Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 30.06.2011, Az. V ZB 24/11

V. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 5233

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V
ZB
24/11

vom

30. Juni 2011

in der Abschiebungshaftsache

-
2
-

Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 30. Juni 2011 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. [X.], die Richter [X.] und
Prof. Dr. Schmidt-Räntsch, die Richterin [X.] und [X.]
Czub
beschlossen:
Dem Betroffenen wird für die Rechtsbeschwerde gegen den [X.] der Zivilkammer 84 des [X.] vom 20.
Januar 2011 Verfahrenskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwäl-tin Dr.
[X.] beigeordnet.

Auf die Rechtsbeschwerde wird festgestellt, dass der Beschluss des [X.] vom 6.
Dezember 2010 und der [X.] der Zivilkammer 84 des [X.] vom 20.
Januar 2011 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt ha-ben.

Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die zur zweckentsprechen-den Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden dem Land B.

auferlegt.

Der Gegenstandswert des [X.] beträgt 3.000

-
3
-

Gründe:
I.
Der Betroffene, ein [X.] Staatsangehöriger, reiste nach eige-nen Angaben Ende März 2010 auf dem Landweg in die [X.] ein. Am 27.
Oktober 2010 wurde er festgenommen; einen Pass und eine Meldeanschrift im [X.] konnte er nicht vorweisen. Bei der [X.] wurde festgestellt, dass gegen den Betroffenen ein bis zum 30.
April 2012 befristetes Einreiseverbot
der Republik Ungarn für
das Schengengebiet vorliegt. Ein Asylantrag des Betroffenen wurde als offensicht-lich unbegründet zurückgewiesen. Am 23.
November 2010 beantragte der Be-troffene bei dem Verwaltungsgericht im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Erteilung einer Aufenthaltsduldung.
Am 1.
Dezember 2010 hat die beteiligte Behörde die Verlängerung einer früheren angeordneten
Haft "um mindestens sechs Wochen" beantragt. In dem Termin zur Anhörung des Betroffenen vor dem Amtsgericht hat sie am Schluss der Anhörung "Haftverlängerung bis 26.01.2011" beantragt. Dem hat das [X.] mit Beschluss vom 6.
Dezember 2010 stattgegeben. Die Beschwerde hat das [X.] zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde will der Be-troffene die Feststellung erreichen, dass die Beschlüsse des
[X.]s und des Amtsgerichts ihn in seinen Rechten verletzt haben. Für das [X.] beantragt
er die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe.

II.
Nach Ansicht des [X.] bestand der in §
62 Abs.
2 Satz
1 Nr.
5 [X.] genannte Haftgrund, weil der begründete Verdacht bestanden habe, dass sich der Betroffene ohne Inhaftierung der Abschiebung entziehen 1
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werde. Er habe die Frage des Gerichts, ob er sich für eine Abschiebung bereit-halten werde, ohne Umschweife verneint, weil er bei seinem in B.

lebenden Kind bleiben wolle.
Weiter meint das Beschwerdegericht, es habe im Hinblick auf das bei dem Verwaltungsgericht anhängige Eilverfahren keine Prognose anstellen müs-sen, ob die Abschiebung innerhalb der in §
62 Abs.
2 Satz
4
[X.] genann-ten Frist möglich sei. Denn der Betroffene wolle eine Duldung erreichen, welche die Abschiebung nicht hindere, wenn sie mit der Erteilung eines [X.] ende.
Schließlich ist der beteiligten Behörde nach Auffassung des Beschwer-degerichts kein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot vorzuwerfen; sie ha-be die [X.] während der Dauer des Asylverfahrens nicht betreiben müssen.

III.
Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
1. Die Rechtsbeschwerde ist nach §
70 Abs.
3 Satz
1 Nr.
3, Satz
2
FamFG statthaft (vgl. Senat, Beschluss vom 25. Februar 2010 -
V
ZB 172/09, NVwZ
2010, 726, 727; Beschluss vom 29.
April 2010 -
V
ZB 218/09, NVwZ
2010, 1508, 1509) und auch im Übrigen zulässig (§
71 Abs.
1 und
2
FamFG).
2. Das Rechtsmittel ist auch begründet. Sowohl die Haftanordnung als auch die Beschwerdeentscheidung haben den Betroffenen in seinem Freiheits-recht aus Art.
2 Abs.
2 Satz
2 GG verletzt (§
62 Abs.
1 FamFG). Die Haft hätte schon deshalb nicht angeordnet werden dürfen, weil es an einem zulässigen 4
5
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7
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-
5
-

