Bundesfinanzhof, Beschluss vom 05.09.2017, Az. IV B 82/16

4. Senat | REWIS RS 2017, 5791

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Gegenstand

Neue Tatsachen im Verfahren über eine Nichtzulassungsbeschwerde


Leitsatz

NV: Der BFH kann im Verfahren über eine Nichtzulassungsbeschwerde, mit der der fehlerhafte Erlass eines Prozessurteils gerügt wird, neues Tatsachenvorbringen im Hinblick auf die fristgerechte Klageerhebung nicht berücksichtigen .

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des [X.] vom 7. September 2016  4 K 4023/16 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Gründe

1

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.

2

1. Soweit die Nichtzulassungsbeschwerde die gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen 2011 und 2012 betrifft, hat sie keinen Erfolg.

3

a) Ist das angegriffene Urteil des Finanzgerichts ([X.]) nebeneinander (kumulativ) auf mehrere Begründungen gestützt, die jede für sich nach Auffassung des [X.] das Entscheidungsergebnis tragen, so muss hinsichtlich jeder Begründung ein Zulassungsgrund geltend gemacht werden (z.B. Beschluss des [X.] --[X.]-- vom 20. Oktober 2015 IV B 80/14). Daran fehlt es im Streitfall.

4

b) Das [X.] hat die Zulässigkeit der Klage, soweit sie die gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen 2011 und 2012 betrifft, auch mit der Begründung verneint, dass die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) den Gegenstand des Klagebegehrens nicht vor Ablauf der von dem Berichterstatter bestimmten Ausschlussfrist gemäß § 65 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) ausreichend bezeichnet hat. Diese das Urteil des [X.] insoweit selbständig tragende Begründung hat die Klägerin mit durchgreifenden [X.] nicht angegriffen.

5

2. Das [X.]-Urteil betreffend die gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen 2007 beruht nicht auf einem Verfahrensfehler.

6

a) Das [X.] hat § 122 Abs. 2 der Abgabenordnung ([X.]) zutreffend auf den Streitfall angewandt und die Klage daher zu Recht als unzulässig abgewiesen. Auch mit dem neuen Vorbringen der Klägerin im vorliegenden Beschwerdeverfahren werden keine Gründe geltend gemacht, die die Beurteilung rechtfertigen, dass die Klage innerhalb der Klagefrist erhoben worden ist.

7

aa) Wird über eine Klage objektiv fehlerhaft nicht zur Sache, sondern durch Prozessurteil entschieden, so liegt darin ein Verfahrensmangel ([X.] vom 5. November 2007 IV B 166/06, [X.], 248, und vom 25. März 2015 V B 163/14). Dies gilt insbesondere dann, wenn das Gericht zu Unrecht davon ausgeht, dass die Klagefrist versäumt wurde ([X.] vom 25. März 2015 V B 163/14).

8

bb) Das [X.] hat zutreffend entschieden, dass die Klage verfristet war.

9

(1) Gemäß § 47 Abs. 1 [X.]O ist eine Klage innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung einzulegen. Diese gilt nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 [X.] mit dem dritten Tage nach ihrer Aufgabe zur Post als bekanntgegeben, außer wenn sie nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen. Bestreitet der Steuerpflichtige nicht den Zugang des Schriftstücks überhaupt, sondern den Erhalt innerhalb des [X.] des § 122 Abs. 2 Nr. 1 [X.], so hat er sein Vorbringen im Rahmen des Möglichen zu substantiieren, um Zweifel an der [X.] zu begründen. Er muss Tatsachen vortragen, die den Schluss darauf zulassen, dass ein anderer Geschehensablauf als der typische --Zugang binnen dreier Tage nach Aufgabe zur [X.] ernstlich in Betracht zu ziehen ist. Zur Begründung von Zweifeln am Zugang innerhalb der Dreitagesfrist reicht ein abweichender Eingangsvermerk nicht aus ([X.] vom 30. November 2006 XI B 13/06, [X.], 389, und vom 18. April 2013 X B 47/12, Rz 14, m.w.N.).

(2) Das [X.] ist von diesen Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Es hat den Sachverhalt aufgeklärt und die tatsächlichen Umstände im Wege freier Beweiswürdigung nach § 96 Abs. 1 [X.]O gegeneinander abgewogen. Wenn es danach aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme zum einen davon ausgegangen ist, die Einspruchsentscheidung sei --wie von der Zeugin glaubhaft [X.] am 15. Dezember 2015 zur Post aufgegeben worden, und zum anderen der nicht näher substantiierten Behauptung der Klägerin über den verspäteten Zugang der Einspruchsentscheidung erst am 21. Dezember 2015 nicht folgte und infolgedessen keinen Zweifel am Zugang innerhalb der Dreitagesfrist hatte, so war dies nicht verfahrensfehlerhaft.

