Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 08.12.2010, Az. 5 AZR 697/09

5. Senat | REWIS RS 2010, 653

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Gegenstand

Verlängerung des Entgeltfortzahlungszeitraums bei Krankheit durch Tarifvertrag oder Gesamtzusage


Tenor

1. Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 13. August 2009 - 2 [X.]/09 - aufgehoben.

2. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des [X.] vom 20. Januar 2009 - 21 Ca 392/08 - wird zurückgewiesen.

3. Die Klägerin hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Dauer der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.

2

Die privat krankenversicherte Klägerin war vom 15. März 1979 bis zum 30. April 1981 in einem Krankenhaus in [X.] und vom 1. März 1991 bis zum 30. April 1995 bei der Behörde für Arbeit, Gesundheit und Soziales der Freien und Hansestadt [X.] beschäftigt. Seit dem 15. Mai 1995 ist sie beim [X.] bzw. dessen Rechtsvorgänger auf der Grundlage des Arbeitsvertrags vom 22. Mai 1995 tätig.

3

Das Arbeitsverhältnis bestimmt sich aufgrund einzelvertraglicher Regelung nach dem Manteltarifvertrag für Beschäftigte der medizinischen Dienste der Krankenversicherung ([X.]) sowie den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen und sonstigen tariflichen Vereinbarungen.

4

Im [X.] heißt es ua.:

        

„§ 14 Beschäftigungszeit

        

(1) Beschäftigungszeit ist die beim Arbeitgeber und seinen Rechtsvorgängern zurückgelegte Beschäftigungs- und Ausbildungszeit. Eine Beurlaubung gemäß §§ 30 und 37 gilt nicht als Beschäftigungszeit.

        

(2) Zeiten des [X.] … werden, … als Beschäftigungszeit angerechnet. ...

        

(3) Bei Wiedereinstellung innerhalb von fünf Jahren nach der Entbindung wird die Beschäftigungszeit ... angerechnet. ...

        

(4) Andere Zeiten können auf Antrag angerechnet werden.

        

Protokollnotiz zu Abs. 4:

        

Die nach § 14 Abs. 4 [X.] anerkannten Beschäftigungszeiten können hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf Leistungen nach § 22 und § 26 [X.] beschränkt werden. Dies gilt nicht für bisher anerkannte Beschäftigungszeiten.

        

§ 22 Leistungen bei Arbeitsunfähigkeit

        

(1) Den Beschäftigten werden im Falle einer unverschuldeten Arbeitsunfähigkeit oder während der Dauer eines durch die Sozialversicherungsträger, einer sonstigen öffentlich-rechtlichen Versicherungs- oder Versorgungseinrichtung genehmigten - bzw. bei nicht gesetzlich kranken- oder rentenversicherten Beschäftigten einer ärztlich verordneten - stationären Vorsorge - oder medizinischen Rehabilitationsmaßnahme die Bezüge bis zur Dauer von 6 Wochen weitergezahlt, bei einer Beschäftigungszeit zu Beginn des auslösenden Ereignisses

        

von mindestens 2 Jahren bis zur Dauer von 9 Wochen,

        

von mindestens 3 Jahren bis zur Dauer von 12 Wochen,

        

von mindestens 5 Jahren bis zur Dauer von 15 Wochen,

        

von mindestens 8 Jahren bis zur Dauer von 18 Wochen,

        

von mindestens 10 Jahren bis zur Dauer von 26 Wochen.

        

(2) Beschäftigten, deren Arbeitsverhältnis nach dem 30.06.1994 beginnt, werden die Bezüge gemäß Abs. 1 bis zur Dauer von 6 Wochen weitergezahlt. Einmalig in jedem Kalenderjahr besteht nach Ablauf von 6 Wochen für die Zeit des sich anschließenden [X.] Anspruch auf Krankengeldzuschuss, und zwar bei einer Beschäftigungszeit

        

zu Beginn des auslösenden Ereignisses

        

von mehr als einem Jahr längstens bis zum Ende der 13. Woche,

        

von mehr als drei Jahren längstens bis zum Ende der 26. Woche

        

seit dem Beginn der Arbeitsunfähigkeit. ...

        

(3) ...

