Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 14.07.2011, Az. V ZB 50/11

V. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 4754

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 50/11

vom

14. Juli 2011

in der Freiheitsentziehungssache

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2 -
Der V.
Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. Juli 2011 durch den [X.] [X.] [X.],
die Richterin [X.], [X.]
[X.] und die Richterinnen Dr.
[X.] und Weinland
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der Zivilkammer 29 des [X.] vom 18.
Februar 2011 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des [X.], an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert des [X.] beträgt

Gründe:
I.
Der Betroffene, ein [X.] Staatsangehöriger, reiste am 22. Sep-tember 2000 in die [X.] ein. Das [X.] lehnte seinen Asylantrag als offensicht-lich unbegründet ab. Die Entscheidung ist seit Januar 2003 bestandskräftig. Die Abschiebung des Betroffenen scheiterte, da seine Identitätspapiere fehlten und er über seine Herkunft unwahre Angaben machte. Erst durch eine Durchsu-chung bei dem Betroffenen Ende Mai 2010 konnte seine Staatsangehörigkeit geklärt werden. Bei seiner Anhörung durch die Beteiligte zu 2 im November 1
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2010 gab er an, zu einer freiwilligen Ausreise nicht bereit zu sein. Auf Antrag der Beteiligten zu 2 hat das Amtsgericht, nachdem es zunächst die einstweilige Freiheitsentziehung angeordnet hatte, am 22. November 2010 Abschiebungs-haft bis zum 7. Dezember 2010 und mit Beschluss vom 7. Dezember 2010 die Verlängerung der Haft bis zum 5. Januar 2011 angeordnet. Der Betroffene wur-de am 3. Januar 2011 nach [X.] abgeschoben. Seine auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der amtsgerichtlichen Beschlüsse gerichtete Beschwerde ist vor dem [X.] ohne Erfolg geblieben. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt er seinen Fortsetzungsfeststellungsantrag, soweit er die Beschlüsse des [X.] vom 22.
November 2010 und vom 7. Dezember 2010 betrifft, weiter.

II.
Das Beschwerdegericht stützt die [X.] auf §
62 Abs.
2 Satz
1 Nr.
5 [X.] Für eine Entziehungsabsicht sprächen insbesondere die wie-derholten Versuche des Betroffenen, seine Identität und Herkunft zu verschlei-ern, seine bei der Anhörung durch die Beteiligte zu 2 geäußerte Absicht, einer Aufforderung, zum Abschiebetermin zu erscheinen, nicht Folge zu leisten, und sein gewaltsames Verhalten anlässlich der Durchsuchung seiner Handy-Daten zum Zwecke der Identitätsfeststellung sowie seine Vorstrafen, die unter ande-rem Gewaltdelikte betrafen.

