Bundesgerichtshof, EuGH-Vorlage vom 18.05.2011, Az. VIII ZR 71/10

8. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 6562

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Gegenstand

Vorlage an den Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung: Transparenzerfordernis bei nationalen Regelungen über Preisänderungen in Erdgaslieferungsverträgen mit Haushaltskunden


Leitsatz

Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird folgende Frage zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts gemäß Art. 267 AEUV zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist Art. 3 Abs. 3 in Verbindung mit Anhang A Buchst. b und/oder c der Richtlinie 2003/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 98/30/EG dahin auszulegen, dass eine nationale gesetzliche Regelung über Preisänderungen in Erdgaslieferungsverträgen mit Haushalts-Kunden, die im Rahmen der allgemeinen Versorgungspflicht beliefert werden (Tarifkunden), den Anforderungen an das erforderliche Maß an Transparenz genügt, wenn in ihr Anlass, Voraussetzungen und Umfang einer Preisänderung zwar nicht wiedergegeben sind, jedoch sichergestellt ist, dass das Gasversorgungsunternehmen seinen Kunden jede Preiserhöhung mit angemessener Frist im Voraus mitteilt und den Kunden das Recht zusteht, sich durch Kündigung vom Vertrag zu lösen, wenn sie die ihnen mitgeteilten geänderten Bedingungen nicht akzeptieren wollen ?

Tenor

I. Das Verfahren wird ausgesetzt.

II. Dem [X.] wird folgende Frage zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts gemäß Art. 267 AEUV zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist Art. 3 Abs. 3 in Verbindung mit Anhang A Buchst. b und/oder c der Richtlinie 2003/55/[X.] und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der [X.]/[X.] dahin auszulegen, dass eine nationale gesetzliche Regelung über Preisänderungen in Erdgaslieferungsverträgen mit Haushalts-Kunden, die im Rahmen der allgemeinen Versorgungspflicht beliefert werden (Tarifkunden), den Anforderungen an das erforderliche Maß an Transparenz genügt, wenn in ihr Anlass, Voraussetzungen und Umfang einer Preisänderung zwar nicht wiedergegeben sind, jedoch sichergestellt ist, dass das [X.] seinen Kunden jede Preiserhöhung mit angemessener Frist im Voraus mitteilt und den Kunden das Recht zusteht, sich durch Kündigung vom [X.], wenn sie die ihnen mitgeteilten geänderten Bedingungen nicht akzeptieren wollen?

Gründe

I.

1

Die Beklagte bezieht von der Klägerin, einem [X.], als [X.] im Haushalts-Tarif leitungsgebunden Erdgas für ihr Grundstück in B.    . Der dem Bezug zugrunde liegende [X.] wurde 1991 zwischen der Beklagten und den [X.]        geschlossen, deren Aufgaben inzwischen die Klägerin übernommen hat. Bei Erwerb des Grundstücks vom [X.] hatte die Beklagte in dem notariellen Kaufvertrag versichert, dass sie die dort zu errichtenden Gebäude hauptsächlich mit Erdgas als Energieträger versorgen und den gesamten Bedarf an Gas zur Erzeugung von Raumwärme und Warmwasser von den [X.]      beziehen werde.

2

In der [X.] vom 1. Januar 2005 bis zum 1. Januar 2007 erhöhte die Klägerin den Arbeitspreis für das von ihr gelieferte Gas [X.]; am 1. April 2007 erfolgte eine Senkung des [X.]. Die Beklagte widersprach den auf die Preisänderungen folgenden Jahresabrechnungen der Jahre 2005, 2006 und 2007. Sie hält die Gaspreiserhöhungen der Klägerin für unbillig.

3

Die Klägerin beansprucht die Zahlung der aus den genannten Jahresabrechnungen noch offen stehenden Restbeträge. Das Amtsgericht hat der auf Zahlung von 2.733,12 € nebst Verzugszinsen und Rechtsanwaltskosten gerichteten Klage stattgegeben. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr auf Klageabweisung gerichtetes Begehren weiter.

