Bundesgerichtshof, Urteil vom 20.06.2012, Az. 5 StR 536/11

5. Strafsenat | REWIS RS 2012, 5422

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Gegenstand

Körperverletzung mit Todesfolge: Vorhersehbarkeit der Todesfolge bei Brechmitteleinsatz zur körperlichen Untersuchung eines mutmaßlichen Drogenkuriers


Leitsatz

Vorhersehbarkeit der Todesfolge nach Brechmitteleinsatz (im Anschluss an BGH, 29. April 2010, 5 StR 18/10, BGHSt 55, 121).

Tenor

Auf die Revision der Nebenklägerin wird das Urteil des [X.] vom 14. Juni 2011 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.

- Von Rechts wegen -

Gründe

1

1. Zu Verfahrensgegenstand und Verfahrensgang:

2

Gegenstand des Verfahrens ist die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Angeklagten als im Beweismittelsicherungsdienst tätiger Arzt für den am 7. Januar 2005 eingetretenen Tod des 35 Jahre alten           [X.]aus [X.] im Rahmen einer zwangsweise durchgeführten [X.] von Kokain.

3

a) Das [X.] hat in seinem in dieser Sache ergangenen ersten freisprechenden Urteil vom 4. Dezember 2008 als Todesursache eine Mangelversorgung des Gehirns mit Sauerstoff (zerebrale Hypoxie) als Folge von Ertrinken nach Aspiration über einen Magenschlauch zugeführten Wassers bei forciertem Erbrechen festgestellt. Hierfür hat es ein objektiv pflichtwidriges Handeln des Angeklagten als ursächlich angesehen. Dieser habe nach dem Eingreifen des von ihm herbeigerufenen Notarztes trotz erkennbar erhöhten Aspirationsrisikos die [X.] fortgesetzt. Der Tod des Beschuldigten sei für den Angeklagten aber nicht vorhersehbar und vermeidbar gewesen, weil er als Arzt persönlich überfordert gewesen sei und sich auf die Kompetenz des weiterhin anwesenden Notarztes habe verlassen können.

4

b) Mit Urteil vom 29. April 2010 - 5 StR 18/10 ([X.]St 55, 121) hat der [X.] auf die Revisionen der Nebenklägerin, der Mutter des Verstorbenen, und seines mittlerweile gleichfalls verstorbenen [X.] als damals weiteren Nebenkläger das genannte Urteil aufgehoben. Die vom [X.] vorgenommene Beweiswürdigung hat er als rechtsfehlerhaft beanstandet und auf der Grundlage des festgestellten Sachverhalts vom neuen Tatgericht die Prüfung und Bewertung weiterer Pflichtverstöße des Angeklagten als rechtlich geboten verlangt (unterlassene Aufklärung, Durchführung eines erkennbar nicht beherrschten medizinischen Eingriffs und Fortsetzung der [X.] unter Verstoß gegen das Gebot der Wahrung der Menschenwürde). Der [X.] hat ferner die in der Spätphase des Eingriffs vorgenommene Auslösung des [X.] mittels einer Pinzette sowie eines Spatels als Körperverletzung bewertet. Er hat nicht ausschließen können, dass eine fehlerfreie Würdigung der festgestellten Umstände die Voraussetzungen einer Körperverletzung mit Todesfolge nach § 227 StGB ergeben würde. Deshalb hat er die Sache an eine [X.] des [X.]s zurückverwiesen (§ 74 Abs. 2 Nr. 8 GVG).

5

c) Das [X.] hat den Angeklagten erneut freigesprochen. Hiergegen richtet sich die auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision der Nebenklägerin. Diese hat wiederum Erfolg.

