 225 d. A.).

6

b) Aus dem Beschluss des [X.] in [X.] vom 24. Mai 2018 sowie aus der Anklageschrift vom 5. Juni 2018 geht hervor, dass der Angeklagte demgegenüber im Verlauf des hiesigen Ermittlungsverfahrens angegeben hat, er habe gemeinschaftlich mit [X.]      eine Lieferung von insgesamt etwa 140 Kilogramm Haschisch aus [X.] bestellt, das – bedingt durch das geringere Fassungsvermögen des in das Kurierfahrzeug eingebauten Drogenverstecks – in zwei Lieferungen nach [X.] transportiert und dort weiterverkauft werden sollte. Das Haschisch habe er zunächst auf seinem Grundstück gelagert. Aus dieser Menge habe er die bei der [X.] sichergestellten Betäubungsmittel entnommen. Nachdem er und [X.]      von deren Festnahme erfahren hätten, habe [X.]      die weiteren Geschehnisse abwarten wollen und erklärt, es sollten zunächst keine Aktivitäten hinsichtlich des restlichen Haschischs erfolgen. Schließlich habe [X.]      mitgeteilt, aus dem Rauschgifthandel aussteigen zu wollen. Deshalb hätten die restlichen Betäubungsmittel bis zu ihrer Sicherstellung am 26. Juli 2012 auf seinem, des Angeklagten, Grundstück verwahrt werden müssen und – entgegen dem ursprünglichen Plan – nicht nach [X.] geliefert werden können.

7

Während diese Einlassung in der Anklageschrift nach eingehender Beweiswürdigung als Schutzbehauptung eingestuft worden ist, hat das [X.] die Auffassung vertreten, bereits unter ihrer Zugrundelegung liege keine einheitliche Tat im Sinne des Art. 54 [X.] vor.

8

c) Das angefochtene Urteil verhält sich weder zu dieser Einlassung noch dazu, ob der Angeklagte etwa in der Hauptverhandlung von ihr abgerückt ist, was die Revision – insoweit freilich urteilsfremd – bestreitet. Es stellt auch nicht fest, ob die bei der [X.] im Februar 2012 und die im Juli 2012 auf dem Grundstück des Angeklagten sichergestellte [X.] aus einer oder mehreren Bestellungen oder Lieferungen stammte. Allerdings trifft es die in Richtung der Einlassung des Angeklagten weisenden Feststellungen, Ende Januar oder Anfang Februar 2012 habe der Angeklagte „jedenfalls“ 80,12 Kilogramm Haschisch entgegengenommen und auf seinem Grundstück verwahrt ([X.]), die dem ursprünglichen Plan entsprechend in zwei Fahrten von [X.] nach [X.] befördert werden sollten (UA S. 7).

9

d) Ausgehend von der Einlassung des Angeklagten im Ermittlungsverfahren läge ein Strafklageverbrauch nach Art. 54 [X.] vor. Es kommt mithin darauf an, ob das Tatgericht dieser Einlassung – unter Berücksichtigung des für die Frage des Strafklageverbrauches zu beachtenden Zweifelssatzes (vgl. [X.], Beschluss vom 20. März 2002 – 5 StR 574/01; [X.]/[X.], 26. Aufl., § 261 Rn. 123) – folgt.

aa) Art. 54 [X.] bestimmt, dass derjenige, der durch eine Vertragspartei rechtskräftig abgeurteilt worden ist, nicht durch eine andere Vertragspartei wegen derselben Tat verfolgt werden darf, wenn im Fall einer Verurteilung die Sanktion bereits vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des [X.] nicht mehr vollstreckt werden kann. Bei dem Verbot der Doppelbestrafung gemäß Art. 54 [X.] handelt es sich um ein Verfahrenshindernis (vgl. [X.], Beschlüsse vom 25. Oktober 2010 – 1 StR 57/10, [X.]St 56, 11; vom 9. Juni 2008 – 5 [X.], [X.], 2931, 2932), dessen Vorliegen in jeder Lage des Verfahrens, mithin auch noch in der Revisionsinstanz, von Amts wegen zu berücksichtigen ist ([X.], Urteil vom 12. Dezember 2013 – 3 StR 531/12, [X.]St 59, 120, 123).

