Bundesfinanzhof, Urteil vom 16.07.2015, Az. III R 39/13

3. Senat | REWIS RS 2015, 8037

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Gegenstand

(Differenzkindergeld für einen vom persönlichen Anwendungsbereich der VO (EWG) Nr. 1408/71 erfassten Selbständigen bei Gewährung von Familienleistungen im EU-Ausland)


Leitsatz

Unterliegt der Selbständige dem persönlichen Anwendungsbereich der VO (EWG) Nr. 1408/71, steht ihm ein Anspruch auf Differenzkindergeld auch dann zu, wenn Deutschland nach Art. 13 ff. der VO (EWG) Nr. 1408/71 der für die Gewährung der Familienleistungen zuständige Mitgliedstaat und die Konkurrenz zu den im EU-Ausland gewährten Familienleistungen nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG zu lösen sein sollte .

Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 3. Juli 2013  7 K 439/12 Kg aufgehoben.

Die Sache wird an das [X.] zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens übertragen.

Tatbestand

1

I. Es ist streitig, ob der [X.]läger und Revisionskläger ([X.]läger) im Streitzeitraum (Juli 2007 bis April 2010) [X.] [X.]indergeld abzüglich der in [X.] bezogenen Familienleistungen ([X.]) beanspruchen kann.

2

Der [X.]läger ist [X.] Staatsangehöriger. Seine nicht erwerbstätige Ehefrau lebte mit den beiden [X.]indern P (geboren im April 1991) und [X.] (geboren im Januar 1993) in [X.] und bezog dort im Streitzeitraum [X.] Familienleistungen. Der [X.]läger ist seit Juli 2007 in der [X.] ([X.]) selbständig tätig und hat dort seinen Wohnsitz. Er ist nach seinen Angaben in [X.] krankenversichert, im Übrigen jedoch nicht sozialversicherungspflichtig. Mit jeweils eigenem Bescheid vom 1. Juni 2011 setzte die Familienkasse ... [X.]indergeld für die [X.]inder P und [X.] für den Streitzeitraum in hälftiger Höhe fest. Im Übrigen lehnte sie den Antrag ab. Die Einsprüche blieben erfolglos (Einspruchsentscheidungen vom 20. Dezember 2011).

3

Die hiergegen erhobene [X.]lage, mit welcher der [X.]läger [X.] für P und [X.] für den Streitzeitraum begehrte, hatte keinen Erfolg. Zur Begründung führte das Finanzgericht ([X.]) im Wesentlichen aus, der [X.]läger erfülle zwar die in § 62 Abs. 1 Nr. 1 und § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b des Einkommensteuergesetzes in der für den Streitzeitraum maßgeblichen Fassung (EStG) niedergelegten Anspruchsvoraussetzungen, es liege aber auch der [X.] nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG vor. Der [X.]läger sei nach seinen Angaben in [X.] krankenversichert und damit vom persönlichen Anwendungsbereich der Verordnung ([X.]) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der [X.] zu- und abwandern ([X.] Nr. 1408/71) erfasst. Zudem sei [X.] nach Art. 13 Abs. 2 Buchst. b der [X.] Nr. 1408/71 der für die Gewährung der Familienleistungen zuständige Mitgliedstaat. Im Streitfall werde § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG jedoch nicht durch Vorschriften der [X.] 1408/71 verdrängt, weil der [X.]läger nicht die im Anhang [X.]. [X.]. b der [X.] 1408/71 genannten Voraussetzungen erfülle. Denn der [X.]läger sei weder in einer Versicherung der selbständig Erwerbstätigen für den Fall des Alters versicherungs- oder beitragspflichtig noch in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig gewesen. Diese Einschränkung sei sachgerecht und entspreche dem Urteil des [X.] ([X.]) vom 13. August 2002 VIII R 54/00 ([X.]E 200, 204, BStBl II 2002, 869). Schließlich ergebe sich aus dem Urteil des Gerichtshofs der [X.] ([X.]) [X.] und [X.] vom 12. Juni 2012 [X.], 612/10 ([X.]:[X.]) keine Notwendigkeit, § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG dahingehend auszulegen, dass dem [X.]läger ein Anspruch auf [X.] zustehe. Die in diesem [X.]-Urteil aufgestellten Grundsätze beträfen Arbeitnehmer und seien nicht auf Gewerbetreibende übertragbar, weil zwischen diesen beiden Gruppen gravierende Unterschiede bestünden.

