Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 30.05.2023, Az. 5 B 13/22

5. Senat | REWIS RS 2023, 4303

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Gegenstand

Angemessene Dauer eines faktisch ausgesetzten Verfahrens


Leitsatz

Zeiten, in denen das Ausgangsgericht das bei ihm anhängige Verfahren mit Blick auf ein parallel anhängiges Normenkontrollverfahren, dessen Ergebnis für die Entscheidung im Ausgangsverfahren relevant ist, in vertretbarer Weise (faktisch) aussetzt, sind grundsätzlich auch dann nicht bei der Beurteilung der angemessenen Dauer des Ausgangsverfahrens zulasten des Ausgangsgerichts zu berücksichtigen, wenn das als "Leitentscheidung" zu dienen bestimmte Normenkontrollverfahren länger andauert und das Ausgangsgericht während der Zeit des Wartens auf die Entscheidung des Normenkontrollgerichts in einem erheblichen Zeitraum keine eigenen Aktivitäten zur Förderung des Ausgangsverfahrens unternimmt.

Tenor

Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des [X.] vom 22. Februar 2022 wird zurückgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 4 606,50 Euro festgesetzt.

Gründe

1

[X.]ie auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte [X.]eschwerde der Kläger hat keinen Erfolg, weil sie teilweise unzulässig und im Übrigen unbegründet ist.

2

1. [X.]ie Revision ist nicht wegen eines [X.] (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen.

3

Nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die Entscheidung beruhen kann. [X.]amit sind Verstöße gegen Vorschriften gemeint, die den Verfahrensablauf bzw. den Weg zu dem Urteil und die Art und Weise des Urteilserlasses regeln, nicht jedoch Vorschriften, die den Urteilsinhalt betreffen und deren Verletzung sich als Mangel der sachlichen Entscheidung darstellt ([X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 4. Februar 2015 - 5 [X.] - juris Rn. 8 m. w. N. und vom 17. November 2015 - 5 [X.] 17.15 - juris Rn. 3). Ein Verfahrensmangel ist nur dann im Sinne von § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO ausreichend bezeichnet, wenn er sowohl in den ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen als auch in seiner rechtlichen Würdigung substantiiert dargetan wird (vgl. [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 12. März 2014 - 5 [X.] 48.13 - [X.]uchholz 310 § 96 VwGO Nr. 62 Rn. 12 m. w. N.). [X.]aran gemessen kommt die Zulassung der Revision nicht in [X.]etracht.

4

[X.]ie [X.]eschwerde bemängelt, die Entscheidung des [X.] sei "unter [...] Willkürgesichtspunkten (Art. 3 Abs. 1, Art. 103 Abs. 1 GG) verfahrensfehlerhaft". [X.]er "Anspruch auf willkürfreie Rechtsanwendung", der hier als Korrektiv heranzuziehen sei, sei verletzt. [X.]as Oberverwaltungsgericht habe "eine wirksame [X.] gem. § 198 Abs. 3 S. 1 [X.]" mit unhaltbarer [X.]egründung verneint. Seine Erwägungen stünden "- in Ansehung des tatsächlichen Vortrages der Kläger und des tatsächlichen Ablaufs - in diametralem Widerspruch zum tatsächlichen Vortrag, zum Ablauf des Verfahrens und der Aktenlage" und seien daher "unsachlich und schlichtweg unhaltbar".

5

a) Soweit in dem Vorbringen der [X.]eschwerde in [X.]ezug auf die Regelung des § 198 Abs. 3 Satz 1 [X.] der Vorwurf willkürlicher Rechtsanwendung zum Ausdruck gebracht wird, vermag sie mit dieser Rüge einen Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nicht zu begründen. Ein solcher Mangel - läge er denn vor - beträfe die Auslegung und Anwendung materiellen Rechts und wäre nicht geeignet, einen Mangel im gerichtlichen Verfahren darzutun ([X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 21. Februar 2003 - 9 [X.] 64.02 - juris Rn. 6 und vom 16. Februar 2012 - 9 [X.] 71.11 - NVwZ 2012, 1490 Rn. 8 m. w. N.; vgl. auch [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 15. April 2021 - 6 [X.] 3.21 - juris Rn. 7).

