Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 23.02.2010, Az. 1 ABR 65/08

1. Senat | REWIS RS 2010, 9109

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Gegenstand

Wirksamkeit eines Einigungsstellenspruchs - Luftfahrtunternehmen


Tenor

Die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluss des [X.] vom 24. April 2008 - 9 [X.] wird zurückgewiesen.

Gründe

1

[X.]. Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit eines [X.].

2

Die [X.]rbeitgeberin betreibt ein Luftfahrtunternehmen. [X.]ntragstellerin ist die bei ihr nach dem „Tarifvertrag Personalvertretung für das Bordpersonal“ vom 15. November 1972 ([X.]) iVm. § 117 [X.]bs. 2 Satz 1 [X.] errichtete Gruppenvertretung der Copiloten.

3

Im Unternehmen der [X.]rbeitgeberin sind die Wechselmöglichkeiten zwischen Flugzeugtypen und die Beförderung zum Kapitän im „Tarifvertrag über Wechsel und Förderung“ idF vom 1. Dezember 2006 ([X.]) geregelt . In § 7 [X.]bs. 3 und 9 [X.] ist bestimmt:

        

„(3)

Jede freie Stelle, die im Wege der Förderung oder im Wege des Wechsels von einem [X.]usbildungsmuster auf ein Wechselmuster besetzt werden soll, wird unter Bekanntgabe der vom Bewerber zu erfüllenden Bedingungen durch [X.]ushang in geeigneter Weise bekannt gemacht. …

        

…       

        
        

(9)

Kann die nach [X.]bs. (3) auf einem Wechselmuster zu besetzende Stelle nicht nach vorstehenden Regelungen mit Bewerbern besetzt werden, so erfolgt die Besetzung - soweit die [X.]uswahl der Bewerber nicht durch die Betriebspartner in einer Betriebsvereinbarung oder einem entsprechenden Einigungsstellenspruch geregelt ist - von den [X.]usbildungsmustern nach positiver Seniorität (§ 2 [X.]bs. (2)).“

4

Nachdem sich die Beteiligten nicht einigen konnten, wie die Stellen für Copiloten auf dem Wechselmuster [X.] 340, für die nicht genügend freiwillige Bewerber zur Verfügung standen, besetzt werden sollten, bestellte das [X.]rbeitsgericht auf [X.]ntrag der [X.]rbeitgeberin einen Einigungsstellenvorsitzenden. Die Einigungsstelle fasste am 20. [X.]pril 2007 unter Beteiligung des Vorsitzenden einen Spruch über die „Zwangsschulung FO [X.] 340“. Danach sind die ausgeschriebenen Stellen, sofern sie nicht durch freiwillige Bewerber besetzt werden können, in der [X.] bis Dezember 2007 nach dem Grundsatz der sog. negativen Seniorität zu besetzen.

5

Die Gruppenvertretung hat die [X.]uffassung vertreten, der Einigungsstellenspruch sei unwirksam. § 7 [X.]bs. 9 [X.] erlaube eine [X.]bweichung von der tariflichen Regelung nur durch freiwillige Betriebsvereinbarung oder durch einen Einigungsstellenspruch, dem sich die Betriebsparteien unterwerfen, nicht dagegen durch einen gegen den Willen einer Betriebspartei ergehenden Spruch.

6

Die Gruppenvertretung hat beantragt

        

festzustellen, dass der Beschluss der Einigungsstelle vom 20. [X.]pril 2007 zur „Bereederung des Flugzeugmusters [X.] 340 für das [X.]“ unwirksam ist.

7

Die [X.]rbeitgeberin hat die [X.]bweisung des [X.]ntrags beantragt.

8

Das [X.]rbeitsgericht hat dem [X.]ntrag stattgegeben. Das [X.] hat die Beschwerde der [X.]rbeitgeberin zurückgewiesen. Mit der vom [X.] zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrt die [X.]rbeitgeberin weiterhin die [X.]bweisung des [X.]ntrags.

9

B. Die zulässige Rechtsbeschwerde der [X.]rbeitgeberin ist unbegründet. Der Spruch der Einigungsstelle vom 20. [X.]pril 2007 ist unwirksam.

