Bundessozialgericht, Beschluss vom 01.06.2022, Az. B 4 AS 352/21 B

4. Senat | REWIS RS 2022, 3123

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Tenor

Die Beschwerden der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 6. September 2021 werden als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten der Beschwerdeverfahren sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

Der Senat hat - wozu die Beteiligten zuvor angehört wurden - ohne den nach der senatsinternen Geschäftsverteilung zur Entscheidung mitberufenen [X.] am B[X.] Dr. [X.] entschieden. Dr. [X.] war als [X.] am [X.] im vorinstanzlichen Verfahren an der Übertragung der Berufung auf die Berichterstatterin (Beschluss vom [X.]) beteiligt. Nach § 60 Abs 1 [X.] iVm § 41 [X.] ZPO ist ein [X.] von der Ausübung des [X.]amtes kraft Gesetzes ua dann ausgeschlossen, wenn er in einem früheren Rechtszug bei dem Erlass der angefochtenen Entscheidung mitgewirkt hat. Ein Beschluss des [X.], in einem Fall des § 105 Abs 2 Satz 1 [X.] (Berufung gegen Gerichtsbescheid) die Berufung dem Berichterstatter zu übertragen, ist so eng mit der - hier angefochtenen - Endentscheidung verknüpft, dass es Sinn und Zweck des § 41 [X.] ZPO gebietet, von einer Mitwirkung im Sinne dieser Vorschrift auszugehen. Dr. [X.] ist deshalb von der Ausübung des [X.]amtes im vorliegenden Beschwerdeverfahren ausgeschlossen.

2

Den Klägern zu 1. und 2. war wegen der versäumten Fristen zur Einlegung und Begründung der [X.] Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 67 Abs 1 [X.]), da sie bis zur Bewilligung von PKH wegen ihrer Mittellosigkeit unverschuldet an der Einhaltung dieser Fristen gehindert waren. Ob der Klägerin zu 3. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde zu gewähren ist, lässt der Senat offen. Es erscheint zwar zweifelhaft, ob der (nur) anwaltlich versicherte Vortrag zu den Umständen der Fristversäumnis ausreicht, um von einem glaubhaft gemachten fehlenden Verschulden auszugehen. Die [X.] sind aber schon deshalb unzulässig, weil die Kläger weder den geltend gemachten Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung noch den eines [X.], auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann, in der gebotenen Weise dargelegt oder bezeichnet haben (§ 160a Abs 2 Satz 3 [X.]). Die Beschwerden sind daher ohne Zuziehung ehrenamtlicher [X.] zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2, § 169 [X.]).

3

1. Grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs 2 [X.] 1 [X.]) hat eine Rechtssache nur, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Die Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung erfordert, dass eine konkrete Rechtsfrage klar formuliert wird. Weiter muss ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit im jeweiligen Rechtsstreit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) aufgezeigt werden (stRspr; vgl etwa B[X.] vom [X.] [X.] 142/02 B - [X.] 3-1500 § 160a [X.] 34 S 70 mwN).

4

Diesen Darlegungsanforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Die Kläger begehren in der Sache eine Neuberechnung der ihnen gewährten Grundsicherungsleistungen nach dem [X.] für die [X.] vom 1.6.2014 bis 30.11.2015, die sie mit Anträgen vom 2.11.2017 geltend gemacht haben. Beklagter und die Vorinstanzen haben dies unter Hinweis auf die Jahresfrist (§ 40 Abs 1 [X.] iVm § 44 Abs 4 [X.]B X) abgelehnt. Die Kläger formulieren folgende vier Rechtsfragen, denen sie grundsätzliche Bedeutung zumessen:

- Handelt es sich bei einem Bescheid über die endgültige Festsetzung von Leistungen für nur einen Monat um einen rechtswidrigen, nicht begünstigenden Verwaltungsakt …?

- Ist ein Bescheid über die endgültige Festsetzung von Leistungen für nur einen Monat und nicht für den gesamten Bewilligungszeitraum rechtswidrig (…)?

