Bundessozialgericht, Beschluss vom 31.07.2013, Az. B 5 R 53/13 B

5. Senat | REWIS RS 2013, 3740

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensfehler - Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes - Sachaufklärungspflicht des Gerichts


Tenor

Auf die Beschwerde des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 15. Juni 2012 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Der Kläger begehrt die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

2

Verwaltungs-, Widerspruchs- und Klageverfahren waren erfolglos (Bescheid vom 28.3.2006; Widerspruchsbescheid vom 22.11.2006; Urteil des [X.] vom [X.]). Während des Berufungsverfahrens hat der Kläger mehrfach auf die bei ihm bestehenden, sich verschlimmernden psychischen Störungen - zB Angstneurose, massive Schlafstörungen, Depressionen - hingewiesen und die Einholung eines neuro-psychiatrischen Gutachtens gefordert (ua Schreiben vom 23.6.2011, 14.9.2011, 21.9.2011, "31".9.2011 und 17.2.2012). Mit Schreiben vom 5.10.2011 hat der Kläger die im Verfahren [X.] SB 741/10 ([X.]) von dem dortigen Beklagten überreichte psychiatrische Stellungnahme des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie B. vom 14.9.2011 - [X.] - vorgelegt. Dieser ist unter Auseinandersetzung mit dem Befundbericht der Fachärztin für Psychiatrie [X.] vom [X.] und der Beurteilung der psychologischen Psychotherapeutin Ba. sowie der [X.] vom 23.8.2011 zu dem Ergebnis gelangt, dass aus den vorliegenden Befunden keine wesentlichen Einschränkungen der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit hervorgingen, dies aber nach Aktenlage auch nicht auszuschließen sei und sich bei einer Begutachtung herausstellen könnte.

3

In der mündlichen Verhandlung vom 15.6.2012 hat der Kläger ausgeführt, er frage sich nach wie vor, warum kein [X.] Gutachten eingeholt worden sei.

4

Mit Urteil vom 15.6.2012 hat das [X.] die Berufung des [X.] zurückgewiesen. Für die Einholung eines Gutachtens auf [X.] Fachgebiet bestehe kein Anlass. Die psychischen Leiden des [X.] seien vielmehr aufgrund des Sachverständigengutachtens Dr. Wo. vom 19.9.2006 und des Gutachtens des Neurologen und Psychiaters [X.] vom 14.9.2004 geklärt. Anhaltspunkte für eine Verschlimmerung des psychischen Leidens des [X.] lägen nicht vor. Der Kläger habe erstmals im Laufe des Berufungsverfahrens eine neuro-psychiatrische Begutachtung verlangt, ohne vorzutragen, worin genau sein psychisches Leiden bestehen bzw inwieweit sich ein solches verschlimmert haben könnte. Auch ließen die von den Sachverständigen Dr. S. sowie Prof. [X.]. Ärzte für Orthopädie und Rheumatologie - erhobenen Anamnesen anlässlich der am 2.10.2007 bzw 16.5.2011 durchgeführten ambulanten Untersuchungen keine Rückschlüsse auf [X.] bedingte Funktionsbeeinträchtigungen aufgrund [X.] Zurückgezogenheit und Kontaktarmut zu. Ebenso wenig ergäben sich aus den im Schwerbehindertenverfahren [X.] SB 741/10 eingeholten [X.] Anhaltspunkte für eine rentenberechtigende Verschlimmerung des psychischen Leidens.

5

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt. Er beruft sich auf eine Verletzung der tatrichterlichen Sachaufklärungspflicht iS von § 103 SGG und einen Verstoß gegen seinen Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs iS von § 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG.

6

II. Die zulässige Beschwerde ist begründet.

7

Das angefochtene Urteil beruht auf einem Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 [X.] SGG. Das [X.] hat § 103 SGG verletzt, weil es einem Beweisantrag des [X.] ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

8

Der Kläger hat einen ordnungsgemäßen Beweisantrag gestellt und diesen bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem [X.] aufrechterhalten.

9

War der Beschwerdeführer in der Berufungsinstanz - wie hier - durch keinen rechtskundigen Prozessbevollmächtigten vertreten, sind an Form, Inhalt, Formulierung und Präzisierung eines Beweisantrags verminderte Anforderungen zu stellen ([X.]-1500 § 160 [X.] RdNr 5; BSG Beschluss vom [X.] - [X.] U 403/05 B - Juris RdNr 5; vgl auch [X.]-1500 § 160 [X.]3 Rd[X.]1; [X.] [X.] 3-1500 § 160 [X.]; [X.], [X.], 2. Aufl 2010, RdNr 733). Ein unvertretener Beteiligter muss einen konkreten Beweisantrag nur sinngemäß gestellt haben, dh angeben, welche konkreten Punkte er am Ende des Verfahrens noch für aufklärungsbedürftig gehalten hat und auf welche Beweismittel das Gericht hätte zurückgreifen sollen, um diese weiter aufzuklären (BSG Beschlüsse vom [X.] - B 2 U 80/03 B - Juris RdNr 4 und vom [X.] R 585/09 B - Juris Rd[X.]1).

Diesen Anforderungen hat der Kläger genügt.

Er hat mehrfach schriftlich darauf hingewiesen, dass er unter psychischen Störungen - zB Angstneurose, Schlafstörungen, Depressionen - leide und die Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens gefordert (vgl ua Schreiben vom 23.6.2011, 14.9.2011, 21.9.2011, "31".9.2011 und 17.2.2012). Mit seiner in der mündlichen Verhandlung vom 15.6.2012 abgegebenen Erklärung "Ich frage [X.] nach wie vor, warum kein [X.] Gutachten eingeholt worden ist." hat der Kläger der Tatsacheninstanz auch unmittelbar vor der Entscheidung vor Augen geführt, dass er die Sachaufklärungspflicht des Gerichts noch nicht als erfüllt ansieht. Unter Berücksichtigung seiner schriftlich dargelegten Gesundheitsstörungen auf psychischem Fachgebiet hat der nicht rechtskundig vertretene Kläger zudem hinreichend deutlich gemacht, welche konkreten Tatsachen aufzuklären sind.

