Bundesgerichtshof, Beschluss vom 07.10.2020, Az. XII ZB 167/20

12. Zivilsenat | REWIS RS 2020, 816

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ZUSTELLUNG ZUSTELLUNGSMANGEL

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Gegenstand

Dauer und Verlängerung einer Unterbringung eines Betreuten in einer geschlossenen Heimeinrichtung: Heilung eines Zustellungsmangels durch Zugang einer Kopie; Berechnung der Gesamtunterbringungsdauer bei kurzzeitigen Unterbrechungen


Leitsatz

1. Die Heilung eines Zustellungsmangels setzt nicht voraus, dass dem Zustellungsempfänger eine Kopie genau des ihm zuzustellenden Schriftstücks zugeht. Vielmehr ist ausreichend, aber auch erforderlich, dass er eine inhaltlich mit diesem Schriftstück übereinstimmende Kopie erhält, die etwa auch in der einem anderen Verfahrensbeteiligten zugegangenen, inhaltsidentischen beglaubigten Abschrift der zuzustellenden Entscheidung - oder auch in einer Kopie von dieser - bestehen kann (Fortführung von BGH Beschluss vom 12. März 2020 - I ZB 64/19, MDR 2020, 750; Urteil vom 20. April 2018 - V ZR 202/16, NJW-RR 2018, 970 und Senatsbeschluss vom 4. Mai 2011 - XII ZB 632/10, FamRZ 2011, 1049).

2. Die aus § 329 Abs. 2 Satz 2 FamFG folgende Verpflichtung des Gerichts, bei Unterbringungen mit einer Gesamtdauer von mehr als vier Jahren einen externen Gutachter zu bestellen, entfällt nicht bei kurzzeitigen Unterbrechungen des Freiheitsentzugs und besteht auch dann, wenn der Betroffene trotz zwischenzeitlichen Fehlens einer Unterbringungsgenehmigung weiterhin gegen seinen Willen untergebracht war.

Tenor

Der Betroffenen wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde gewährt.

Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der 1. Zivilkammer des [X.] vom 19. März 2020 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des [X.], an das [X.] zurückverwiesen.

Gründe

I.

1

Für die im Jahre 1969 geborene Betroffene ist eine Betreuung eingerichtet, deren Aufgabenkreis unter anderem die Bereiche der Aufenthaltsbestimmung und der Gesundheitssorge umfasst. Die Betroffene war seit April 2012 mit richterlicher Genehmigung in einer Wohneinrichtung geschlossen untergebracht, zuletzt bis einschließlich 29. Juli 2019.

2

Auf Antrag der Betreuerin hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 5. September 2019 die weitere Unterbringung der Betroffenen in einer geschlossenen Heimeinrichtung bis längstens zum 4. September 2021 genehmigt. Auf die Beschwerde der Betroffenen hat das [X.] diese Entscheidung aufgehoben und die Sache an das Amtsgericht zurückgegeben. Dieses hat ein schriftliches Sachverständigengutachten der Medizinaldirektorin [X.] eingeholt, die Betroffene - die sich nach wie vor in der geschlossenen Einrichtung aufhielt - persönlich angehört und dann mit Beschluss vom 14. November 2019 die weitere Unterbringung der Betroffenen in einer geschlossenen Heimeinrichtung bis längstens zum 13. November 2021 genehmigt.

3

Die dagegen von der Betroffenen eingelegte Beschwerde hat das [X.] mit Beschluss vom 19. März 2020 zurückgewiesen. Die Geschäftsstelle des [X.]s hat diesen Beschluss zum Zwecke der Zustellung gegen Postzustellungsurkunde am 26. März 2020 und nochmals am 5. Mai 2020 an die [X.], ohne dass ein Rücklauf der Postzustellungsurkunde erfolgt ist.

