Bundesgerichtshof, Beschluss vom 04.04.2018, Az. 1 StR 105/18

1. Strafsenat | REWIS RS 2018, 11307

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Gegenstand

Auslandstat: Anwendbarkeit deutschen Rechts; Heilung eines Gehörverstoßes im Rahmen des Freibeweisverfahrens


Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 24. November 2017 wird mit der Maßgabe verworfen, dass der Angeklagte zu der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt ist.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs in drei Fällen jeweils in Tateinheit mit gewerbs- und bandenmäßiger Urkundenfälschung zu einer „Freiheitsstrafe“ von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt.

2

Seine dagegen gerichtete Revision erweist sich als unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. [X.] Erörterung bedarf lediglich Folgendes:

3

1. In Bezug auf die am 12. Oktober 2016 in [X.] begangene Tat des Angeklagten, der [X.] Staatsangehöriger ist, begründet § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB im Rahmen stellvertretender Strafrechtspflege die Anwendbarkeit [X.] Strafrechts. Ein Verfahrenshindernis (vgl. [X.], Urteil vom 7. Fe-bruar 1995 - 1 [X.], [X.], 440, 441; LK-StGB/Werle/Jeßberger, 12. Aufl., § 7 Rn. 118) besteht daher nicht.

4

Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen landgerichtlichen Feststellungen legte der Angeklagte zur Anmietung eines Mietfahrzeugs der Autovermietung [X.]     in deren Filiale am [X.]      einen gefälschten, auf einen Aliasnamen lautenden [X.] und einen ebenfalls gefälschten [X.] Führerschein vor, um in den Besitz des Wagens zu gelangen, der später von Tatbeteiligten in [X.] veräußert werden sollte. Für diese durch einen ausländischen Täter begangene [X.] liegen die Voraussetzungen des § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB vor.

5

a) Die fragliche Tat (zum Tatbegriff [X.] in [X.] Kommentar zum StGB, 3. Aufl., § 7 Rn. 6 ff. [X.]) war nach dem maßgeblichen [X.] Tatortstrafrecht jedenfalls gemäß §§ 146, 147 Abs. 1 erster Fall und Abs. 2, § 148 des [X.] Strafgesetzbuchs mit Strafe bedroht (vgl. auch Übernahmeersuchen der Staatsanwaltschaft [X.] an die Staatsanwaltschaft [X.] vom 10. April 2017, [X.]att 580 und 580 Rückseite der [X.]). Zudem ist der Angeklagte im Inland, nämlich am [X.]  , festgenommen worden.

6

b) Obwohl die Tat auslieferungsfähig ist, fehlt es an einer Auslieferung, weil seitens der [X.] [X.] eine Auslieferung nicht begehrt wird und seitens der [X.]ischen [X.] ein Auslieferungsersuchen nicht innerhalb angemessener Frist gestellt worden ist.

7

aa) In [X.] war durch die Staatsanwaltschaft [X.] unter dem dortigen Aktenzeichen         gegen den Angeklagten wegen der hier verfahrensgegenständlichen Tat vom 12. Oktober 2016 ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren geführt worden. Insoweit hatte die Staatsanwaltschaft [X.] durch Schreiben vom 10. April 2017 die Staatsanwaltschaft [X.] (zum Aktenzeichen               ) um die Übernahme der Strafverfolgung wegen dieser Tat ersucht (siehe [X.]. 580-582 der [X.]). Dem ist die Staatsanwaltschaft [X.] nachgekommen (vgl. [X.]. 661 der [X.]) und hat unter dem vorgenannten Aktenzeichen Anklage gegen den Angeklagten auch wegen der auf [X.] Staatsgebiet begangenen Tat erhoben. Angesichts des Übernahmeersuchens ist ein Auslieferungsbegehren der [X.] [X.] ausgeschlossen.

8

bb) Ausweislich des Vermerks der [X.] ([X.].:                ) vom 7. November 2017 sind die [X.] Behörden unter Fristsetzung bis zum 6. November 2017 um Mitteilung ersucht worden, ob wegen der hier fraglichen Tat vom 12. Oktober 2016 in [X.] die Auslieferung des Angeklagten begehrt wird ([X.]. 760 der [X.]). Wie sich aus dem Vermerk weiter ergibt, war eine Rückmeldung der [X.] Behörden bis einschließlich 7. November 2017 ausgeblieben. Eine solche ist auch später nicht erfolgt.

