Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.05.2018, Az. 2 StR 543/17

2. Strafsenat | REWIS RS 2018, 9393

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Gegenstand

(Auswirkungen eines Verstoßes gegen die Regeln über die Öffentlichkeit)


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 30. August 2017 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und fünf Monaten verurteilt. Die auf die [X.] der Verletzung sachlichen und formellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.

2

1. [X.] einer Verletzung der §§ 169, 174 Abs. 1 [X.] i.V. m. § 338 Nr. 6 StPO liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

3

Am 9. August 2017, dem 1. Verhandlungstag, beantragte die Vertreterin der Nebenklägerin, für deren Vernehmung die Öffentlichkeit auszuschließen. Aufgrund eines daraufhin gefassten Beschlusses der Strafkammer wurde die Nebenklägerin sodann unter Ausschluss der Öffentlichkeit vernommen und noch am selben Tag entlassen. Am darauffolgenden Verhandlungstag setzte das [X.] die Beweisaufnahme durch weitere Beweiserhebungen fort, bevor die Nebenklägerin „nochmals in den Zeugenstand gebeten wurde“. Sie wurde wiederum unter Ausschluss der Öffentlichkeit vernommen, ein erneuter Beschluss zum Ausschluss der Öffentlichkeit erging nicht. Am 4. und letzten Verhandlungstag stellte das [X.] auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Verfahren hinsichtlich zweier Tatvorwürfe zum Nachteil der Nebenklägerin vorläufig ein.

4

2. [X.], die zweite Zeugenvernehmung der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung sei entgegen §§ 169, 174 Abs. 1 [X.] unter Ausschluss der Öffentlichkeit durchgeführt worden, ohne dass zuvor ein Gerichtsbeschluss gefasst und verkündet worden sei, hat Erfolg.

5

a) Die [X.] ist zulässig erhoben. Der Angeklagte hat alle hierfür erforderlichen Verfahrenstatsachen vorgetragen, die das Revisionsgericht in die Lage versetzen, allein anhand des [X.]vorbringens das Vorhandensein des behaupteten Verfahrensfehlers festzustellen, wenn die behaupteten Tatsachen bewiesen sind (vgl. [X.], in: [X.] Kommentar zur StPO, § 344, Rn. 38 m. Nachweisen zur Rspr.). Es war insoweit nicht gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO geboten, in der Revisionsbegründung zum denkgesetzlichen Ausschluss des Beruhens des Urteils auf dem behaupteten [X.] vorzutragen, insofern darauf hinzuweisen, dass das [X.] das Verfahren hinsichtlich zweier Tatvorwürfe vorläufig nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt hatte, und deshalb (gegebenenfalls) pauschal mitzuteilen, dass sich die zweite Vernehmung jedenfalls auch auf die zur Verurteilung gelangten Fälle bezog (vgl. aber BGHR StPO § 338 Nr. 6 Ausschluss 5 für den Fall eines Teilfreispruchs; hiergegen [X.]/[X.], 61. Aufl. 2018, § 338, Rn. 50b).

6

Dass das Verfahren im Hinblick auf weiterreichende Tatvorwürfe eingestellt worden war, lässt sich den Urteilsgründen entnehmen ([X.]); insoweit war der Angeklagte nicht gehalten, dies in seiner Revisionsbegründung noch einmal ausdrücklich zu erwähnen. Aber auch eines Hinweises auf den Vernehmungsgegenstand der zweiten Vernehmung bedurfte es - jedenfalls hier - nicht. Aus den Urteilsgründen, die der Senat aufgrund der Sachrüge zur Kenntnis genommen hat, ergibt sich, dass der Tatrichter seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten auch aus Angaben der Nebenklägerin zu nicht zur Verurteilung gelangten Tatvorwürfen gebildet hat. Die gegen den Angeklagten erhobenen Tatvorwürfe betrafen eine Reihe von sexuellen Nötigungen bzw. Vergewaltigungen der Nebenklägerin während einer einzigen Nacht, die der Angeklagte in Abrede gestellt hat. Das [X.] hat sich bei seiner Verurteilung im Wesentlichen auf die Angaben der als glaubwürdig angesehenen Nebenklägerin gestützt, die „das von ihr erlebte Geschehen zunächst bei ihrer ersten polizeilichen und anschließend bei ihrer Nachvernehmung sowie in der Hauptverhandlung gleichbleibend und widerspruchsfrei geschildert“ habe. Dabei hat das [X.] auch hinsichtlich der nicht zur Aburteilung gelangten Geschehnisse auf die Angaben der Nebenklägerin gestützte Feststellungen getroffen. Es liegt bei einer solchen Verfahrenskonstellation auf der Hand, dass Angaben zu den eingestellten Tatvorwürfen grundsätzlich auch für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin insgesamt und damit auch für die [X.] Bedeutung erlangen (können); dies zeigt sich hier konkret etwa in dem landgerichtlichen Hinweis auf die Schilderung von Details durch die Nebenklägerin, die die Strafkammer als Zeichen für ihre Glaubwürdigkeit angesehen hat und die sich auch auf eingestellte Tatvorwürfe bezogen. Deshalb waren Ausführungen in der Revisionsbegründung zum Vernehmungsgegenstand der zweiten Zeugenvernehmung entbehrlich.