6

b) Soweit dem Vortrag der [X.]eschwerde der Vorwurf willkürlicher Sachverhalts- und [X.]eweiswürdigung zu entnehmen ist, könnte dies zwar auf einen Verstoß gegen eine Verfahrensregelung - nämlich den Überzeugungsgrundsatz des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO - führen. Einen von dieser Vorschrift erfassten Verfahrensfehler zeigt die [X.]eschwerde jedoch nicht in einer den [X.]arlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügenden Weise auf.

7

aa) Nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht aus seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Obgleich die [X.]eschwerde diese Regelung nicht bezeichnet und den behaupteten Verfahrensmangel in seiner rechtlichen Würdigung auch sonst nur rudimentär darlegt, lässt sich ihren Ausführungen bei verständiger Würdigung der Sache nach entnehmen, dass sie mit diesen eine Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO rügen will. [X.]afür spricht ihr Vorbringen, das Oberverwaltungsgericht habe die Schriftsätze der Kläger im Ausgangsverfahren hinsichtlich des von ihnen beabsichtigten prozessualen Vorgehens mit [X.]lick auf den tatsächlichen Verfahrensablauf und die Aktenlage in unvertretbarer und sachwidriger Weise ausgelegt; die "willkürliche Sachbehandlung durch Unterstellung eines völlig sachfremden und nicht gegebenen Sachverhaltes und Verfahrensablaufs" stelle einen [X.] dar.

8

bb) Mit ihrem Vorbringen zeigt die [X.]eschwerde jedoch einen entsprechenden Verfahrensmangel nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO in den ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen nicht auf.

9

[X.]ie Sachverhalts- und [X.]eweiswürdigung des [X.]erufungsgerichts ist der [X.]eurteilung des [X.]undesverwaltungsgerichts als Revisionsgericht nur insoweit unterstellt, als es um Verfahrensfehler im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO geht. [X.] ist damit nicht das Ergebnis der Würdigung, sondern nur ein Verfahrensvorgang auf dem Weg dorthin. Ein Verfahrensfehler in Form der Verletzung des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann vorliegen, wenn die angegriffene Entscheidung der Vorinstanz von einem falschen oder unvollständigen Sachverhalt ausgeht, also etwa entscheidungserheblichen Akteninhalt übergeht oder auf einer aktenwidrigen Tatsachengrundlage basiert. Im Übrigen ist das Ergebnis der gerichtlichen Tatsachenwürdigung vom Revisionsgericht diesbezüglich nur daraufhin nachzuprüfen, ob es gegen allgemeine Sachverhalts- und [X.]eweiswürdigungsgrundsätze, insbesondere gesetzliche [X.]eweisregeln oder [X.]enkgesetze verstößt oder gedankliche [X.]rüche und Widersprüche enthält (stRspr, vgl. etwa [X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 28. Mai 2020 - 5 [X.] 2.19 - juris Rn. 31 und vom 15. [X.]ezember 2020 - 3 [X.] 34.19 - juris Rn. 21 m. w. N.). Gemessen daran hat die [X.]eschwerde keinen Verfahrensmangel in Form eines Verstoßes gegen den Überzeugungsgrundsatz dargetan.

[X.]as Oberverwaltungsgericht hat den Ablauf des Ausgangsverfahrens für die von ihm vorgenommene Prüfung einer verfrüht erhobenen [X.] (§ 198 Abs. 3 Satz 2 [X.]) in zwei Abschnitte eingeteilt: zum einen den Zeitraum von der Erhebung der Anfechtungsklage am 28. Oktober 2016 bis zu der am 5. Oktober 2017 erfolgten Verweigerung der Zustimmung der Kläger zu einer Aussetzung des Verfahrens mit [X.]lick auf die von ihnen inzwischen parallel erhobene Normenkontrollklage gegen die Satzung, auf die der angefochtene [X.]escheid gestützt war; zum anderen die anschließende Zeit bis zur Erhebung der [X.] am 13. Mai 2019. Es hat für den erstgenannten Zeitraum angenommen, das Gericht des Ausgangsverfahrens habe aufgrund der Klageschrift annehmen dürfen, dass es den Klägern zunächst nicht auf ein [X.]etreiben des Verfahrens angekommen sei, sondern abgewartet werden durfte, ob diese ein vorrangiges Normenkontrollverfahren einleiten würden.

