Bundessozialgericht, Urteil vom 21.06.2011, Az. B 1 KR 18/10 R

1. Senat | REWIS RS 2011, 5608

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Krankenversicherung - Richtlinien über künstliche Befruchtung - ICSI - kein Anspruch des Versicherten gegenüber Krankenkasse bei Nichterfüllung der festgelegten Grenzwerte für Indikation - Rechtmäßigkeit der Grenzwerte auch für Fälle uneinheitlicher Befunde - Verfassungsmäßigkeit


Leitsatz

1. Versicherte haben gegen ihre Krankenkasse keinen Anspruch auf eine künstliche Befruchtung mittels ICSI, wenn die in den Richtlinien über künstliche Befruchtung rechtmäßig festgelegten Grenzwerte für die Indikation nicht erfüllt sind.

2. Die Richtlinien über künstliche Befruchtung haben im August 2006 rechtmäßige Grenzwerte für die ICSI-Indikation auch für Fälle uneinheitlicher Befunde festgelegt.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 20. Mai 2010 aufgehoben. Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des [X.] vom 8. April 2008 wird zurückgewiesen.

Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Erstattung der hälftigen Kosten für eine Maßnahme der künstlichen Befruchtung durch eine Intracytoplasmatische Spermieninjektion ([X.]) im August 2006.

2

Bei der [X.] werden nach Hormonbehandlung durch Follikelpunktion gewonnene Eizellen durch Einführung eines Spermiums mit Hilfe einer mikroskopischen Nadel befruchtet und der so erzeugte Embryo in den Körper der Frau übertragen (Embryotransfer). Der 1963 geborene Kläger und die 1967 geborene Klägerin, seine Ehefrau, sind bei der beklagten [X.] ([X.]) versichert. Der Kläger leidet an einer Oligoasthenozoospermie (herabgesetzte Zahl und Beweglichkeit der Spermien). Seine Spermiogramme vom 29.10.2003, 3.12.2003 und 13.4.2005 wiesen keine Angaben zu Gesamtmotilität sowie Form der Spermien, jeweils [X.] von 1,87, 0,31 und 1,56 [X.]/ml (Nativsperma) und eine Progressivmotilität von 25 %, 25 % und 66 % aus. Deshalb beantragte der Kläger zugleich auch für seine Ehefrau im Juni 2005 die Übernahme der Kosten für eine künstliche Befruchtung mittels [X.]. Angesichts der geringen Spermienkonzentration von unter 10 [X.]/ml habe nämlich eine [X.] (In-Vitro-Fertilisation) keine hinreichende Erfolgsaussicht. Die Beklagte lehnte den Antrag ab, weil die Voraussetzungen der Richtlinien über ärztliche Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung (idF vom [X.], BAnz [X.] vom [X.], [X.], <[X.] über künstliche Befruchtung>) nicht gegeben seien. Eine Behandlung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung ([X.]) komme mithin nicht in Betracht (Bescheid vom 19.7.2005, Widerspruchsbescheid vom 14.12.2005). Die Eheleute ließen ua im August 2006 eine [X.]-Behandlung durchführen, für die sie Kosten von 6052,52 Euro trugen.