7

b) Die [X.] ist auch begründet. Das landgerichtliche Urteil ist auf Grund einer mündlichen Verhandlung ergangen, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind (§ 338 Nr. 6 StPO).

8

Die zweite Zeugenvernehmung der Nebenklägerin ist entgegen §§ 169, 174 Abs. 1 [X.] unter Ausschluss der Öffentlichkeit durchgeführt worden, ohne dass hierüber - wie sich dem Protokoll entnehmen lässt (§ 274 StPO) - ein Gerichtsbeschluss gefasst und verkündet worden ist. Der vor Beginn der Erstvernehmung am 9. August 2017 gefasste Beschluss über den Ausschluss der Öffentlichkeit entfaltete für den Öffentlichkeitsausschluss bei der weiteren Vernehmung am nächsten Verhandlungstag keine Wirkung mehr, da er nur bis zur Beendigung der Vernehmung galt. Ist wie hier eine Vernehmung abgeschlossen und die Zeugin entlassen worden, so ist dann, wenn sie nach zwischenzeitlich durchgeführter weiterer Beweisaufnahme nochmals vernommen werden soll, für den Ausschluss der Öffentlichkeit grundsätzlich ein neuer Beschluss erforderlich (vgl. [X.], 126, 127; NStZ 1992, 447).

9

Der Verstoß gegen die Regeln über die Öffentlichkeit führt grundsätzlich zur Aufhebung des Urteils. Ein Ausnahmefall, in dem nach der Rechtsprechung des [X.] der Einfluss eines Verfahrensfehlers auf das Urteil denkgesetzlich ausgeschlossen werden kann (st. Rspr.; vgl. zuletzt [X.] 2014, 391 mwN), liegt nicht vor. Selbst wenn Gegenstand der zweiten Zeugenvernehmung der Nebenklägerin lediglich die später eingestellten Tatvorwürfe gewesen sein sollten, ergibt sich - wie oben bereits ausgeführt - gleichwohl aus den Urteilsgründen, dass der Tatrichter seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten auch aus Angaben der Nebenklägerin zu nicht zur Verurteilung gelangten Tatvorwürfen gebildet hat. Insoweit sah sich der Senat auch nicht veranlasst, dienstliche Erklärungen zum Gegenstand der zweiten Vernehmung der Nebenklägerin einzuholen.

Schließlich ist ein Beruhen des Urteils auf dem fehlenden Gerichtsbeschluss über den Öffentlichkeitsausschluss auch nicht deshalb denkgesetzlich ausgeschlossen, weil sich aus den Urteilsgründen und dem Protokoll das Vorliegen der Voraussetzungen eines zwingend vorgeschriebenen Ausschlusses der Öffentlichkeit gemäß § 171b Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 3 Satz 1 [X.] ergibt und damit das Fehlen eines gerichtlichen Beschlusses eine bloße Förmlichkeit wäre, die den Bestand des Urteils nicht gefährden könnte. Dies setzte nämlich voraus, dass sich der in der Hauptverhandlung am 9. August 2017 erst- und einmalig angebrachte Antrag der Nebenklägerin auf Ausschließung der Öffentlichkeit nicht nur auf die unmittelbar bevorstehende, sondern auch - ohne Kenntnis des dann bestehenden [X.] - auf etwaige weitere Zeugenvernehmungen der Nebenklägerin bezogen hätte. Davon aber ist vorliegend bei einer zweiten, hier an eine weitere Beweiserhebung anknüpfenden Zeugenvernehmung nicht ohne Weiteres auszugehen. Es versteht sich auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass der Anlass für die erneute Zeugenvernehmung nicht mit den herkömmlichen Mitteln des [X.] rekonstruierbar ist, jedenfalls nicht von selbst, dass auch in einer weiteren, auf bestimmte Themenkomplexe ausgerichteten Vernehmung wieder Umstände zur Sprache kommen, deren Erörterung schutzwürdige Interessen der Zeugin verletzen könnten. Insoweit ist - entgegen der Ansicht des [X.] - nicht davon auszugehen, dass ein einmalig angebrachter Antrag auf Ausschluss der Öffentlichkeit weitere mögliche Zeugenvernehmungen erfasst.

Schäfer     

        

Krehl     

        

Eschelbach

        

Grube     

        

[X.]     

        

Meta

2 StR 543/17

09.05.2018

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Darmstadt, 30. August 2017, Az: 300 Js 8756/17

§ 169 GVG, § 174 Abs 1 S 2 GVG, § 338 Nr 6 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.05.2018, Az. 2 StR 543/17 (REWIS RS 2018, 9393)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 9393

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2 StR 172/18

2 StR 543/17

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