Haftantrag fehlte. Das Vorliegen eines solchen Antrags ist [X.] und daher in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen (vgl. Senat, Beschluss vom 29.
April 2010 -
V
ZB 218/09, NVwZ
2010, 1508, 1509; Beschluss vom 22.
Juli 2010 -
V
ZB 28/10, FGPrax
2010, 316, 317; [X.] vom 9.
Dezember 2010 -
V
ZB 136/10 Rn.
6, juris).
a) Da der Antrag und dessen Begründung die Grundlage für die Anhö-rung des Betroffenen bilden, muss sowohl die Antragstellung als auch die [X.]sbegründung aus den
Verfahrensakten selbst ersichtlich sein; diese müssen daher entweder den vollständigen schriftlichen Haftantrag enthalten, oder die Antragsbegründung muss sich aus dem Protokoll über die Anhörung des Be-troffenen ergeben (Senat, Beschluss vom 29.
April 2010 -
V
ZB 218/09, aaO; Beschluss vom 21.
Oktober 2010 -
V
ZB 96/10 Rn.
13, juris; Beschluss vom 9.
Dezember 2010 -
V
ZB 136/10 Rn.
6, juris). Fehlt beides, ist eine [X.] der Ordnungsmäßigkeit der Haftanordnung in den [X.] nicht möglich (Senat, Beschluss vom 29.
April 2010 -
V
ZB 218/09, aaO; [X.] vom 9.
Dezember
2010
-
V
ZB 136/10, aaO).
b) So verhält es sich hier.
aa) Zwar hat die beteiligte Behörde ihren schriftlichen Haftverlänge-rungsantrag vom 1.
Dezember 2010 begründet; zu der erforderlichen Dauer der Freiheitsentziehung (§
417 Abs.
2 Satz
2 Nr.
4 FamFG) hat sie ausgeführt, dass die notwendige [X.] von Amts wegen erfahrungsgemäß vier bis sechs Wochen dauere. Aber der in dem Termin zur Anhörung des Betroffenen vor dem Amtsgericht mündlich gestellte Antrag, die Haft bis zum 26.
Januar 2011 zu verlängern, enthält keine Begründung. In dem Protokoll über den Anhö-rungstermin ist nicht vermerkt und auch sonst nicht ersichtlich, dass auf die [X.]sbegründung vom 1.
Dezember 2010 Bezug genommen wurde. Das hätte im Übrigen auch nicht ausgereicht. Denn die beantragte Haftverlängerung geht mehr als eine Woche über den ursprünglichen Haftverlängerungsantrag hinaus.
9
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6
-

Dass es dort " ... mindestens sechs Wochen" heißt, ist unerheblich. Dem Be-gründungserfordernis nach §
417 Abs.
2 Satz
2 Nr.
4 FamFG ist nur bei Angabe einer bestimmten Dauer der beantragten Freiheitsentziehung Genüge getan. Deshalb ist davon auszugehen, dass die Haft für sechs Wochen verlängert werden sollte. Bei dieser Sachlage kann der mündlich gestellte Antrag entweder
als neuer Haftverlängerungsantrag oder als Präzisierung des ursprünglichen Antrags angesehen werden. Beidem
hätte das Amtsgericht nicht stattgeben dürfen. Denn wenn der neue mündlich gestellte Haftantrag Grundlage der Ent-scheidung war, durfte die Haft wegen der fehlenden Antragsbegründung nicht verlängert werden. War der ursprüngliche, nunmehr hinsichtlich der Haftdauer präzisierte Antrag Entscheidungsgrundlage, ist
das Amtsgericht über den [X.] hinausgegangen, weil es die Haft um mehr als sechs Wochen verlängert hat. Die Anordnung einer über den Antrag der Behörde hinausgehenden Dauer der Freiheitsentziehung ist jedoch unzulässig (Senat, Beschluss vom 6.
Mai 2010 -
V
ZB 223/09, FGPrax
2010, 212, Rn.
15).
bb) In dem Beschwerdeverfahren hat die beteiligte Behörde keine Be-gründung zu dem -
gegebenenfalls
-
neuen Haftantrag abgegeben. Auch hat sie die Haftdauer nicht dem ursprünglichen Antrag angepasst. Deshalb durfte das Beschwerdegericht die Haftanordnung nicht aufrechterhalten.

IV.
Wegen des Erfolgs der Rechtsbeschwerde ist dem Betroffenen Verfah-renskostenhilfe zu bewilligen, weil er nach seinen wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage ist, die Kosten für das Rechtsbeschwerdeverfahren aufzubrin-gen (§
114 ZPO i.V.m. §
76 Abs.
1 FamFG).

12
13
-
7
-

V.
1. Die Kostenentscheidung beruht auf §
81 Abs.
1 Satz
1 und 2, §
83 Abs.
2 FamFG, §
128c Abs.
3 Satz
2 KostO. Unter Berücksichtigung der Rege-lung in Art.
5 Abs.
5 EMRK entspricht es billigem Ermessen, das Land B.

als diejenige Körperschaft, der die beteiligte Behörde angehört (vgl. §
430 FamFG),
zur Erstattung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen zu verpflichten.
2. Die Festsetzung des [X.] folgt aus §
128c Abs.
2 [X.]. §
30 KostO.
Krüger
[X.]
Schmidt-Räntsch

Stresemann
Czub

Vorinstanzen:
AG Berlin-Tiergarten, Entscheidung vom 06.12.2010 -
383 XIV 583/10 B -

LG Berlin, Entscheidung vom 20.01.2011 -
84 [X.] -

14
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Meta

V ZB 24/11

30.06.2011

Bundesgerichtshof V. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 30.06.2011, Az. V ZB 24/11 (REWIS RS 2011, 5233)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 5233

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