3

Das [X.] hat die Klage abgewiesen (Urteil vom [X.]). Auf die Berufung der Kläger hat das L[X.] antragsgemäß die Beklagte verurteilt, 3026,26 Euro (die Hälfte der Kosten der [X.]-Behandlung von August 2006) an die Kläger zu zahlen. Es hat zur Begründung ua ausgeführt: Nach [X.] 11.5 der [X.] über künstliche Befruchtung seien zwar die Voraussetzungen für eine Behandlung mittels [X.] nicht gegeben, weil die bei uneinheitlichen Befunden entscheidende Progressivmotilität die [X.]-Grenzwerte nicht unterschritten habe. Die [X.] über künstliche Befruchtung seien hinsichtlich der Grenzwerte für die Progressivmotilität indessen nicht mit höherrangigem Recht vereinbar. Es bestehe eine Lücke, die den Wertungen des § 27a [X.]B V widerspreche. Denn bei [X.] von unter 5 [X.]/ml seien nach den Angaben des medizinischen Sachverständigen ca 95 % der Labore nicht bereit, Versicherte einer Behandlung allein mittels [X.] zu unterziehen, weil dies aussichtslos sei. Liege aber gleichzeitig eine Progressivmotilität von 25 % und mehr vor, seien diese Versicherten auch von einer Behandlung mittels [X.] ausgeschlossen, weil insoweit die nach den [X.] über künstliche Befruchtung maßgeblichen Grenzwerte überschritten seien. [X.] und unhaltbare Zustände seien die Folge. Wenn nämlich von nur 10 Spermien/ml sich zwei Spermien schnell bewegten, läge eine Progression von 20 % vor und sei die Indikation für eine Behandlung mittels [X.] nicht erfüllt. Umgekehrt sei die Indikation für [X.] bei 15 % von 9 [X.]/ml (1 350 000) erfüllt, nicht jedoch beim Kläger mit Werten von 467 500 (25 % von 1,87 [X.]) bzw 77 500 (25 % von 0,31 [X.]). Bei derart geringen Konzentrationen spiele nach den Angaben des medizinischen Sachverständigen die Motilität und Morphologie für [X.] keine entscheidende Rolle (Urteil vom 20.5.2010).

4

Mit der vom L[X.] zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung von § 27a [X.]B V iVm § 12 Abs 1 und § 2 Abs 1 Satz 3 [X.]B V. Neben den speziellen Wertungen des § 27a [X.]B V seien die allgemeinen Anforderungen an Leistungen der [X.] und insbesondere das Wirtschaftlichkeitsgebot zu beachten. Deshalb habe die höchstrichterliche Rechtsprechung die Aufgabe des [X.] ([X.]) herausgestellt, die Indikationen für eine Behandlung mittels [X.] zu präzisieren. Das B[X.] habe betont, dass zu Beschränkungen in dieser Hinsicht Anlass bestehen könne, weil die [X.] im Verhältnis zur konventionellen [X.] offenbar erheblich öfter angewandt werde, als es nach der statistischen Verteilung von Fertilitätsstörungen in der männlichen bzw auch weiblichen Bevölkerung zu erwarten wäre. Der [X.] habe in den Grenzen seiner Rechtsetzungsbefugnis entschieden und aufgrund der verwendeten algebraischen [X.] eine präzise und lückenlose Grenzziehung auf der Basis der medizinischen Einschätzung vorgenommen, dass es für eine [X.]-Indikation auf die Beweglichkeit der Spermien ankomme. Das L[X.] habe seinen richterlichen Beurteilungsspielraum überschritten, indem es gegenteilige medizinische Schlussfolgerungen an die Stelle der Wertungen des [X.] gesetzt habe. Eine Schwangerschaft werde bekanntermaßen durch ein einziges Spermium herbeigeführt.

5

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des [X.] vom 20. Mai 2010 aufzuheben und die Berufung der Kläger gegen das Urteil des [X.] vom 8. April 2008 zurückzuweisen.

6

Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen.

7

Sie halten die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet (§ 170 Abs 2 Satz 1 SGG). Zu Unrecht hat das [X.] das SG-Urteil und die Bescheide der Beklagten aufgehoben und die Beklagte dazu verurteilt, 3026,26 Euro zu zahlen. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Erstattung der Hälfte der Kosten für die Maßnahme der künstlichen Befruchtung mittels [X.] im August 2006.