[X.]ie Frage, ob der [X.] selbst durch sein Verhalten im Ausgangsverfahren zu einer Verfahrensverzögerung beigetragen hat, ist, soweit sie die hierauf bezogenen Sachverhaltsfeststellungen betrifft, grundsätzlich eine Tatsachenfrage, die durch das Entschädigungsgericht mit [X.]indungswirkung für die Revisionsinstanz nach § 137 Abs. 2 VwGO entschieden wird (vgl. [X.]SG, Urteil vom 24. März 2022 - [X.] 10 ÜG 2/20 R - [X.]SGE 134, 18 Rn. 24). [X.]emgemäß ist auch der Senat an die Auslegung der prozessualen Erklärungen der Kläger im Ausgangsverfahren durch das Oberverwaltungsgericht gebunden. [X.]ie [X.]eschwerde legt nicht substantiiert dar, dass die von diesem vorgenommene Würdigung gegen [X.]enkgesetze verstoßen oder aktenwidrig sein könnte. Sie wendet hiergegen in erster Linie ein, dem Wortlaut der Klageschrift lasse sich allenfalls eine Überlegung oder Erwägung der Kläger in diese Richtung vorbehaltlich der beantragten Akteneinsicht entnehmen. [X.]amit ist lediglich dargetan, dass die Auslegung dieser Erklärung durch das Oberverwaltungsgericht nicht zwingend sei, nicht aber, dass sie als schlechthin unvertretbar angesehen werden müsste. Im Übrigen verweist die [X.]eschwerde darauf, dass die Kläger die Klage im Ausgangsverfahren am 7. August 2017 ausführlich begründet hätten, was der Annahme eines fehlenden Interesses am [X.] widerspreche. Sie stellt aber nicht mit beachtlichen Argumenten die Vertretbarkeit der Erwägung des [X.] infrage, dass sich auch die Klagebegründung nicht ausdrücklich zur Frage der - zwischenzeitlich von den Klägern (mit) erhobenen - Normenkontrollklage verhalten habe, weshalb weiterhin von einer insoweit noch nicht getroffenen Entscheidung der Kläger habe ausgegangen werden dürfen. Folgerichtig räumt auch die [X.]eschwerde ein, die damit verbundene Option sei - aus Sicht des Ausgangsgerichts - "spätestens" (erst) mit der Verweigerung der Zustimmung der Kläger zu einer Verfahrensaussetzung am 5. Oktober 2017 hinfällig geworden. Nicht von [X.]edeutung ist in diesem Zusammenhang der - augenscheinlich zutreffende - Einwand der [X.]eschwerde, das Oberverwaltungsgericht habe in der Folge zu Unrecht angenommen, dass (auch) die Kläger am 27. Mai 2019 gegen das Urteil im Normenkontrollverfahren Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt hätten. [X.]enn die (vermeintliche) Rechtsmitteleinlegung erfolgte erst nach der Erhebung der [X.] am 13. Mai 2019 und war für deren Einordnung als vorzeitig auch aus Sicht des [X.], das sie lediglich ergänzend zur Abrundung seiner Argumentation ("Hinzu kommt ...") angeführt hat, jedenfalls erkennbar nicht allein tragend.

2. [X.]ie Revision ist nicht wegen [X.]ivergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen.