II.

4

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit für das Vorabentscheidungsverfahren von Interesse, ausgeführt:

5

Die Preiserhöhungen der Klägerin in den Jahren 2005 bis 2007 entsprächen der Billigkeit gemäß § 4 Abs. 1 und 2 [X.] in Verbindung mit § 315 Abs. 3 BGB, da sie im Wesentlichen auf gestiegene Bezugskosten zurückzuführen seien; ferner habe die Klägerin ihre gesunkenen Bezugskosten im April 2007 pflichtgemäß an die Kunden weitergereicht. Die gestiegenen Bezugskosten seien auch nicht durch rückläufige Kosten in anderen Bereichen ausgeglichen worden.

III.

6

Die Entscheidung über den Zahlungsanspruch der Klägerin hängt von der Frage ab, ob bei einem Gasversorgungsvertrag, der von einem [X.] mit einem [X.] im Rahmen der allgemeinen Versorgungspflicht geschlossen worden ist ([X.]vertrag), das in § 4 Abs. 1 und 2 der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Gasversorgung von [X.] vom 21. Juni 1979 ([X.] I S. 676 - [X.]) enthaltene gesetzliche Preisänderungsrecht wirksam ist. Dies wiederum hängt, da § 4 Abs. 1 und 2 [X.] hinsichtlich Anlass, Voraussetzungen und Umfang des dem Versorgungsunternehmen zustehenden einseitigen Leistungsbestimmungsrechts keine näheren tatbestandlichen Konkretisierungen enthält, davon ab, ob solche tatbestandlichen Konkretisierungen von Art. 3 Abs. 3 Satz 4 bis 6 in Verbindung mit [X.]. b oder c der Richtlinie 2003/55/[X.] und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der [X.] ([X.]. [X.] Nr. L 176, [X.]; im Folgenden: [X.]; aufgehoben zum 3. März 2011 durch Art. 53 der Richtlinie 2009/73/[X.] und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/55/[X.], [X.]. [X.] Nr. L 211, [X.]) gefordert werden.

7

1. Im nationalen [X.] Recht waren die allgemeinen Bedingungen, zu denen im streitgegenständlichen [X.]raum [X.] jedermann an ihr Versorgungsnetz anzuschließen und zu allgemeinen Tarifpreisen zu versorgen hatten ([X.]), in den Bestimmungen der [X.] geregelt. Diese Bestimmungen waren nach § 1 Abs. 1 Satz 2 [X.] zugleich unmittelbarer Bestandteil des [X.] mit [X.]. § 4 Abs. 1 und 2 [X.] enthält zur "Art der Versorgung“ unter anderem folgende Regelungen:

(1) Das [X.] stellt zu den jeweiligen allgemeinen Tarifen und Bedingungen Gas zur Verfügung …

(2) Änderungen der allgemeinen Tarife und Bedingungen werden erst nach öffentlicher Bekanntgabe wirksam.

8

Ferner finden sich in § 32 Abs. 1 und 2 [X.] folgende Kündigungsbestimmungen:

(1) Das Vertragsverhältnis läuft solange ununterbrochen weiter, bis es von einer der beiden Seiten mit einer Frist von einem Monat auf das Ende eines Kalendermonats gekündigt wird …

(2) Ändern sich die allgemeinen Tarife oder ändert das [X.] im Rahmen dieser Verordnung seine allgemeinen Bedingungen, so kann der Kunde das Vertragsverhältnis mit zweiwöchiger Frist auf das Ende des der öffentlichen Bekanntgabe folgenden Kalendermonats kündigen.

