Bundesfinanzhof, Urteil vom 28.08.2012, Az. I R 10/12

1. Senat | REWIS RS 2012, 3634

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Gegenstand

Verzögerungsgeld: Ermessensausübung - Verhältnismäßigkeitsgrundsatz


Leitsatz

1. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist auch bei der Entscheidung, ob gegenüber dem Steuerpflichtigen ein Verzögerungsgeld nach § 146 Abs. 2b AO in Höhe von mindestens 2.500 € festgesetzt wird, zu beachten. Hiernach ist es dem FA verwehrt, im Rahmen der Ausübung seines sog. Entschließungsermessens von einer Vorprägung in dem Sinne auszugehen, dass jede Verletzung der Mitwirkungspflichten (§ 200 Abs. 1 AO) --unabhängig davon, ob den Steuerpflichtigen ein Schuldvorwurf trifft-- grundsätzlich zur Festsetzung eines Verzögerungsgelds führt .    

2. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz schließt es ferner aus, dass das FA der Ausübung seines Entschließungsermessens die Summe (Bündel) der Pflichtverletzungen zugrunde legt, bei der anschließenden Ermessensentscheidung dazu, ob es --im nämlichen Fall-- angemessen und zumutbar ist, den Mindestsatz zu überschreiten (sog. Auswahlermessen), hingegen auf die einzelne Pflichtverletzung abstellt und diese jeweils --ohne weitere die Gesamtheit der Verstöße betreffende Erwägungen-- in Höhe von 2.500 € (Mindestsatz) sanktioniert

Tatbestand

1

I. Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Festsetzung eines [X.] gemäß § 146 Abs. 2b der Abgabenordnung ([X.]).

2

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --[X.]--) führte ab November 2009 bei der Klägerin und [X.] (Klägerin), einer GmbH, eine Betriebsprüfung (betreffend die Jahre 2005 bis 2007) durch. Am 24./25. November 2009 forderte die Prüferin die Klägerin erstmals auf, Nachweise über die "sonstigen Rückstellungen (management creativ)" sowie die Verträge zwischen der Klägerin und der "[X.]. (Darlehensvertrag, [X.] o.ä.)" vorzulegen und die "Kosten für die Management Fee" zu erläutern. Anlässlich einer Betriebsbesichtigung (1. Dezember 2009) wurde der Prüferin erläutert, dass die angeforderten Unterlagen einem Wirtschaftsprüfungsunternehmen übersandt worden seien. Mit Schreiben vom 14. Dezember 2009 setzte die Prüferin eine Frist zur Vorlage der Unterlagen bis zum 22. Januar 2010; die Frist wurde mit weiterem Schreiben vom 3. Februar 2010 bis zum 25. Februar 2010 verlängert. Nachdem die Klägerin im Rahmen der Schlussbesprechung (23. März 2010) erneut auf die angeforderten Nachweise hingewiesen worden war, teilte der von der Klägerin bevollmächtigte Steuerberater am 12. April 2010 der Prüferin telefonisch mit, dass die Unterlagen unterwegs seien; am 23. April 2010 gab er an, dass die Unterlagen noch nicht vollständig seien, er sie aber am selben Tage absenden würde. Mit Schreiben vom 12. Mai 2010 forderte das [X.] die Klägerin erneut auf, die vorgenannten Nachweise und Unterlagen (betreffend Rückstellung "management creativ; Darlehens- und Managementverträge mit der [X.].; Erläuterung der Kosten der Management Fee") bis 25. Mai 2010 einzureichen; zugleich wies das [X.] darauf hin, dass ein [X.] von mindestens 2.500 € und maximal 250.000 € festgesetzt werde, wenn die Klägerin die Unterlagen nicht fristgerecht und vollständig einreiche.

3

Da die Klägerin auch dieser Aufforderung nicht nachkam, setzte das [X.] mit [X.] vom 31. Mai 2010 ein [X.] in Höhe von 5.000 € fest. Nach dem Begründungsteil des [X.]s ergibt sich dieser Betrag aus der Dauer der Fristüberschreitung sowie daraus, dass die Beendigung der Betriebsprüfung beeinträchtigt worden sei.

4

In dem am 9. Juni 2010 erstellten Prüfungsbericht wurden --jeweils wegen fehlender Nachweise-- die Rückstellungen für "management creativ" zum 31. Dezember 2006 sowie zum 31. Dezember 2007 in Höhe von 20.000 € aufgelöst und die nicht abziehbaren Aufwendungen um die Kosten für die Management Fee (2006: 47.095 €; 2007: 39.038 €) erhöht.