4

Der [X.]läger macht mit seiner Revision die Verletzung materiellen Rechts geltend. Das angegriffene Urteil weiche von dem [X.]-Urteil vom 16. Mai 2013 III R 8/11 ([X.]E 241, 511, [X.], 1040) ab. Der [X.] habe entschieden, dass selbst bei Eingreifen des § 65 EStG ein Anspruch auf [X.] bestehe. Danach dürfe der Anspruch auf [X.] [X.]indergeld nach § 65 Abs. 1 EStG nur in entsprechender Höhe gekürzt, nicht jedoch völlig ausgeschlossen werden. Diese Rechtsprechung sei durch das [X.]-Urteil vom 12. September 2013 III R 32/11 ([X.]E 243, 204) bestätigt worden.

5

Der [X.]läger beantragt sinngemäß, die Bescheide vom 1. Juni 2011 und die hierzu ergangenen Einspruchsentscheidungen vom 20. Dezember 2011, soweit durch sie die Festsetzung von [X.]indergeld abgelehnt wird, sowie das angegriffene [X.]-Urteil aufzuheben und die Beklagte und Revisionsbeklagte (Familienkasse) zu verpflichten, [X.]indergeld für P und [X.] für den Streitzeitraum in voller Höhe einschließlich eines einmaligen [X.]inderbonus für das [X.] unter Anrechnung der in [X.] gewährten Familienleistungen festzusetzen.

6

Die Familienkasse beantragt, die Revision zurückzuweisen.

7

Die Familienkasse führt im Wesentlichen aus, dass im Streitfall --trotz eröffneten Anwendungsbereichs der [X.] Nr. 1408/71 und trotz der Zuständigkeit [X.]s für die Gewährung der Familienleistungen nach Art. 13 Abs. 2 Buchst. f der [X.] Nr. 1408/71-- kein Anspruch auf [X.] bestehe, weil die spezielleren unionsrechtlichen Antikumulierungsvorschriften (Art. 76 der [X.] Nr. 1408/71 und Art. 10 der [X.] ([X.]) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der [X.] ([X.]) Nr. 1408/71 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der [X.] zu- und abwandern --[X.] 574/72--) nicht eingriffen. Der Streitfall sei nach der Auffangregelung des Art. 12 der [X.] 1408/71 i.V.m. Art. 7 Abs. 1 der [X.] Nr. 574/72 zu lösen. Danach sei hälftiges [X.]indergeld zu gewähren. Diese unionsrechtlichen Vorschriften seien unmittelbar anwendbar, so dass eine unionsrechtskonforme Auslegung des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG nicht geboten sei.

Entscheidungsgründe

8

II. [X.]ie Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des [X.] und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.] (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--).

9

1. [X.]as [X.] hat zwar zutreffend angenommen, dass der [X.]läger nach den §§ 62 ff. EStG für die beiden in [X.] lebenden [X.]inder [X.] und [X.] (vgl. § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG) anspruchsberechtigt ist.

Nach den für den [X.] bindenden Feststellungen des [X.] (vgl. § 118 Abs. 2 [X.]O) ergibt sich dieser Anspruch aus § 62 Abs. 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG i.V.m. § 32 Abs. 3 EStG, für [X.] ab dem Monat Mai 2009 (wegen Vollendung des 18. Lebensjahres im April 2009) aus § 62 Abs. 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG; [X.] besuchte in [X.] weiterhin eine Schule.