9

1. Streitgegenstand ist allein der Anspruch auf Erstattung von 3026,26 Euro unter Aufhebung des aufgrund eines gesonderten Leistungsantrags vom 23.6.2005 hin ergangenen Bescheides vom 19.7.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.12.2005. Zutreffend ist die Beklagte von einem gemeinsamen Antrag der Eheleute ausgegangen und sind diese deshalb gemeinsam als Kläger am Verfahren beteiligt. Eine Krankenkasse ([X.]) ist gegenüber ihrem Versicherten nicht leistungspflichtig für Maßnahmen, die unmittelbar und ausschließlich am Körper des (bei ihr nicht versicherten) Ehegatten ihres Versicherungsnehmers ausgeführt werden (vgl [X.], 51, 54 f = [X.] 3-2500 § 27a [X.] f; BSG [X.] 3-2500 § 27a [X.]; BSG [X.] 4-2500 § 27a [X.] Rd[X.]3). Es ist dann ggf Sache dieses Ehegatten, bei seiner eigenen [X.], privaten Versicherung oder Beihilfestelle die unmittelbar und ausschließlich seinen Körper betreffende Behandlung zur künstlichen Befruchtung geltend zu machen (vgl insgesamt BSG [X.] 4-2500 § 13 [X.]7; [X.] 2009, 321 ff). Hier sind indessen beide Eheleute bei der beklagten [X.] versichert. Der Antrag ist umfassend auf alle in Betracht kommenden Leistungen gerichtet.

2. Rechtsgrundlage für die Erstattung der Kosten ist allein § 13 Abs 3 Satz 1 Fall 2 [X.] (hier anzuwenden in der seit 1.7.2001 geltenden Fassung des Art 5 [X.] Buchst b SGB IX vom 19.6.2001, [X.] 1046). Die Norm bestimmt: Hat die [X.] eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der [X.] in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Der in Betracht kommende Kostenerstattungsanspruch reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die [X.]n allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (stRspr, vgl zB [X.], 125, 126 f = [X.] 3-2500 § 13 [X.]1 S 51 f mwN; [X.], 190 = [X.] 4-2500 § 27 [X.]2, Rd[X.]1 mwN - [X.]; [X.], 103 = [X.] 4-2500 § 31 [X.], Rd[X.] 13 - [X.] Öl ) . Daran fehlt es.

Im Zeitpunkt der [X.] im August 2006 hatten die klagenden Eheleute nämlich keinen Anspruch auf Leistungen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft mittels [X.] nach Maßgabe des § 27a [X.] idF des [X.] ([X.]). Denn die Oligoasthenozoospermie des Klägers bestand nicht in einem Ausmaß, dass sie die rechtmäßig vom [X.] gestellten Anforderungen für die Anwendung der [X.] erfüllte.

a) § 27a Abs 1 [X.] gibt Versicherten nur dann Anspruch auf Leistungen der künstlichen Befruchtung, wenn insgesamt sieben im Gesetz näher umschriebene Voraussetzungen erfüllt sind: Die Leistung muss erforderlich sein (Abs 1 [X.]), hinreichende Erfolgsaussicht haben (Abs 1 [X.]), miteinander verheiratete Eheleute (Abs 1 [X.]), die die Altersgrenzen erfüllen (Abs 3 Satz 1), und eine homologe Insemination betreffen (Abs 1 [X.]), darf erst nach erfolgter Beratung stattfinden (Abs 1 [X.]) und muss vor ihrem Beginn genehmigt sein (Abs 3 Satz 2). Während früher der [X.] für Ärzte und [X.]n hierfür zuständig war, bestimmt heute der [X.] in den [X.] nach § 92 [X.] die medizinischen Einzelheiten zu Voraussetzungen, Art und Umfang der Maßnahmen nach § 27a Abs 1 [X.] (§ 27a Abs 4 [X.] in der seit 1.1.2004 geltenden Fassung des [X.] vom 14.11.2003, [X.] 2190; vgl auch § 92 Abs 1 Satz 2 [X.]0 [X.]). Er hat zudem unter Achtung der Wertungen des § 27a [X.] über neue Behandlungsmethoden wie die [X.] abzugeben (vgl § 135 Abs 1 [X.]; [X.], 62, 72 f = [X.] 3-2500 § 27a [X.] S 33 f).