        

(4) ...“

5

Der [X.] legte mit Schreiben vom 21. August 1996 den Beginn der Beschäftigungszeit auf den 1. Februar 1989 fest. Mit Schreiben vom 23. März 2000 teilte der [X.] der Klägerin Folgendes mit:

        

„§ 22 [X.] Leistungen bei Arbeitsunfähigkeit

        

Sehr geehrte Frau Dr. W,

        

in den letzten Monaten wurde dem Referat 13 häufiger die Frage gestellt, wie lange bei Arbeitsunfähigkeit Anspruch auf Fortzahlung der Bezüge besteht.

        

Wir teilen Ihnen hierzu mit, dass Ihnen unter Berücksichtigung Ihrer Beschäftigungszeit im Falle einer unverschuldeten Arbeitsunfähigkeit seit dem 01.12.99 die Bezüge bis zu einer Dauer von 26 Wochen weiter gezahlt werden.

        

Mit freundlichen Grüßen

        

…“    

6

Ein entsprechendes Schreiben des [X.] ging allen dort beschäftigten privat krankenversicherten Ärzten zu.

7

Im Juni 2007 leistete der [X.] anlässlich einer längeren Erkrankung der Klägerin Entgeltfortzahlung für lediglich sechs Wochen. Auf eine Beschwerde der Klägerin erklärte er sich ohne Anerkennung einer Rechtspflicht bereit, einmalig das Entgelt für längstens 26 Wochen fortzuzahlen.

8

Die Klägerin hat geltend gemacht, der [X.] sei tariflich zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall bis zu einer Dauer von 26 Wochen verpflichtet. Mit den Schreiben vom 21. August 1996 und vom 23. März 2000 habe der [X.] jedenfalls eine entsprechende Entgeltfortzahlung zugesagt.

9

Die Klägerin hat beantragt

        

festzustellen, dass der [X.] verpflichtet ist, der Klägerin im Falle einer unverschuldeten Arbeitsunfähigkeit Entgeltfortzahlung für die Dauer von 26 Wochen zu leisten.

Der [X.] hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat die Auffassung vertreten, „Beschäftigungszeit“ und „Beginn des Arbeitsverhältnisses“ seien nach dem Tarifvertrag zu unterscheiden. Eine übertarifliche Leistung habe er nicht zugesagt.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das [X.] der Klage stattgegeben. Mit der vom [X.] zugelassenen Revision begehrt der [X.] die Wiederherstellung des arbeitsgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

Die Revision des [X.] ist begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für die Dauer von bis zu 26 Wochen.

I. Die Klägerin hat, wie das [X.] zutreffend erkannt hat, keinen tariflichen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für die Dauer von bis zu 26 Wochen. Das Arbeitsverhältnis der Klägerin zum [X.] bzw. dessen Rechtsvorgänger begann erst am 15. Mai 1995, denn die vorherigen Arbeitgeber der Klägerin waren keine Rechtsvorgänger des [X.]. Beschäftigten wie der Klägerin, deren Arbeitsverhältnis nach dem 30. Juni 1994 begonnen hat, werden Krankenbezüge gemäß § 22 Abs. 2 [X.] lediglich bis zur Dauer von sechs Wochen weitergezahlt. Der Wortlaut dieser ausschließlich auf den Beginn des Arbeitsverhältnisses abstellenden Tarifnorm ist eindeutig. Die beim Arbeitgeber oder die bei einem anderen Arbeitgeber zurückgelegte und nach § 14 [X.] angerechnete Beschäftigungszeit kann lediglich zu einer Verlängerung des Anspruchs auf den Zuschuss zum Krankengeld nach § 22 Abs. 2 [X.] führen. Dies setzt einen Beginn des Arbeitsverhältnisses nach dem 30. Juni 1994 voraus. Ebenso wenig enthält die Protokollnotiz zu § 14 Abs. 4 [X.] eine „Besitzstandsregelung“ in dem von der Klägerin vertretenen Sinne. Die Protokollnotiz betrifft lediglich bestimmte Rechtsfolgen einer entsprechenden Anerkennung, zB gerade die Dauer der Zahlung eines Krankengeldzuschusses, sie besagt jedoch nicht, dass die Anerkennung von Beschäftigungszeiten zu einer Vorverlegung des Beginns des Arbeitsverhältnisses führt.

II. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für bis zu 26 Wochen wegen der von dem [X.] am 21. August 1996 berechneten Beschäftigungszeit. Diese Berechnung bezog sich ausschließlich auf die Anerkennung von Vordienstzeiten nach § 14 [X.].