6

2. Zu den Feststellungen und Wertungen der [X.]:

7

a) Das [X.] hält die vom Erstgericht festgestellte Todesursache nach Anhörung von neun Sachverständigen für wahrscheinlich ([X.]). Deren Annahme im Sinne einer sicheren richterlichen Überzeugung stehe allerdings maßgeblich der Umstand entgegen, dass der ausweislich aktiven Bemühens, Erbrochenes nicht nach außen dringen zu lassen („Filtern“), nicht bewusstseinsgetrübte [X.]bei Wassereintritt in die Luftröhre hätte husten müssen, was indessen keiner der Beteiligten gehört habe.

8

b) Zudem habe die Prüfung nicht ausschließbare alternative Todesursachen ergeben. Einen durch Manipulationen im Halsbereich ausgelösten vorübergehenden Herzstillstand ([X.]Reflex) hat das [X.] unter der Prämisse für denkbar gehalten, dass der Kiefer des Verstorbenen zur Ermöglichung des Spateleinsatzes unter Krafteinsatz verbunden mit starkem Druck am Hals geöffnet worden sei ([X.]). Eine weitere mögliche Ursache für die Reduzierung der Herzfrequenz (Bradykardie) hat es in einem zu hohen [X.] ([X.]) gefunden ([X.], 89, 91). Dafür könnten vor allem eine permanente Reizung eines Hirnnervs, des Nervus Vagus, durch nachteilige Veränderung der betroffenen [X.] beim Legen der Magensonde, die mit dem „Filtern“ verbundene Pressatmung und die dadurch bedingte Druckerhöhung im [X.] verantwortlich sein; dies könne zu einer Verschlechterung der Gesamtsituation geführt haben, wobei aber auch ein zusätzliches Auslösen eines heftigeren [X.]es durch den Spateleinsatz eine Rolle gespielt haben könne ([X.]). Schließlich habe ein mittelgradig bedeutsamer chronischer Herzmuskelschaden mit zu einer Verstärkung der letztlich todesursächlichen Bradykardie beitragen können ([X.], 87).

9

Zwar sei auszuschließen, dass eine der erwogenen Ursachen für sich allein eine reanimationspflichtige Bradykardie ausgelöst habe ([X.]). Im Sinne eines multifaktoriellen Geschehens könnten sie jedoch als Todesursache in Betracht kommen ([X.] und mehrfach).

c) Das [X.] hat das Handeln des Angeklagten im Rahmen der Fortsetzung der [X.] als todesursächlich bewertet ([X.]), jedoch seiner rechtlichen Würdigung zugunsten des Angeklagten das multifaktorielle Geschehen zugrunde gelegt, das „nach Auffassung aller Gutachter“ nicht vorhersehbar gewesen sei ([X.]). Es hat weder einen ärztlichen Sorgfaltspflichtverstoß festgestellt noch angenommen, dass der Angeklagte den Verstorbenen rechtswidrig verletzt oder gar fahrlässig seinen Tod verursacht haben könnte.

3. [X.] hat keinen Bestand. Die Beweiswürdigung und die Subsumtion des [X.]s offenbaren durchgreifende Rechtsfehler zugunsten des Angeklagten (vgl. [X.], Urteil vom 18. September 2008 - 5 [X.], [X.], 401, 402 mwN). Dabei ist wegen offensichtlicher Verletzung der Bindungswirkung und rechtlich unzulänglicher Ausschöpfung des festgestellten Sachverhalts nicht nur - was die Nebenklägerin nicht rügen könnte (§ 395 Abs. 2 Nr. 1 [X.]) - eine Verurteilung des Angeklagten wegen Körperverletzung unterblieben, sondern es liegen auch Rechtsfehler bezogen auf die Prüfung einer fahrlässigen Verursachung der Todesfolge vor.