Dieser Pflicht ist der [X.] nachgekommen. Der [X.] für Ärzte und [X.]n empfahl [X.] für den [X.]-Leistungskatalog und legte die Indikationen in [X.] über künstliche Befruchtung fest (Beschluss vom [X.], BAnz [X.]2 vom [X.], [X.], in [X.] getreten am [X.]). Nach [X.]1.5 der [X.] über künstliche Befruchtung gelten als medizinische Indikationen zur Durchführung der [X.]: männliche Fertilitätsstörung nachgewiesen durch zwei aktuelle Spermiogramme im Abstand von mindestens 12 Wochen, welche unabhängig von der Gewinnung des Spermas folgende Grenzwerte - nach genau einer Form der Aufbereitung (nativ oder swim-up-Test) - unterschreiten:

[X.] alternativ
Merkmal

Nativ

swim-up

Konzentration ([X.]/ml)

<10

<5

Gesamtmotilität (%)

<30

<50

Progressivmotilität ([X.] in %)

<25

<40

Normalformen (%)

<20

<20

Sind nicht alle Kriterien gleichzeitig erfüllt, ist das entscheidende Kriterium die Progressivmotilität. Sofern diese unter 15 % im [X.] oder unter 30 % im swim-up-Test liegt, so liegt eine Indikation für [X.] vor. Die Beurteilung des Spermas hat nach den gültigen WHO-Vorgaben zu erfolgen.

Diese [X.] Anforderungen übertraf das untersuchte Sperma des Klägers. Nach den Feststellungen des [X.], die von den Beteiligten nicht angegriffen und deshalb für das Revisionsgericht bindend sind (§ 163 SGG), überschritt die Progressivmotilität in den Spermiogrammen des Klägers bezogen auf [X.] mit Werten von 25 %, 25 %, und 66 % kontinuierlich den Grenzwert von <25 % und erst recht denjenigen von <15 %. Lediglich die Konzentration lag stets unter dem Grenzwert von 10 [X.]/ml.

b) Entgegen der Auffassung der Kläger ist [X.]1.5 der [X.] über künstliche Befruchtung wirksam und für den streitigen Anspruch maßgeblich. [X.] sind in der Rechtsprechung des [X.] als untergesetzliche Rechtsnormen anerkannt. Ihre Bindungswirkung gegenüber allen Systembeteiligten steht außer Frage (vgl § 91 Abs 9 [X.] idF des [X.], jetzt § 91 Abs 6 [X.]). Das BSG zieht die Verfassungsmäßigkeit dieser Art der Rechtsetzung nicht mehr grundlegend in Zweifel. Es behält sich aber vor, die vom [X.] erlassenen, im Rang unterhalb des einfachen Gesetzesrechts stehenden normativen Regelungen formell und auch inhaltlich in der Weise zu prüfen, wie wenn der Bundesgesetzgeber derartige Regelungen in Form einer untergesetzlichen Norm - etwa einer Rechtsverordnung - selbst erlassen hätte, wenn und soweit hierzu auf Grund hinreichend substantiierten [X.] konkreter Anlass besteht (stRspr; zuletzt [X.] vom 1.3.2011 - B 1 KR 10/10 R - [X.] 4-2500 § 35 [X.] Rd[X.]2, 37, zur [X.] auch in [X.] vorgesehen; B 1 KR 7/10 R - Rd[X.]2, 26, zur [X.] vorgesehen, mwN).