Eine die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO eröffnende [X.]ivergenz liegt nur vor, wenn das vorinstanzliche Gericht in Anwendung derselben Vorschrift mit einem seine Entscheidung tragenden (abstrakten) Rechtssatz von einem in der Rechtsprechung des [X.]undesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des [X.]undes oder des [X.]undesverfassungsgerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz abgewichen ist. [X.]ie [X.]eschwerdebegründung muss im Sinne von § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO darlegen, dass und inwiefern dies der Fall ist (stRspr, vgl. [X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 10. September 2018 - 5 [X.] 20.18 [X.] - juris Rn. 3 und vom 29. März 2019 - 5 [X.] 1.18 - juris Rn. 2 jeweils m. w. N.). [X.]aran fehlt es hier.

[X.]ie [X.]eschwerde leitet aus der angefochtenen Entscheidung in wertender Interpretation und Zusammenfassung die Annahme her, das Oberverwaltungsgericht sehe in der faktischen Aussetzung des Ausgangsverfahrens wegen eines vorgreiflichen [X.] eine "Vorteilslage", die eine unangemessen lange Verfahrensdauer im Sinne von § 198 [X.] ausschließe. [X.]em stellt sie den in einem baurechtlichen Verfahren ergangenen [X.]eschluss des [X.]undesverwaltungsgerichts vom 8. [X.]ezember 2000 - 4 [X.] 75.00 - gegenüber, dem sie den Rechtssatz entnehmen will, dass das Nebeneinander von Anfechtungs- und Normenkontrollklage hinzunehmen sei.

Unabhängig davon, ob damit abstrakte Rechtssätze aufgezeigt werden, auf denen die jeweiligen Entscheidungen beruhen, legt die [X.]eschwerde eine die Zulassung der Revision rechtfertigende [X.]ivergenz jedenfalls deshalb nicht dar, weil die von ihr angeführte Entscheidung des [X.]undesverwaltungsgerichts nicht in Anwendung von § 198 [X.] ergangen ist.

3. [X.]ie Revision ist nicht wegen grundsätzlicher [X.]edeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.

Grundsätzliche [X.]edeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt einer Rechtssache zu, wenn sie eine für die erstrebte Revisionsentscheidung erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit und Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. [X.]as [X.]arlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO setzt insoweit die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende [X.]edeutung besteht. [X.]ie [X.]eschwerde muss erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts führen kann (vgl. [X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 19. August 1997 - 7 [X.] 261.97 - [X.]uchholz 310 § 133 VwGO Nr. 26 S. 14 und vom 12. Januar 2017 - 5 [X.] 75.16 - juris Rn. 4 m. w. N.). Ein Klärungsbedarf besteht nicht, wenn die Rechtsfrage bereits geklärt ist oder mithilfe der üblichen Regeln sachgerechter Normauslegung oder auf der Grundlage der bestehenden höchstrichterlichen Rechtsprechung auch ohne [X.]urchführung eines Revisionsverfahrens eindeutig beantwortet werden kann (stRspr, vgl. [X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 2. April 2009 - 5 [X.] 64.08 - juris Rn. 5 und vom 11. August 2020 - 3 [X.] 1.19 - NVwZ-RR 2020, 979 Rn. 6, jeweils m. w. N.). Gemessen an den vorstehenden Anforderungen kommt eine Revisionszulassung wegen Grundsatzbedeutung hier nicht in [X.]etracht.

[X.]ie [X.]eschwerde hält die folgende Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig:

"Entfällt die Unangemessenheit einer überlangen Verfahrensdauer des Ausgangsverfahrens i.S.d. § 198 [X.] bereits bei einer faktischen Aussetzung des Ausgangsverfahrens unter Verweis auf ein paralleles Normenkontrollverfahren, wenn das Ausgangsgericht über einen erheblichen Zeitraum keine eigenen Aktivitäten zur Verfahrensförderung dieses Ausgangsverfahrens betreibt"?

