Bundesfinanzhof, Beschluss vom 20.10.2011, Az. V B 17/11

5. Senat | REWIS RS 2011, 2150

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Bekanntgabe von Steuerbescheiden


Leitsatz

NV: § 122 Abs. 2 AO gilt auch für Steuerbescheide, die an den Steuerpflichtigen unter der Anschrift einer Justizvollzugsanstalt mit einfachem Brief zur Post gegeben werden. Im Zweifel hat die Behörde nach § 122 Abs. 2 AO den Zugang des Verwaltungsakts und den Zeitpunkt des Zugangs zu beweisen .

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist Gesellschafter und ehemaliger Geschäftsführer der [X.] (GmbH). Mit Bescheid vom 4. Januar 2010 nahm der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --[X.]--) den Kläger für rückständige Umsatzsteuerschulden der GmbH in Haftung. Der hiergegen gerichtete Einspruch hatte keinen Erfolg. Mit am 29. März 2010 abgesandter Einspruchsentscheidung wies das [X.] den Einspruch als unbegründet zurück.

2

Mit seiner am 7. Mai 2010 beim Finanzgericht ([X.]) eingegangenen Klage verfolgte der Kläger sein Anliegen weiter. Im Klageverfahren behauptete er, die Einspruchsentscheidung sei ihm wegen der [X.] erst am 7. April 2010 zugegangen.

3

Das [X.] verwarf die Klage wegen Versäumnis der Klagefrist von einem Monat als unzulässig. Der Kläger könne sich nicht auf einen späteren Beginn der Klagefrist berufen, da er die Zugangsvermutung des § 122 Abs. 2 Nr. 1 der Abgabenordnung ([X.]) nicht widerlegt habe. Der Kläger habe keine Tatsachen vorgetragen, die schlüssig auf einen späteren Zugang hindeuteten. Der Kläger könne nicht mit Erfolg geltend machen, dass er die Einspruchsentscheidung aufgrund der [X.] erst nach Ende der [X.] erhalten habe. Denn der dritte Tag nach Aufgabe zur Post habe noch vor den Feiertagen (Gründonnerstag) gelegen, sodass die [X.] selbst nicht Ursache für eine Verzögerung der Zustellung gewesen sein könnten.

4

Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde macht der Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--) und Verfahrensmängel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O) geltend. Das [X.] habe übersehen, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Zustellung der Einspruchsentscheidung eine Haftstrafe habe ableisten müssen und die Einspruchsentscheidung daher an die Adresse der Justizvollzugsanstalt adressiert gewesen sei. Das [X.] hätte die ihm bekannte Tatsache der Inhaftierung des [X.] bei der Würdigung des Sachvortrags des [X.] und bei der Prüfung des § 122 Abs. 2 [X.] berücksichtigen müssen.

5

Das [X.] ist der Nichtzulassungsbeschwerde entgegengetreten.

Entscheidungsgründe

6

II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Es kann dahinstehen, ob die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde den Anforderungen an die Darlegung eines Zulassungsgrundes gemäß § 116 Abs. 3 Satz 3 [X.]O genügt. Denn die Beschwerde ist jedenfalls unbegründet.

7

1. Die vom Kläger geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 [X.]O) liegt nicht vor.

8

a) Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn die vom Beschwerdeführer aufgeworfene Rechtsfrage im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und im künftigen Revisionsverfahren klärungsfähig ist (Beschluss des [X.] --[X.]-- vom 10. Februar 2005 [X.]/04, [X.], 1116). Daran fehlt es hier. Die vom Kläger sinngemäß aufgeworfene Frage, ob bzw. unter welchen Bedingungen die Zugangsfiktion des § 122 Abs. 2 Nr. 1 [X.] im Falle eines Straftäters, der im Zeitpunkt des Zugangs eine Haftstrafe verbüßt, Anwendung findet, ist nicht klärungsbedürftig.

9

b) An der Klärungsbedürftigkeit fehlt es, wenn die in Rede stehende Rechtsfrage bereits durch die Rechtsprechung des [X.] hinreichend geklärt ist und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar sind, welche eine erneute Prüfung und Entscheidung dieser Frage durch den [X.] erfordern ([X.]-Beschluss vom 13. Juni 2007 [X.]/06, [X.]/NV 2007, 1703).

Der Senat hat bereits mit Urteil vom 7. November 1985 [X.] ([X.]/NV 1987, 274) entschieden, dass Steuerbescheide, die an den Steuerpflichtigen unter der Anschrift einer Justizvollzugsanstalt mit einfachem Brief zur Post gegeben werden, gemäß § 122 Abs. 2 [X.] mit dem dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben gelten, außer wenn sie nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen sind. Im Zweifel hat die Behörde nach § 122 Abs. 2 [X.] den Zugang des Verwaltungsakts und den Zeitpunkt des Zugangs zu beweisen. Dabei reicht bereits der Vortrag eines [X.], aufgrund seiner Inhaftierung habe er die Bescheide "auf Umwegen" und mit erheblicher Verspätung erhalten, aus, um Zweifel an dem vom Gesetz unterstellten Zugang am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post zu begründen. Denn infolge der nach § 29 Abs. 3 des Strafvollzugsgesetzes zulässigen Überwachung des [X.] können sich in Haftanstalten Verzögerungen bei der Verteilung von Häftlingspost ergeben.