2. Es ist aber rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass dem [X.]läger bei eröffnetem persönlichen Anwendungsbereich der [X.] Nr. 1408/71 und Zuständigkeit [X.] für die Gewährung der Familienleistungen (Art. 13 ff. der [X.] Nr. 1408/71) kein Anspruch auf [X.] zustehe, wenn die [X.]onkurrenz zwischen dem [X.] [X.]indergeldanspruch und den [X.] Familienleistungen nach der nationalen Antikumulierungsvorschrift des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG zu lösen sei. Entgegen der Rechtsansicht des [X.] besteht in einer derartigen Situation ein Anspruch auf [X.].

a) Nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG wird [X.]indergeld nicht für ein [X.]ind gezahlt, für das Leistungen zu zahlen sind oder bei entsprechender Antragstellung zu zahlen wären, die im Ausland gewährt werden und dem [X.]indergeld oder einer der in § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG genannten Leistungen vergleichbar sind.

b) [X.]er [X.] entschied in dem Urteil [X.] und [X.] ([X.]:[X.], Rz 85) u.a. für die den Anspruchsteller [X.] betreffende Fallkonstellation, in welcher der persönliche Anwendungsbereich der [X.] 1408/71 eröffnet und [X.] nach Art. 14 Nr. 1 Buchst. a der [X.] 1408/71 (sogar) der unzuständige Mitgliedstaat war, dass § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG aufgrund der Bestimmungen der Art. 45 ff. des Vertrags über die Arbeitsweise der [X.] --A[X.]V-- (Arbeitnehmerfreizügigkeit) nicht zum Ausschluss, sondern nur zu einer [X.]ürzung des [X.] [X.]indergeldes um die Höhe des Betrags der in dem anderen Staat gewährten vergleichbaren Leistung führen darf. Auch wenn dieses Urteil zur Ausübung der Arbeitnehmerfreizügigkeit ergangen ist, im Streitfall hingegen die Ausübung der Niederlassungsfreiheit (Freizügigkeit der Selbständigen; Art. 49 A[X.]V) in Rede steht, ist kein sachlicher Grund dafür ersichtlich, in einem Fall, in dem der persönliche Geltungsbereich der [X.] 1408/71 eröffnet und [X.] der nach den Art. 13 ff. zuständige Mitgliedstaat sein sollte, einen Selbständigen anders zu behandeln als einen Arbeitnehmer. [X.]er [X.] hat in dem Urteil [X.] und [X.] ([X.]:[X.], Rz 47) u.a. auf den ersten Erwägungsgrund der [X.] Nr. 1408/71 verwiesen, nach dem die Vorschriften zur [X.]oordinierung der innerstaatlichen Regelungen über [X.] Sicherheit zur Freizügigkeit von [X.]ersonen gehören und zur Verbesserung deren Lebensstandards und Arbeitsbedingungen beitragen sollen. [X.]ieser Zweck greift für Selbständige, die dem persönlichen Anwendungsbereich der [X.] Nr. 1408/71 unterliegen, gleichermaßen ein (vgl. auch [X.]surteil vom 13. Juni 2013 III R 63/11, [X.], 34, [X.] 2014, 711, Rz 43). Im Übrigen hat auch der [X.] in seinem Urteil vom 13. November 2014 III R 1/13 ([X.], 20, Rz 17) einen [X.] [X.]indergeldanspruch in voller Höhe aus dem [X.]rimärrecht für eine nicht unter den Anwendungsbereich der [X.] Nr. 1408/71 fallende [X.]erson maßgeblich mit dem Argument abgelehnt, dass der genannte Erwägungsgrund der [X.] 1408/71 bei einer nicht unter den persönlichen Anwendungsbereich dieser Verordnung fallenden [X.]erson nicht zum Tragen kommt.

[X.]anach sind bei eröffnetem persönlichen Anwendungsbereich die im [X.]-Urteil [X.] und [X.] ([X.]:[X.]) niedergelegten Grundsätze auf den Streitfall übertragbar, so dass für den Fall, dass [X.] nach den Art. 13 ff. der [X.] Nr. 1408/71 der zuständige Mitgliedstaat und die Anspruchskonkurrenz nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG zu lösen sein sollte, es nur zu einer entsprechenden [X.]ürzung des [X.] [X.]indergeldanspruchs in Höhe der in [X.] gewährten Familienleistung kommen darf.