- Kann ein Betroffener gegen eine fiktive endgültige Festsetzung von Leistungen gemäß § 41a Abs 5 Satz 1 [X.] Widerspruch einlegen und wenn ja, wann beginnt die Widerspruchsfrist zu laufen und wie lange dauert sie?

- Ist ein Schriftsatz, in dem eine Überprüfung von Bescheiden begehrt und gleichzeitig auch eine endgültige Festsetzung von Leistungen begehrt wird (weil übersehen wurde, dass die Leistungen gemäß § 41a Abs 5 Satz 1 [X.] bereits als endgültig festgesetzt gelten) nach dem Meistbegünstigungsgrundsatz auch als Widerspruch gegen eine bereits eingetretene fiktive endgültige Leistungsfestsetzung gemäß § 41a Abs 5 Satz 1 [X.] anzusehen?

5

Selbst wenn man alle Fragen als grundsätzlich abstrakt beantwortbare Rechtsfragen ansieht, was insbesondere bei der letzten Frage wegen des engen Einzelfallbezugs zweifelhaft erscheint, ist für keine der Fragen die Klärungsbedürftigkeit und die Entscheidungserheblichkeit in der erforderlichen Weise dargelegt. Die beiden ersten Fragen beziehen sich auf die Berechtigung des [X.], endgültige Festsetzungen (auch) monatsweise oder nur bezogen auf vollständige Bewilligungsabschnitte vornehmen zu dürfen. Dabei ist Frage eins nur im Zusammenhang mit Frage zwei überhaupt verständlich. Denn grundsätzlich kann eine endgültige Festsetzung - wie jeder andere Verwaltungsakt auch - sowohl begünstigend als auch nicht begünstigend und sowohl rechtswidrig als auch rechtmäßig sein. Welche Klärung durch das Revisionsgericht insoweit vorgenommen werden könnte, erschließt sich nicht. Bezogen darauf, ob zwingend bestimmte [X.]räume in die endgültige Festsetzung durch Verwaltungsakt einbezogen werden müssen, hätte die Darlegung der Klärungsbedürftigkeit indessen jedenfalls eine Auseinandersetzung mit dem durch die Rechtsprechung anerkannten "Monatsprinzip" erfordert (vgl etwa B[X.] vom [X.] - B 14 AS 29/20 R - zur Veröffentlichung in [X.] und [X.] 4-4200 § 11b [X.] 13 vorgesehen, juris Rd[X.] 31 mwN). Danach erscheint die Berechtigung, (zunächst nur) für einzelne Monate eine endgültige Festsetzung vorzunehmen, naheliegend. Hiermit befasst sich die Beschwerdebegründung nicht. Dass die beiden ersten Fragen explizit - wie die Kläger ausführen - nicht Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen waren und im Schrifttum nicht behandelt werden, kann seinen Grund im Übrigen auch darin haben, dass die Antworten hierauf nicht zweifelhaft sind.

6

Auch bezogen auf die dritte Frage fehlt es an einer Auseinandersetzung mit Hintergrund, Systematik und Rechtsschutz bezogen auf fiktive Regelungen allgemein und im besonderen Regelungszusammenhang des [X.] (ausführlich dazu etwa [X.] in Eicher/[X.]/[X.], [X.], 5. Aufl 2021, § 41a Rd[X.] 57 ff mwN). Der Hinweis auf eine einzelne Kommentarmeinung allein zur Widerspruchsfrist reicht bei der Komplexität dieser Rechtsfrage nicht aus.

7

Was die Frage vier betrifft, die allein bezogen auf den Anwendungsbereich des Meistbegünstigungsgrundsatzes als abstrakt beantwortbare Frage verstanden werden kann, fehlt schließlich ebenfalls im Rahmen der Klärungsbedürftigkeit jede Auseinandersetzung mit Rechtsprechung und Schrifttum zu diesem Grundsatz.

