Bundesgerichtshof, Urteil vom 23.09.2015, Az. IV ZR 179/14

4. Zivilsenat | REWIS RS 2015, 4963

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Gegenstand

Lebens- und Rentenversicherungsvertrag: Europarechtswidrigkeit des Widerspruchsrechts nach dem sog. Policenmodell; bereicherungsrechtliche Rückabwicklung nach Widerspruch


Tenor

Auf die Revision der Klägerseite wird das Urteil des 20. Zivilsenats des [X.] vom 2. Mai 2014 aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 14.979,68 € festgesetzt.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerseite (Versicherungsnehmer: im Folgenden [X.]) begehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden Versicherer) Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer kapitalbildenden Lebensversicherung mit vorgezogenen Teilauszahlungen.

2

Diese wurde aufgrund eines Antrags [X.] mit Versicherungsbeginn zum 1. März 1996 nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nach dem so genannten Policenmodell des § 5a [X.] in der seinerzeit gültigen Fassung (im Folgenden § 5a [X.] a.F.) abgeschlossen. Im Dezember 2010 kündigte [X.] den Vertrag und der Versicherer zahlte den Rückkaufswert abzüglich der bereits erfolgten Teilauszahlungen aus. Mit Schreiben vom April 2013 erklärte [X.] unter anderem schließlich den Widerspruch nach § 5a Abs. 1 Satz 1 [X.] a.F.

3

Mit der Klage verlangt [X.] Rückzahlung aller auf den Vertrag geleisteten Beiträge nebst Zinsen abzüglich des bereits gezahlten Rückkaufswerts.

4

Nach Auffassung [X.] ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam zustande gekommen. Auch nach Ablauf der Frist des - gegen Gemeinschaftsrecht verstoßenden - § 5a Abs. 2 Satz 4 [X.] a.F. habe der Widerspruch noch erklärt werden können.

5

Das [X.] hat die Klage abgewiesen, das [X.] die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt [X.] das Klagebegehren hinsichtlich des [X.] weiter.

Entscheidungsgründe

6

[X.]ie Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

7

I. [X.]ieses hat einen Prämienrückerstattungsanspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung verneint. [X.]er Versicherer habe zwar nicht ordnungsgemäß über das Widerspruchsrecht belehrt. [X.]er Vertrag sei aber gemäß § 5a Abs. 2 Satz 4 [X.] ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie rückwirkend endgültig wirksam geworden.

8

II. [X.]ie Revision ist begründet.

9

1. Ein Anspruch auf Prämienrückzahlung aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB kann d. [X.] nicht mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung versagt werden.

a) [X.]er zwischen den Parteien geschlossene Versicherungsvertrag schafft nach dem für das Revisionsverfahren maßgeblichen Sachverhalt keinen Rechtsgrund für die Prämienzahlung. Er ist infolge des Widerspruchs d. [X.] nicht wirksam zustande gekommen. [X.]er Widerspruch war - ungeachtet des Ablaufs der in § 5a Abs. 2 Satz 4 [X.] normierten Jahresfrist - rechtzeitig.

aa) Nach den revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Feststellungen des Berufungsgerichts ist der [X.] [X.] und nicht - wie die Revisionserwiderung meint - im [X.] zustande gekommen. Unstreitig hat der Versicherer bei Antragstellung die nach § 10a [X.] erforderliche Verbraucherinformation d. [X.] nicht vollständig ausgehändigt, sondern die [X.] und die garantierten beitragsfreien Versicherungssummen erst mit dem Versicherungsschein übermittelt. [X.]er Wortlaut des § 5a [X.] ist zwar nicht eindeutig, weil es dort nur heißt "oder eine Verbraucherinformation nach § 10a Versicherungsaufsichtsgesetzes unterlassen". Schon der Wortlaut der Überschriften zu den Ziffern 1 und 2 des Abschnitts I der Anlage [X.] zum [X.] zeigt aber, dass die aufgezählten Einzelinformationen sprachlich zusammengefasst werden und die zu erteilende Verbraucherinformation als Gesamtheit zu verstehen ist. [X.]ie Erteilung lediglich von [X.] würde auch dem Sinn und Zweck der [X.] und [X.]ritten Richtlinie Lebensversicherung und dem Schutz der Versicherungsnehmer nicht gerecht. [X.]anach kommt es grundsätzlich auch dann zur Anwendung des [X.]s, wenn nur einzelne Informationen bei Antragstellung dem Versicherungsnehmer nicht erteilt worden sind. [X.]enn sonst hätte es der Versicherer in der Hand, bestimmte Informationen zunächst nicht zu übergeben, mit der Belehrung über das Rücktrittsrecht die Rücktrittsfrist auszulösen und nach deren Ablauf eine Bindung an den Vertrag zu schaffen.