4

Gegen die Beschwerdeentscheidung hat der für das Rechtsbeschwerdeverfahren von der Betroffenen bevollmächtigte Rechtsanwalt beim [X.] am 17. April 2020 für die Betroffene Rechtsbeschwerde eingelegt, die Kopie einer beglaubigten Abschrift des angefochtenen Beschlusses mit dem Hinweis, dass das Zustellungsdatum nicht bekannt sei, beigefügt und beantragt, die Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde um zwei Monate zu verlängern. Mit Verfügung vom 10. August 2020 ist die Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde bis einschließlich 20. Juli 2020 verlängert worden. Den daraufhin am 11. August 2020 für die Betroffene gestellten Antrag auf Verlängerung dieser Frist bis zum 11. Oktober 2020 hat der Senatsvorsitzende am 12. August 2020 zurückgewiesen, weil die verlängerte Begründungsfrist bei Eingang des Antrags bereits abgelaufen gewesen sei. Nachdem ihr Verfahrensbevollmächtigter (erstmals) Einsicht in die Verfahrensakten erhalten hatte, hat die Betroffene am 3. September 2020 die Rechtsbeschwerde begründet und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand der Rechtsbeschwerdebegründungsfrist beantragt.

II.

5

Die Rechtsbeschwerde der Betroffenen ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere ist die Frist des § 71 Abs. 2 FamFG zur Begründung der Rechtsbeschwerde im Ergebnis gewahrt, weil der Betroffenen insoweit gemäß §§ 17 ff. FamFG Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist.

6

1. Die Begründung der Rechtsbeschwerde mit Schriftsatz vom 3. September 2020 ist allerdings erst nach Ablauf der Frist des § 71 Abs. 2 FamFG erfolgt.

7

a) Die Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde beginnt nach § 71 Abs. 2 Satz 2 FamFG mit der schriftlichen Bekanntgabe des angefochtenen Beschlusses. Entspricht dieser Beschluss - wie hier - nicht dem [X.]en desjenigen, dem er bekanntzugeben ist, dann ist er ihm gemäß § 41 Abs. 1 Satz 2 FamFG zuzustellen, wobei sich die Zustellung gemäß § 15 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 FamFG nach den §§ 166 bis 195 ZPO richtet (vgl. Senatsbeschluss vom 19. Februar 2020 - [X.] 291/19 - FamRZ 2020, 770 Rn. 16 ff. [X.]). Die Akten enthalten jedoch keinen Nachweis - insbesondere keine Zustellungsurkunde im Sinne des § 182 ZPO - darüber, wann die Beschwerdeentscheidung der Betroffenen zugestellt worden ist.

8

b) Dieser Zustellungsmangel war aber spätestens am 17. April 2020, als der Verfahrensbevollmächtigte der Betroffenen über eine Kopie der beglaubigten Beschlussausfertigung verfügte, gemäß §§ 15 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 FamFG, 189 Alt. 1 ZPO geheilt.

9

aa) Nach § 189 ZPO gilt ein Dokument, dessen formgerechte Zustellung sich nicht nachweisen lässt oder das unter Verletzung zwingender [X.] zugegangen ist, in dem Zeitpunkt als zugestellt, in dem das Dokument der Person, an die die Zustellung dem Gesetz gemäß gerichtet war oder gerichtet werden konnte, tatsächlich zugegangen ist. Eine Heilung durch den tatsächlichen Zugang des Schriftstücks im Sinne des § 189 ZPO setzt voraus, dass das Schriftstück so in den Machtbereich des Adressaten gelangt, dass er es behalten kann und Gelegenheit zur Kenntnisnahme von dessen Inhalt hat ([X.] Beschluss vom 12. März 2020 - [X.]/19 - [X.], 750 Rn. 21 [X.]). Zudem kommt die Heilung einer fehlerhaften Zustellung nur beim Vorliegen eines Zustellungswillens in Betracht, mithin dann, wenn eine formgerechte Zustellung von dem Gericht wenigstens angestrebt worden ist (Senatsbeschluss vom 19. Februar 2020 - [X.] 291/19 - FamRZ 2020, 770 Rn. 19 [X.]).