9

2. Die Rechtsprechung des [X.] entnimmt § 4 Abs. 1 und 2 [X.], dass dem [X.] das Recht zusteht, Preise nach billigem Ermessen (§ 315 des [X.] Bürgerlichen Gesetzbuchs [BGB]) zu ändern.

a) Nach der Rechtsprechung des [X.] kann ein [X.] das ihm nach dem Regelungsgehalt des § 4 Abs. 1 oder 2 [X.] kraft Gesetzes zukommende und dort nach Anlass, Voraussetzungen und Umfang nicht präzisierte Recht zur Preisänderung nicht nach freiem Belieben ausüben; eine solche Preisänderung hat vielmehr gemäß § 315 BGB nach billigem Ermessen zu erfolgen. Sie ist deshalb für den anderen Teil nur verbindlich, wenn sie der Billigkeit entspricht. Zu diesem Zweck kann dieser die Preisänderung auch gerichtlich auf ihre Billigkeit überprüfen lassen ([X.], Urteile vom 13. Juni 2007 - [X.], [X.]Z 172, 315 Rn. 14 ff.; vom 29. April 2008 - [X.], [X.]Z 176, 244 Rn. 26; vom 19. November 2008 - [X.], [X.]Z 178, 362 Rn. 26; vom 15. Juli 2009 - [X.], [X.]Z 182, 41 Rn. 19 f.).

b) Aus dieser gesetzlichen Bindung des allgemeinen Tarifs an den Maßstab der Billigkeit folgt nicht nur die Rechtspflicht des Versorgers, bei einer Preisänderung Kostensenkungen ebenso zu berücksichtigen wie Kostenerhöhungen. Der Versorger ist vielmehr auch verpflichtet, die jeweiligen [X.]punkte einer Preisänderung so zu wählen, dass Kostensenkungen nicht nach für den Kunden ungünstigeren Maßstäben Rechnung getragen wird als Kostenerhöhungen, so dass Kostensenkungen mindestens in gleichem Umfang preiswirksam werden müssen wie Kostenerhöhungen. Die gesetzliche Regelung umfasst daher neben dem Recht des Versorgers zur Preisänderung auch die Pflicht hierzu, wenn die Änderung für den Kunden günstig ist ([X.], Urteile vom 29. April 2008 - [X.], aaO; vom 13. Januar 2010 - [X.], [X.], 481 Rn. 18 mwN).

3. Dieser Sichtweise wird entgegengehalten, sie berücksichtige nicht hinreichend die Vorgaben der bis zum 1. Juli 2004 umzusetzenden [X.] an die Transparenz von [X.]. Namentlich hätten die Mitgliedstaaten nach Art. 3 Abs. 3 Satz 4 der [X.] einen hohen Verbraucherschutz, insbesondere in Bezug auf die Transparenz der allgemeinen Vertragsbedingungen, zu gewährleisten, wozu nach Maßgabe von [X.]. [X.] sicherzustellen sei, dass bei [X.] die Kunden transparente Informationen über geltende Preise und Tarife erhielten. Diese im nationalen Recht umzusetzende Vorgaben seien durch § 4 Abs. 1 und 2 [X.] nicht erfüllt. Weder die Überschrift noch der unmittelbare Wortlaut der Bestimmung offenbare, dass die Vorschrift ein Preisanpassungsrecht enthalte; zudem fehle eine tatbestandliche Konkretisierung von Anlass, Voraussetzungen und Umfang des Leistungsbestimmungsrechts des [X.]s. Das in § 32 Abs. 2 [X.] vorgesehene Kündigungsrecht des Verbrauchers bei Änderung der allgemeinen Tarife stehe nicht in unmittelbarem Bezug zu der Bestimmung, aus der das Preisänderungsrecht folgen solle ([X.], Vorlagebeschluss vom 14. Dezember 2010 - 12 U 49/07, juris Rn. 9, 14, 16; vgl. auch [X.], [X.], 836, 837).