5

Zur Begründung ihres Einspruchs gegen den [X.] vom 31. Mai 2010 hat die Klägerin mit Schreiben vom 30. Juni 2010 vorgetragen, dass --wie der Prüferin bekannt [X.] bei der [X.] im Hinblick auf den geplanten Verkauf der Unternehmensgruppe eine Due Diligence Prüfung vorgenommen werde und deshalb die Erlangung der Unterlagen aus [X.] äußerst schwierig gewesen sei. Die Höhe des [X.] sei [X.] die Klägerin weiter-- unangemessen, die Unterlagen würden spätestens Anfang nächster Woche eingereicht.

6

Der Einspruch wurde mit [X.] vom 30. Juli 2010 zurückgewiesen. Der Tatbestand des § 146 Abs. 2b [X.] sei [X.] das [X.]-- erfüllt. Umstände, die es rechtfertigten, von der Festsetzung eines [X.] abzusehen, lägen nicht vor. Da zwischen der ersten und der letzten Aufforderung ein Zeitraum von mehr als sechs Monaten gelegen habe, seien auch die geltend gemachten Schwierigkeiten bei der Beschaffung der Unterlagen aus [X.] sehr großzügig beachtet worden; zudem habe die Klägerin auf die letzte Fristsetzung (vom 12. Mai 2010) nicht reagiert. Im Hinblick auf die Höhe des [X.] wiederholt die Einspruchsentscheidung zum einen die Erläuterungen des [X.]s vom 31. Mai 2010 (Dauer der Fristüberschreitung; Beeinträchtigung des Prüfungsabschlusses; s.o.); zum anderen führt die Einspruchsentscheidung aus, dass das [X.] für zwei Pflichtverletzungen (kein Nachweis der Rückstellung "management creativ" sowie der Kosten für (die) "Management Fee") jeweils in Höhe des vorgeschriebenen [X.] (2.500 €) festgesetzt worden sei. Schließlich sei auch der Vollzug des [X.] nicht entsprechend der Regelung des § 335 [X.] einzustellen. Die Vorschrift sei auf das [X.], bei der es sich um eine eigenständige steuerliche Nebenleistung handle, nicht anwendbar. Im Übrigen seien die geforderten Nachweise auch im Verlauf des [X.] nicht erbracht worden.

7

Mit der Klage wurde u.a. geltend gemacht, dass die Vertragsunterlagen in [X.] bzw. [X.] zusammengetragen worden und die Unterlagen für die Management Fee nicht auffindbar gewesen seien. Zudem sei die beauftragte Buchhalterin aufgrund der Erkrankung ihres Ehemanns aus einem Urlaub "über den Jahreswechsel" nicht zurückgekehrt. Hinzu komme, dass das [X.] unmittelbar nach der Festsetzung des [X.] den Prüfungsbericht fertiggestellt und die nicht aufgeklärten Sachverhalte zu Lasten der Klägerin gewertet habe. Insbesondere hält die Klägerin die Festsetzung des [X.] für zwei Pflichtverletzungen für unverhältnismäßig. Auch sei die Anforderung über den Nachweis der Kosten für die Management Fee unangemessen gewesen, da sich die Gründe für dieses Entgelt aus der --der Prüferin bekannten-- Gesamtkonstruktion (Gründung einer [X.] [X.] unter Rückgriff auf Erfahrungen und Beratungsleistungen aus [X.]) ergeben hätten.

8

Die Vorinstanz hat der Klage stattgeben (vgl. [X.], Urteil vom 18. Januar 2012  12 K 12205/10, Entscheidungen der Finanzgerichte --E[X.]-- 2012, 898). Dabei hat das [X.] offengelassen, ob bereits deshalb von einem Ermessensfehlgebrauch ausgegangen werden müsse, weil das [X.] auf die Gründe der Säumnis und damit auf [X.] nicht eingegangen sei. Jedenfalls sei ein Ermessensfehler darin zu sehen, dass nicht für sämtliche [X.] ein einheitliches [X.] festgesetzt worden sei. Gegen den vom [X.] beschrittenen Weg --Bemessung des [X.] durch Multiplikation der [X.] mit dem Mindestbetrag (2.500 €)-- spreche nicht nur der Wortlaut des § 146 Abs. 2b [X.], sondern auch, dass die Vorgehensweise des [X.] zu unverhältnismäßigen und willkürlichen Festsetzungen führen könne. Letzteres zeige sich auch im Streitfall, da die Klägerin gegen drei [X.] und Auskunftspflichten verstoßen, das [X.] der Bemessung des [X.] aber nur zwei [X.] zugrunde gelegt habe; umgekehrt sei [X.] man zwischen den angeforderten Darlehens- und Managementverträgen unterscheide-- auch die Annahme von vier Verstößen denkbar gewesen.

