Bundesfinanzhof, Beschluss vom 03.07.2014, Az. X S 9/14 (PKH)

10. Senat | REWIS RS 2014, 4353

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Gegenstand

Entschädigungsklage; Zulässiger Antrag auf Prozesskostenhilfe; Zeiträume der Aktenübersendung im Ausgangsverfahren; Widerruf der Klagerücknahme


Leitsatz

1. NV: Schließt die laienhafte Schilderung des Streitverhältnisses die hinreichende Aussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung zumindest nicht aus, ist der Antrag auf Prozesskostenhilfe zulässig und das Gericht hat die Akten des Ausgangsverfahrens beizuziehen.

2. NV: Die Zeiträume der vom Kläger des Ausgangsverfahrens verursachten Aktenversendung können dieses nicht unangemessen verlängern.

Tatbestand

1

I. Der Antragssteller beantragte per [X.] vom 8. Februar 2014 Prozesskostenbeihilfe (PKH) sowie die Beiordnung eines Rechtsanwaltes für eine von ihm angestrebte [X.] nach § 198 des Gerichtsverfassungsgesetzes ([X.]). Diese betreffe das Klageverfahren vor dem [X.] ([X.]) X mit dem Aktenzeichen 2 K 231/12. In diesem Verfahren habe er sich dagegen gewandt, dass das [X.] (BZSt) Quellensteuern in Höhe von … € in den Jahren 2008 und 2009 nicht ausgezahlt habe.

2

Im Ausgangsverfahren habe er eine Verzögerungsrüge erhoben. Da seine Ansprüche angeblich verjährt gewesen seien, habe er in der mündlichen Verhandlung vor dem [X.] am 8. Dezember 2012 --gemeint ist anscheinend der 12. Dezember 2012, der Tag, an dem diese durchgeführt worden [X.] eine Erledigungserklärung abgegeben, die er allerdings nach anschließender anwaltlicher Beratung widerrufen habe. Bis heute sei vom [X.] hierüber nicht entschieden worden.

3

Der Antragssteller macht pro Jahr die gesetzlich vorgesehene Entschädigung von 1.200 € jährlich geltend, nach seiner "anteiligen Berechnung" insgesamt 2.000 €.

4

Ausweislich der vom Berichterstatter angeforderten Akten des [X.] ist die Klage im Ausgangsverfahren am 20. Januar 2012 beim [X.] erhoben worden. Nach der Erwiderung durch das BZSt am 27. April 2012 wurde die Klage in der mündlichen Verhandlung am 12. Dezember 2012 zunächst für die [X.] und 2011 und anschließend auch für die [X.] und 2009 zurückgenommen. Am 15. Dezember 2012, eingegangen beim [X.] am 19. Dezember 2012 widerrief der Antragsteller unter Hinweis auf § 72 Abs. 2 Satz 3 der [X.]sordnung ([X.]O) die Klagerücknahme hinsichtlich der [X.] und 2010. Nachdem das BZSt am 16. Januar 2013 eine Stellungnahme abgegeben hatte, wurden die [X.]-Akten --wie vom Antragssteller beantragt-- bislang [X.] an das [X.] Y zur Akteneinsicht übersandt, und zwar am 28. Januar 2013, 22. Oktober 2013 und 11. Februar 2014. Da der Antragssteller trotz wiederholter Aufforderung durch das [X.] Y die Akteneinsicht nicht wahrnahm, sandte das [X.] Y die Akten am 25. Februar 2013, 18. November 2013 bzw. 28. März 2014 an das [X.] zurück.

5

Der Antragsteller bat das [X.] am 21. Februar 2013 um Übersendung eines "rechtsmittelfähigen Bescheides" und fragte am 3. September 2013 nach, ob das Verfahren beendet worden sei. Unter Hinweis auf § 198 [X.] erhob er am 6. September 2013 und am 13. Oktober 2013 eine Verzögerungsrüge.