3. Etwas anderes ergibt sich --entgegen der Auffassung der [X.] auch nicht aus Art. 12 Abs. 2 der [X.] Nr. 1408/71 i.V.m. Art. 7 Abs. 1 der [X.] Nr. 574/72.

a) Art. 12 Abs. 2 der [X.] Nr. 1408/71 bestimmt --auf den Streitfall bezogen--, dass die Antikumulierungsvorschriften eines Mitgliedstaats einem Berechtigten gegenüber auch dann anwendbar sind, wenn es sich bei den (konkurrierenden) Leistungen um solche handelt, die nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats erworben wurden. [X.]iese Vorschrift enthält eine Gleichstellung fremdmitgliedstaatlicher mit innerstaatlichen Leistungen, die (gerade) dann zum Tragen kommt, wenn die nationale Antikumulierungsvorschrift auf rein innerstaatliche Leistungsansprüche begrenzt ist [X.] in [X.], Europäisches Sozialrecht, 4. Aufl., Art. 12 [X.] Nr. 1408/71, Rz 16, 18). Ergänzend hierzu bestimmt Art. 7 Abs. 1 der [X.] Nr. 574/72 für Fälle, in denen die nach den Rechtsvorschriften von zwei oder mehr Mitgliedstaaten geschuldeten Leistungen gegenseitig gekürzt, zum Ruhen gebracht oder entzogen werden können, dass die Beträge, die bei strenger Anwendung der in den Rechtsvorschriften der betreffenden Mitgliedstaaten vorgesehenen [X.]ürzungs-, Ruhens- oder Entziehungsbestimmungen nicht ausgezahlt werden, durch die Zahl der zu kürzenden, zum Ruhen zu bringenden oder zu entziehenden Leistungen geteilt werden.

Art. 12 Abs. 2 der [X.] Nr. 1408/71 ist nach der Rechtsprechung des [X.] allerdings nur dann einschlägig, wenn der Anspruch auf die zu beschränkende Leistung --hier der [X.]indergeldanspruch-- erst aufgrund der Anwendung der Vorschriften der [X.] Nr. 1408/71 entstanden ist. So soll diese Bestimmung verhindern, dass den unter den persönlichen Anwendungsbereich der [X.] Nr. 1408/71 fallenden [X.]ersonen aus der gleichzeitigen Anwendung der [X.] mehrerer Mitgliedstaaten Vorteile erwachsen, die nach innerstaatlichem Recht als unangemessen anzusehen sind (vgl. [X.]-Urteil vom 15. September 1983 [X.]/82, [X.]:[X.]:1983:228, Rz 10 f.; vgl. auch Urteile des [X.] vom 8. Juli 1993  7 [X.] 64/92, [X.], 10; vom 29. Oktober 1997  7 [X.] 10/97, [X.], 134).

b) Eine derartige Situation ist im Streitfall jedoch nicht gegeben. [X.]enn der [X.]indergeldanspruch des [X.]lägers wird allein durch nationales Recht und nicht erst aufgrund der Anwendung von Vorschriften der [X.] Nr. 1408/71 begründet. Im Übrigen erfasst § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG bereits nach seinem Wortlaut --dem [X.]indergeld vergleichbare-- fremdmitgliedstaatliche Familienleistungen. [X.]iese Auslegung folgt auch aus dem [X.]-Urteil [X.] und [X.] ([X.]:[X.]). [X.]ort hat der [X.] trotz eröffnetem persönlichen Anwendungsbereich der [X.] Nr. 1408/71 für die beim Anspruchsteller [X.] zu lösende Anspruchskonkurrenz auf § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG abgestellt, ohne Art. 12 Abs. 2 der [X.] Nr. 1408/71 i.V.m. Art. 7 Abs. 1 der [X.] Nr. 574/72 zu erwähnen.