Mit dieser Entscheidung des Senats setzt sich der Kläger nicht auseinander. Neue Gesichtspunkte, die eine erneute Prüfung und Entscheidung des [X.] erfordern, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

2. Das [X.] hat bei seiner Entscheidung durch [X.] auch nicht [X.] gehandelt.

a) Zwar stellt es nach ständiger Rechtsprechung des [X.] einen Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O dar, wenn über eine zulässige Klage nicht zur Sache, sondern durch [X.] entschieden wird (vgl. u.a. [X.]-Beschlüsse vom 25. März 2011 [X.]/10, [X.]/NV 2011, 1006; vom 3. November 2010 [X.]/10, [X.]/NV 2011, 295; vom 25. August 2010 [X.]/10 (PKH), [X.]/NV 2011, 49). Ein solcher Verfahrensmangel ist im Streitfall jedoch nicht festzustellen, da die Entscheidung des [X.], die Klage wegen Versäumung der einmonatigen Klagefrist nach § 47 Abs. 1 [X.]O als unzulässig abzuweisen, nicht zu beanstanden ist.

b) Gemäß § 47 Abs. 1 [X.]O ist eine Klage innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung einzulegen. Diese gilt nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 [X.] mit dem dritten Tage nach ihrer Aufgabe zur Post als bekannt gegeben, außer wenn sie nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen. Bestreitet der Steuerpflichtige nicht den Zugang des Schriftstücks überhaupt, sondern den Erhalt innerhalb des [X.] des § 122 Abs. 2 Nr. 1 [X.], so hat er sein Vorbringen im Rahmen des Möglichen zu substantiieren, um Zweifel an der [X.] zu begründen. Er muss Tatsachen vortragen, die den Schluss darauf zulassen, dass ein anderer Geschehensablauf als der typische --Zugang binnen dreier Tage nach Aufgabe zur [X.] ernstlich in Betracht zu ziehen ist. An diese Substantiierung sind aber keine allzu hohen Anforderungen zu stellen, damit die Regelung über die objektive Beweislast, die nach dem Gesetz die Finanzverwaltungsbehörde trifft, nicht zu Lasten des Steuerpflichtigen umgekehrt wird ([X.]-Beschluss vom 20. April 2011 [X.]/10, [X.]/NV 2011, 1110; [X.]-Urteil vom 3. Mai 2001 [X.]/98, [X.]/NV 2001, 1365).

Das [X.] ist von diesen Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Wenn es danach der Behauptung des [X.] über den verspäteten Zugang der Einspruchsentscheidung nicht folgte und keinen Zweifel am Zugang innerhalb der Dreitagesfrist hatte, so war dies nicht [X.]. Insbesondere ist es nicht zu beanstanden, wenn es den Verweis des [X.], er habe die Sendung "wegen der [X.] erst am 7. April 2010 erhalten", nicht als ausreichend angesehen hat. Dieser pauschale, nicht weiter substantiierte Vortrag war nicht geeignet, um Zweifel an der [X.] zu begründen.

c) Soweit der Kläger erstmals im Beschwerdeverfahren vorträgt, er habe die Einspruchsentscheidung aufgrund von Verzögerungen in der Justizvollzugsanstalt nach Ablauf der Dreitagesfrist erhalten, handelt es sich um neues tatsächliches Vorbringen, das in der Revisionsinstanz gemäß § 118 Abs. 2 [X.]O grundsätzlich nicht berücksichtigt werden kann und im Streitfall mangels einer begründeten Verfahrensrüge insoweit nicht berücksichtigt werden konnte (vgl. [X.]-Beschluss vom 13. Juli 1993 [X.], [X.]/NV 1994, 289; [X.]-Urteil vom 5. März 1986 II R 5/84, [X.]E 146, 27, [X.] 1986, 462).

3. Einer weiteren Begründung bedarf es nach § 116 Abs. 5 Satz 2 [X.]O nicht.

Meta

V B 17/11

20.10.2011

Bundesfinanzhof 5. Senat

Beschluss

vorgehend FG München, 20. Januar 2011, Az: 14 K 1595/10, Urteil

§ 122 Abs 2 Nr 1 AO, § 29 Abs 3 StVollzG

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 20.10.2011, Az. V B 17/11 (REWIS RS 2011, 2150)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 2150

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

X B 47/12 (Bundesfinanzhof)

Zustellung an eine Postfach-Adresse durch einen privaten Postdienstleister unter Einschaltung eines weiteren Postdienstleisters


III R 27/17 (Bundesfinanzhof)

Zugangsvermutung bei Beauftragung eines privaten Postdienstleisters unter Einschaltung eines Subunternehmers


IV B 82/16 (Bundesfinanzhof)

Neue Tatsachen im Verfahren über eine Nichtzulassungsbeschwerde


X B 109/18 (Bundesfinanzhof)

Behauptung eines von der Zugangsvermutung abweichenden Zugangszeitpunkts


III B 76/11 (Bundesfinanzhof)

Behauptung des verspäteten Zugangs der Einspruchsentscheidung - Berechnung der Klagefrist


Referenzen
Wird zitiert von

9 ME 142/18

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.