a) Das [X.] hat mehrfach gegen die in § 358 Abs. 1 [X.] normierte Bindungswirkung der dem [X.]surteil vom 29. April 2010 zugrunde liegenden rechtlichen Beurteilung auch in Bezug auf dort benannte Beweiswürdigungsfehler verstoßen (vgl. [X.], Beschluss vom 30. Mai 2000 - 1 [X.], [X.]R [X.] § 358 Abs. 1 Bindungswirkung 2). Der [X.] muss nicht entscheiden, ob schon diese Rechtsfehler, auch in Verbindung mit haltlosen Unterstellungen zugunsten des Angeklagten, geeignet sind, die neu getroffenen Feststellungen insgesamt in Frage zu stellen. Angesichts der nachfolgenden durchgreifenden Einzelbeanstandungen kommt es hierauf nicht an.

b) Die Bewertung der Fortsetzung der [X.] nach dem Notarzteinsatz begegnet durchgreifenden Bedenken, soweit rechtswidrige Körperverletzungshandlungen, [X.] sowie die Vorhersehbarkeit des Todes verneint worden sind. Entgegen der Auffassung der [X.] ergeben die durch sie getroffenen Feststellungen ohne Weiteres die Voraussetzungen einer Körperverletzung mit Todesfolge nach § 227 StGB.

aa) Die bei der Fortsetzung der [X.] durch den Angeklagten vorgenommenen Maßnahmen waren auch nach zum Tatzeitpunkt noch vertretbarer Rechtsansicht (vgl. dazu [X.]St aaO, S. 130 f.) nicht durch § 81a [X.] gerechtfertigt und stellen demgemäß rechtswidrige Körperverletzungshandlungen dar.

(1) Es kann dahingestellt bleiben, ob im Rahmen des § 81a [X.] nicht ein engerer Beurteilungsmaßstab anzulegen ist, als ihn das [X.] verwendet hat (vgl. [X.], [X.], 45. Aufl. 2001, 46. Aufl. 2003, 47. Aufl. 2004, 54. Aufl. 2011, jeweils § 81a Rn. 17 mwN). Jedenfalls hat die [X.] den aktuellen Gesundheitszustand des Verstorbenen (vgl. [X.] aaO) nicht hinreichend in seine - im Übrigen durch keinen der zahlreichen Sachverständigen gestützte - Wertung einbezogen, dass ein erfahrener Facharzt bei Fortsetzung der [X.] nicht mit Nachteilen für dessen Gesundheit habe rechnen müssen. Rechtsfehlerhaft hat sie ferner hinsichtlich der Voraussetzungen des § 81a Abs. 1 Satz 2 [X.] - ebenso wie für die Frage der Pflichtwidrigkeit im Sinne der §§ 222, 227 StGB - darauf abgestellt, dass sich die [X.] aus der Sicht ex post nicht zu ihrer Überzeugung verwirklicht habe ([X.]). Darauf kommt es nicht an. Maßgebend ist nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift, ob bei objektiver Betrachtung der Gefahrenlage aus der Sicht ex ante bei Fortsetzung der [X.] mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit gesundheitliche Nachteile zu erwarten waren (vgl. LR/[X.], [X.], 26. Aufl. 2008, § 81a Rn. 31 mwN; [X.] aaO; siehe auch [X.], Urteil vom 8. Juli 1955 - 5 [X.], [X.]St 8, 144, 147 f.; zum Maßstab für die Pflichtwidrigkeit: [X.], Urteile vom 19. April 2000 - 3 [X.], [X.], 2754, 2758, und vom 14. März 2003 - 2 StR 239/02, [X.], 657, 658). Das ist nach dem durch das [X.] festgestellten Geschehen unzweifelhaft zu bejahen.