[X.]emnach haben die Art. 12 Abs. 2 der [X.] Nr. 1408/71 i.V.m. Art. 7 Abs. 1 der [X.] Nr. 574/72 keinen Einfluss auf das oben unter 2. aufgezeigte Ergebnis.

4. Schließlich führt auch das [X.]-Urteil in [X.], 204, [X.] 2002, 869 zu keiner abweichenden Beurteilung.

In dieser Entscheidung kam der [X.] zu dem Ergebnis, dass ein [X.] Staatsangehöriger, der in [X.] wohnte, in [X.] als Zahnarzt selbständig tätig und in dem Versorgungswerk einer Zahnärztekammer wegen Alters pflichtversichert war, nicht von dem persönlichen Geltungsbereich der [X.] 1408/71 erfasst wird. [X.]er [X.] begründete dies damit, dass nach Art. 1 Buchst. [X.]. 4 der [X.] Nr. 1408/71 der Begriff "Rechtsvorschriften" nicht die Bestimmungen für Sondersysteme für Selbständige umfasst, deren Schaffung der Initiative den Betreffenden überlassen ist oder deren Geltung auf einen Teil des Gebiets des betreffenden Mitgliedsstaats beschränkt ist. Wegen der hiervon betroffenen Sondersysteme, die nicht in den Regelungsbereich der Verordnung fallen, wird auf den [X.] verwiesen. [X.]anach waren gemäß [X.] Teil I Buchst. [X.] der [X.] 1408/71 in der damals geltenden Fassung (vgl. [X.] 1997 Nr. L 28, S. 1 ff.) für [X.] u.a. auch die für Zahnärzte "aufgrund von Landesrecht errichteten Versicherungs- und Versorgungswerke sowie andere Versicherungs- und Versorgungseinrichtungen, insbesondere Fürsorgeeinrichtungen und die erweiterte Honorarverteilung" ausgenommen. Folge hiervon war, dass der [X.] Zahnarzt nicht dem persönlichen Geltungsbereich der [X.] 1408/71 unterlag. Im Streitfall steht jedoch nicht die Eröffnung des persönlichen Anwendungsbereichs der [X.] 1408/71 wegen der Versicherungspflicht in einem Sondersystem für Selbständige wegen Alters, sondern wegen einer [X.]rankenversicherung in Rede. Unabhängig hiervon ist [X.] Teil I Buchst. [X.] (entspricht ab Mai 2004 Buchst. [X.]; vgl. Amtsblatt der [X.] --ABl[X.]-- 2003 Nr. L 236, [X.] ff.) für [X.] zwischenzeitlich gegenstandslos (vgl. ABl[X.] 2005 Nr. L 117, S. 1 ff.).

Sollte sich aus dem [X.]-Urteil in [X.], 204, [X.] 2002, 869 zusätzlich ergeben, dass der persönliche Anwendungsbereich der [X.] 1408/71 nur dann eröffnet ist, wenn die Voraussetzungen des Anhangs I Teil I Buchst. [X.] (vgl. ABl[X.] 2003 Nr. L 236, S. 179 ff.; entspricht ab dem [X.] Buchst. E; vgl. ABl[X.] 2006 Nr. L 363, S. 1 ff.) gegeben sind, hat der [X.] bereits in seinem Urteil vom 4. August 2011 III R 55/08 ([X.]E 234, 316, [X.] 2013, 619, Rz 18) darauf hingewiesen, dass er hieran nicht festhalten könnte.

5. [X.]ie Sache ist nicht spruchreif. Es liegen keine ausreichenden tatsächlichen Feststellungen des [X.] vor, um abschließend beurteilen zu können, ob der [X.]läger infolge einer in [X.] bestehenden [X.]rankenversicherung als Selbständiger i.S. der [X.] 1408/71 von deren persönlichen Anwendungsbereich erfasst ist.