9

Mit der vom [X.] zugelassenen Revision rügt das [X.], dass die Festsetzung von [X.]ern nach der Anzahl der [X.] mit dem Wortlaut des § 146 Abs. 2b [X.] vereinbar sei und der Ansicht der Finanzverwaltung entspreche. Auch liege hierin --entgegen der Auffassung der [X.] kein Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, da die Festsetzung eines [X.] auf "wesentliche Fälle" zu beschränken sei und im Hinblick auf die Höhe des festzusetzenden Betrags nach dem Schreiben des [X.] ([X.]) vom 22. April 2010 ([X.] Steuerrecht --DStR-- 2011, 676) unter anderem die Dauer der Fristüberschreitung, die Gründe der Pflichtverletzung, die Häufigkeit der Verzögerung oder Verweigerung sowie das Ausmaß der Beeinträchtigung der Betriebsprüfung zu berücksichtigen seien. Im Streitfall habe das [X.] sein Entschließungsermessen zutreffend ausgeübt; insbesondere habe es --abweichend von den Ausführungen der [X.] erläutert, weshalb die geltend gemachten Schwierigkeiten bei der Beschaffung der angeforderten Unterlagen die Pflichtverletzungen der Klägerin nicht entschuldigt hätten. Zudem habe die Klägerin noch im April 2010 mitgeteilt, dass die Unterlagen nunmehr vorlägen und übersandt würden. Auf den Ausfall der Buchhalterin habe das [X.] nicht eingehen können, da dieser Umstand erstmals im Klageverfahren vorgetragen worden sei; hiervon abgesehen könne er die Nichtvorlage der Unterlagen über Monate hinweg nicht rechtfertigen. Ebenso sei es nicht zu beanstanden, dass das [X.] beide [X.]er --ausgehend von den Erwägungen im Rahmen des [X.] nach dem gesetzlichen Mindestbetrag bemessen habe. Es liege somit keine bloße Vervielfältigung dieses Betrags vor.

Das [X.] beantragt sinngemäß, das Urteil der Vorinstanz aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin hat im Revisionsverfahren keine Stellungnahme abgegeben.

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist nicht begründet und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der [X.]).

1. Nach § 146 Abs. 2b [X.] kann ein [X.] von 2.500 € bis 250.000 € festgesetzt werden, wenn ein Steuerpflichtiger der Aufforderung zur Rückverlagerung seiner elektronischen Buchführung oder seinen Pflichten nach § 146 Abs. 2a Satz 4 [X.], zur Einräumung des Datenzugriffs nach § 147 Abs. 6 [X.], zur Erteilung von Auskünften oder zur Vorlage angeforderter Unterlagen i.S. des § 200 Abs. 1 [X.] im Rahmen einer Außenprüfung innerhalb einer ihm bestimmten angemessenen Frist nach Bekanntgabe durch die zuständige Finanzbehörde nicht nachkommt. Die Vorschrift wurde durch Art. 10 Nr. 8 des Jahressteuergesetzes 2009 vom 19. Dezember 2008 ([X.], 2794, [X.], 74) --[X.] 2009-- mit Wirkung vom 25. Dezember 2008 (Art. 39 Abs. 1 und Abs. 8 [X.] 2009) als neue steuerliche Nebenleistung (§ 3 Abs. 4 [X.]) eingeführt. Sie steht zwar im Zusammenhang mit der ebenfalls durch das [X.] 2009 geschaffenen Regelung in § 146 Abs. 2a [X.], nach welcher das [X.] dem Steuerpflichtigen unter bestimmten Voraussetzungen bewilligen kann, seine Buchführung in das Ausland zu verlagern, und will für den Fall, dass die hierfür erforderlichen Voraussetzungen nicht oder nicht mehr gegeben sind, die zeitnahe Rückführung der Buchführung flankieren (vgl. § 146 Abs. 2a Satz 3 [X.]. Abs. 2b [X.]). Gleichwohl ist in der Rechtsprechung des [X.] ([X.]) anerkannt, dass ein [X.] im Einklang mit dem Wortlaut der Vorschrift sowie der Intention des Gesetzgebers (BTDrucks 16/10189, S. 81: "Vermeidung von Ungleichbehandlungen") auch dann festgesetzt werden kann, wenn der Steuerpflichtige seine Bücher und Aufzeichnungen im Inland führt und aufbewahrt, er jedoch der ihm im Rahmen einer Außenprüfung obliegenden Mitwirkungspflicht zur Erteilung von Auskünften oder zur Vorlage von Unterlagen (§ 200 Abs. 1 [X.]) innerhalb angemessener Frist nicht nachkommt ([X.]-Beschlüsse vom 16. Juni 2011 IV B 120/10, [X.]E 233, 317, [X.], 855; vom 28. Juni 2011 [X.]37/11, [X.]/NV 2011, 1833, jeweils m.w.[X.]).