[X.] Beteiligte des Beschlussverfahrens sind gem. § 83 [X.]bs. 3 [X.]rbGG die Gruppenvertretung der Copiloten sowie die [X.]rbeitgeberin. Das nach § 12 [X.] gebildete gemeinsame paritätische Gremium war nicht zu beteiligen. Dessen materielle Rechtspositionen sind von der Entscheidung über die Wirksamkeit des [X.] nicht unmittelbar betroffen. § 7 [X.]bs. 9 [X.] begründet kein Mitbestimmungsrecht des gemeinsamen paritätischen Gremiums. Dieses ist auch keine Personalvertretung iSd. § 3 [X.] iVm. § 117 [X.]bs. 2 [X.].

I[X.] [X.] ist zulässig. Der Zulässigkeit steht nicht entgegen, dass die [X.]rbeitgeberin in der Rechtsbeschwerde keinen [X.]ntrag gestellt hat. Ihrem Vorbringen in der Rechtsbeschwerdebegründung ist hinreichend deutlich zu entnehmen, dass sie unter [X.]ufhebung und [X.]bänderung der Beschlüsse der Vorinstanzen die [X.]bweisung des [X.]ntrags der Gruppenvertretung begehrt. Ein ausdrücklicher [X.]ntrag ist insoweit nicht erforderlich (B[X.]G 22. Oktober 1985 - 1 [X.]BR 81/83 - zu [X.] der Gründe, [X.]P [X.] 1972 § 99 Nr. 24 = Ez[X.] [X.] 1972 § 99 Nr. 43).

II[X.] [X.] ist unbegründet.

1. Der [X.]ntrag der Gruppenvertretung ist zulässig.

a) Die nach den Bestimmungen des [X.] iVm. § 117 [X.]bs. 2 Satz 1 [X.] errichtete Gruppenvertretung der Copiloten ist antragsbefugt .

b) Der Feststellungsantrag ist zulässig.

aa) Streiten die Betriebsparteien über die Rechtswirksamkeit eines Spruchs der Einigungsstelle, ist die Feststellung der Unwirksamkeit des Beschlusses der Einigungsstelle und nicht dessen [X.]ufhebung zu beantragen. Eine gerichtliche Entscheidung nach § 97 [X.]bs. 6 Satz 2 [X.], der § 76 [X.]bs. 5 Satz 4 [X.] nachgebildet ist, hat nur feststellende und nicht rechtsgestaltende Wirkung (vgl. B[X.]G 6. Dezember 2006 - 7 [X.]BR 62/05 - Rn. 14, [X.]P [X.] 1972 § 21b Nr. 5).

bb) Die Gruppenvertretung hat ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung iSv. § 256 [X.]bs. 1 ZPO. Ein rechtliches Interesse an der Feststellung der Unwirksamkeit eines [X.] besteht, soweit und solange diesem ein betriebsverfassungsrechtlicher Konflikt zugrunde liegt und dieser fortbesteht. Hat ein solcher Konflikt zwar zunächst bestanden, ist er aber aufgrund veränderter tatsächlicher Umstände gegenstandslos geworden, kann ein ursprünglich gegebenes Feststellungsinteresse entfallen. Dies ist anzunehmen, wenn der den Konflikt auslösende Vorgang abgeschlossen ist, ohne dass sich aus ihm fortbestehende Rechtswirkungen für die Zukunft ergeben (B[X.]G 19. Februar 2002 - 1 [X.]BR 20/01 - B[X.]GE 100, 281, 285). Da in dem Einigungsstellenspruch vom 20. [X.]pril 2007 Verweildauern festgelegt sind, die für die Copiloten unstreitig immer noch Geltung beanspruchen, besteht trotz der zeitlichen Begrenzung des [X.] auf das [X.] ein rechtliches Interesse an der begehrten Feststellung. Die Gruppenvertretung kann nach wie vor gerichtlich klären lassen, ob der Beschluss der Einigungsstelle die fehlende Einigung zwischen ihr und der [X.]rbeitgeberin ersetzen konnte (vgl. B[X.]G 20. Juli 1999 - 1 [X.]BR 66/98 - zu [X.] der Gründe, [X.]P [X.] 1972 § 76 Einigungsstelle Nr. 8 = Ez[X.] [X.] 1972 § 87 [X.] [X.]).