Für die Eröffnung des persönlichen Geltungsbereichs der [X.] Nr. 1408/71 ist ausreichend, dass eine [X.]erson nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Buchst. a der [X.] 1408/71 (Arbeitnehmer oder Selbständiger) in irgendeinem der von ihrem sachlichen Geltungsbereich erfassten Zweige der [X.]n Sicherheit in irgendeinem Mitgliedstaat der [X.] versichert ist (vgl. z.B. [X.]surteile in [X.]E 234, 316, [X.] 2013, 619, Rz 19; vom 5. Juli 2012 III R 76/10, [X.]E 238, 87, [X.] 2013, 1033, Rz 12). Zum sachlichen Geltungsbereich dieser Verordnung gehört auch der Zweig der [X.]n Sicherheit betreffend Leistungen bei [X.]rankheit (Art. 4 Abs. 1 Buchst. a der [X.] 1408/71). Gemäß Art. 5 der [X.] Nr. 1408/71 geben die Mitgliedstaaten in Erklärungen u.a. die Rechtsvorschriften und Systeme an, die unter Art. 4 Abs. 1 dieser Verordnung fallen. Nach der Erklärung [X.] werden vom sachlichen Geltungsbereich des Art. 4 Abs. 1 die Regelungen der gesetzlichen [X.]rankenversicherung, insbesondere die des [X.] ([X.]) erfasst (vgl. die Erklärung in ABl[X.] 2003 Nr. [X.] 210, S. 1 f.).

Im Streitfall hat das [X.] lediglich ausgeführt, dass der [X.]läger nach seinen Angaben in [X.] krankenversichert sei und "Beiträge zur [X.] [X.]rankenversicherung" geleistet habe. Für hauptberuflich Selbständige besteht jedoch grundsätzlich keine Versicherungspflicht in der gesetzlichen [X.]rankenversicherung (vgl. § 5 Abs. 5 SGB V). Im Übrigen ist dem [X.] keine "[X.] [X.]rankenversicherung" bekannt.

[X.]a die Anforderungen an die Tatsachenfeststellungen und an die Wiedergabe aus ihnen abgeleiteter Folgerungen in dem Maße steigen, in dem das [X.] seiner Entscheidung einen vom Üblichen abweichenden Geschehensablauf zugrunde legen will (vgl. [X.]-Urteil vom 21. September 2005 II R 49/04, [X.]E 211, 530, [X.] 2006, 269, unter [X.]), hätte das [X.] aufgrund der selbständigen Tätigkeit des [X.]lägers in tatsächlicher Hinsicht der Frage, ob und welche [X.]rankenversicherung in [X.] besteht, nachgehen müssen und nicht --ohne dies zu [X.] aus den Angaben des [X.]lägers folgern dürfen, er unterliege dem persönlichen Anwendungsbereich der [X.] Nr. 1408/71.

[X.]em [X.] wird Gelegenheit gegeben, die erforderlichen Feststellungen nachzuholen.

6. Für den zweiten Rechtsgang weist der [X.] auf Folgendes hin:

a) Sollte der [X.]läger nicht vom persönlichen Anwendungsbereich der [X.] 1408/71 erfasst sein, ist das [X.]surteil in [X.], 20 zu beachten. In diesem Urteil hat der [X.] entschieden, dass der Anspruch auf [X.]indergeld nach [X.]m Recht für ein im [X.]-Ausland lebendes [X.]ind nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG ausgeschlossen ist, wenn für das [X.]ind ein Anspruch auf ausländische Leistungen besteht, die dem [X.]indergeld vergleichbar sind, und der Anspruchsteller nicht vom Anwendungsbereich der [X.] 1408/71 erfasst wird, weil er nicht in einem Sozialversicherungssystem versichert ist. Für diesen Fall wäre die [X.]lage abzuweisen.

b) Sollte bei eröffnetem persönlichen Anwendungsbereich die Anspruchskonkurrenz nicht nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG, sondern nach Art. 10 der [X.] 574/72 zu lösen sein, stünde dem [X.]läger das begehrte [X.] zu. [X.]abei wäre unerheblich, ob dessen Abs. 1 Buchst. a der [X.] 574/72 ([X.] zahlt vorrangig [X.]indergeld in voller Höhe) oder dessen Abs. 1 Buchst. b Ziff. i ([X.] zahlt [X.]) eingriffe (vgl. [X.]surteil vom 19. April 2012 III R 87/09, [X.]E 237, 150, [X.] 2013, 1030, Rz 26 f.). [X.]enn der [X.]läger könnte der Höhe nach mindestens das begehrte [X.] beanspruchen.