[X.]ie so formulierte Grundsatzfrage bedarf jedoch keiner Klärung in einem Revisionsverfahren, weil sie dem Grunde nach bereits als geklärt anzusehen ist und im Übrigen eine (weitere) Klärungsbedürftigkeit nicht hinreichend dargelegt wird.

a) [X.]ie von der [X.]eschwerde aufgeworfene Frage zum Merkmal der Unangemessenheit (im Sinne von § 198 Abs. 1 [X.]) ist auch ohne [X.]urchführung eines Revisionsverfahrens auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung wie folgt zu beantworten: Zeiten, in denen das Ausgangsgericht das bei ihm anhängige Verfahren mit [X.]lick auf ein parallel anhängiges Normenkontrollverfahren, dessen Ergebnis für die Entscheidung im Ausgangsverfahren relevant ist, in vertretbarer Weise (faktisch) aussetzt, sind grundsätzlich auch dann nicht bei der [X.]eurteilung der angemessenen [X.]auer des Ausgangsverfahrens zulasten des Ausgangsgerichts zu berücksichtigen, wenn das als "Leitentscheidung" zu dienen bestimmte Normenkontrollverfahren länger andauert und das Ausgangsgericht während der [X.] auf die Entscheidung des [X.] in einem erheblichen Zeitraum keine eigenen Aktivitäten zur Förderung des Ausgangsverfahrens unternimmt. [X.]ies ergibt sich aus Folgendem:

aa) Es entspricht bereits der ständigen Rechtsprechung des Senats, dass es hinsichtlich des Merkmals der "unangemessenen [X.]auer" eines Gerichtsverfahrens im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 [X.] bei Zugrundelegung einer objektivierenden [X.]etrachtungsweise vertretbar ist, wenn das Ausgangsgericht das bei ihm anhängige Verfahren mit [X.]lick auf einen parallel anhängigen Rechtsstreit, der für die Entscheidung des Ausgangsverfahrens von rechtlicher Relevanz ist, zeitweise förmlich oder auch nur "faktisch", d. h. ohne förmliche Anordnung nach § 94 VwGO aussetzt. Im Fall einer vertretbaren (faktischen) Aussetzung des Ausgangsverfahrens ist die Zeit der [X.]earbeitung und Förderung eines "[X.]" bei der [X.]eurteilung der angemessenen [X.]auer des Ausgangsverfahrens nicht zu berücksichtigen (vgl. [X.]VerwG, Urteil vom 14. November 2016 - 5 C 10.15 [X.] - [X.]uchholz 300 § 198 [X.] Nr. 6 Rn. 155 m. w. N. und [X.]eschlüsse vom 2. Mai 2017 - 5 [X.] 75.15 [X.] - juris Rn. 8, vom 20. Februar 2018 - 5 [X.] 13.17 [X.] - juris Rn. 5 und vom 22. Januar 2019 - 5 [X.] 1.19 [X.] - juris Rn. 4).

In diesem Sinne ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung - auch anderer oberster [X.]undesgerichte - bereits geklärt, dass die Entscheidung, "Musterverfahren" auszuwählen und vorrangig zu betreiben, während übrige gleich oder ähnlich gelagerte Fälle einstweilen zurückgestellt bleiben, zu den verfahrensgestaltenden [X.]efugnissen des ([X.] gehört, die im [X.] nur auf ihre Vertretbarkeit überprüft werden können. [X.]ezüglich der zurückgestellten Verfahren kann dann nicht von einem "bloßen Liegenlassen" ausgegangen werden, wenn zu erwarten ist, dass in dem Musterverfahren Erkenntnisse gewonnen werden, die auch für die zurückgestellten (Ausgangs- bzw. Stamm-)Verfahren von Relevanz sind. In diesen Verfahren stellt sich die Zeit des [X.] auf die Ergebnisse des [X.] nicht als unangemessene Verfahrensdauer dar, wobei es nicht darauf ankommt, ob die Voraussetzungen für eine förmliche Verfahrensaussetzung oder die Anordnung des Ruhens des Verfahrens vorgelegen haben. Unerheblich ist dabei auch, ob sich die Zurückstellung - ex post betrachtet - als förderlich erwiesen hat (vgl. [X.]VerwG, Urteil vom 14. November 2016 - 5 C 10.15 [X.] - juris Rn. 155; [X.]GH, Urteil vom 12. Februar 2015 - [X.]/14 - [X.]GHZ 204, 184 Rn. 32 f.; [X.]SG, Urteil vom 3. September 2014 - [X.] 10 ÜG 12/13 R - [X.] 4-1720 § 198 Nr. 4 Rn. 47). Inzwischen ist ebenfalls geklärt, dass - jedenfalls bei Personenidentität auf [X.] oder [X.]eklagtenseite - Verzögerungen, die durch die Überlänge des [X.] in den davon abhängigen, zurückgestellten Verfahren eintreten, regelmäßig nicht zu gesondert entschädigungspflichtigen immateriellen Nachteilen im Ausgangsverfahren führen. [X.]erartige Verzögerungen sind vielmehr bei der Prüfung einer Erhöhung des Regelsatzes nach § 198 Abs. 2 Satz 4 [X.] in dem das Musterverfahren betreffenden [X.] zu berücksichtigen (vgl. [X.]GH, Urteil vom 9. März 2023 - [X.]/22 - WM 2023, 762 Rn. 17; vgl. ferner bereits [X.]VerwG, Urteil vom 14. November 2016 - 5 C 10.15 [X.] - [X.]VerwGE 156, 229 Rn. 193).