Hinsichtlich des Verfahrens und des sachlichen Gehalts ist die Rechtmäßigkeit der in den [X.] über künstliche Befruchtung festgelegten Indikationen für die [X.] insbesondere an den Regelungen des [X.] zu messen. Hierbei werden die bei sonstigen diagnostischen oder therapeutischen Maßnahmen zu beachtenden Qualitätskriterien des § 135 Abs 1 Satz 1 [X.] für die Maßnahmen der künstlichen Befruchtung durch § 27a [X.] modifiziert. Während grundsätzlich der Einsatz einer neuen Behandlungsmethode nicht dem anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse im Sinne des § 2 Abs 1 Satz 3 [X.] entspricht, solange ihre Wirkungen und Risiken noch der Überprüfung bedürfen ([X.] 86, 54, 64 = [X.] 3-2500 § 135 [X.]4 S 70 - aktiv-spezifische Immuntherapie; BSG [X.] 4-2500 § 27 [X.]0 Rd[X.]0 - neuropsychologische Therapie), kommt es im Rahmen der künstlichen Befruchtung - jedenfalls was die mögliche Fehlbildungsrate betrifft - auf diesen Standard nicht in gleicher Weise an ([X.], 62, 69 = [X.] 3-2500 § 27a [X.] S 29 f). Nichts anderes gilt für die gesundheitlichen Risiken im Zusammenhang mit der zur Gewinnung von Eizellen ggf notwendigen hormonellen Stimulation ([X.], 62, 69 f = [X.] 3-2500 § 27a [X.] S 30) und den Wirksamkeitsnachweis, da ein Embryotransfer günstigstenfalls nur in einem Viertel der Fälle zu einer Schwangerschaft führt ([X.], 62, 70 = [X.] 3-2500 § 27a [X.] S 30 f, unter Hinweis auf BT-Drucks 11/6760, [X.]).

Obwohl danach die in § 27a [X.] enthaltene Wertung auf die Entscheidung über die Anerkennung neuer Befruchtungstechniken durchschlagen muss ([X.], 62, 72 = [X.] 3-2500 § 27a [X.] S 33), entbindet dies doch nicht im Übrigen von der Beachtung der allgemeinen Vorgaben für die Leistungen der [X.], dem Wirtschaftlichkeits- (§ 12 Abs 1 [X.]) und dem [X.] (§ 2 Abs 1 Satz 3 [X.]). Deshalb hat der [X.] die Aufgabe, zu präzisieren, bei welchen Indikationen die [X.] auf Kosten der [X.] gerechtfertigt ist ([X.], [X.] 2009, 321 ff). Soweit der dargelegte gesetzliche Regelungsgehalt reicht, verbleibt dem [X.] kein Gestaltungsspielraum. Das gilt auch für die Vollständigkeit der vom [X.] zu berücksichtigenden Studienlage (vgl [X.] vom 1.3.2011 - B 1 KR 10/10 R - [X.] 4-2500 § 35 [X.] Rd[X.]7, zur [X.] auch in [X.] vorgesehen). Der [X.] entscheidet erst über die weitere Konkretisierung des Gesetzes als Normgeber. Insoweit darf die sozialgerichtliche Kontrolle ihre eigenen Wertungen nicht an die Stelle der vom [X.] getroffenen Wertungen setzen. Vielmehr beschränkt sich die gerichtliche Prüfung in diesen Segmenten darauf, ob die Zuständigkeits- und Verfahrensbestimmungen sowie die gesetzlichen Vorgaben nachvollziehbar und widerspruchsfrei Beachtung gefunden haben, um den Gestaltungsspielraum auszufüllen (vgl [X.] vom 1.3.2011 - B 1 KR 10/10 R - [X.] 4-2500 § 35 [X.] Rd[X.]8, zur [X.] auch in [X.] vorgesehen; ähnlich [X.] 96, 261 = [X.] 4-2500 § 92 [X.], Rd[X.] 67 - Therapiehinweise). Nach diesem Maßstab hat der [X.] die Indikation für die [X.] formell und inhaltlich rechtmäßig festgelegt.