2. Der [X.] hat es zwar in dem Aussetzungsbeschluss in [X.]E 233, 317, [X.], 855 als i.S. von § 69 Abs. 3 Satz 1 [X.]. Abs. 2 Satz 2 [X.]O ernstlich zweifelhaft angesehen, ob im Hinblick auf die fortdauernde Nichtvorlage derselben Unterlagen ein [X.] mehrfach festgesetzt werden kann (vgl. nunmehr auch BMF-Schreiben vom 28. September 2011, Referat IV A 4, zu Frage 18; abrufbar unter [X.], Suchwort: [X.]; a.A. [X.]/[X.], DStR 2012, 1485). Über die hiervon zu unterscheidende und gleichfalls umstrittene Frage, ob im Falle der Verletzung mehrerer Mitwirkungspflichten für jeden Pflichtverstoß jeweils ein gesondertes [X.] --z.B. in Höhe des [X.] von 2.500 €-- ausgesprochen werden kann, hat der [X.] hingegen noch nicht entschieden. Die Ansichten hierzu sind geteilt. Während nach Auffassung der Finanzverwaltung jede Pflichtverletzung mit einem gesonderten ("getrennten") [X.] belegt werden kann (vgl. BMF-Schreiben vom 28. September 2011, a.a.[X.], zu Frage 17), wird in der Rechtsprechung der [X.] eine Vervielfältigung des Mindestsatzes (2.500 €) entsprechend der Anzahl der [X.] ohne deren eigenständige Gewichtung als ernstlich zweifelhaft angesehen (Beschluss des Hessischen [X.] vom 8. August 2011  8 V 1281/11, E[X.] 2011, 1949; Beschluss des [X.] Hamburg vom 16. November 2011  2 V 173/11, E[X.] 2012, 382). Dem wird im Schrifttum teilweise zugestimmt (z.B. [X.] in Tipke/[X.], Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 146 [X.] Rz 51b); andere vertreten hingegen die Ansicht, dass zwar das [X.] für jede (einzelne) Verletzung der Mitwirkungspflicht ausgesprochen werden könne, jedoch die Aufforderung zur Vorlage mehrerer Urkunden in einem Schriftstück als nur ein Mitwirkungsverlangen zu werten sei und dessen Verletzung nur mit der Festsetzung eines [X.]s sanktioniert werden dürfe ([X.]/[X.], [X.], 11. Aufl., § 146 Rz 36).

3. Das anhängige Verfahren gibt dem [X.] keine Gelegenheit, zu diesem Meinungsstreit abschließend Stellung zu nehmen. Insbesondere hat der [X.] nicht darauf einzugehen, ob dann, wenn beispielsweise im Rahmen einer Außenprüfung die Mitwirkungsverlangen zu verschiedenen [X.] ergehen und der Steuerpflichtige diesen nicht entspricht, das [X.] befugt ist, für die die jeweiligen (einzelnen) Prüfungsfelder betreffenden Verstöße ein gesondertes [X.] auszusprechen, oder ob es hierzu weiterer Voraussetzungen --wie z.B. der zeitlichen Staffelung der [X.] bedarf. Im Streitfall kommt es hierauf nicht an, da selbst dann, wenn man im Falle des Verstoßes gegen mehrere Mitwirkungspflichten die gleichzeitige Festsetzung je eines [X.]s für grundsätzlich zulässig erachten würde, der angefochtene Bescheid --wie vom [X.] im Ergebnis zu Recht erkannt-- aufzuheben wäre.

