Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.04.2019, Az. 4 StR 41/19

4. Strafsenat | REWIS RS 2019, 7918

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Gegenstand

Strafrechtsgeltung bei Auslandstat eines Ausländers


Tenor

1. Dem Angeklagten wird auf seinen Antrag und seine Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des [X.] vom 22. Oktober 2018 gewährt; damit ist der Beschluss des [X.] vom 4. Januar 2019 gegenstandslos.

2. Auf die Revision des Angeklagten gegen das vorgenannte Urteil wird

a) das Verfahren auf den Vorwurf des Angriffs auf den Seeverkehr beschränkt;

b) der Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des Angriffs auf den Seeverkehr schuldig ist;

c) der Ausspruch über die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 78.756 € dahin ergänzt, dass die Einziehung als Gesamtschuldner angeordnet wird.

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

4. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Angriffs auf den Seeverkehr in Tateinheit mit erpresserischem Menschenraub und besonders schwerer räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Dagegen hat der Angeklagte eine auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision eingelegt und die Wiedereinsetzung in die [X.] beantragt. Der Wiedereinsetzungsantrag hat Erfolg. Das Rechtsmittel führt zu einer Beschränkung der Strafverfolgung nach § 154a Abs. 2 StPO sowie zu der aus dem Tenor ersichtlichen Änderung des Schuldspruchs und der Einziehungsentscheidung; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

2

1. Dem Wiedereinsetzungsantrag ist aus den Gründen der Antragsschrift des [X.] vom 1. Februar 2019 zu entsprechen. Damit ist der gemäß § 346 Abs. 1 StPO erfolgte Verwerfungsbeschluss des [X.]s Zweibrücken vom 4. Januar 2019 gegenstandslos (vgl. [X.], Beschlüsse vom 24. Januar 2017 - 3 [X.], [X.], 148; vom 11. Januar 2016 - 1 [X.], [X.], 163, 164).

3

2. Mit Zustimmung des [X.] hat der [X.] die Strafverfolgung aus prozessökonomischen Gründen auf den [X.] beschränkt (§ 154a Abs. 2 StPO).

4

a) Nach den Feststellungen hat der Angeklagte die [X.] Staatsangehörigkeit. Er war Mitglied einer Gruppe von Piraten, die am 10. Mai 2012 den unter [X.] Flagge fahrenden Öltanker [X.]in internationalen Gewässern mit Sturmgewehren enterten und die [X.], [X.] und [X.] Besatzungsmitglieder überwältigten. Die Piraten brachten das Schiff vor die Küste von [X.] und hielten es dort ca. zehn Monate fest. Nachdem die Reederei ein Lösegeld von 13 Millionen US-Dollar gezahlt hatte, gaben sie das Schiff und die Besatzung frei. Der Anführer der Piraten teilte das Lösegeld unter den Tatbeteiligten auf. Der Angeklagte erhielt als Mitglied der Angriffsmannschaft eine Entlohnung von 100.000 US-Dollar (78.756 €). Nach der Tat reiste er nach [X.] und stellte einen Asylantrag. Er wurde in K.      festgenommen.

5

b) Die Verfahrensbeschränkung erfolgt, weil die Anwendbarkeit des [X.] Strafrechts auf die tateinheitlich verwirklichten Delikte des erpresserischen Menschenraubs und der besonders schweren räuberischen Erpressung zweifelhaft ist und der Verurteilung des Angeklagten insoweit ein Verfahrenshindernis entgegenstehen kann.

6

aa) Der Anwendungsbereich des § 6 Nr. 3 StGB ist nach seinem Wortlaut auf Angriffe auf den Luft- und Seeverkehr begrenzt. Eine Annexkompetenz lässt sich in der vorliegenden Fallkonstellation für die tateinheitlichen Delikte nicht herleiten, weil die hierfür erforderliche enge tatbestandliche Verknüpfung mit dem [X.] nicht besteht (vgl. [X.], Urteil vom 30. April 1999 - 3 [X.], [X.]St 45, 64, 71; Beschluss vom 17. Mai 1991 - 2 [X.], NJW 1991, 3104; Urteil vom 22. Januar 1986 - 3 [X.], [X.]St 34, 1, 2 f.).

7

bb) Die Anwendung des [X.] Strafrechts kann auch nicht auf § 6 Nr. 9 StGB gestützt werden. Die hierfür erforderliche völkerrechtliche Verfolgungspflicht lässt sich weder dem Seerechtsübereinkommen der [X.] vom 10. Dezember 1982 ([X.] [X.]) noch dem Übereinkommen zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Seeschifffahrt vom 10. März 1988 ([X.] [X.]) entnehmen (vgl. [X.], Urteil vom 19. Oktober 2012 - 603 KLs 17/10, juris Rn. 817; LK-StGB/Werle/Jeßberger, 12. Aufl., Vor §§ 3 ff. Rn. 96; [X.]/Böse, 5. Aufl., § 6 Rn. 18; [X.]/[X.]/[X.], [X.] 2011, 191, 221; [X.], [X.], 307, 310).