6

Aufgrund der vorliegenden Anträge hat der Berichterstatter die Akten des [X.] am 26. Mai 2014 angefordert und zum Verfahren beigezogen.

Entscheidungsgründe

7

II. 1. [X.]er zulässige [X.] ist unbegründet. Zwar hat der Antragssteller das Streitverhältnis in der gerade noch als geboten zu bezeichnenden Weise dargestellt. Mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg der beabsichtigten Rechtsverfolgung kann [X.] jedoch nicht gewährt werden.

8

a) [X.]er Antrag ist zulässig.

9

aa) Gemäß § 142 Abs. 1 [X.]O i.V.m. § 114 der Zivilprozessordnung (ZPO) erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag [X.], wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hierbei ist nach § 142 Abs. 1 [X.]O i.V.m. § 117 Abs. 1 Satz 2 ZPO in dem [X.] das Streitverhältnis unter Angabe der Beweismittel darzustellen.

bb) Wird [X.] für eine vor dem [X.] erhobene oder noch zu erhebende [X.] gemäß § 198 GVG beantragt, muss der nicht vertretene Antragssteller in laienhafter Form schildern, inwieweit das von dem Entschädigungsanspruch betroffene finanzgerichtliche Verfahren unangemessen verzögert worden ist (vgl. weiterführend: Senatsbeschluss vom 23. Januar 2014 [X.], [X.] 2014, 569).

cc) [X.]iesen Anforderungen entspricht der vorliegende [X.] gerade noch. [X.]er Antragssteller stellt dar, dass er Entschädigung für das vor dem [X.] noch anhängige Klageverfahren 2 K 231/12 in Höhe von jährlich 1.200 € begehrt, zumindest für die [X.] nach Widerruf seiner Erledigungserklärung, da bislang eine Entscheidung des [X.] ausstehe.

dd) Ist aufgrund der laienhaften Schilderung des Streitverhältnisses zumindest nicht auszuschließen, dass eine beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat, wird das Gericht tätig werden und nach Beiziehung der Akten überprüfen müssen, ob eine solche Verzögerung feststellbar ist.

b) [X.]er [X.] ist unbegründet.

[X.]ie Klage auf Entschädigung wegen der [X.]auer des Ausgangsverfahrens hat keine Aussicht auf Erfolg.

aa) Aus den beigezogenen Akten des [X.] ergibt sich, dass zwar das Ausgangsverfahren hinsichtlich der [X.] und 2010 --anders als hinsichtlich der [X.] und [X.] noch nicht beendet worden ist. Aufgrund der vom Senat aufgestellten Grundsätze für ein Finanzgerichtsverfahren ist allerdings noch nicht von einer Unangemessenheit des Ausgangsverfahrens insoweit auszugehen. Eine hinreichende Aussicht auf Erfolg kann die beabsichtigte Rechtsverfolgung deshalb nicht haben.

bb) Gemäß § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG richtet sich die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und [X.]ritter. [X.]iese gesetzlichen Maßstäbe beruhen auf der ständigen Rechtsprechung des [X.] und des [X.] (vgl. hierzu und zum Folgenden ausführlich Senatsurteil vom 7. November 2013 [X.], [X.], 126, [X.], 179, unter II.2.).

Nach dieser Entscheidung ist der Begriff der "Angemessenheit" für Wertungen offen. Für finanzgerichtliche Verfahren kann dabei die Vermutung aufgestellt werden, die [X.]auer des Verfahrens sei angemessen, wenn das Gericht gut zwei Jahre nach dem Eingang der Klage mit Maßnahmen beginnt, die das Verfahren einer Entscheidung zuführen sollen, und die damit begonnene ("dritte") Phase des [X.] nicht durch nennenswerte [X.]räume unterbrochen wird, in denen das Gericht die Akte unbearbeitet lässt. [X.]ies gilt nicht, wenn der Verfahrensbeteiligte rechtzeitig und in nachvollziehbarer Weise auf Umstände hinweist, aus denen eine besondere Eilbedürftigkeit des Verfahrens folgt.