c) Der [X.] hat die im Interesse der verfassungsrechtlichen Anforderungen der [X.] umfassend durch Gesetz und - inzwischen - Verfahrensordnung des [X.]es (vgl jetzt [X.] der [X.] des [X.]) ausgestalteten und abgesicherten Beteiligungsrechte gewahrt. Sie stellen sicher, dass alle sachnahen Betroffenen selbst oder durch Repräsentanten auch über eine unmittelbare Betroffenheit in eigenen Rechten hinaus Gelegenheit zur Stellungnahme haben, wenn ihnen nicht nur marginale Bedeutung zukommt (vgl dazu [X.] vom 1.3.2011 - B 1 KR 10/10 R - [X.] 4-2500 § 35 [X.] Rd[X.]4, zur [X.] auch in [X.] vorgesehen; [X.], [X.] 2010, 600, 604). Die Beschlussbegründung vom [X.] belegt, dass die seinerzeit anstehende Beratung der [X.] im [X.] und im [X.] veröffentlicht wurde. Der [X.] berücksichtigte die daraufhin eingegangenen schriftlichen Stellungnahmen sowie mündliche Anhörungen von Sachverständigen vom eingerichteten Arbeitsausschuss "Familienplanung" in den Beratungen.

d) Der [X.] hat die Indikation für die [X.] auch inhaltlich rechtmäßig festgelegt. Er hat als Grundlage seiner Entscheidung die Studienlage vollständig berücksichtigt, denn er hat sich auf die verfügbaren Fachveröffentlichungen gestützt (Abschlussbericht "Fertilisation" der [X.], November 1997, [X.] ff; internationale Literaturanalyse; Sachverständigenanhörung, [X.] vom [X.], [X.]). Der Ausgangspunkt seiner Indikationsfestlegung ist rechtmäßig, nämlich dass Maßnahmen der künstlichen Befruchtung nur durchgeführt werden dürfen, wenn hinreichende Aussicht besteht, dass durch die gewählte Behandlungsmethode eine Schwangerschaft herbeigeführt wird ([X.] über künstliche Befruchtung [X.] 8. Satz 1). Das stimmt mit den eingangs dargelegten gesetzlichen Anforderungen überein (§ 27a Abs 1 [X.] [X.] und § 12 Abs 1 [X.]). Es harmoniert mit der verfassungskonformen Wertung des Gesetzgebers, bei Begründung der Altersgrenze von 40 Jahren für Frauen wesentlich darauf abzustellen, dass die Konzeptionswahrscheinlichkeit jenseits des 40. Lebensjahres gering ist (vgl BSG [X.] 4-2500 § 27a [X.] Rd[X.]7 mwN). Dieser Ausgangspunkt schließt zugleich die Möglichkeit ein, dass nicht alle Versicherten, die von ungewollter Kinderlosigkeit betroffen sind, in formal gleicher Weise Maßnahmen der künstlichen Befruchtung beanspruchen können, weil Methoden ohne hinreichende Erfolgsaussicht nicht in den Leistungskatalog fallen.

Die an die Konzeptionswahrscheinlichkeit anknüpfende Grenzziehung der [X.] über künstliche Befruchtung für uneinheitliche Befunde ("nicht alle Kriterien gleichzeitig erfüllt") ist selbst dann nicht zu beanstanden, wenn - wie hier - eine alternative Methode der künstlichen Befruchtung nicht indiziert ist. Es ist nicht Aufgabe der [X.], die Methode der [X.] lückenlos in allen Fällen zur Verfügung zu stellen, in denen sie medizinisch machbar ist und die Voraussetzungen für andere Methoden der künstlichen Befruchtung nicht gegeben sind. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz handelt es sich insoweit weder um Fehler in Logik noch in Wertungskonsistenz.