III. Das [X.] hat zutreffend angenommen, dass die im [X.] 2007 erfolgte Zusage des [X.], einmalig Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall über die Dauer von mehr als sechs Wochen zu leisten, keinen Anspruch auf eine dauerhafte Gewährung entsprechender übertariflicher Leistungen begründete.

IV. Der [X.] hat mit Schreiben vom 23. März 2000 keine Gesamtzusage über eine übertarifliche Leistung von Entgeltfortzahlung erteilt.

1. Eine Gesamtzusage ist die an alle Arbeitnehmer des Betriebs oder einen nach abstrakten Merkmalen bestimmten Teil von ihnen in allgemeiner Form gerichtete ausdrückliche Willenserklärung des Arbeitgebers, bestimmte Leistungen erbringen zu wollen. Eine ausdrückliche Annahme des in der Erklärung enthaltenen Antrags iSv. § 145 BGB wird dabei nicht erwartet. Ihrer bedarf es nicht. Das in der Zusage liegende Angebot wird gem. § 151 BGB angenommen und ergänzender Inhalt des Arbeitsvertrags. Die Arbeitnehmer erwerben einen einzelvertraglichen Anspruch auf die zugesagten Leistungen, wenn sie die betreffenden Anspruchsvoraussetzungen erfüllen ([X.] 23. September 2009 - 5 [X.] - Rn. 22 mwN, [X.] § 157 Nr. 36 = EzA BGB 2002 § 151 Nr. 1).

Trotz fehlenden [X.] liegt eine rechtsgeschäftliche Willenserklärung vor, wenn der Erklärende bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen und vermeiden können, dass seine Äußerung nach [X.] und Glauben und der Verkehrssitte als Willenserklärung aufgefasst werden durfte, und wenn der Empfänger sie auch tatsächlich so verstanden hat (vgl. nur [X.] November 1989 - [X.] - mwN, [X.], 171, 177). Dies gilt auch, wenn die Willenserklärung als Gesamtzusage abgegeben wird. Deren Auslegung ist voll revisibel (vgl. [X.] 23. September 2009 - 5 [X.] - Rn. 22 mwN, [X.] § 157 Nr. 36 = EzA BGB 2002 § 151 Nr. 1).

2. Das an das ärztliche Personal gerichtete Schreiben des [X.] vom 23. März 2000 stellte keine Willenserklärung in Form einer Gesamtzusage dar, mit der übertarifliche Ansprüche begründet wurden. Es enthält lediglich eine falsche Rechtsauskunft. Diese war durch Fragen nach „bestehenden“ Ansprüchen auf Fortzahlung der Bezüge bei Arbeitsunfähigkeit veranlasst. Bereits die Überschrift des Schreibens („§ 22 [X.]“) und die Schilderung des Anlasses verdeutlichen, dass der [X.] lediglich die bestehende Rechtslage erläutern wollte. Der bloße Erläuterungscharakter ergibt sich im Weiteren aus dem vom [X.] verwendeten Begriff „mitteilen“. Es gab für die Klägerin und ihre gleichfalls angesprochenen ärztlichen Kollegen keinen Grund zu der Annahme, der [X.], vertreten durch einen Mitarbeiter des Referats Personalwesen, wolle die Rechtslage dahingehend gestaltend ändern, dass er über die tarifvertraglich begründete Verpflichtung hinaus Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall bis zu 26 Wochen Dauer gewähre. Die Klägerin hat dies auch nicht angenommen, sondern das Schreiben als Auskunft aufgefasst. Denn sie selbst stützt ihren Anspruch auf § 22 Abs. 1 [X.]. Kündigt ein Arbeitgeber aber einen bestimmten tariflichen Normvollzug an, den der Arbeitnehmer selbst für zutreffend hält, geht der Arbeitnehmer nicht davon aus, dass der Arbeitgeber mit der Ankündigung zugleich eine übertarifliche Leistung zusagen wolle.

V. [X.] beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Müller-Glöge    

        

    Laux    

        

    Biebl    

        

        

        

    Feldmeier    

        

    Mandrossa    

                 

Meta

5 AZR 697/09

08.12.2010

Bundesarbeitsgericht 5. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Hamburg, 20. Januar 2009, Az: 21 Ca 392/08, Urteil

§ 133 BGB, § 157 BGB, § 1 TVG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 08.12.2010, Az. 5 AZR 697/09 (REWIS RS 2010, 653)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 653

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