III.
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

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1. Die nach Erledigung der Hauptsache mit dem Feststellungsantrag analog § 62 FamFG
ohne Zulassung gemäß §
70 Abs.
3 Satz
1 Nr.
3, Satz
2 FamFG
statthafte (vgl. Senat, Beschlüsse vom 29. April 2010 -
V
ZB 218/09, [X.] 2010, 359, 360
und vom 21. Oktober 2010 -
V
ZB 96/10, Rn.
10, juris) Rechtsbeschwerde ist gemäß §
71 FamFG
form-
und fristgerecht eingelegt. Hat -
wie hier
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bereits das Beschwerdegericht über den Fortsetzungsfeststellungs-antrag
nach §
62 FamFG
entschieden, geht es im Rechtsbeschwerdeverfahren allein um die Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung. Dabei ist allerdings inzident auch die Frage der Rechtmäßigkeit der Haftentscheidung zu prüfen (vgl. Senat, Beschlüsse vom 22. Juli 2010 -
V
ZB 29/10, [X.] 2011, 27
Rn.
4 und vom 28. April 2011 -
V
ZB 184/10, Rn. 7, juris).
2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet.
a) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist die angefochtene Entscheidung allerdings nicht deshalb zu beanstanden, weil es an der [X.] fehlt. Zwar müssen Beschlüsse, die der Rechtsbe-schwerde unterliegen, den für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt wiedergeben (Senat, Beschluss vom 11. Mai 2006 -
V
ZB 70/05, [X.], 1030; Beschluss vom 14. Mai 2009 -
V
ZB 172/08, [X.], 2135). Denn das Rechtsbeschwerdegericht ist ohne die Wiedergabe zu einer rechtlichen Über-prüfung, die nach §
74 Abs.
3 Satz 4 FamFG, §
559 ZPO
grundsätzlich von dem durch das Beschwerdegericht festgestellten Sachverhalt auszugehen hat, nicht in der Lage (Senat, Beschluss vom 14. Mai 2009 -
V
ZB 172/08, aaO). Aber das Fehlen der Sachdarstellung hindert eine Entscheidung über die Rechtsbeschwerde hier deshalb nicht, weil sich die Vorgänge, auf die es an-kommt, mit noch ausreichender Deutlichkeit dem vom Beschwerdegericht aus-drücklich in Bezug genommenen Haftantrag vom 17. November 2010 entneh-men lassen.
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b) Ebenso ohne Erfolg rügt der Betroffene, dass der Haftanordnung und dem [X.] kein zulässiger Antrag zugrunde gelegen habe, da dieser nicht hinreichend begründet gewesen sei. Das Vorliegen eines zuläs-sigen Antrags ist Verfahrensvoraussetzung und daher in jeder Lage des Verfah-rens von Amts wegen zu prüfen (Senat, Beschluss vom 22. Juli 2010 -
V
ZB 28/10, NVwZ 2010, 1511, 1512 Rn. 7).
aa) Der Haftantrag muss nach §
417 Abs.
2 Satz
1 FamFG
begründet werden. Ein Verstoß gegen den Begründungszwang führt zur Unzulässigkeit des
[X.]. Für [X.] werden nach §
417 Abs.
2 Satz
2 Nr.
5 FamFG
Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durch-führbarkeit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer verlangt. Fehlt es an den erforderlichen Darlegungen, darf keine Haft angeordnet werden; vielmehr ist der Antrag als unzulässig zu verwerfen, weil es sich bei der [X.] Antragstellung durch die Behörde um eine Verfahrensgarantie handelt, deren Beachtung Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG
erfordert (Senat, [X.] vom 29. April 2010 -
V
ZB 218/09, [X.] 2010, 210
und vom 22. Juli 2010 -
V
ZB 28/10, [X.] 2010, 316, 317). In gleicher Weise zu begründen ist auch der Antrag der Behörde auf Verlängerung einer bereits angeordneten und vollzogenen [X.]. Nach § 425 Abs. 3 FamFG
gelten für die [X.] die Vorschriften über die erstmalige Anordnung entsprechend (Senat, Beschluss vom 28. April 2011 -
V
ZB 252/10 Rn. 12,
juris).
cc) Der Haftantrag vom 22. November 2010 enthält lediglich den Hinweis auf den geplanten Abschiebungstermin. Im Übrigen nimmt er auf den Antrag vom 17. November 2010 auf Anordnung der einstweiligen Freiheitsentziehung Bezug. Der Haftverlängerungsantrag vom 3. Dezember 2010 äußert sich nur 7
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zum Stand der Passersatzpapierbeschaffung sowie zu dem neuen Abschie-bungstermin und bezieht sich ansonsten auf die Haftanordnung des [X.]. Diese verkürzte Begründung durch Bezugnahme auf den in der Ge-richtsakte befindlichen und dem Betroffenen nach §
23 Abs.
2 FamFG übermit-telten Haftantrag bzw. den Haftanordnungsbeschluss ist nur zulässig, wenn sich bei den nach §
417 Abs.
2 Satz
2 Nr.
5 FamFG [X.] Umständen im Vergleich zu dem Haftantrag nichts geändert hat (offen gelassen Senat, [X.] vom 28. April 2011 -
V
ZB 252/10, Rn.
15, juris). So liegt es hier. In den fünf Tagen, die zwischen dem in Bezug genommenen Antrag vom
17.
November 2010 und dem Haftantrag lagen, hat sich die Sachlage nicht ge-ändert. Auch im Zeitpunkt des [X.] waren keine Verände-rungen gegenüber der im amtsgerichtlichen Beschluss, der sich im [X.] auf eine Wiedergabe der Begründung im Antrag vom 17. November 2010 beschränkt, dargestellten Sachlage eingetreten. Soweit sich in den bis dahin vergangenen 16 Tagen nachträglich herausgestellt hatte, dass sich die Be-schaffung von Passersatzpapieren und damit die geplante Abschiebung verzö-gert, werden die Gründe hierfür im Haftverlängerungsantrag ausgeführt.
dd) Der Antrag vom 17. November 2010 enthält die nach §
417 Abs.
2 Satz
2 Nr.