Die unterschiedlichen Ausrichtungen der Methoden müssen bei der [X.] berücksichtigt werden. So ist der [X.] auch vorgegangen, indem er angeordnet hat: "In-vitro-Fertilisation und Intracytoplasmatische Spermieninjektion dürfen aufgrund der differenzierten Indikationsstellung … nur alternativ angewandt werden." (vgl [X.] über künstliche Befruchtung [X.] 8. Satz 5). Dabei bewegte sich der [X.] auch im Rahmen des Hinweises, den der erkennende Senat in einer früheren Entscheidung gegeben hatte: Der Senat sah möglichen Anlass zu Beschränkungen der Indikation für [X.], weil diese Methode im Verhältnis zur konventionellen [X.] offenbar erheblich öfter angewandt wird, als es nach der statistischen Verteilung von Fertilitätsstörungen in der männlichen und weiblichen Bevölkerung zu erwarten wäre. Er hielt es - auch unter [X.] - für erwägenswert, die [X.] beispielsweise nur bei strenger Indikationsstellung als Kassenleistung zuzulassen, zumal generell die [X.]-Methode erheblich kostspieliger ist als die [X.]-Methode ([X.], 62, 74 = [X.] 3-2500 § 27a [X.] S 35; vgl zu den Kosten auch zB die Übersicht unter [X.]).

Einzige Ausnahme ist seit der Neufassung der [X.] über künstliche Befruchtung [X.] (idF vom 15.11.2007, BAnz [X.]9 vom [X.], [X.]) die Fallkonstellation eines totalen Fertilisationsversagens nach dem ersten Versuch einer [X.]. In diesem Fall kann in maximal zwei darauffolgenden Zyklen die [X.] ([X.]0.5) zur Anwendung kommen, auch wenn die Voraussetzungen nach [X.]1.5 nicht vorliegen ([X.] über künstliche Befruchtung [X.] 8. Satz 6 und 7). Diese spätere Änderung wirkt sich indes auf die Grenzwerte im hier betroffenen Zeitraum im [X.] nicht aus.

Es bewegt sich im Rahmen des Vertretbaren und Folgerichtigen, dass der [X.] bei Ausfüllung seines Gestaltungsspielraums hinsichtlich der Indikationsstellung für [X.] auf der Basis der [X.] (vgl hierzu auch [X.], [X.]; jetzt [X.], [X.]) strengere Mindestanforderungen an Spermaparameter stellt als für den Einsatz der [X.] (vgl Abschlussbericht "Fertilisation", aaO, [X.]). [X.] und nachvollziehbar hat er sich hiermit für den Fall des uneinheitlichen Befundes ("nicht alle Kriterien gleichzeitig erfüllt") an der in der Wissenschaft für die [X.] erörterten [X.] von 15 % orientiert (vgl [X.], Sind spermatologische Minimalkriterien sinnvoll?, TW Urologie Nephrologie 8, 18, 1996) und sich damit eines entsprechend der Bedeutung der Beweglichkeit der Spermatozoen für die Spontanbefruchtung wesentlichen Kriteriums der andrologischen Diagnostik bedient.

e) Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass die geltende [X.]-Regelung der medizinischen Indikation für [X.] im August 2006 nicht mehr in Einklang mit dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse gestanden hat. Das folgt auch nicht aus den Angaben des vom [X.] gehörten Sachverständigen über die teilweise divergierende Praxis der Labore. Ohne abweichende, zwingende Hinweise kann der Senat davon ausgehen, dass der [X.] als Normgeber die sich ständig ändernde Entwicklung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse im Blickfeld hat (zur Beobachtungspflicht des [X.] als Normgeber vgl zuletzt [X.] vom 1.3.2011 - B 1 KR 10/10 R - [X.] 4-2500 § 35 [X.] Rd[X.]0 f mwN, zur [X.] auch in [X.] vorgesehen; B 1 KR 7/10 R - Rd[X.]3 f mwN, zur [X.] vorgesehen).