bb) Anders als die Rechtsbeschwerde meint, ist vorliegend die Heilungswirkung spätestens am 17. April 2020 eingetreten, da der Verfahrensbevollmächtigte der Betroffenen an diesem Tag mit der Rechtsbeschwerde die Kopie einer beglaubigten Ausfertigung des angefochtenen Beschlusses vorgelegt hat, die er wiederum von der Betroffenen erhalten haben muss. Die Geschäftsstelle des [X.]s hat diesen Beschluss ausweislich der am 26. März 2020 ausgeführten Verfügung zur Zustellung mittels Postzustellungsurkunde und demnach mit Zustellungswillen an die [X.]. Ob das der Betroffenen bei [X.] vorliegende Beschlussexemplar dasjenige ist, das zur Zustellung an sie abgesandt wurde, oder eine andere inhaltsgleiche Beschlusskopie, bedarf keiner weiteren Aufklärung.

(1) Nach der Rechtsprechung des [X.]s ist für den tatsächlichen Zugang als Voraussetzung der Heilung nicht der Zugang des zuzustellenden Originals erforderlich. Die erfolgreiche Übermittlung einer (auch elektronischen) Kopie in Form - beispielsweise - eines Telefaxes, einer Fotokopie oder eines Scans ist ausreichend. Dieses Verständnis entspricht dem Sinn und Zweck der Heilungsvorschrift des § 189 ZPO ([X.] Beschluss vom 12. März 2020 - [X.]/19 - [X.], 750 Rn. 24; vgl. auch - für das Wohnungseigentumsrecht - [X.] Urteil vom 20. April 2018 - [X.]/16 - NJW-RR 2018, 970 Rn. 21).

Die mit § 189 ZPO eröffnete [X.] hat den Sinn, die förmlichen [X.] nicht zum Selbstzweck erstarren zu lassen; deshalb ist die Zustellung auch dann als bewirkt anzusehen, wenn der [X.] anderweitig erreicht wird. Die Vorschrift des § 189 ZPO ist daher grundsätzlich weit auszulegen. Der Zweck der Zustellung liegt darin, dem Adressaten angemessen Gelegenheit zu verschaffen, von einem Schriftstück Kenntnis zu nehmen, und den Zeitpunkt der Bekanntgabe zu dokumentieren. Ist die Gelegenheit zur Kenntnisnahme gewährleistet und steht der tatsächliche Zugang auch ohne die durch die förmliche Zustellung gewährleistete Dokumentation fest, bedarf es besonderer Gründe, die Zustellungswirkung entgegen dem Wortlaut der Regelung in § 189 ZPO nicht eintreten zu lassen. Der [X.] wird danach in gleicher Weise erreicht, wenn der Empfänger eine technische Reproduktion des [X.] erhält; diese verschafft ihm zuverlässig Kenntnis über den Inhalt des zuzustellenden Schriftstücks. Die bloße mündliche Überlieferung oder eine handschriftliche oder maschinenschriftliche Abschrift des Dokuments führen dagegen wegen der Fehleranfälligkeit einer solchen Übermittlung nicht zur Heilung des Zustellungsmangels. Eine dahingehende Auslegung von § 189 ZPO wäre weder mit dessen Wortlaut noch mit dem [X.] zu vereinbaren ([X.] Beschluss vom 12. März 2020 - [X.]/19 - [X.], 750 Rn. 25; vgl. auch Senatsbeschluss vom 4. Mai 2011 - [X.] 632/10 - FamRZ 2011, 1049 Rn. 11 [X.] und [X.] Urteil vom 20. April 2018 - [X.]/16 - NJW-RR 2018, 970 Rn. 30).