[X.]iese Vermutungsregel steht nicht im Widerspruch zur Rechtsprechung des Urteils des [X.] vom 11. Juli 2013  5 [X.] 27/12 [X.], [X.] 2014, 149 (dazu Senatsurteil vom 19. März 2014 [X.], [X.] 2014, 1053, unter II.2.c).

cc) Nach diesen Grundsätzen war die [X.]auer des Ausgangsverfahrens sowohl hinsichtlich der [X.] und 2011 als auch 2009 und 2010 nicht unangemessen.

(1) [X.]ie Anwendung der in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG beispielhaft genannten Kriterien vermitteln im Streitfall das Bild eines durchaus schon als komplex anzusehenden Falles.

[X.]ies ergab sich --bislang-- nicht nur aus dem Einreichen vieler Schriftsätze, sondern auch daraus, dass es durch häufige und sich auch wiederholende Anträge einer besonderen Sorgfalt bei der [X.]urchsicht dieser --teilweise schwer lesbaren-- Schriftsätze wie auch der gesamten Akten bedurfte.

(2) [X.]ie Würdigung, dass die Verfahrensdauer hinsichtlich der [X.] und 2010 noch angemessen ist, ergibt sich aus einer Betrachtung des konkreten [X.].

[X.]as Ausgangsverfahren, soweit es die [X.] und 2010 betrifft, ist derzeit noch als angemessen anzusehen. Es ist aufgrund des Widerrufs der Klagerücknahme noch nicht beendet. Vielmehr ist aufgrund dieses Widerrufs durch Gerichtsbescheid oder nach mündlicher Verhandlung durch Urteil darüber zu entscheiden, ob die Klagerücknahme zulässig und wirksam war (vgl. z.B. [X.] in Tipke/[X.], Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 72 [X.]O Rz 28, m.w.N.). [X.]iese Entscheidung steht noch aus.

[X.]ieses Ausgangsverfahren wird jedoch auch in der seit Februar 2014 begonnenen "dritten" Phase vom [X.] erkennbar einer (weiteren) Entscheidung zugeführt. Allerdings ist das [X.] derzeit durch die verschiedenen Maßnahmen des Antragsstellers (noch) gehindert gewesen, das Verfahren zu beenden.

So hat das [X.] aufgrund der wiederholten Anträge des Antragsstellers die Akten an das [X.] Y zur [X.] vom Antragssteller nicht wahrgenommenen-- Akteneinsicht übersandt. Im [X.] daran mussten die Akten dem angerufenen Senat wegen dieses [X.]-Verfahrens übermittelt werden.

[X.]eshalb konnte das [X.] das Ausgangsverfahren bislang nicht beenden und über den Widerruf der Klagerücknahme entscheiden. Eine Unangemessenheit des Ausgangsverfahrens kann deshalb insoweit noch nicht vorliegen.

2. Mangels Begründetheit des [X.]s kommt die Beiordnung eines Rechtsanwalts nach § 121 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 142 Abs. 1 [X.]O nicht in Frage.

3. Eine Stellungnahme des Antragsgegners wurde wegen der Unbegründetheit des [X.]s nicht eingeholt.

4. Gerichtsgebühren sind für das Verfahren wegen Bewilligung von [X.] sowie Beiordnung eines Rechtsanwalts in Ermangelung eines Gebührentatbestands nicht zu erheben.

Meta

X S 9/14 (PKH)

03.07.2014

Bundesfinanzhof 10. Senat

Beschluss

§ 198 Abs 1 S 2 GVG, § 72 Abs 2 S 3 FGO, § 142 Abs 1 FGO, § 114 ZPO, § 121 Abs 1 ZPO, § 117 Abs 1 S 2 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 03.07.2014, Az. X S 9/14 (PKH) (REWIS RS 2014, 4353)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 4353

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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