f) Die auf die dargelegten Sachgründe gestützte Regelung der medizinischen Indikationen für [X.] verstößt nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 GG). Art 3 Abs 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Damit ist dem Gesetzgeber allerdings nicht jede Differenzierung verwehrt. Er verletzt aber das Grundrecht, wenn er eine Gruppe von Normadressaten anders als eine andere behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und von solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen (stRspr, vgl zB: [X.] 112, 50, 67 = [X.] 4-3800 § 1 [X.] Rd[X.]5 mwN; [X.] 117, 316, 325 = [X.] 4-2500 § 27a [X.] Rd[X.]1; BSG [X.] 4-2500 § 27a [X.] Rd[X.]2). Ist ein gesetzliches Regelungskonzept - wie das, welches § 27 a [X.] zugrunde liegt (vgl [X.] 117, 316 = [X.] 4-2500 § 27a [X.], Rd[X.]5) - verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, so genügen hinreichende sachliche Gründe, um eine unterschiedliche Behandlung Betroffener zu rechtfertigen.

Solche hinreichenden Sachgründe liegen der Grenzziehung in den [X.] über künstliche Befruchtung zugrunde. Die Definition der Indikation für [X.] führt zwar dazu, dass bei uneinheitlichen Befunden Versicherte mit grenzwertüberschreitender Progressivmotilität gegenüber Versicherten mit grenzwertunterschreitender Progressivmotilität von einer Behandlung mit [X.] zu Lasten der [X.] ausgeschlossen und dementsprechend benachteiligt werden. Die Grenzziehung beruht indessen auf den medizinischen Erkenntnissen über die Konzeptionswahrscheinlichkeit bei Anwendung der unterschiedlichen Methoden. Der [X.] darf ihre Anwendung unter Berücksichtigung der medizinischen Eigengesetzlichkeiten der jeweiligen Methode regeln. Bei ihrer Bewertung ist zu berücksichtigen, dass gerade kein Kernbereich der [X.]-Leistungen betroffen ist (vgl BSG [X.] 4-2500 § 27a [X.] Rd[X.]5 mwN; BSG [X.] 4-2500 § 27a [X.] Rd[X.]3 mwN). Ebenso wie der Gesetzgeber muss der [X.] bei der Gestaltung der Leistungen in der [X.] nicht für jeden Einzelfall Ausnahmen schaffen. Das gilt auch, wenn die Grenzen von Ansprüchen neu gestaltet werden ([X.] [X.] 3-2500 § 48 [X.] = NJW 1998, 2731; BSG [X.] 4-2500 § 27a [X.] Rd[X.]5; [X.], [X.] 2004, 313, 315, 321 f, mit Blick auf den Gesetzgeber). Entscheidet der [X.] über die Grenzen einer medizinischen Indikation, gilt nichts Anderes. Angesichts des legitimen Anliegens, die Ausgaben für Leistungen der künstlichen Befruchtung zu Lasten der [X.] zweckentsprechend zu begrenzen (vgl [X.] 115, 25 = [X.] 4-2500 § 27 [X.], Rd[X.]8, 60), muss der [X.]-Geber im Grenzbereich zwischen [X.] und [X.] nicht auf eine unbeschränkte Öffnungsklausel ausweichen, um jedem Versicherten mit uneinheitlichem Befund zu Lasten der [X.] gleitend den Methodenwechsel von der [X.] zur [X.] zu ermöglichen.

3. [X.] beruht auf § 193 SGG.

Meta

B 1 KR 18/10 R

21.06.2011

Bundessozialgericht 1. Senat

Urteil

Sachgebiet: KR

vorgehend SG Kiel, 8. April 2010, Az: S 5 KR 7/06, Urteil

Art 3 Abs 1 GG, § 2 Abs 1 S 3 SGB 5, § 12 Abs 1 SGB 5, § 13 Abs 3 S 1 Alt 2 SGB 5 vom 19.06.2001, § 27a Abs 1 SGB 5, § 27a Abs 3 SGB 5, § 27a Abs 4 SGB 5 vom 14.11.2003, § 92 Abs 1 S 2 Nr 10 SGB 5, Nr 8 KBRL, Nr 10.5 KBRL, Nr 11.5 KBRL

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 21.06.2011, Az. B 1 KR 18/10 R (REWIS RS 2011, 5608)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 5608

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