(2) Mit Blick auf den Sinn der von § 189 ZPO eröffneten [X.] muss dem Zustellungsempfänger zudem nicht zwingend eine Kopie genau des ihm zuzustellenden Schriftstücks zugehen. Vielmehr ist ausreichend, aber auch erforderlich, dass er eine inhaltlich mit diesem Schriftstück übereinstimmende Kopie erhält, die etwa auch in der einem anderen Verfahrensbeteiligten zugegangenen, inhaltsidentischen beglaubigten Abschrift der zuzustellenden Entscheidung - oder auch in einer Kopie von dieser - bestehen kann (vgl. Senatsbeschluss vom 4. Mai 2011 - [X.] 632/10 - FamRZ 2011, 1049 Rn. 11 [X.]). Der mit der Zustellung verfolgte Zweck wird dann ebenfalls gewahrt. Daher kann dahinstehen, ob die Betroffene - wie ihr Verfahrensbevollmächtigter als Möglichkeit in den Raum stellt - die von ihm mit der Rechtsbeschwerde vorgelegte Entscheidungskopie von einem anderen Verfahrensbeteiligten erhalten hat.

c) Die einmonatige Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde begann mithin am 18. April 2020 zu laufen und lief am 18. Mai 2020 ab, so dass die antragsgemäße Verlängerung um zwei Monate zu einem Fristende am 20. Juli 2020, einem Montag, führte. Der zweite Verlängerungsantrag ist hingegen erst am 11. August 2020 und damit nach Fristablauf gestellt worden und konnte deshalb nicht zu einer nochmaligen Verlängerung führen. Mit der am 3. September eingegangenen Rechtsbeschwerdebegründung ist die Frist des § 71 Abs. 2 FamFG nicht gewahrt.

2. Der Betroffenen ist aber Wiedereinsetzung in den vorigen Stand der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde zu gewähren, weil sie ohne eigenes oder ihr zuzurechnendes Verschulden ihres Verfahrensbevollmächtigten im Sinne des § 17 Abs. 1 FamFG verhindert war, die Frist einzuhalten.

Ein Verschulden wäre nur dann anzunehmen, wenn die Betroffene zumindest damit hätte rechnen müssen, dass die Rechtsbeschwerdebegründungsfrist jedenfalls am 18. April 2020 zu laufen begann. Dies ist jedoch nicht der Fall. Die Geschäftsstelle des Senats hatte dem Verfahrensbevollmächtigten der Betroffenen nach Eingang der Verfahrensakten am 11. Mai 2020 mitgeteilt, dass eine Zustellung des angefochtenen Beschlusses noch nicht erfolgt war. Damit, dass das [X.] diesen Beschluss bereits zuvor - am 26. März 2020 - mit Zustellungsabsicht und nicht etwa formlos oder durch Aufgabe zur Post an die [X.] hatte, musste ihr Verfahrensbevollmächtigter unter diesen Umständen nicht rechnen. Die Akteneinsicht, die ihm Kenntnis von diesem Sachverhalt verschaffen konnte, ist ihm erst am 14. August 2020 gewährt worden. Jedenfalls bis zur Ablehnung der erneuten Fristverlängerung durfte er daher ohne Verschulden davon ausgehen, dass die Frist des § 71 Abs. 2 FamFG mangels für die Bekanntgabe erforderlicher Zustellung noch nicht zu laufen begonnen hatte. Binnen der mit dieser Kenntniserlangung in Gang gesetzten, für den Fall der Verhinderung an der Begründung der Rechtsbeschwerde geltenden Monatsfrist des § 18 Abs. 1 Satz 2 FamFG ist der Wiedereinsetzungsantrag gestellt und die versäumte Rechtshandlung nachgeholt worden, § 18 Abs. 3 Satz 2 FamFG.

III.

Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.

