Bundessozialgericht, Beschluss vom 21.08.2017, Az. B 9 SB 3/17 B

9. Senat | REWIS RS 2017, 6402

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache - Schwerbehindertenrecht - GdB-Feststellung - Bestimmung des Durchschnittswerts bei Schwankungen im Gesundheitszustand - Auslegung der Versorgungsmedizinischen Grundsätze - Klärungsbedürftigkeit - Divergenz - Darlegungsanforderungen


Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 15. September 2016 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

1

I. Der Kläger begehrt einen höheren Grad der Behinderung (GdB) als den zuletzt bei ihm festgestellten GdB von 40.

2

Der Beklagte lehnte seinen auf einen höheren GdB gerichteten Änderungsantrag ab (Bescheid vom 25.11.2008, Widerspruchsbescheid vom [X.]). Klage und Berufung sind nach umfangreicher medizinischer Beweiserhebung erfolglos geblieben. Das [X.] hat ausgeführt, nach dem Ergebnis der medizinischen Ermittlungen seien die beim Kläger bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen weiterhin mit einem GdB von 40 zutreffend bewertet.

3

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat der Kläger Beschwerde zum BSG eingelegt. Das [X.] habe seine Beweisanträge zu Unrecht abgelehnt und die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache verkannt.

4

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil weder der behauptete Verfahrensmangel (1.), noch eine grundsätzliche Bedeutung (2.) oder eine Divergenz (3.) ordnungsgemäß dargetan worden ist (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG).

5

1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde wie im Fall des [X.] darauf gestützt, es liege ein Verfahrensmangel vor, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 [X.]), so müssen bei der Bezeichnung des [X.] (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) zunächst die diesen (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Gemäß § 160 Abs 2 [X.] SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel dabei auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das [X.] ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. [X.] die Beschwerde demnach einen Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht rügen (§ 103 SGG), so muss sie einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnen, dem das [X.] nicht gefolgt ist. Zudem muss die defizitäre Sachaufklärung für das Ergebnis der angefochtenen Entscheidung kausal im Sinne der Möglichkeit sein. Der Beschwerdeführer hat deshalb darzulegen, dass und warum die Entscheidung des [X.] auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das [X.] also von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem für den Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können, wenn es das behauptete Ergebnis der unterlassenen Beweisaufnahme gekannt hätte ([X.] in [X.]/[X.], SGG, 2014, § 160a Rd[X.] 97 mwN).

6

Diese Darlegungen enthält die Beschwerde nicht. Sie teilt bereits den Sachverhalt (im Sinne einer Gesamtheit rechtlich maßgeblicher Umstände), der dem Beschluss des [X.] zugrunde liegt, nicht nachvollziehbar und umfassend mit. Ihren Schilderungen können allenfalls Fragmente der entscheidungserheblichen Tatsachen entnommen werden. Eine verständliche Sachverhaltsschilderung in der Beschwerdebegründung gehört jedoch zu den Mindestanforderungen der Darlegung eines Revisionszulassungsgrundes. Sie muss das BSG in die Lage versetzen, sich ohne Studium der Gerichts- und Verwaltungsakten allein aufgrund des Beschwerdevortrags ein Bild über den Streitgegenstand sowie seine tatsächlichen und rechtlichen Streitpunkte zu machen (stRspr zB BSG Beschluss vom 26.6.2006 - [X.] R 153/06 B - BeckRS 2007, 42635 Rd[X.] 9). Denn es ist nicht seine Aufgabe, sich im Rahmen des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens die maßgeblichen Tatsachen aus der angegriffenen Entscheidung selbst herauszusuchen (vgl BSG Beschluss vom 12.5.1999 - [X.] RA 181/98 B - [X.] 3-1500 § 160a [X.] f; BSG Beschluss vom 20.6.2013 - B 5 R 462/12 B - BeckRS 2013, 70651 Rd[X.] 12; BSG Beschluss vom 9.4.2015 - B 12 KR 106/14 B - Juris Rd[X.] 6).

7

Die Beschwerde enthält die danach erforderlichen Darlegungen nicht. Allein aufgrund ihrer Begründung lässt sich die Entscheidungserheblichkeit der berichteten Beweisanträge nicht beurteilen. Genauso wenig lässt sich einschätzen, ob diese Anträge hinreichend konkret waren, nachdem die Vorinstanzen bereits umfangreich - ua durch vier Sachverständigengutachten - Beweis erhoben hatten. Denn je mehr Aussagen von Sachverständigen oder sachverständigen Zeugen zum Beweisthema schon vorliegen, desto genauer muss der Beweisantragsteller auf mögliche Unterschiede und Differenzierungen eingehen (Fichte, [X.] 2000, 653, 656). Ohne verständliche Wiedergabe der bisherigen Beweisergebnisse und ihre rechtlichen Einordnung, an der es die Beschwerde weitgehend fehlen lässt, kann der Senat die behauptete Notwendigkeit einer weiteren Beweiserhebung ebenfalls nicht beurteilen.

8

2. Ebenso wenig grundsätzlich dargelegt hat die Beschwerde eine grundsätzliche Bedeutung des Rechtsstreits (vgl § 160 Abs 2 [X.]). Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen vgl BSG [X.] 3-1500 § 160a [X.] mwN).

9

An diesen Darlegungen fehlt es hier. Soweit die Beschwerde es für eine grundsätzliche Rechtsfrage hält,

        

auf welche Weise ein Durchschnittswert im Sinne von Teil [X.] f Anlage zu § 2 [X.] ([X.]) zu ermitteln ist,

hat sie die Klärungsbedürftigkeit dieser Frage nicht hinreichend substantiiert dargelegt.

Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage nur, wenn sie höchstrichterlich weder tragend entschieden noch präjudiziert ist und die Antwort nicht von vornherein praktisch außer Zweifel steht, so gut wie unbestritten ist oder sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt. Um die Klärungsbedürftigkeit ordnungsgemäß darzulegen, muss sich der Beschwerdeführer daher ua mit Wortlaut, Kontext und ggf der Entstehungsgeschichte des fraglichen Gesetzes sowie der einschlägigen Rechtsprechung und Literatur auseinandersetzen ([X.] in [X.]/[X.], SGG, 2014, § 160a Rd[X.] 50 mwN).

Solche Ausführungen enthält die Beschwerde nicht. Sie setzt sich bereits nicht näher mit dem Wortlaut von Teil [X.] f [X.] auseinander. Vielmehr erläutert sie lediglich ihre eigene Auslegung der Vorschrift und erklärt diejenige des [X.] für falsch. Das genügt nicht zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache.

Unabhängig davon fehlt es auch an der Darlegung der Klärungsfähigkeit. Ebenso wenig wie bei seiner Verfahrensrüge hat der Kläger mit seiner Grundsatzrüge den maßgeblichen, vom [X.] festgestellten Sachverhalt vollständig und nachvollziehbar dargelegt. Daher lässt sich nicht beurteilen, ob die von der Beschwerde für grundsätzlich bedeutsam gehaltenen Fragen in einem Revisionsverfahren überhaupt entscheidungserheblich wären und deshalb dort geklärt werden könnten.

Soweit die Beschwerde dem [X.] schließlich vorhält, es habe die seelischen Leiden des [X.] zu Unrecht als nicht erhöhend für den GdB angesehen, weil sie bereits mit dem Hautleiden berücksichtigt seien, zeigt sie keine fallübergreifende Rechtsfrage auf, sondern kritisiert die Rechtsanwendung des [X.] im Einzelfall. Eine unrichtige Entscheidung des [X.] im Einzelfall begründet für sich genommen jedoch keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (vgl BSG [X.] 1500 § 160a [X.] 7).

3. Auch eine Divergenz (§ 160 Abs 2 [X.] 2 SGG) legt der Kläger nicht ausreichend dar. Zwar behauptet er unter Hinweis auf die Erfindung einer Rechtsfigur der "rein formell bedingten Mindestbewertung" durch das [X.] eine Abweichung von der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom [X.] - B 9 SB 3/08 R). Zur formgerechten Rüge eines Zulassungsgrundes der Divergenz ist in der Beschwerdebegründung indes darzulegen, zu welcher konkreten Rechtsfrage eine die vorinstanzliche Entscheidung tragende Abweichung in deren rechtlichen Ausführungen enthalten sein soll. Sie muss einen abstrakten Rechtssatz des vorinstanzlichen Urteils und einen abstrakten Rechtssatz aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung so bezeichnen, dass die Divergenz erkennbar wird. Es reicht dagegen nicht aus, auf eine bestimmte höchstrichterliche Rechtsprechung mit der Behauptung hinzuweisen, das angegriffene Urteil weiche hiervon ab. Schließlich ist darzulegen, dass die vorinstanzliche Entscheidung auf der gerügten Divergenz beruhe (vgl BSG [X.] 1500 § 160a [X.] 14, 21, 29). Daran fehlt es vollständig. Insbesondere bezeichnet der Kläger schon keinen divergierenden Rechtssatz des [X.], sondern beschränkt sich auf die Wiedergabe seiner eigenen Interpretation der [X.]-Entscheidung und schließt daraus, das [X.] halte sich nicht an die Vorgaben der höchstrichterlichen Rechtsprechung.

Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung [X.] zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 SGG).

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

4. [X.] beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.

Meta

B 9 SB 3/17 B

21.08.2017

Bundessozialgericht 9. Senat

Beschluss

Sachgebiet: SB

vorgehend SG Neuruppin, 28. Oktober 2010, Az: S 3 SB 48/09

§ 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 2 SGG, § 69 Abs 1 S 1 SGB 9, Anlage Teil B Nr 2 Buchst f VersMedV, § 2 VersMedV

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 21.08.2017, Az. B 9 SB 3/17 B (REWIS RS 2017, 6402)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 6402

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

B 9 SB 24/17 B (Bundessozialgericht)

Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache - Schwerbehindertenrecht - GdB-Feststellung - Rückgriff auf Rentenbescheid über …


B 9 V 16/17 B (Bundessozialgericht)

Nichtzulassungsbeschwerde - Vertretungszwang - rechtliche Begründung - Aufgabe des Prozessbevollmächtigten - weitere Rücksprache mit Beteiligten …


B 9 SB 1/18 B (Bundessozialgericht)

Nichtzulassungsbeschwerde - Beschwerdebegründung - Darlegungsanforderungen - Bezeichnung eines Verfahrensmangels - Darstellung des Verfahrensgangs und rechtliche …


B 9 SB 68/17 B (Bundessozialgericht)

Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache - Schwerbehindertenrecht - GdB-Feststellung - Höhe des Gesamt-GdB - …


B 9 SB 101/14 B (Bundessozialgericht)

Nichtzulassungsbeschwerde - Schwerbehindertenrecht - GdB-Feststellung - Weiterbehandlung mit Gerinnungshemmern - GdB von 10 - Analogie …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.