Bundespatentgericht, Beschluss vom 28.09.2011, Az. 26 W (pat) 44/10

26. Senat | REWIS RS 2011, 2869

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Gegenstand

Markenbeschwerdeverfahren – "FICKEN LIQUORS" – keine Sittenwidrigkeit


Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Markenanmeldung 30 2008 053 695.0

hat der 26. Senat ([X.]) des [X.] in der Sitzung vom 28. September 2011 unter Mitwirkung des Vorsitzenden [X.] [X.] sowie des [X.] [X.] und der Richterin Dr. Schnurr

beschlossen:

Auf die Beschwerde der Anmelderin werden die Beschlüsse der Markenstelle für Klasse 33 des [X.] vom 18. Mai 2009 und 19. März 2010 aufgehoben.

Gründe

I

1

Die Markenstelle für Klasse 33 des [X.] hat die Anmeldung der für die Waren

2

„Klasse 25: Bekleidungsstücke; Kopfbedeckungen

3

Klasse 32: Biere

4

Klasse 33: Alkoholische Getränke (ausgenommen Biere)“

5

bestimmten farbigen Wort/Bildmarke

Abbildung

6

mit zwei Beschlüssen, von denen einer im Erinnerungsverfahren ergangen ist, mit der Begründung zurückgewiesen, sie verstoße gegen die guten Sitten (§ 8 Abs. 2 Nr. 5 [X.]). Zur Begründung hat die Markenstelle ausgeführt, der Verkehr empfinde die angemeldete Marke bei einer Verwendung im Zusammenhang mit den in der Anmeldung beanspruchten Waren in [X.] Umfang als ärgerniserregend. Die innerhalb der kombinierten Wort-Bild-Marke herausgestellte Angabe „[X.]“ sei geeignet, das Empfinden eines beachtlichen Teils der angesprochenen Verkehrskreise zu verletzen. Daran ändere auch die Tatsache nichts, dass dieses Wort in den Medien und in der Werbung bereits verwendet werde und es auch noch andere Bedeutungen habe. Aus den Pressemitteilungen des [X.] [X.] sei zu entnehmen, dass die Bürger auf dem Gebiet der Werbung wieder sensibler geworden seien, was geschmacklose Reklame betreffe. Der in der Entscheidung zur Marke „Ficke“ ([X.], 26 W (pat) 244/02, Beschluss vom 21.09.2005) zum Ausdruck gekommenen Wertung vermöge die Markenstelle nicht zu folgen. Beide Markenwörter seien auch deshalb nicht vergleichbar, weil „[X.]“ im Unterschied zu „Ficke“ weniger als Eigenname in Betracht komme. Die beanspruchten Waren richteten sich an breite Verkehrskreise, u. a. an Kinder und Jugendliche. Eine staatliche Monopolisierung der Marke werde als gesellschaftlich anstößig empfunden werden.

7

Gegen die Zurückweisung wendet sich die Anmelderin mit der Beschwerde. Sie ist der Ansicht, der Eintragung der angemeldeten Marke stehe das von der Markenstelle benannte Schutzhindernis nicht entgegen. Das Wort „[X.]“ werde heute sowohl von Männern als auch Frauen als zwar vulgärer, aber nicht unbedingt negativ besetzter Begriff in der persönlichen und der öffentlichen [X.] verwendet und deshalb nicht mehr zwangsläufig als anstößig empfunden. Für die Behauptung der Markenstelle, dass dieses Wort in einem beachtlichen Umfang weiterhin als ärgerniserregend empfunden werde, fehle es in den angegriffenen Beschlüssen an nachvollziehbaren und nachprüfbaren Tatsachen, die diese Behauptung stützen könnten. Das Wort „[X.]“ habe in der Jugendsprache auch weitere Bedeutungen, die nicht im Zusammenhang mit der Ausübung des Geschlechtsverkehrs stünden. Ergänzend stützt sich die Anmelderin auf die vom [X.] (a. a. O.) bezüglich des Worts „Ficke“ vertretene Rechtsauffassung.

8

Die Anmelderin beantragt sinngemäß,

9

die Beschlüsse der Markenstelle für Klasse 33 des [X.] vom 18. Mai 2009 und 19. März 2010 aufzuheben.

II

Die zulässige Beschwerde der Anmelderin ist begründet. Der Eintragung der angemeldeten Marke steht für die beanspruchten Waren das Schutzhindernis des § 8 Abs. 2 Nr. 5 [X.] nicht entgegen, da ihre Eintragung entgegen der Ansicht der Markenstelle nicht gegen die guten Sitten verstößt.