9

Der Senat hat durch Nachfrage bei der [X.] zu dem im vorstehenden Absatz genannten Aktenzeichen ermittelt, ob auf das Telefax der [X.] Behörden noch bis zur Entscheidung des Senats über die Revision des Angeklagten ein Auslieferungsersuchen der [X.]ischen [X.] gestellt worden oder eine Reaktion auf die Nachfrage erfolgt ist. Dies war nicht der Fall. Da weder der Tatortstaat noch der Heimatstaat des Angeklagten trotz Eröffnung dieser Möglichkeit die Auslieferung erstreben, war und ist die Anwendung [X.] Strafrechts eröffnet. Ein Verfahrenshindernis bzgl. der Tat vom 12. Oktober 2016 besteht nicht.

c) Angesichts des Vorstehenden kann offen bleiben, ob die Voraussetzungen des § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB zum Zeitpunkt der Entscheidung des [X.] zu dessen Überzeugung feststehen müssen (so etwa [X.], Urteil vom 30. April 1999 - 3 [X.], [X.]St 45, 64, 73) oder ob der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Auslieferungsfähigkeit im Sinne von § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB der Zeitpunkt der Urteilsverkündung in der (letzten) Tatsacheninstanz ist (in diese Richtung [X.], Beschluss vom 12. Juli 2001 - 1 [X.], [X.], 588 f.). Denn zu beiden Zeitpunkten war aufgrund stellvertretender Strafrechtspflege inländisches Strafrecht auf die Tat anwendbar.

2. Auch eine zunächst unzureichende Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) durch das [X.] führt nicht zu einem Teilerfolg des Rechtsmittels. Zwar beanstandet die Revision mit Schreiben vom 22. Februar 2018 im rechtlichen Ausgangspunkt zu Recht, die seitens des [X.]s freibeweislich erhobenen tatsächlichen Umstände zum Vorliegen der Voraussetzungen des § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB (vgl. dazu Vermerk der Vorsitzenden vom 26. Januar 2018, [X.]. 873 f. der [X.]) seien nicht zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht worden. Die darin ursprünglich liegende Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG im Rahmen des [X.] (vgl. [X.], Urteil vom 13. Juli 1966 - 2 [X.], [X.]St 21, 85, 87; [X.]/[X.], 7. Aufl., § 244 Rn. 17) führt jedoch nicht zur Teilaufhebung des angefochtenen Urteils. Die zunächst unterbliebene Gewährung rechtlichen Gehörs hat sich zum einen im Ergebnis nicht zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt, und zum anderen hat er im Rahmen des Revisionsverfahrens zu sämtlichen - bereits in der Antragsschrift des [X.] aufgezeigten - hier bedeutsamen tatsächlichen und rechtlichen Umständen Stellung nehmen können.

Aufgrund der durch den Senat selbst freibeweislich durchgeführten Ermittlungen steht fest, dass die Voraussetzungen des § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB hinsichtlich der (möglichen) Auslieferung an den Heimatstaat [X.] auch zum Zeitpunkt der Verkündung des tatgerichtlichen Urteils vorlagen. Von den zugrunde liegenden tatsächlichen Umständen hat die Revision jedenfalls aufgrund der Antragsschrift des [X.] Kenntnis erhalten und sich zu diesen in dem genannten Schriftsatz vom 22. Februar 2018 geäußert. Dieser ist Gegenstand der Senatsberatungen gewesen.

Hinsichtlich einer rechtlich grundsätzlich möglichen Auslieferung des Angeklagten an den Tatortstaat [X.] war der Revision das an die Staatsanwaltschaft [X.] gerichtete Übernahmeersuchen der Staatsanwaltschaft [X.] ([X.]. 580-582 der [X.]) bereits aufgrund der gewährten Akteneinsicht bekannt; denn das Ersuchen war Bestandteil derjenigen Akten, bezüglich derer die Revision bereits nach ihrem eigenen Vorbringen (Seite 1 des Schreibens vom 22. Februar 2018) Einsicht genommen hatte.

3. Der Strafausspruch enthält aus den Gründen der Antragsschrift des [X.] keinen dem Angeklagten nachteiligen Rechtsfehler.

Allerdings ändert der Senat in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO den Strafausspruch dahingehend ab, dass der Angeklagte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt ist. Ungeachtet des Umstandes, dass auch bereits die verkündete Urteilsformel auf eine entsprechende „Freiheitsstrafe“ lautete, belegen der wegen drei Taten erfolgte Schuldspruch, die getroffenen Feststellungen sowie die Strafzumessungserwägungen unzweifelhaft und für die Verfahrensbeteiligten ohne Weiteres erkennbar die vom [X.] eigentlich gemeinte Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe.

Graf     

        

Jäger     

        

Bellay

        

Radtke     

        

Hohoff     

        

Meta

1 StR 105/18

04.04.2018

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG München I, 24. November 2017, Az: 10 KLs 386 Js 120709/17

§ 7 Abs 2 Nr 2 StGB, Art 103 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 04.04.2018, Az. 1 StR 105/18 (REWIS RS 2018, 11307)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 11307

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

3 StR 160/22

1 StR 105/18

1 StR 447/20

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