2. Der [X.]ntrag der Gruppenvertretung ist begründet. Die Einigungsstelle ist zu Unrecht vom Bestehen eines erzwingbaren Mitbestimmungsrechts ausgegangen.

a) Die Zuständigkeit der Einigungsstelle folgt nicht daraus, dass sie sich mit [X.] vom 20. [X.]pril 2007 für zuständig erklärt hat und eine [X.]nfechtung dieses Beschlusses unterblieben ist. Ein solcher [X.] der Einigungsstelle, mit dem diese ihre Zuständigkeit bejaht, stellt keine die Einigung der Betriebsparteien ersetzende und diese bindende Regelung dar (B[X.]G 22. November 2005 - 1 [X.]BR 50/04 - B[X.]GE 116, 235, 238). Die Frage der Zuständigkeit der Einigungsstelle unterliegt vielmehr der uneingeschränkten gerichtlichen Kontrolle im Rahmen der Überprüfung der Wirksamkeit des abschließenden Beschlusses der Einigungsstelle.

b) Ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht zur Regelung der Besetzung der Wechselmuster ergibt sich nicht aus § 84 [X.]bs. 3 und 4 [X.]. Danach kann die Gesamtvertretung vom [X.]rbeitgeber die [X.]ufstellung von [X.]uswahlrichtlinien für Versetzungen und [X.] verlangen, wenn über die Fälle des Vollzugs der in anderen Tarifverträgen oder in Betriebsvereinbarungen enthaltenen Versetzungs- und Umgruppierungstatbestände hinaus ein praktisches Bedürfnis zur Richtlinienbindung erkennbar wird. Dieses Recht besteht jedoch nur für die Gesamtvertretung und nicht für die Gruppenvertretung. Nur die fehlende Einigung zwischen der Gesamtvertretung und dem [X.]rbeitgeber kann in diesen [X.]ngelegenheiten durch einen verbindlichen Spruch der Einigungsstelle ersetzt werden.

c) § 7 [X.]bs. 9 [X.] eröffnet den Betriebsparteien kein erzwingbares Mitbestimmungsrecht.

aa) Schon der Wortlaut der Regelung spricht entgegen der [X.]uffassung der [X.]rbeitgeberin nicht mit hinreichender Klarheit dafür, dass der Tarifvertrag den Betriebsparteien ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht eröffnet. Die von den Tarifvertragsparteien gewählte Formulierung „soweit die [X.]uswahl der Bewerber nicht durch die Betriebspartner in einer Betriebsvereinbarung oder einem entsprechenden Einigungsstellenspruch geregelt ist“ erfasst auch ein Normverständnis, wonach die Regelung durch eine freiwillige Betriebsvereinbarung oder einen Einigungsstellenspruch, dem sich beide Seiten im Voraus unterworfen oder den sie nachträglich angenommen haben, zu erfolgen hat.

bb) Der tarifliche Gesamtzusammenhang spricht gegen die Einräumung eines erzwingbaren Mitbestimmungsrechts in § 7 [X.]bs. 9 [X.].

(1) Der [X.] baut auf den Bestimmungen des [X.] auf, der gemäß § 117 [X.]bs. 2 Satz 1 [X.] die Personalvertretung bei der [X.]rbeitgeberin regelt. Im [X.] ist im Einzelnen bestimmt, in welchen Fällen die fehlende Einigung zwischen den Betriebsparteien durch Beschluss der Einigungsstelle ersetzt wird (vgl. ua. § 77 [X.]bs. 2, § 84 [X.]bs. 2 [X.]). § 78 [X.] lässt darüber hinaus freiwillige Betriebsvereinbarungen zu. Ergänzend hierzu bestimmt § 97 [X.]bs. 7 [X.], dass die Einigungsstelle außerhalb der im [X.] genannten Fälle auch tätig wird, wenn beide Seiten es beantragen oder mit ihrem Tätigwerden einverstanden sind. In diesen Fällen ersetzt ihr Spruch die Einigung zwischen [X.]rbeitgeber und Personalvertretung allerdings nur, wenn beide Seiten sich dem Spruch im Voraus unterworfen oder ihn nachträglich angenommen haben. Nach der Systematik des [X.] besteht damit nur dann ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht, wenn im Tarifvertrag die Ersetzung der fehlenden Einigung der Betriebsparteien durch Spruch der Einigungsstelle ausdrücklich vorgesehen ist. [X.]ndernfalls können nur freiwillige Betriebsvereinbarungen geschlossen werden. In diesen Fällen kann die Einigungsstelle nur nach Maßgabe des § 97 [X.]bs. 7 [X.] tätig werden.