Das [X.] ist diesem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt.

Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn das Berufungsgericht objektiv im Rahmen der Amtsermittlungspflicht zu weiterer Sachaufklärung gehalten war, wenn es sich also von seinem Rechtsstandpunkt aus zur beantragten Beweiserhebung hätte gedrängt fühlen müssen (zB BSG Beschlüsse vom [X.] - B 5 R 208/09 B - Juris RdNr 5 und vom 7.4.2011 - [X.] VG 16/10 B - Juris Rd[X.]4, jeweils mwN).

Dies ist zu bejahen.

Für das [X.] war das Ausmaß der Gesundheitsstörungen des [X.] und die hierdurch bedingte Einschränkung seiner Erwerbsfähigkeit entscheidungserheblich. Ausgehend von diesem Rechtsstandpunkt durfte es das psychische Leiden des [X.] nicht aufgrund von neurologisch-psychiatrischen Gutachten aus den Jahren 2006 (Dr. Wo.) und 2004 ([X.]) als geklärt ansehen, nach denen der Kläger damals unter einer Anpassungsstörung bei [X.] Belastungssituation, Mischkopfschmerz bei Migräne und Spannungskopfschmerz, einem Wurzelreizsyndrom [X.] rechts, einer [X.] und allenfalls einer leichten Herzphobie (Dr. Wo.) bzw lediglich Durchschlafstörungen und Kopfschmerzen ([X.]) litt. Demgegenüber beschreibt die Fachärztin für Psychiatrie [X.] in dem im Schwerbehindertenverfahren [X.] SB 741/10 ([X.]) eingeholten Befundbericht vom [X.] eine rezidivierende Depression des [X.], die sie in der Ausprägung als somatoforme Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit einschätzt. Zwar vermag nach Auffassung des [X.] ua der Befundbericht der Ärztin [X.] die abweichenden Diagnosen des Sachverständigen Dr. Wo. nicht zu entkräften, weil er keine konkret erhobenen Befunde angebe, die den Schluss auf ein bestimmtes Leiden rechtfertigten, und sich dem Bericht zudem Äußerungen zu rentenrechtlich bedeutsamen Funktionsbeeinträchtigungen nicht entnehmen ließen. Dass der Befundbericht vom [X.] keine konkret erhobenen Befunde und keine Funktionsbeeinträchtigungen beschreibt, bedeutet indes nicht, dass solche nicht vorhanden sind. Schon deshalb vermag die Schlussfolgerung des [X.], es bestünde kein Anlass zu weiteren Ermittlungen, nicht zu überzeugen. Dies gilt umso mehr, als der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie B. in seiner Stellungnahme vom 14.9.2011 unter Auswertung der Befundberichte [X.] sowie der psychologischen Psychotherapeutin Ba. und der [X.] ausgeführt hat, nach Aktenlage seien wesentliche Einschränkungen der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit nicht auszuschließen und könnten sich bei Begutachtung herausstellen. Angesichts dieser fachkundigen Einschätzung lassen auch die [X.] der Orthopäden und Rheumatologen Dr. S. und [X.]., die nach Auffassung des [X.] keine Anhaltspunkte für psychiatrisch-neurologische Funktionsbeeinträchtigungen des [X.] enthalten, die Klärungsbedürftigkeit seines psychischen Leidens nicht entfallen, zumal das [X.] nicht darstellt, woraus es seine Fachkunde bezieht.

Die angefochtene Entscheidung kann auf der unterlassenen Beweisaufnahme beruhen. Es ist nicht auszuschließen, dass eine Begutachtung des [X.] auf [X.] Fachgebiet ergibt, dass dieser an einem psychischen Leiden erkrankt ist, das seine Erwerbsfähigkeit in einem rentenberechtigenden Ausmaß einschränkt.

Bei dieser Sachlage kann dahinstehen, ob das [X.] auch den Anspruch des [X.] auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt hat.

Zur Vermeidung einer zeitlichen Verzögerung hat der Senat die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen (§ 160a Abs 5 SGG).

Die Kostenentscheidung bleibt der Entscheidung des [X.] vorbehalten.

Meta

B 5 R 53/13 B

31.07.2013

Bundessozialgericht 5. Senat

Beschluss

Sachgebiet: R

vorgehend SG Berlin, 4. April 2011, Az: S 16 R 5526/06, Urteil

§ 103 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 31.07.2013, Az. B 5 R 53/13 B (REWIS RS 2013, 3740)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 3740

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

B 9 SB 18/12 B (Bundessozialgericht)

(Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensfehler - Untersuchungsmaxime - ergänzende Befragung eines nach § 109 …


L 12 SB 2021/19 (Landessozialgericht Baden-Württemberg)


B 13 R 325/13 B (Bundessozialgericht)

Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - mangelhafte gerichtliche Sachaufklärung - Rente wegen Erwerbsminderung


S 2 SB 524/15 (SG Landshut)

Verfahren zur Feststellung der Schwerbehinderung


B 9 SB 93/14 B (Bundessozialgericht)

Nichtzulassungsbeschwerde - sozialgerichtliches Verfahren - Verfahrensfehler - Amtsermittlung - Sachverständigengutachten - keine ausdrücklichen Angaben des …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

2 U 80/03

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.