8

Schließlich ist auch die Entscheidungserheblichkeit aller aufgeworfener Fragen der Beschwerdebegründung nicht zu entnehmen. Diese wäre nur dann anzunehmen, wenn es bei einer auf den gesamten Bewilligungsabschnitt bezogenen Neuberechnung der Leistungen zu weiteren Leistungsansprüchen kommen könnte, wozu nichts vorgetragen ist.

9

2. Nach § 160 Abs 2 [X.] 3 [X.] ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Wer eine Nichtzulassungsbeschwerde auf diesen Zulassungsgrund stützt, muss zu seiner Bezeichnung (§ 160a Abs 2 Satz 3 [X.]) die diesen Verfahrensmangel des [X.] (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dartun, also die Umstände schlüssig darlegen, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (stRspr; siehe bereits B[X.] vom 29.9.1975 - 8 [X.] 64/75 - [X.] 1500 § 160a [X.] 14; [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.], 13. Aufl 2020, § 160a Rd[X.] 16 mwN). Darüber hinaus ist aufzuzeigen, dass und warum die Entscheidung - ausgehend von der Rechtsansicht des [X.] - auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit der Beeinflussung des Urteils besteht (stRspr; vgl bereits B[X.] vom 18.2.1980 - 10 BV 109/79 - [X.] 1500 § 160a [X.] 36).

Die Beschwerdebegründung der Kläger wird diesen Darlegungsanforderungen ebenfalls nicht gerecht. Soweit sie eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör rügen, führen sie selbst zutreffend aus, dass ein Gericht in den Entscheidungsgründen nicht auf sämtlichen Vortrag der Beteiligten ausdrücklich eingehen muss. Aus dem Vorbringen der Kläger wird zudem nicht deutlich, warum es sich hier überhaupt um einen § 40 Abs 1 Satz 2 [X.] 1 [X.] betreffenden Fall handeln könnte, also einen Fall, in dem es nicht um die Nachzahlung von Sozialleistungen geht (vgl zur Systematik des § 40 Abs 1 [X.] nur Löcken in Eicher/[X.]/[X.], [X.], 5. Aufl 2021, § 40 Rd[X.] 31 f). Die Kläger machen ausdrücklich die Gewährung höherer Leistungen nach dem [X.] geltend. Es wird deshalb weder deutlich, womit sich das [X.] im Einzelnen hätte auseinandersetzen sollen, noch warum es zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können.

Soweit die Kläger im Übrigen rügen, das [X.] hätte nicht durch Gerichtsbescheid und das [X.] nicht durch den sogenannten "kleinen Senat" entscheiden dürfen, verkennen sie, dass diese Verfahrensweisen bezogen auf die Entscheidung des [X.] durch Gerichtsbescheid überhaupt nicht im Beschwerdeverfahren zu überprüfen und ansonsten nur in eng begrenzten Fällen (Willkür, sachfremde Erwägungen, grobe Fehleinschätzung) verfahrensfehlerhaft sind (vgl nur [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.], 13. Aufl 2020, § 153 Rd[X.] 24 ff). Dass ein solcher Fall gegeben war, lässt sich der Beschwerdebegründung nicht entnehmen.

Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, da sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 [X.]).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 [X.].

Meßling Burkiczak Söhngen

Meta

B 4 AS 352/21 B

01.06.2022

Bundessozialgericht 4. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AS

vorgehend SG Wiesbaden, 4. Februar 2020, Az: S 24 AS 1028/18

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 01.06.2022, Az. B 4 AS 352/21 B (REWIS RS 2022, 3123)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 3123

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

B 7 AS 90/22 B (Bundessozialgericht)

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache - Darlegung der Klärungsfähigkeit


B 13 R 149/19 B (Bundessozialgericht)


B 14 AS 133/19 B (Bundessozialgericht)

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs durch vermeintliche Überraschungsentscheidung …


B 4 AS 12/22 B (Bundessozialgericht)

(Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung - keine ausreichende Darlegung der Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfrage …


B 8 SO 67/19 B (Bundessozialgericht)

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache - Formulierung einer konkreten Rechtsfrage


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.