a) Die Festsetzung des [X.]s erfordert nach § 146 Abs. 2b [X.] neben den zwingenden tatbestandlichen Voraussetzungen (z.B. Nichterfüllung der Mitwirkungspflicht gemäß § 200 Abs. 1 [X.]) eine zweifache Ermessensentscheidung der Behörde, nämlich erstens im Hinblick darauf, ob im jeweiligen Einzelfall ein [X.] festgesetzt wird (sog. Entschließungsermessen), sowie zweitens --falls das Entschließungsermessen zu Lasten des Steuerpflichtigen ausgeübt wird-- eine Entscheidung über die Höhe der Sanktion innerhalb des gesetzlich vorgegebenen Rahmens von mindestens 2.500 € bis höchstens 250.000 € (sog. Auswahlermessen; vgl. insgesamt [X.]-Beschlüsse in [X.]E 233, 317, [X.], 855; in [X.]/NV 2011, 1833). Diese zweistufige Ermessensprüfung entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers: Während der Gesetzentwurf der Bundesregierung --zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (vgl. dazu nachfolgend zu [X.]) --einen behördlichen Ermessensspielraum nur im Hinblick auf die Höhe des [X.]s eröffnen wollte (vgl. BTDrucks 16/10189, S. 26, 81), ist der letzte Halbsatz des § 146 Abs. 2b [X.]-- auf Vorschlag des Finanzausschusses des [X.] (BTDrucks 16/11055, S. 81) mit dem ausdrücklichen Ziel geändert worden ("kann ... festgesetzt werden"), ein "Entschließungsermessen einzufügen" (BTDrucks 16/11108, S. 47).

aa) Der Ermessenscharakter des § 146 Abs. 2b [X.] hat allgemein zur Folge, dass die Finanzgerichte die Festsetzung des [X.]s nur eingeschränkt überprüfen können. Sind die tatbestandlichen Voraussetzungen der Bestimmung gegeben und hat das [X.] den für die Ermessensausübung maßgeblichen Sachverhalt vollständig ermittelt sowie seine Entscheidung hinreichend begründet (§ 121 [X.], ggf. [X.]. § 126 [X.]; vgl. auch § 102 Satz 2 [X.]O), ist der gerichtlichen Kontrolle die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (Einspruchsentscheidung) zugrunde zu legen. Des Weiteren ist die Prüfung nach § 102 Satz 1 [X.]O darauf beschränkt, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten worden sind (sog. Ermessensüberschreitung), ob das [X.] von seinem Ermessen in einer dem Zweck der (Ermessens-)Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht (sog. Ermessensfehlgebrauch) oder ein ihm zustehendes Ermessen nicht ausgeübt hat (sog. Ermessensunterschreitung) oder ob die Behörde die verfassungsrechtlichen Schranken der Ermessensbetätigung, insbesondere also den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz missachtet hat (vgl. zu allem Lange in [X.]/[X.]/[X.] --[X.]--, § 102 [X.]O Rz 61 ff., Rz 86 ff., Rz 94 ff., jeweils mit umfangreichen Nachweisen).

bb) Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, nach dem das eingesetzte Mittel zur Erreichung des angestrebten Zwecks nicht nur erforderlich und geeignet, sondern hierzu auch in einem angemessenen, d.h. für den Betroffenen zumutbaren Verhältnis stehen muss (vgl. [X.] in [X.], § 5 [X.] Rz 169), genießt Verfassungsrang und ist deshalb stets auch bei der Auslegung und Anwendung von Normen des einfachen Rechts --mithin auch bei der Ermessensausübung durch die [X.] zu beachten (vgl. Beschluss des [X.] vom 9. November 1976  2 BvL 1/76, [X.] 43, 101, 106). Hiermit übereinstimmend hat auch der Gesetzgeber durch die Ausgestaltung des § 146 Abs. 2b [X.] als [X.] eine dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechende Handhabung der Vorschrift durch die Finanzbehörden "gewährleisten" wollen (BTDrucks 16/10189, S. 81).