5 FamFG erforderlichen Darlegungen. Insbesondere äußert sich die Beteiligte zu 2 auch zur Erforderlichkeit der Haft, indem sie auf die unwahren Angaben des Betroffenen über seine Identität sowie auf seine Bekundung, nicht zu einer freiwilligen Ausreise bereit zu sein, hinweist.
c) Auch die Annahme des [X.] nach §
62 Abs.
2 Satz
1 Nr.
5 [X.]
in der angefochtenen Entscheidung ist frei von [X.]. Nach dieser Vorschrift ist ein vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer zur Sicherung der Abschiebung in Haft zu nehmen, wenn der begründete Verdacht besteht, dass er sich der Abschiebung entziehen will. Dies setzt konkrete Umstände, 10
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insbesondere Äußerungen oder Verhaltensweisen des Ausländers voraus, die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit darauf hindeuten oder es nahe legen, dass der Ausländer beabsichtigt, unterzutauchen oder die Abschiebung in einer Weise zu behindern, die nicht durch einfachen, keine Freiheitsentziehung [X.] Zwang überwunden werden kann (vgl. Senat, Beschluss vom 29. April 2010 -
V
ZB 202/09, Rn. 12, juris).
Allerdings ergibt sich aus der Begründung des Amtsgerichts, der Be-troffene habe durch seinen illegalen Aufenthalt und durch die Begehung von Straftaten deutlich gemacht, dass er die Gesetze nicht respektiere, das Vorlie-gen eines [X.] nach § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 [X.] nicht. Dies wirkt sich im Ergebnis jedoch nicht aus. Denn das Beschwerdegericht hat das Vorlie-gen des [X.] nach § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 [X.] aus zutreffenden Erwägungen bejaht und damit den Fehler der erstinstanzlichen Entscheidung im Rahmen des Fortsetzungsfeststellungsverfahrens geheilt
(vgl. Senat, [X.] vom 8. März 2007 -
V
ZB 149/06, NJW-RR 2007, 1569, 1570 und vom 22. Juli 2010 -
V
ZB 29/10, [X.] 2011, 27, 28, [X.], FamFG, 16.
Aufl., §
62 Rn.
22
f.). Es hat rechtsfehlerfrei Umstände festgestellt, die den begründeten Verdacht rechtfertigen, der Betroffene wolle sich der Abschiebung entziehen. Er hat unwahre Angaben über seine Herkunft und Identität gemacht und sich auf diese Weise seit 2003 seinen Aufenthalt gesichert. Gegen eine Durchsuchung seiner Handy-Daten zum Zwecke der Identitätsfeststellung hat er sich gewaltsam gewehrt. Zudem hat er bei seiner Anhörung durch die [X.] zu 2 geäußert, dass er einer Aufforderung, zum Abschiebungstermin zu erscheinen, keine Folge leisten werde. Aus diesen Umständen hat das Be-schwerdegericht rechtsfehlerfrei gefolgert, es sei zu befürchten, dass der Be-troffene versuchen wird, eine Abschiebung zu verhindern.
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d) Zu Recht weist die Rechtsbeschwerde jedoch darauf hin, dass in ei-nem in der Ausländerakte befindlichen internen Vermerk vom 27.
Dezember 2010, in welchem die zur Durchführung der Abschiebung beigefügten [X.] aufgeführt werden, auch die Rubrik "Strafanzeige erstattet" angekreuzt ist. Daraus ist zu schließen, dass gegen den Betroffenen ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren anhängig war (Senat, Beschluss vom 27. April 2011 -
V
ZB 71/11, juris Rn. 8). Nach §
72 Abs. 4 Satz 1 [X.] darf ein Auslän-der, gegen den öffentliche Klage erhoben oder ein strafrechtliches Ermittlungs-verfahren eingeleitet ist, nur im Einvernehmen mit der zuständigen Staatsan-waltschaft ausgewiesen und abgeschoben werden. Fehlt dieses Einvernehmen, darf die Haft zur Sicherung der Abschiebung nicht angeordnet werden (Senat, Beschluss vom 20. Januar 2011 -
V
ZB 226/10, Rn. 22;
Beschluss vom 10.
Februar 2011 -
V
ZB 49/10, Rn.
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ff. [X.]). Dabei ist es unerheblich, ob der Haftrichter Anhaltspunkte für eine diesbezügliche Prüfung hatte. Da das Einver-nehmen nach § 72 Abs. 4 Satz 1 [X.] eine essentielle Haftvoraussetzung darstellt, kommt es insoweit
allein auf die objektive Rechtslage an (Senat, [X.] vom 12. Mai 2011 -
V
ZB 189/10).

IV.
Die Sache ist nicht zur Entscheidung reif und deshalb nach § 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Be-schwerdegericht zurückzuverweisen. Dieses wird der Frage nachzugehen ha-ben, ob bei Stellung des [X.] und bei der Entscheidung des Beschwer-degerichts gegen den Betroffenen ein Ermittlungsverfahren schon oder noch anhängig war. Sollte das der Fall sein, wäre weiter zu prüfen, ob die Staatsan-13
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waltschaft ihr Einvernehmen zur Abschiebung im Zeitpunkt des Erlasses der Haftanordnung erteilt hatte.

V.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 84 FamFG. Die [X.] be-ruht auf §
128c Abs. 2, § 30 Abs. 2 KostO.
Krüger
[X.]
[X.]

[X.]
Weinland

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 17.11.2010, 22.11.2010 u. 07.12.2010
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219d XIV 37292 -

LG [X.], Entscheidung vom 18.02.2011 -
329 [X.], 3/11 u. 4/11 -

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Meta

V ZB 50/11

14.07.2011

Bundesgerichtshof V. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 14.07.2011, Az. V ZB 50/11 (REWIS RS 2011, 4754)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 4754

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