bb) [X.]ie vorgenannten Grundsätze lassen sich auf die hier vorliegende Konstellation übertragen. [X.]ei dem hier in Rede stehenden Verhältnis von Ausgangsverfahren und Normenkontrollverfahren handelt es sich zwar nicht im engeren Sinne um ein solches zwischen Muster- und Stammverfahren, weil das Normenkontrollverfahren einen nicht vergleichbaren Streitgegenstand aufweist und bei einem anderen Gericht geführt wird. Stellen sich aber in beiden Verfahren insbesondere gleiche Rechtsfragen, ist der vorgreifliche Charakter des [X.] und der Nutzen einer Normenkontrollentscheidung für das Ausgangsverfahren nicht zweifelhaft. [X.]as gilt jedenfalls und typischerweise, wenn - wie hier - im Normenkontrollverfahren zu klären ist, ob und inwieweit Satzungsregelungen wirksam sind, welche die Rechtsgrundlage für einen im Ausgangsverfahren streitigen ([X.]eitrags-)[X.]escheid darstellen. [X.]as Zuwarten des Ausgangsgerichts auf eine den vergleichbaren Sachverhalt und die sich stellenden Rechtsfragen gegebenenfalls umfassender klärende Normenkontrollentscheidung, die zu einer Klärung im Ausgangsverfahren und zu dessen einfacherer Erledigung führen kann, stellt sich dann entschädigungsrechtlich nicht als unangemessene, sondern gerechtfertigte Zeitphase des Ausgangsverfahrens dar.

b) Einen darüber hinausgehenden entscheidungserheblichen Klärungsbedarf zeigt die [X.]eschwerde auch mit ihrem Verweis auf die Rechtsprechung des [X.] nicht auf. [X.]anach darf auch das Abwarten der Gerichte auf den Ausgang eines vorgreiflichen Verfahrens nicht zu einer unabsehbaren Verzögerung des ausgesetzten Verfahrens führen; die Wartezeit darf also "nicht unbegrenzt" sein ([X.], Urteil vom 21. [X.]ezember 2010 - 974/07 - juris Rn. 35). Zwar kann sich in diesem Zusammenhang auch in Konstellationen wie der vorliegenden die Frage stellen, unter welchen Voraussetzungen im Falle vertretbarer (faktischer) Aussetzung des Ausgangsverfahrens ein nicht mehr gerechtfertigtes Warten auf die Entscheidung des [X.] vorliegt bzw. ob und inwieweit in diesem Fall eine Überlänge des [X.] im Rahmen des Ausgangsverfahrens zu berücksichtigen wäre. Allerdings zeigt die [X.]eschwerde nicht ansatzweise auf, dass es auf diese Frage im vorliegenden Rechtsstreit ankommt und sie in einem Revisionsverfahren zu klären wäre. Sie legt weder dar noch ist sonst ersichtlich, dass hier eine im vorgenannten Sinne überlange und unangemessene [X.]auer des [X.] vorgelegen hat, die zu einer "unabsehbaren" Verzögerung des Ausgangsverfahrens geführt haben könnte. Überdies wird - wie in einer aktuellen Entscheidung des [X.]undesgerichtshofs, welcher der Senat folgt, weiter geklärt worden ist - den entschädigungsrechtlichen Interessen des von einer Überlänge des vorgreiflichen Verfahrens [X.]etroffenen grundsätzlich dadurch hinreichend Rechnung getragen, dass eine Verzögerung auch des zurückgestellten Verfahrens im Rahmen einer Entschädigung für die unangemessene [X.]auer des vorgreiflichen Verfahrens zu berücksichtigen ist, wenn - wie hier - die [X.]etroffenen an beiden Verfahren beteiligt sind (vgl. [X.]GH, Urteil vom 9. März 2023 - [X.]/22 - WM 2023, 762 Rn. 17).