aaa) Danach kann nicht zweifelhaft sein, dass das [X.] die Höhe des [X.]s, dessen Zweck nach herrschender Meinung nicht nur darin zu sehen ist, den Steuerpflichtigen zur zeitnahen Erfüllung seiner Mitwirkungspflichten anzuhalten (BTDrucks 16/10189, S. 81), sondern auch die Verletzung der Mitwirkungspflichten zu sanktionieren (vgl. z.B. [X.]/[X.], a.a.[X.], § 146 Rz 25, m.w.[X.]; kritisch [X.] in Tipke/[X.], § 146 [X.] Rz 48), insbesondere an der Dauer der Fristüberschreitung, den Gründen und dem Ausmaß der Pflichtverletzung/en sowie der Beeinträchtigung der Außenprüfung auszurichten hat (vgl. auch BMF-Schreiben vom 28. September 2011, a.a.[X.]).

bbb) Da aber das [X.] in Höhe von mindestens 2.500 € festzusetzen ist und es sich hierbei nicht um einen [X.] handelt, müssen die nämlichen Merkmale auch bei der Ausübung des sog. [X.], d.h. bei der Entscheidung der Finanzbehörden darüber zum Tragen kommen, ob gegenüber dem Steuerpflichtigen ein [X.] festgesetzt wird. Maßstab auch dieser Ermessensentscheidung des [X.] sowie nachvollziehbarer Gegenstand ihrer Begründung (§ 121 [X.]) muss deshalb sein, ob die Festsetzung eines [X.]s in Höhe der Sanktionsmindestgrenze (2.500 €) mit Rücksicht auf die Umstände der zu beurteilenden Pflichtverletzung/en sowie das Ausmaß der Beeinträchtigung der Prüfung angemessen ist. Demnach ist es ausgeschlossen, im Rahmen des [X.] von einer Vorprägung auszugehen, wonach jede Verletzung der Mitwirkungspflichten (§ 200 Abs. 1 [X.]) --unabhängig davon, ob den Steuerpflichtigen ein Schuldvorwurf trifft-- grundsätzlich zur Festsetzung eines [X.]s führt; erforderlich ist vielmehr auch insoweit eine an der Sanktionsuntergrenze (2.500 €) auszurichtende Würdigung des Einzelfalls. Nur diese Beurteilung stellt sicher, dass die Festsetzung des [X.]s durchgängig den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes entspricht (überwiegende Meinung; z.B. [X.]/[X.], a.a.[X.], § 146 Rz 30; [X.] in: [X.]/v.[X.], 20. Aufl., [X.], § 146 [X.] Rz 14g; [X.] in [X.], [X.], § 146 Rz 49; Göttker in juris Lexikon Steuerrecht, [X.] nach § 146 Abs. 2b [X.], Rz 16 ff.; [X.], Die Unternehmensbesteuerung 2011, 83, 87 f.; [X.]/[X.], DStR 2012, 1485, 1487; [X.] Schleswig-Holstein, Beschluss vom 3. Februar 2010  3 V 243/09, E[X.] 2010, 686; [X.] Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23. Februar 2012  3 V 3006/12, E[X.] 2012, 1225; a.A. insoweit BMF-Schreiben vom 28. September 2011, a.a.[X.], zu Frage 6; [X.], Die steuerliche Betriebsprüfung --[X.]-- 2009, 162, 167; derselbe, [X.] 2009, 196; Geißler, [X.], 4076, 4080).

ccc) Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz erfordert damit zugleich, dass der Gegenstand des [X.] mit demjenigen des Auswahlermessens übereinstimmt. Er ist demnach verletzt, wenn die Entscheidung, ob es überhaupt angemessen ist, ein [X.] in Höhe von mindestens 2.500 € auszusprechen (Entschließungsermessen), aus der Summe (d.h. dem Bündel) der Pflichtverletzungen abgeleitet wird, bei der hieran anschließenden Ermessenentscheidung dazu, ob es --im nämlichen [X.] angemessen und zumutbar ist, den Mindestsatz zu überschreiten (Auswahlermessen), das [X.] hingegen auf die einzelne Pflichtverletzung abstellt und diese jeweils --ohne weitere die Gesamtheit der Verstöße betreffende [X.] in Höhe von 2.500 € (Mindestsatz) sanktioniert. Letzteres kann zur Wahrung des verfassungsrechtlichen Gebots der Verhältnismäßigkeit nur dann in Betracht kommen, wenn das [X.] im Rahmen der Ausübung seines [X.] zu dem nachvollziehbaren und begründeten Ergebnis gekommen ist, dass jede einzelne der in Frage stehenden Mitwirkungspflichten --für sich genommen-- die Belastung des Steuerpflichtigen mit einem [X.] in Höhe von mindestens 2.500 € rechtfertigt.