1. Das [X.] hat seine Entscheidung wie folgt begründet:

Die Betroffene leide an einer Erkrankung im Sinne des § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB, nämlich zum einen unter einer Alkoholerkrankung und zum anderen entweder an einer chronischen paranoiden Schizophrenie und einer emotional-instabilen Persönlichkeitsstörung vom [X.] oder an einer instabilen Persönlichkeitsstörung und an einer rezidivierenden psychotischen Störung. Unabhängig von der genauen Diagnose sei sie jedenfalls offensichtlich psychisch krank. Aufgrund dieser Erkrankung bestehe die Gefahr, dass sie sich selbst gefährde, sollte sie aus der Unterbringung entlassen werden. Es drohten dann der Kontrollverlust im Umgang mit Alkohol und unzureichende Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme, die zu einer weiteren Schädigung der Persönlichkeit und des zentralen Nervensystems der Betroffenen führen könnten. Sie würde sich höchstwahrscheinlich ins [X.] Abseits manövrieren, verwahrlosen und körperlich verfallen. Ferner drohten auto- und fremdaggressive Verhaltensweisen aufgrund Verlusts der Impulskontrolle bei kleinsten Belastungssituationen. In den Jahren 2010 und 2012 sei es unter Alkoholeinfluss zu Suizidversuchen der Betroffenen gekommen. Die Unterbringung sei daher zur Vermeidung der Selbstgefährdung erforderlich. Angesichts des Gesundheitszustands der Betroffenen sei auch gegen die vom Amtsgericht ausgesprochene Genehmigungsdauer nichts zu erinnern.

2. Das hält schon der von der Rechtsbeschwerde erhobenen Verfahrensrüge nicht stand, dass das Sachverständigengutachten der Medizinaldirektorin [X.] wegen eines Verstoßes gegen § 329 Abs. 2 Satz 2 FamFG nicht hätte verwertet werden dürfen.

a) Nach dieser Bestimmung soll das Gericht bei Unterbringungen mit einer Gesamtdauer von mehr als vier Jahren keinen Sachverständigen bestellen, der den Betroffenen bisher behandelt oder begutachtet hat oder in der Einrichtung tätig ist, in der der Betroffene untergebracht ist. Dabei muss die Unterbringung nicht bereits im Zeitpunkt der Entscheidung in der letzten Tatsacheninstanz vier Jahre vollzogen sein. Ausreichend ist vielmehr, dass der mit der angefochtenen Entscheidung verlängerte [X.] über das Fristende hinausreicht. Denn die gesetzliche Vorschrift will gerade vermeiden, dass eine Unterbringung über einen Zeitraum von vier Jahren hinaus aufrechterhalten wird, ohne dass ihr das Gutachten eines außenstehenden Sachverständigen zugrunde liegt. [X.] das Gericht von dieser Regel aufgrund besonderer Umstände abweichen, so muss es diese benennen (Senatsbeschluss vom 23. November 2016 - [X.] 458/16 - FamRZ 2017, 227 Rn. 14 f.; vgl. auch Senatsbeschluss [X.]Z 218, 111 = FamRZ 2018, 950 Rn. 16).

b) Diesen rechtlichen Anforderungen wird das bisherige Verfahren nicht gerecht.

aa) Die Rechtsbeschwerde macht zutreffend geltend, dass die Betroffene seit April 2012 geschlossen untergebracht ist, so dass die jetzige Unterbringungsgenehmigung über die von § 329 Abs. 2 Satz 2 FamFG genannte Gesamtdauer von vier Jahren hinausgeht. Dem steht nicht entgegen, dass die letzte Unterbringungsgenehmigung nur bis zum 29. Juli 2019 reichte, das Amtsgericht erst am 5. September 2019 die weitere Unterbringung genehmigt hat und mithin rund fünf Wochen kein Beschluss über eine Unterbringungsgenehmigung bestand.