[X.]. [X.] hat zu diesem Vertrag mit Übersendung des Versicherungsscheins eine Widerspruchsbelehrung nicht erhalten, so dass keine ordnungsgemäße Belehrung i.S. von § 5a Abs. 2 Satz 1 [X.] erfolgt ist. Für einen solchen Fall bestimmte § 5a Abs. 2 Satz 4 [X.] zwar, dass das Widerspruchsrecht ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie erlischt. [X.]as Widerspruchsrecht bestand hier aber nach Ablauf der Jahresfrist und noch im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung fort.

[X.]as ergibt die richtlinienkonforme Auslegung des § 5a Abs. 2 Satz 4 [X.] auf der Grundlage der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der [X.] vom 19. [X.]ezember 2013 ([X.], 225). [X.]er Senat hat mit Urteil vom 7. Mai 2014 ([X.], [X.], 101 Rn. 17-34) entschieden und im Einzelnen begründet, die Regelung müsse richtlinienkonform teleologisch dergestalt reduziert werden, dass sie im Anwendungsbereich der [X.] und der [X.]ritten Richtlinie Lebensversicherung keine Anwendung findet und für davon erfasste Lebens- und Rentenversicherungen sowie Zusatzversicherungen zur Lebensversicherung grundsätzlich ein Widerspruchsrecht fortbesteht, wenn d. [X.] - wie hier - nicht ordnungsgemäß über das Recht zum Widerspruch belehrt worden ist und/oder die Verbraucherinformation oder die Versicherungsbedingungen nicht erhalten hat.

bb) [X.]ie Kündigung des Versicherungsvertrages steht dem späteren Widerspruch nicht entgegen (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 36 m.w.N.). Ein Erlöschen des Widerspruchsrechts nach beiderseits vollständiger Leistungserbringung kommt ebenfalls nicht in Betracht (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 37 m.w.N.).

b) [X.]ie bereicherungsrechtlichen Rechtsfolgen der Europarechtswidrigkeit des § 5a Abs. 2 Satz 4 [X.] sind nicht auf eine Wirkung ab Zugang des Widerspruchs (ex nunc) zu beschränken, sondern nur eine Rückwirkung entspricht dem [X.] (dazu im Einzelnen Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 42-44).

2. [X.]er Höhe nach umfasst der [X.] nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB nicht uneingeschränkt alle gezahlten Prämien. Vielmehr muss sich d. [X.] bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung den jedenfalls bis zur Kündigung des Vertrages genossenen Versicherungsschutz anrechnen lassen. [X.]er Wert des Versicherungsschutzes kann unter Berücksichtigung der Prämienkalkulation bemessen werden; bei Lebensversicherungen kann etwa dem Risikoanteil Bedeutung zukommen (Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 45 m.w.N.).

[X.]a es hierzu an Feststellungen fehlt, ist der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Es wird den Parteien Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu geben haben (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 46)

Mayen                           Harsdorf-Gebhardt                                     [X.]r. Karczewski

                [X.] Brockmöller

Meta

IV ZR 179/14

23.09.2015

Bundesgerichtshof 4. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Köln, 2. Mai 2014, Az: I-20 U 204/13, Urteil

§ 5a Abs 1 S 1 VVG vom 21.07.1994, § 5a Abs 2 S 4 VVG vom 21.07.1994, EWGRL 619/90, EWGRL 96/92, § 812 Abs 1 S 1 Alt 1 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 23.09.2015, Az. IV ZR 179/14 (REWIS RS 2015, 4963)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 4963


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. IV ZR 179/14

Bundesgerichtshof, IV ZR 179/14, 23.09.2015.


Az. 20 U 204/13

Oberlandesgericht Köln, 20 U 204/13, 11.12.2015.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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