Insoweit weist der [X.] zur Anwendbarkeit des Art. 10 der [X.] Nr. 574/72 darauf hin, dass diese Norm nach der Rechtsprechung des [X.] auch dann heranzuziehen sein kann, wenn der nach [X.]m Recht [X.]indergeldberechtigte die Voraussetzungen des Anhangs I Teil I Buchst. [X.] (ab dem [X.] Buchst. E) der [X.] 1408/71 nicht erfüllt (zur Reichweite der Bestimmungen des Anhangs I der [X.] 1408/71, vgl. [X.]-Urteil [X.] vom 14. Oktober 2010 [X.]-16/09, [X.]:[X.]:2010:605, Rz 38). [X.]ies begründete der [X.] zum einen damit, dass es trotz der fehlenden Anwendbarkeitsvoraussetzungen zur Entstehung paralleler Ansprüche auf Familienleistungen für denselben Zeitraum kommen könne. Zum anderen verwies er unter Bezugnahme auf das [X.]-Urteil [X.]romhout vom 4. Juli 1985 [X.]-104/84 ([X.]:[X.]:1985:296, Rz 15) darauf, dass die [X.]inder als Familienangehörige des Elternteils, der Arbeitnehmer (in [X.]) ist, in den persönlichen Anwendungsbereich der [X.] 1408/71 fallen (vgl. zum Ganzen auch [X.]surteil in [X.]E 238, 87, [X.] 2013, 1033, Rz 19 ff.).

c) Ergänzend bleibt anzumerken, dass bereits während des erstinstanzlichen [X.]lageverfahrens mit Wirkung zum 1. Mai 2013 aufgrund eines Organisationsaktes ein gesetzlicher [X.]arteiwechsel erfolgt und in die Beteiligtenstellung der Familienkasse ... nicht die Familienkasse ..., sondern die Familienkasse ... eingetreten ist (vgl. Beschluss des [X.] Nr. 21/2013 vom 18. April 2013 gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 11 des Finanzverwaltungsgesetzes, Amtliche Nachrichten der [X.], Ausgabe Mai 2013, S. 6 ff., Nr. 2.2 der Anlage 2). [X.]er [X.] hat dies im Rubrum berücksichtigt.

7. [X.]ie [X.]ostenentscheidung für das Verfahren wird gemäß § 143 Abs. 2 [X.]O dem [X.] übertragen.

Meta

III R 39/13

16.07.2015

Bundesfinanzhof 3. Senat

Urteil

vorgehend FG Düsseldorf, 3. Juli 2013, Az: 7 K 439/12 Kg, Urteil

§ 62 Abs 1 EStG 2009, § 63 Abs 1 EStG 2009, § 65 Abs 1 S 1 Nr 2 EStG 2009, § 5 Abs 5 SGB 5, Art 45ff AEUV, Art 1 Buchst a EWGV 1408/71, Art 2 Abs 1 EWGV 1408/71, Art 4 Abs 1 Buchst a EWGV 1408/71, Art 5 EWGV 1408/71, Art 12 Abs 2 EWGV 1408/71, Art 13ff EWGV 1408/71, Art 7 Abs 1 EWGV 574/72, Art 10 Abs 1 EWGV 574/72, Art 45 AEUV, Art 13 EWGV 1408/71, EStG VZ 2010

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 16.07.2015, Az. III R 39/13 (REWIS RS 2015, 8037)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 8037

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