c) Auch wenn davon ausgegangen wird, dass die von der [X.]eschwerde aufgeworfene Grundsatzfrage zum Teil erst durch eine nach Ablauf der [X.]eschwerdebegründungsfrist ergangene höchstrichterliche Rechtsprechung in hier entscheidungserheblicher Weise einer weiteren Klärung zugeführt worden ist, kann dies nicht zu einer Revisionszulassung durch Umdeutung der Grundsatzrüge in eine [X.]ivergenzrüge nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO führen (vgl. zur Zulassung wegen nachträglicher [X.]ivergenz und dem Erfordernis, dass das [X.]erufungsurteil auf der Abweichung beruhen muss: [X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 8. Juni 2007 - 8 [X.] 101.06 - [X.]uchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 15 und vom 6. April 2009 - 10 [X.] 62.08 - juris Rn. 5, jeweils m. w. N.). [X.]enn die angefochtene Entscheidung des [X.] beruht jedenfalls auf keiner Abweichung von der höchstrichterlichen Rechtsprechung. In diesem Zusammenhang ist unerheblich, dass das Oberverwaltungsgericht die Erörterung der Frage der Angemessenheit der Verfahrensdauer in nicht zutreffender Weise weitgehend bereits in die Prüfung einer vorfristigen Erhebung der [X.] nach § 198 Abs. 3 Satz 2 [X.] vorverlagert haben dürfte. [X.]ies dürfte zwar dem Zweck der Regelung, (lediglich) vorrangig Missbrauchsfälle abzuwehren (vgl. [X.]GH, Urteil vom 26. November 2020 - [X.]/20 - [X.]GHZ 227, 377 Rn. 21), nicht gerecht werden. [X.]ieser etwaige Mangel war jedoch im Ergebnis nicht entscheidungserheblich, weil die Angemessenheit der Verfahrensdauer im Hinblick auf das hier streitige Zuwarten auf die Entscheidung im Normenkontrollverfahren jedenfalls im Rahmen des § 198 Abs. 1 [X.] zu prüfen gewesen wäre und die [X.]eschwerde die Angemessenheit der Verfahrensdauer im Übrigen - auch mit [X.]lick auf die Ausführungen des [X.] zur Anwendung von § 198 Abs. 4 Satz 3 [X.] - nicht mit durchgreifenden Einwendungen infrage gestellt hat.

4. Von einer weiteren [X.]egründung wird nach § 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO abgesehen.

5. [X.]ie Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. [X.]ie Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes folgt aus § 47 Abs. 1 und 3 in Verbindung mit § 52 Abs. 1 GKG.

Meta

5 B 13/22

30.05.2023

Bundesverwaltungsgericht 5. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, 22. Februar 2022, Az: OVG 3 A 2.21, Urteil

§ 108 Abs 1 S 1 VwGO, § 132 Abs 2 VwGO, § 198 Abs 1 GVG, § 198 Abs 3 S 1 GVG, § 198 Abs 4 S 3 GVG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 30.05.2023, Az. 5 B 13/22 (REWIS RS 2023, 4303)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 4303

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