8

cc) Zwar ist das [X.] zutreffend davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen des § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB in Bezug auf den Heimatstaat des Angeklagten vorliegen. Abgesehen davon, dass es sich bei [X.] - wie das [X.] festgestellt hat - um einen sog. „failed state“ handelt, weil das dortige Justizsystem zusammengebrochen ist, ist eine Auslieferung in diesen Staat schon deshalb nicht möglich, weil mit diesem Staat kein Auslieferungsverkehr stattfindet (vgl. [X.] Anhang II - Länderteil).

9

Ungeklärt ist aber bislang, ob eine Auslieferung des Angeklagten in einen anderen ausländischen Staat, namentlich die [X.] der geschädigten Besatzungsmitglieder und der Reederei, in Betracht gekommen wäre. Nach dem in der Vorschrift des § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB enthaltenen Prinzip der „stellvertretenden Strafrechtspflege“ gilt das [X.] Strafrecht für die Tat eines Ausländers im Ausland dann, wenn der in der [X.] betroffene Täter andernfalls ohne Strafe bliebe, weil die ausländische Strafrechtspflege nicht wirksam werden kann. Das Prinzip folgt aus dem Interesse daran, dass ein ausländischer Straftäter durch Eintritt in den Staat, der ihn ergreift, aber nicht ausliefert oder ausliefern kann, einer gerechten Verfolgung nicht entgeht (vgl. [X.], Beschluss vom 24. Juli 1985 - 2 StR 368/85, [X.], 545 mwN). Dieses Prinzip ist lediglich eine subsidiäre Ergänzung der Strafgewalt anderer [X.] (vgl. [X.], Beschluss vom 12. Juli 2001 - 1 [X.], NJW 2001, 3717, 3718 mwN; [X.], Internationales Strafrecht, 2. Aufl., Rn. 818, 824). Die [X.] Strafgewalt soll bei [X.] dann an die Stelle des an sich zur Verfolgung berufenen ausländischen Staates treten, wenn dieser die Tat nicht verfolgen kann oder will (vgl. [X.], NStZ 1994, 266, 268). Hier ist jedoch bislang ungeklärt, ob der Angeklagte etwa an einen Heimatstaat eines geschädigten Besatzungsmitglieds ausgeliefert werden könnte, der aufgrund des passiven Personalitätsprinzips zur Verfolgung des [X.] berufen ist (vgl. [X.], Internationales Strafrecht, 2. Aufl., Rn. 813, 818, 824, 828 ff., 840; [X.] in [X.], [X.]; [X.], [X.] der Übernahme von Verfahren im Rahmen der stellvertretenden Strafrechtspflege, S. 98 f.).

3. Die Verfahrensbeschränkung hat die aus dem Tenor ersichtliche Änderung des Schuldspruchs zur Folge. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der [X.] hat im verbleibenden Umfang beim Schuld- und Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

Der Strafausspruch kann trotz der Schuldspruchänderung bestehen bleiben. Das [X.] hat der Strafzumessung den Strafrahmen des § 316c StGB zugrunde gelegt. Nicht strafschärfend berücksichtigt hat es, dass der Angeklagte durch die Tat mehrere Straftatbestände verwirklicht hat. Die lange Festhaltedauer der Besatzungsmitglieder und die Zahlung des hohen Lösegeldes durften als verschuldete Auswirkungen der Tat im Sinne von § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB strafschärfende Berücksichtigung finden. Angesichts dieser Umstände kann der [X.] sicher ausschließen, dass die Schuldspruchänderung Einfluss auf die Strafe gehabt hätte.

4. Allerdings bedarf die Anordnung der Einziehung des Wertes von Taterträgen der Ergänzung um eine gesamtschuldnerische Haftung. Der Angeklagte und der Anführer der Piraten hatten [X.] über die 100.000 US-Dollar (78.756 €), die der Angeklagte aus dem vereinnahmten Lösegeld als Entlohnung für die Tat erhielt. Beide haften für diesen Betrag als Gesamtschuldner, was im Urteil ausdrücklich anzuordnen ist (vgl. [X.], Urteil vom 4. Oktober 2018 - 3 StR 251/18, [X.], 150; Beschluss vom 2. April 2019 - 3 StR 24/19).

5. Der geringe Teilerfolg der Revision lässt es nicht unbillig erscheinen, den Angeklagten mit den Kosten seines Rechtsmittels zu belasten (vgl. § 473 Abs. 4 Satz 1 StPO).

Sost-Scheible     

        

Roggenbuck     

        

Quentin

        

Feilcke     

        

Bartel     

        

Meta

4 StR 41/19

23.04.2019

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Zweibrücken, 4. Januar 2019, Az: 4142 Js 4365/18 jug - 2 KLs

§ 7 Abs 2 Nr 2 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.04.2019, Az. 4 StR 41/19 (REWIS RS 2019, 7918)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 7918

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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