b) Demnach kann im Streitfall die Festsetzung des [X.]s gegenüber der Klägerin keinen Bestand haben. Dabei kann unentschieden bleiben, ob --was dem [X.] naheliegend erscheint-- der Bescheid vom 31. Mai 2010 (in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 30. Juli 2010) auf die Festsetzung nur eines [X.]s gerichtet ist, dessen Höhe (5.000 €) aus der Verdoppelung des Mindestsatzes abgeleitet wurde (Variante 1), oder ob die Einspruchsentscheidung dahin zu verstehen sein könnte, dass gegenüber der Klägerin in zusammengefasster Form sowohl für die Nichtvorlage der Nachweise zur Rückstellung "management creativ" als auch angesichts der fehlenden Erläuterungen und Nachweise bezüglich der "[X.]" jeweils ein [X.] in Höhe von 2.500 € ausgesprochen worden ist (Variante 2).

Der von der Klägerin angefochtene Bescheid ist ungeachtet dieses Auslegungsspielraums zum einen bereits deshalb ermessensfehlerhaft, weil das [X.] der Ausübung seines [X.] (Entscheidung über die Festsetzung eines [X.]s) die Nichtvorlage der angeforderten prüfungsrelevanten Unterlagen und Erläuterungen und damit eine zusammenfassende Würdigung aller Pflichtverletzungen der Klägerin zugrunde gelegt hat, und es hiernach gemäß den vorstehenden Erläuterungen ausgeschlossen ist, diesen Beurteilungsgegenstand im Rahmen des Auswahlermessens aufzulösen, d.h. für jede einzelne Verletzung der Mitwirkungspflichten ein [X.] in Höhe von 2.500 € anzusetzen ([X.] 1) oder festzusetzen ([X.] 2). Zum anderen kann der Bescheid auch deshalb keinen Bestand haben, weil auch Ermessensentscheidungen zu begründen sind (§ 121 [X.]; Lange in [X.], § 102 [X.]O Rz 89) und sich weder der Einspruchsentscheidung noch dem Bescheid vom 31. Mai 2010 mit der gebotenen Sicherheit entnehmen lässt, dass das [X.] sein Entschließungsermessen über die Festsetzung des [X.]s mit Rücksicht auf die Sanktionsuntergrenze von 2.500 € ausgeübt hat. Vielmehr legt die Einspruchsentscheidung die Vermutung nahe, dass die Behörde --im Einklang mit der Verwaltungspraxis (vgl. BMF-Schreiben vom 28. September 2011, a.a.[X.], dort zu Frage 6)-- von einer verschuldensunabhängigen Vorprägung ihrer Ermessensbefugnis in dem Sinne ausgegangen ist, dass die Verletzung der Mitwirkungsverpflichtungen grundsätzlich die Sanktion des [X.]s trage. Ein solches Verständnis ist jedoch mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht vereinbar.

4. Da die gerichtliche Kontrolle darauf beschränkt ist, die Ermessensentscheidung des [X.] in den aufgezeigten Grenzen zu überprüfen und dem [X.] hiernach auch nicht die Befugnis zusteht, sein eigenes Ermessen an die Stelle der Verwaltungsbehörde zu setzen (vgl. z.B. [X.]-Urteile vom 13. Januar 2005 V R 35/03, [X.]E 208, 398, [X.], 460; vom 14. März 2012 XI R 28/09, [X.]/NV 2012, 1493, jeweils m.w.[X.]), war der angefochtene Bescheid ungeachtet dessen aufzuheben, ob im Rahmen einer fehlerfreien Ermessensausübung die Festsetzung eines [X.]s --sei es in Höhe von 5.000 €, sei es mit einem geringeren Betrag-- hätte gerechtfertigt sein können.

Meta

I R 10/12

28.08.2012

Bundesfinanzhof 1. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 18. Januar 2012, Az: 12 K 12205/10, Urteil

§ 146 Abs 2b AO, § 200 Abs 1 AO, § 5 AO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 28.08.2012, Az. I R 10/12 (REWIS RS 2012, 3634)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 3634

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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