Allerdings sind Zeiträume zurückliegender Unterbringungen grundsätzlich nicht in die Fristberechnung einzubeziehen, wenn sich der Betroffene zwischenzeitlich in Freiheit befunden hat, so dass für den Fristbeginn auf das Wirksamwerden (§ 324 FamFG) derjenigen Unterbringungsgenehmigung abzustellen ist, die bis zum Fristlablauf ununterbrochen vollzogen wird (vgl. [X.] FamFG 20. Aufl. § 329 Rn. 14; vgl. auch - zur Vorgängervorschrift des § 70 i Abs. 2 Satz 2 [X.] - BayObLG Beschluss vom 31. Januar 1994 - [X.] - juris Rn. 11). Kurzzeitige Unterbrechungen - etwa bei Entweichen des Betroffenen, kurzem Freigang oder Aussetzung der Vollziehung nach § 328 FamFG in den Fällen des § 312 Nr. 4 FamFG - bleiben in Anbetracht des Gesetzeszwecks, Zweifeln an der Objektivität des Gutachters entgegenzuwirken und eine durch die Einschaltung desselben Sachverständigen herbeigeführte Perpetuierung der Unterbringung zu verhindern, ohne Einfluss auf den Fristlauf (vgl. etwa [X.]/[X.]/[X.]/[X.] FamFG 3. Aufl. § 329 Rn. 4; [X.] FamFG 20. Aufl. § 329 Rn. 14; MünchKommFamFG/[X.] 3. Aufl. § 329 Rn. 12; [X.]/[X.] FamFG 5. Aufl. § 329 Rn. 10 f.).

Ob eine fünfwöchige Unterbrechung noch als kurzzeitig in diesem Sinne anzusehen ist, bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Denn die Betroffene hat sich während des genehmigungslosen Zustands tatsächlich nicht in Freiheit befunden, sondern war weiterhin in der geschlossenen Einrichtung untergebracht. Zudem ging der [X.]e des Amtsgerichts dahin, an die vorhergehende Unterbringungsgenehmigung nahtlos anzuknüpfen, wie sich schon daraus ergibt, dass die „weitere Unterbringung“ genehmigt worden ist.

bb) Die Sachverständige Medizinaldirektorin [X.], deren Gutachten vom 20. Oktober 2019 der zweijährigen Unterbringungsgenehmigung nach §§ 329 Abs. 2 Satz 1, 321 Abs. 1 FamFG zugrunde liegt, hatte jedoch - wie die Rechtsbeschwerde ebenfalls zutreffend aufzeigt - bereits am 15. Oktober 2013 und am 30. Juli 2017 Sachverständigengutachten über die Betroffene in Unterbringungssachen gefertigt. Weshalb das Amtsgericht sie gleichwohl unter Abweichung von der Regel des § 329 Abs. 2 Satz 2 FamFG mit der Gutachtenserstellung beauftragt hat, lässt sich den tatrichterlichen Entscheidungen nicht entnehmen.

3. Der angefochtene Beschluss ist daher gemäß § 74 Abs. 5 FamFG aufzuheben und die Sache ist nach § 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG an das [X.] zurückzuverweisen, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist.

Die Zurückverweisung gibt dem [X.] auch Gelegenheit, die rechtlichen Besonderheiten zu berücksichtigen, die sich bei einer langjährigen Unterbringung mit Blick auf die Feststellung der von § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB vorausgesetzten Gefährdung von Leib und Leben der Betroffenen und die hierfür gebotene Begründungstiefe der gerichtlichen Entscheidung sowie für die Frage der Verhältnismäßigkeit der Freiheitsentziehung ergeben (vgl. Senatsbeschlüsse [X.]Z 218, 111 = FamRZ 2018, 950 Rn. 17 ff. [X.] und vom 10. Juni 2020 - [X.] 215/20 - FamRZ 2020, 1406 Rn. 11).

Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).

[X.]     

      

[X.]     

      

Schilling

      

Nedden-Boeger     

      

Krüger     

      

Meta

XII ZB 167/20

07.10.2020

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Lüneburg, 19. März 2020, Az: 1 T 6/20

§ 189 ZPO, § 15 Abs 2 S 1 Alt 1 FamFG, § 329 Abs 2 S 2 FamFG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 07.10.2020, Az. XII ZB 167/20 (REWIS RS 2020, 816)

Papier­fundstellen: MDR 2021, 220-221 REWIS RS 2020, 816

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