(2) Von dieser Regelungssystematik sind die Tarifvertragsparteien in § 7 [X.]bs. 9 [X.] nicht abgewichen. § 5 [X.]bs. 4 [X.] macht vielmehr deutlich, dass der [X.] hieran anknüpft. Nach § 5 [X.]bs. 4 [X.] kann bei fehlender Verständigung zwischen der [X.]rbeitgeberin und dem gemeinsamen paritätischen Gremium über den Inhalt der Senioritätslisten die Einigungsstelle verbindlich entscheiden. [X.]uch wenn sich § 5 [X.]bs. 4 [X.] auf Mitbestimmungsrechte des gemeinsamen paritätischen Gremiums bezieht, zeigt diese Regelung, dass der [X.] ebenso wie der [X.] Fälle der erzwingbaren Mitbestimmung ausdrücklich als solche bezeichnet. Dies ist in § 7 [X.]bs. 9 [X.] unterblieben. Ordnen die Tarifvertragsparteien in einer [X.]ngelegenheit der freiwilligen Mitbestimmung nicht ausdrücklich eine davon abweichende Lösung des Konflikts von Betriebsparteien an, verbleibt es bei dem Grundsatz, dass den Betriebsparteien nur die Möglichkeit eröffnet werden soll, sich gemeinsam auf die Durchführung eines Einigungsstellenverfahrens zu verständigen und sich beiderseits dem Spruch im Voraus zu unterwerfen oder ihn nachträglich anzunehmen.

cc) Der sich aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang ergebende Zweck bestätigt dieses [X.]uslegungsergebnis. Der Tarifvertrag regelt in § 7 [X.]bs. 9 [X.] abschließend, wie die Besetzung freier Stellen auf einem Wechselmuster zu erfolgen hat, wenn für die zu besetzende Stelle nicht genügend freiwillige geeignete Bewerber zur Verfügung stehen. Zugleich haben die Tarifvertragsparteien aber auch erkannt, dass ein praktisches Bedürfnis für andere [X.]uswahlverfahren bestehen kann. Sie haben deshalb in § 7 [X.]bs. 9 [X.] den Betriebsparteien die Möglichkeit eröffnet, gemeinsam andere [X.]uswahlkriterien zu vereinbaren, die den jeweiligen betrieblichen Gegebenheiten Rechnung tragen. Unterbleibt eine solche Einigung, bestimmt sich nach der Tarifnorm die Bewerberauswahl nach dem Prinzip der positiven Seniorität. Eine solche Vorgabe bezweckt, dem tariflichen Regelungswillen in einer bestimmten Weise Geltung zu verschaffen. Dieses Ziel könnte nicht erreicht werden, wenn eine Betriebspartei das Recht hätte, durch [X.]nrufung der Einigungsstelle von dem Tarifvertrag abweichende Bestimmungen gegen den Willen der anderen Seite durchzusetzen.

        

    Schmidt    

        

    Koch    

        

    Linck    

        

        

        

    Platow    

        

    M. Zumpe    

                 

Meta

1 ABR 65/08

23.02.2010

Bundesarbeitsgericht 1. Senat

Beschluss

Sachgebiet: ABR

vorgehend ArbG Frankfurt, 2. Oktober 2007, Az: 8 BV 272/07, Beschluss

§ 1 TVG, § 83 Abs 3 ArbGG, § 117 Abs 2 BetrVG, § 256 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 23.02.2010, Az. 1 ABR 65/08 (REWIS RS 2010, 9109)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 9109

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