Der Gesundheitszustand des Verstorbenen während der ersten [X.]sphase war erkennbar beeinträchtigt (unter anderem Apathie, schweres Atmen, Pupillenengstellung, Sauerstoffsättigungswert von nur 89 %; [X.] ff.), veranlasste den Angeklagten zur Herbeiholung des Notarztes und machte schließlich die Infusion eines Notfallmedikaments (Ringerlösung) sowie die Gabe von Sauerstoff notwendig. Auch in Anbetracht der danach erreichten Zustandsverbesserung verbot sich bei dieser Sachlage unter den strengen medizinischen Voraussetzungen des § 81a [X.] die Fortsetzung der [X.] schon wegen des Risikos erneuten Auftretens der - hinsichtlich ihrer Ursache ungeklärt gebliebenen - Komplikationen. Zudem war der durch konkrete Umstände begründete Verdacht einer Bewusstseinseintrübung gegeben. Er stand den weiteren durch den Angeklagten getroffenen Maßnahmen wegen damit verbundener [X.] zwingend entgegen (vgl. zur Kontraindikation der [X.] auch die Allgemeinverfügung des Leitenden Oberstaatsanwalts beim [X.] Bremen, [X.]). Das [X.] hat es insoweit unterlassen, aus seiner entsprechenden zutreffenden eigenen Bewertung ([X.]) die gebotenen zwingenden Folgerungen auf die klare Rechtswidrigkeit der Eingriffsfortsetzung zu ziehen.

Angesichts der dargetanen und dem Angeklagten bekannten gesundheitlichen Parameter des [X.]im Zeitpunkt des [X.] durfte die [X.] zugunsten des - in der Hauptverhandlung schweigenden - Angeklagten weder eine Simulation der Beeinträchtigungen oder ihrer Schwere durch den Verstorbenen unterstellen ([X.], 24, 26, 101 und mehrfach), noch eine etwa in diese Richtung zielende Annahme des Angeklagten, zu dessen Vorerfahrungen mit [X.] das Schwurgericht - angesichts zu erwartender Dokumentationen schwer verständlich - nichts festzustellen vermochte ([X.]). Entsprechendes gilt mangels objektiver Anhaltspunkte für eine von keinem Zeugen beobachtete kurze (und ohnehin nicht zureichende) Untersuchung der Herz- und Lungenfunktion mittels Stethoskops ([X.]). Dass der Angeklagte selbst bei Fortsetzung der [X.] erneute Verwerfungen für möglich hielt, ergibt sich deutlich aus seiner Bitte an den Notarzt, noch zu bleiben, mit der er sich nach den Feststellungen „ärztlichen Rückhalts“ versichern wollte ([X.]).

(2) Soweit das [X.] eine im Einsatz von Pinzette und Spatel liegende rechtswidrige Körperverletzung und zugleich Sorgfaltspflichtverletzung unter Hinweis auf eine übliche - wenn auch in der für den Angeklagten geltenden Dienstanweisung nicht geregelte - Praxis verneint, hat es gegen die nach § 358 Abs. 1 [X.] verbindliche Rechtsauffassung des [X.]s verstoßen. Das nach nochmaliger Befüllung des Magens mit Wasser gewaltsame Öffnen des [X.] unter größerem Kraftaufwand und das mechanische Auslösen des [X.] mittels Pinzette und Spatels sind offensichtlich unverhältnismäßig, verletzen die Menschenwürde und sind demgemäß auch rückblickend schlechterdings nicht nach § 81a [X.] zu rechtfertigen ([X.]St 55, 121, 133). Lediglich ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass das Untersuchungszimmer nicht mit einem Spatel ausgestattet war, ein solcher vielmehr erst aus dem Rettungswagen geholt werden musste ([X.] 28), was der vom [X.] angenommenen Üblichkeit einer solchen [X.]smethode widerstreiten würde.

bb) Auch am [X.] ist nicht zu zweifeln. Namentlich sind den Feststellungen nicht die Voraussetzungen für einen etwaigen vorsatzausschließenden Erlaubnistatbestandsirrtum (vgl. [X.], Urteil vom 10. Februar 2000 - 4 StR 558/99, [X.]St 45, 378, 384) infolge Verkennung der für den Verstorbenen bestehenden Gefahrenlage zu entnehmen. Die Bitte an den Notarzt, noch zu bleiben (vgl. oben), läuft der Annahme einer in dieser Hinsicht bestehenden Fehlvorstellung des Angeklagten zuwider.