(3) Insbesondere ist es nicht zu beanstanden, dass das [X.] aufgrund der Vernehmung der zuständigen Sachbearbeiterin der [X.] und der den Beteiligten zur Kenntnis gelangten schriftsätzlichen Stellungnahme des Landesverwaltungsamts ... ([X.] ...) vom 10. August 2016 den 15. Dezember 2015 als [X.] angesehen hat. Anders als die Klägerin vorträgt, hat das [X.] auch berücksichtigt, dass sich der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --[X.]--) "mehrerer Erfüllungsgehilfen bei der [X.] bediente". So ist das [X.] ausweislich der Entscheidungsgründe insbesondere unter Heranziehung der o.g. Stellungnahme des [X.] ... davon ausgegangen, dass jegliche [X.] zentral von dem [X.] ... organisiert wird, dieses sämtliche ausgehende Post beim [X.] und diese noch am selben Tag den zuständigen Postdienstleistern ([X.], [X.], [X.]) übergibt. Eine andere Würdigung erscheint angesichts der Feststellungen des [X.] deshalb ausgeschlossen.

(4) Auch mit dem weiteren Vorbringen der Klägerin wird ein Verfahrensfehler des [X.] nicht dargelegt. Denn es handelt sich dabei um neues Tatsachenvorbringen, welches das [X.] im Rahmen seiner Entscheidung nicht berücksichtigen konnte, und mit dem die Klägerin im vorliegenden Beschwerdeverfahren auch nicht mehr gehört werden kann. Aber selbst wenn neues Vorbringen im Hinblick auf die Überprüfung der Sachentscheidungsvoraussetzung der fristgerechten Klageerhebung vom [X.] im Verfahren über eine Nichtzulassungsbeschwerde von Amts wegen und ohne Bindung an die tatsächlichen Feststellungen des [X.] zu prüfen sein sollte (so wohl [X.] vom 25. März 2015 V B 163/14, Rz 4), wäre das Vorbringen der Klägerin unter Berücksichtigung der Feststellungen des [X.] nicht geeignet, Zweifel an der [X.] des § 122 Abs. 2 Nr. 1 [X.] zu begründen oder diese Vermutung zu widerlegen. Denn anders als die Klägerin meint, ist es angesichts des geschilderten normalen Postlaufs und der von der Zeugin geschilderten Vorgehensweise bei der Ablage und der Datierung der Einspruchsentscheidung nicht Sache des [X.] gewesen, weiter unter Beweis zu stellen, zu welcher Tageszeit die Einspruchsentscheidung dem Postdienstleister am 15. Dezember 2015 übergeben worden ist. Anders als die Klägerin wohl meint, ist die Einspruchsentscheidung i.S. des § 122 Abs. 2 Nr. 1 [X.] zur Post aufgegeben worden, wenn sie einem eingeschalteten privaten Postdienstleister übergeben worden ist ([X.] vom 18. April 2013 X B 47/12, Rz 12). Auch setzt die [X.] keineswegs voraus, dass der Tag der Aufgabe zur Post dem [X.] entspricht. Zweifel an der [X.] des § 122 Abs. 2 Nr. 1 [X.] werden damit nicht schon deshalb begründet, wenn feststeht, dass die Beförderung des Verwaltungsakts --hier der [X.] erst am Tag nach der Aufgabe zur Post --hier nach der Aufgabe an den privaten Postdienstleister-- erfolgt. Diese durchaus übliche Verzögerung wird gerade von der [X.] erfasst. Entsprechend hätte der Senat den unter Beweis gestellten Sachverhalt, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Einspruchsentscheidung am 15. Dezember 2015 erst so spät vom Postdienstleister beim [X.] ... abgeholt worden sei, dass sie erst am Folgetag habe befördert werden können, als wahr unterstellen können. Insoweit hätte es auch keiner Entscheidung bedurft, ob der [X.] dem Beweisantritt schon deshalb nicht hätte nachkommen müssen, weil es sich um einen unzulässigen [X.] handelt.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 [X.]O.

4. Von einer weiteren Begründung und insbesondere von einer Darstellung des Sachverhalts sieht der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 [X.]O ab.

Meta

IV B 82/16

05.09.2017

Bundesfinanzhof 4. Senat

Beschluss

vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 7. September 2016, Az: 4 K 4023/16, Urteil

§ 47 Abs 1 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 122 Abs 2 Nr 1 AO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 05.09.2017, Az. IV B 82/16 (REWIS RS 2017, 5791)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 5791

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