Gegen die guten Sitten verstoßen Marken, die das Empfinden eines beachtlichen Teils der beteiligten Verkehrskreise zu verletzen geeignet sind, indem sie sittlich, politisch oder religiös anstößig wirken oder eine grobe Geschmacksverletzung enthalten ([X.], 136, 137 – [X.]). Maßgeblich ist hierbei die Auffassung des angesprochenen Publikums in seiner Gesamtheit, wobei die weder übertrieben laxe noch besonders feinfühlige Meinung des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers entscheidet ([X.] – 24 W (pat) 140/01 - Dalai Lama; [X.]. 1983, 156 – Schoasdreiber). Die sittliche Anstößigkeit oder grobe Geschmacklosigkeit ist stets im Hinblick auf die betroffenen Waren zu beurteilen. Dabei darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass die maßgebliche Verkehrsauffassung von der fortschreitenden Liberalisierung der Anschauungen über Sitte und Moral geprägt ist. Soweit allerdings das Scham- oder Sittlichkeitsgefühl eines wesentlichen Teils des Verkehrs durch geschlechtsbezogene Angaben unerträglich verletzt wird, ist auch weiterhin von der Schutzunfähigkeit der Marke auszugehen ([X.]/Hacker, [X.], 10. Auflage, § 8 Rdn. 625).

Bei Zugrundelegung dieses [X.] ist die angemeldete Marke noch eintragungsfähig. Die Zurückweisung der angemeldeten Marke gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 5 [X.] ist von der Markenstelle darauf gestützt worden, dass das in ihr enthaltene Wort „[X.]“ geeignet sei, das Empfinden eines beachtlichen Teils der inländischen Durchschnittsverbraucher der fraglichen Waren zu verletzen. Dem vermag der [X.] nicht beizutreten. Wegen der Gründe hierfür wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Begründung des in der Sache 26 W (pat) 116/10 ergangenen [X.]sbeschlusses vom 3. August 2011 bezüglich der Wortmarke „[X.]“ verwiesen (veröffentlicht in juris). Für ein Abweichen von der dort vertretenen Rechtsansicht besteht im vorliegenden Fall kein Anlass, zumal das von der Markenstelle als ärgerniserregend erachtete Markenwort in der vorliegend zu beurteilenden kombinierten Wort-Bild-Marke in der konkret beanspruchten Form unter Voranstellung vor die beschreibende Angabe „[X.]“, der [X.] Bezeichnung für die Ware „Spirituosen“, nicht als Aufforderung zum Vollzug des Geschlechtsverkehrs zu verstehen ist, sondern nach Art einer Warenbezeichnung verwendet wird. Wie der [X.] in seinem vorangegangenen Beschluss vom 3. August 2011 deutlich gemacht hat, gibt es im Inland auch eine nicht unbedeutende Anzahl von Trägern des Namens „[X.]“, denen nicht gerichtlich suggeriert werden darf, sie hätten einen ärgerniserregenden Namen.

Die angemeldete Marke mag zwar auch unter Berücksichtigung des Vorstehenden aus der Sicht des einen oder anderen Verbrauchers als geschmacklos erscheinen. Dieser Umstand für sich betrachtet ist jedoch für eine Schutzversagung gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 5 [X.] regelmäßig nicht ausreichend, weil eine ästhetische Prüfung auf die Anforderungen des guten Geschmacks nicht Gegenstand des markenrechtlichen Eintragungsverfahrens sein kann (vgl. [X.]/Hacker, [X.], 10. Auflage, § 8 Rdn. 628, 624). Die angemeldete Marke verletzt hingegen nach Ansicht des [X.]s das durch die seit Jahrzehnten fortgeschrittene Liberalisierung der Anschauungen über Sitte und Moral beeinflusste Scham- und Sittlichkeitsempfinden des Allgemeinverkehrs, an den sich die beanspruchten Waren wenden, nicht - wie es für eine Schutzversagung erforderlich wäre - in völlig unerträglicher Art und Weise, da sie über eine bloße Geschmacklosigkeit hinaus keine sexuellen Aussagen enthält, die massiv - z. B. geschlechtsspezifisch - diskriminierend und/oder die Menschenwürde beeinträchtigend sind bzw. ernsthaft so verstanden werden können ([X.], 592, 595 - Busengrapscher; [X.] 26 W (pat) 107/97 - Schenkelspreizer; [X.] 26 W (pat) 244/02 - Ficke).

Zu der von der Markenstelle angesprochenen Frage einer „staatlichen Monopolisierung“ des [X.] wird auf die Ausführungen in der Entscheidung [X.] 27 W (pat) 41/10 - Fick Shui Bezug genommen, denen sich der [X.] anschließt.

Der Beschwerde der Anmelderin war daher stattzugeben.

Meta

26 W (pat) 44/10

28.09.2011

Bundespatentgericht 26. Senat

Beschluss

Sachgebiet: W (pat)

Zitier­vorschlag: Bundespatentgericht, Beschluss vom 28.09.2011, Az. 26 W (pat) 44/10 (REWIS RS 2011, 2869)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 2869

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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