cc) Rechtsfehlerfrei geht das [X.] davon aus, dass der Angeklagte mit den in Fortsetzung der [X.] getroffenen Maßnahmen den Eintritt des [X.] verursacht hat. Auch bei angenommener Todesursache eines multifaktoriellen Geschehens ist der erforderliche Zurechnungszusammenhang keinen Zweifeln ausgesetzt. Denn auch dann hat sich die der Verwirklichung des Grunddelikts eigentümliche tatbestandsspezifische Gefahr im tödlichen Ausgang verwirklicht (vgl. hierzu etwa [X.], Urteile vom 30. Juni 1982 - 2 [X.], [X.]St 31, 96, vom 28. März 2001 - 3 StR 532/00, [X.]R StGB § 227 Todesfolge 1, vom 16. März 2006 - 4 StR 536/05, [X.]St 51, 18, 21, und vom 10. Januar 2008 - 5 [X.], [X.]R StGB § 227 Todesfolge 6). Die etwa mitwirkende unerkannte [X.] des Verstorbenen führt dabei nicht zur Annahme eines außerhalb jeder Lebenswahrscheinlichkeit liegenden, als Verkettung außergewöhnlicher, unglücklicher Umstände anzusehenden und deshalb dem Angeklagten nicht anzulastenden Geschehens (vgl. [X.], Urteil vom 30. Juni 1982 - 2 [X.], [X.]St 31, 96, 100).

dd) Die Würdigung der Vorhersehbarkeit des [X.] ist durchgreifend rechtsfehlerhaft. Das [X.] hat auch hier einen nicht zutreffenden rechtlichen Maßstab angelegt.

Im Rahmen des § 227 StGB ist, weil schon in der Begehung des Grunddelikts eine Verletzung der Sorgfaltspflicht liegt, alleiniges Merkmal der Fahrlässigkeit die Vorhersehbarkeit des [X.] ([X.], Urteile vom 28. März 2001 - 3 StR 532/00, [X.]R StGB § 227 Todesfolge 1, und vom 16. März 2006 - 4 StR 536/05, [X.]St 51, 18, 21). Hierfür ist entscheidend, ob vom Täter in seiner konkreten Lage und nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten der Todeseintritt vorausgesehen werden konnte oder ob aus dieser Sicht die tödliche Gefahr für das Opfer so weit außerhalb der Lebenswahrscheinlichkeit lag, dass die qualifizierende Folge dem Täter deshalb nicht zuzurechnen ist ([X.]St aaO mwN).

An diesen Grundsätzen gemessen steht die Vorhersehbarkeit des [X.] auch auf der Basis des durch das [X.] als todesursächlich unterstellten multifaktoriellen Geschehens nicht in Frage. Zwar konnte der Herzschaden im Zeitpunkt der Fortsetzung der [X.] durch den Angeklagten ohne eingehende körperliche Untersuchung nicht diagnostiziert werden. Ebenso nimmt die [X.] nachvollziehbar an, dass die Einzelheiten des tödlichen Ablaufs nicht absehbar gewesen sind. Das ist jedoch auch nicht erforderlich; denn die - nicht durch den Sachverständigen, sondern in wertender Betrachtung durch den [X.] zu beurteilende - Vorhersehbarkeit muss sich nicht auf alle Einzelheiten des zum Tode führenden Geschehensablaufs, mithin auch nicht auf die konkrete Todesursache erstrecken (vgl. [X.], Urteile vom 26. Februar 1997 - 3 StR 569/96, [X.]R StGB § 226 aF Todesfolge 12, vom 15. November 2007 - 4 [X.], [X.], 686, 687, und vom 10. Juni 2009 - 2 [X.], [X.], 309).