4. Die [X.] bedarf hinsichtlich ihrer inhaltlichen Anforderungen an die Transparenz von Preisänderungsregelungen in Verträgen mit [X.] über die Erdgasversorgung der Auslegung.

a) Nach [X.]. b der [X.] haben die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass die Kunden rechtzeitig über eine beabsichtigte Änderung der Vertragsbedingungen und dabei über ihr Rücktrittsrecht unterrichtet werden. Dabei haben die Dienstleister im Falle einer Gebührenerhöhung ihren Kunden jede Erhöhung mit angemessener Frist, auf jeden Fall jedoch vor Ablauf der normalen Abrechnungsperiode, auf die die Gebührenerhöhung folgt, mitzuteilen; zudem haben die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass es den Kunden freisteht, den [X.], wenn sie die neuen Bedingungen nicht akzeptieren, die ihnen der [X.] mitgeteilt hat.

b) Nach Auffassung des Senats wird aus diesen Regelungen der [X.] deutlich, dass der [X.] Normgeber das Interesse der Versorgungsunternehmen anerkennt, Kostensteigerungen während der Vertragslaufzeit weiterzugeben, ohne die Verträge kündigen zu müssen. Auf den gleichen Erwägungen beruht auch im nationalen [X.] Recht das gesetzliche Preisänderungsrecht gemäß § 4 Abs. 1 und 2 [X.] (jetzt: § 5 Abs. 2 der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Grundversorgung von Haushaltskunden und die Ersatzversorgung mit Gas aus dem Niederdrucknetz [Gasgrundversorgungsverordnung - [X.]] vom 26. Oktober 2006 [[X.] I S. 2391]; vgl. dazu [X.], Urteile vom 15. Juli 2009 - [X.], [X.]Z 182, 59 Rn. 22; [X.], aaO Rn. 24). Aus dem in Art. 3 Abs. 3 Satz 4 der [X.] lediglich in allgemeiner Weise formulierten Transparenzgebot ergeben sich nach Auffassung des Senats jedoch keine Vorgaben, welche der Gültigkeit von § 4 Abs. 1 und 2 [X.] entgegenstehen.

Insbesondere hat der Senat Zweifel, ob die teilweise aus [X.]. [X.] hergeleiteten Transparenzanforderungen, die sich nur auf "geltende Preise und Tarife" beziehen, bei Preisänderungen überhaupt zur Anwendung kommen können. Es spricht mehr dafür, die Anforderungen an künftige Preisänderungen nach den auf diese Fallgestaltung eigens zugeschnittenen Vorgaben von [X.]. b der [X.] als der spezielleren Norm zu bestimmen. Diesen Transparenzanforderungen wird nach Auffassung des Senats die Preisänderungsklausel des § 4 [X.] gerecht. Denn jedenfalls durch eine richtlinienkonforme Auslegung ist sichergestellt, dass der Kunde von einer bevorstehenden Preisänderung so frühzeitig Kenntnis erlangt, dass er neben der ihm durch § 315 BGB eröffneten Möglichkeit einer inhaltlichen Nachprüfung der Preiserhöhung am Maßstab des billigen Ermessens auch ausreichend Gelegenheit hat, sich nach § 32 Abs. 2 [X.] in der Weise vom Versorgungsvertrag zu lösen, dass die Preisänderung ihm gegenüber nicht wirksam wird.

IV.

Die Entscheidung über die Vorlagefrage zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts ist gemäß Art. 267 A[X.]V dem [X.] vorbehalten.

[X.]                 [X.]                Dr. Achilles

         Dr. Fetzer               Dr. Bünger

Meta

VIII ZR 71/10

18.05.2011

Bundesgerichtshof 8. Zivilsenat

EuGH-Vorlage

Sachgebiet: ZR

vorgehend LG Ravensburg, 25. Februar 2010, Az: 1 S 124/09

§ 1 AVBGasV, § 4 AVBGasV, § 32 AVBGasV, Art 267 AEUV, § 315 BGB, Art 3 Abs 3 EGRL 55/2003, Anh A Buchst b EGRL 55/2003, Anh A Buchst c EGRL 55/2003

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, EuGH-Vorlage vom 18.05.2011, Az. VIII ZR 71/10 (REWIS RS 2011, 6562)

Papier­fundstellen: NJW 2016, 3589 WM 2016, 2181 REWIS RS 2011, 6562

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