Nach der für die nationalen Gerichte verbindlichen Auslegung des Art. 54 [X.] durch den [X.] gilt im Rahmen dieser Vorschrift ein im Verhältnis zu den nationalen Rechtsordnungen eigenständiger, autonom nach unionsrechtlichen Maßstäben auszulegender Tatbegriff (vgl. [X.], [X.], 1781; 2007, 3412; 2011, 983; [X.], 164). [X.] Kriterium für die Anwendung des Art. 54 [X.] ist danach die Identität der materiellen Tat, verstanden als das Vorhandensein eines Komplexes konkreter, in zeitlicher und räumlicher Hinsicht sowie nach ihrem Zweck unlösbar miteinander verbundener Tatsachen. Demgegenüber ist die Einordnung der Tatsachen nach den Strafrechtsordnungen der Vertragsstaaten unbeachtlich. Allein aus dem Umstand, dass die Taten durch einen einheitlichen Vorsatz auf [X.] verbunden sind, lässt sich die Identität der Sachverhalte nicht herleiten; erforderlich ist vielmehr eine objektive Verbindung der zu beurteilenden Handlungen (vgl. [X.], Urteil vom 12. Dezember 2013 – 3 StR 531/12, aaO, [X.]). Ob nach diesen Kriterien im konkreten Fall eine einheitliche Tat anzunehmen ist, obliegt der Beurteilung durch die zuständigen nationalen Gerichte ([X.], [X.], 1781, 1782).

bb) Eingedenk dieser Maßstäbe läge ausgehend von der Einlassung des Angeklagten eine einheitliche Tat im Sinne des Art. 54 [X.] vor.

Der Angeklagte hat das vom [X.] abgeurteilte Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG) bereits mit der „Organisation“ der Anlieferung des zur gewinnbringenden Weiterveräußerung bestimmten Rauschgifts in [X.] ([X.]) verwirklicht (vgl. [X.]/[X.]/[X.], BtMG, 9. Aufl., § 29 Teil 4 Rn. 46 ff.). Nach seiner Einlassung bezog sich dieses Handeltreiben auf die Gesamtmenge des im Februar und Juli 2012 sichergestellten Rauschgifts. Es schloss also die [X.] ein, die Gegenstand der Verurteilung durch das [X.] in [X.] vom 3. April 2013 war. Auch die Verabredung zum Weitertransport des von der [X.]n Polizei auf dem Grundstück des Angeklagten aufgefunden Rauschgifts nach [X.] und damit zu seiner Einfuhr war bereits getroffen. Die teilweise Identität des Rauschgifts, auf das sich die beiden Verurteilungen bezogen, hätte eine objektive Verbindung der zu beurteilenden Handlungen begründet (vgl. [X.], [X.], 164, 165 für den Fall, dass den rechtswidrigen Taten in zwei Vertragsstaaten ganz oder teilweise dieselben Gewinne aus dem Drogenhandel zugrundeliegen). Der spätere auf der Festnahme der [X.] beruhende Verzicht auf die ursprünglich geplante zweite Lieferfahrt nach [X.] könnte diese Verbindung nicht auflösen. Denn das Handeltreiben bezog sich auf die gesamte [X.]; ein der „Organisation“ der Anlieferung des Rauschgifts nachfolgendes Geschehen könnte daran nichts mehr ändern.

3. Ob danach ein Verfahrenshindernis vorliegt, hat das Revisionsgericht zwar grundsätzlich selbst aufgrund der getroffenen oder von ihm noch weiter zu treffenden ergänzenden Feststellungen und des Akteninhalts zu entscheiden. Es ist ihm aber nicht verwehrt, die Sache zur Nachholung fehlender Feststellungen an das Tatgericht zurückzuverweisen. Dazu besteht insbesondere dann Anlass, wenn die Ermittlung der maßgebenden Tatsachen eine Beweisaufnahme wie in der tatgerichtlichen Hauptverhandlung erforderlich machen würde ([X.], Beschluss vom 18. November 2015 – 4 [X.], [X.], 42, 43). Entsprechendes gilt, wenn die Feststellung eines Verfahrenshindernisses von der Würdigung der vom Tatgericht erhobenen Beweise abhängt. Denn diese ist zumindest dann, wenn sie untrennbar mit den Feststellungen zur Schuldfrage verbunden ist, Sache des Tatgerichts und liegt in dessen Verantwortung (vgl. [X.], Urteile vom 19. Oktober 2010 – 1 StR 266/10, [X.]St 56, 6, 10; vom 4. Juli 2018 – 5 [X.]/17, [X.], 17, 19).

So verhält es sich hier. Das [X.] hat die auf das Vorliegen eines Verfahrenshindernisses hinweisende Einlassung des Angeklagten im Ermittlungsverfahren nicht beweiswürdigend in den [X.]ick genommen. Die für die Frage eines Verstoßes gegen Art. 54 [X.] maßgebliche Beurteilung ihrer Glaubhaftigkeit ist dem Senat versagt.

Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung.

 Mutzbauer     

        

Ri[X.] Prof. Dr [X.]
ist urlaubsbedingt an der
Unterschrift gehindert.

        

[X.]

                 

Mutzbauer

                 
        

König     

        

     Köhler     

        

Meta

5 StR 96/19

04.06.2019

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Hamburg, 27. August 2018, Az: 615 KLs 4/18 - 2 Ss 13/19

Art 54 SDÜREO, § 29a Abs 1 Nr 2 BtMG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 04.06.2019, Az. 5 StR 96/19 (REWIS RS 2019, 6658)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 6658

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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