Vorliegend widersprach es gerade ärztlicher Pflicht, die [X.] fortzuführen, nachdem sich der Gesundheitszustand während deren erster Phase so sehr verschlechtert hatte, dass der Angeklagte das Legen einer Verweilkanüle und das [X.] des Notarztes für erforderlich gehalten hatte und nachdem notärztliche Maßnahmen auch tatsächlich durchgeführt worden waren. Zudem setzte der Angeklagte - was von der [X.] nicht erkennbar bedacht worden ist - auf der Basis der Feststellungen zum alternativ denkbaren Kausalverlauf namentlich mit dem noch mindestens zweimaligen Legen der Magensonde sowie dem mit körperlicher Gewalt verbundenen Einsatz von Spatel und Pinzette pflichtwidrig eigenständige Ursachen für den Eintritt der Todesfolge (Auslösen von [X.] bzw. [X.]), wobei nach dem Verlauf der „ersten Phase“ und dem vom [X.] angenommenen „vitalen“ Zustandsbild des Angeklagten dann auch weiteres „Filtern“ durch den Verstorbenen und allein daraus möglicherweise resultierende schädliche Folgen wahrscheinlich waren. Wenn der Arzt unter solchen Vorzeichen lediglich nach Prüfung der „Vitalparameter“ mit [X.] fortfährt, so liegt der Todeseintritt aufgrund mitwirkender Vorschädigung der betroffenen Person nicht so sehr außerhalb der Wahrscheinlichkeit, dass die Voraussehbarkeit für den „erfahrenen Facharzt“ und den Angeklagten persönlich in Zweifel zu ziehen wäre (vgl. auch [X.], Urteile vom 24. Januar 1995 - 1 [X.], [X.]R StGB § 226 aF Todesfolge 9 [„medizinische Rarität“], vom 26. Februar 1997 - 3 StR 569/96, [X.]R StGB § 226 aF Todesfolge 12 [Herzinfarkt infolge [X.]] und vom 10. Juni 2009 - 2 [X.], [X.], 309). Mit Komplikationen auch aufgrund nicht auf den ersten Blick erkennbarer Vorschädigungen muss der Fachkundige - zumal in Ermangelung einer gründlichen Untersuchung - bei einem so gearteten Zwangseingriff vielmehr stets rechnen. Das Wissen um solche Risiken gehört naturgemäß auch zum beruflichen Erfahrungsbereich des nach den Feststellungen der nunmehr entscheidenden [X.] überdies vielfach mit - wenngleich nicht zwangsweise durchgeführten - [X.]en befassten und über deren Risiken wohl informierten (vgl. [X.] 11, 14) Angeklagten.

4. Die Sache bedarf demnach neuer Aufklärung und Bewertung, Letztere unter Beachtung der Rechtsauffassung des [X.]s (§ 358 Abs. 1 [X.]). Die Feststellungen können, auch soweit sie rechtsfehlerfrei getroffen wurden, insgesamt keinen Bestand haben, weil es dem freigesprochenen Angeklagten bislang verwehrt war, die ihn bei [X.] Bewertung belastenden Feststellungen revisionsrechtlich anzugreifen. Die Regelung in § 354 Abs. 2 Satz 1 [X.] ermöglicht dem [X.] im Falle des [X.]s Bremen keine Zurückverweisung an ein anderes Gericht. Der [X.] weist ausdrücklich auf den Fortbestand der Bindung an die gesamte rechtliche Beurteilung in seinem ersten Urteil hin (§ 358 Abs. 1 [X.]) und auch auf die Ausführungen in dieser Entscheidung zur Rechtsfolge ([X.]St 55, 121, 138).

Basdorf                          [X.]

                    [X.]

Meta

5 StR 536/11

20.06.2012

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Bremen, 14. Juni 2011, Az: 607 Js 1237/05 - 22 Ks (7 KLs)

§ 227 StGB, § 81a StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 20.06.2012, Az. 5 StR 536/11 (REWIS RS 2012, 5422)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 5422

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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