Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 14.09.2011, Az. 10 AZR 208/10

10. Senat | REWIS RS 2011, 3383

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Gegenstand

Anspruch auf Zusatzurlaub - Nachtarbeit - Bereitschaftsdienst - § 27 TV-Ärzte HELIOS


Tenor

1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 19. Februar 2010 - 3 [X.]/09 - wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Gewährung von Zusatzurlaub für das Jahr 2007.

2

Der Kläger ist für die Beklagte als Facharzt in der Abteilung Anästhesie tätig. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet [X.] der Manteltarifvertrag für Unternehmen des [X.] vom 14. Dezember 2006 ([X.] [X.]) Anwendung.

3

Dieser Tarifvertrag enthielt in der im Streitzeitraum maßgeblichen Fassung ua. folgende Regelungen:

        

§ 15 

        

Nacht-, [X.], Sonn- und Feiertagsarbeit

        

und Mehrarbeit

        

…       

        
        

(3)     

Nachtarbeit ist die in der [X.] von 21 Uhr bis 6 Uhr geleistete Arbeit.

        

…       

        
                          
        

§ 17   

        

Bereitschaftsdienst, Rufbereitschaft

        

(1)     

Die Ärzte sind verpflichtet, sich auf Anordnung des Arbeitgebers außerhalb der regelmäßigen durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit gem. § 13 Abs. 1 an einer vom Arbeitgeber bestimmten Stelle aufzuhalten, um im Bedarfsfall die Arbeit aufzunehmen (Bereitschaftsdienst). Der Arbeitgeber darf Bereitschaftsdienst nur anordnen, wenn zu erwarten ist, dass zwar Arbeit anfällt, erfahrungsgemäß aber die [X.] ohne Arbeitsleistung überwiegt. Die gesamte [X.] des Bereitschaftsdienstes wird als Arbeitszeit gewertet, für die Bemessung des Entgelts gilt § 7 des TV-Ärzte Entgelt [X.]. …

        

…       

        
                          
        

§ 27   

        

Zusatzurlaub, Sonderurlaub

        

(1)     

Der Arzt erhält bei einer Leistung im Kalenderjahr von mindestens

                 

a)    

150 [X.]

1 Arbeitstag,

                 

b)    

300 [X.]

2 Arbeitstage,

                 

c)    

[X.]

3 Arbeitstage,

                 

d)    

600 [X.]

4 Arbeitstage

                 

Zusatzurlaub im folgenden Kalenderjahr.

                 

Für Ärzte, die in [X.] arbeiten (§ 16 dieses Manteltarifvertrages), erhöht sich der Zusatzurlaub nach vorstehenden [X.]. a) bis d) um jeweils 1 Arbeitstag.

                 

[X.], die in [X.]räumen geleistet werden, für die Zusatzurlaub für Wechselschicht zusteht, bleiben bei der Ermittlung der [X.] nach vorstehendem Satz 1 unberücksichtigt.

        

…“    

        

4

Der Kläger leistete im Jahr 2007 453 Stunden Bereitschaftsdienst in der [X.] von 21:00 Uhr bis 6:00 Uhr. Mit Schreiben vom 25. Januar 2008 hat er die Gewährung von drei Arbeitstagen Zusatzurlaub geltend gemacht. Er hat die Auffassung vertreten, Bereitschaftsdienststunden während der Nachtzeit lösten den Anspruch auf Zusatzurlaub aus.

5

Der Kläger hat beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, ihm für die im Jahr 2007 innerhalb des Bereitschaftsdienstes geleisteten 453 [X.] einen Zusatzurlaub von drei Arbeitstagen in natura zu gewähren,

        

hilfsweise die Beklagte zu verurteilen, ihm einen angemessenen Ausgleich von bezahlten Tagen in natura zu gewähren, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird.

6

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen, und die Auffassung vertreten, nur tatsächlich erbrachte [X.], nicht aber Bereitschaftsdienststunden lösten den Anspruch auf Zusatzurlaub aus.

7

Die Vorinstanzen haben der Klage im Hauptantrag stattgegeben. Mit der vom [X.] zugelassenen Revision begehrt die Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Der Kläger hat aus § 27 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. c [X.] [X.] einen Anspruch auf Zusatzurlaub in Höhe von drei Arbeitstagen für die im [X.] im Rahmen des Bereitschaftsdienstes geleistete Nachtarbeit.

9

I. Bereitschaftsdienststunden, die in der [X.] zwischen 21:00 Uhr und 6:00 Uhr geleistet werden, sind [X.] iSv. § 27 Abs. 1 [X.] [X.], die den tariflichen Anspruch auf Zusatzurlaub auslösen. Dies hat der [X.] bereits zu der nahezu wortgleichen Regelung des § 28 Abs. 3 [X.]/[X.] entschieden ([X.] 23. Februar 2011 - 10 [X.] - [X.] 2011, 1176). Anhaltspunkte für eine abweichende Auslegung von § 27 Abs. 1 [X.] [X.] bestehen nicht.

1. Der Wortlaut, von dem bei der Tarifauslegung vorrangig auszugehen ist (vgl. [X.] 24. Februar 2010 - 10 [X.] 1035/08 - Rn. 15, [X.] § 1 Auslegung Nr. 220), ist nicht eindeutig. Nach § 27 Abs. 1 [X.] [X.] löst die Leistung einer bestimmten Anzahl von „[X.]“ den Anspruch auf Zusatzurlaub aus. Der Tarifvertrag definiert diesen Begriff nicht, sondern in § 15 Abs. 3 [X.] [X.] den Begriff der Nachtarbeit als die in der [X.] von 21:00 Uhr bis 6:00 Uhr geleistete Arbeit. [X.] werden in dieser [X.]spanne sowohl regelmäßige Arbeitsstunden wie auch Bereitschaftsdienststunden, in denen nach § 17 Abs. 1 Satz 2 [X.] [X.] regelmäßig Arbeit anfällt.

2. Der tarifliche Gesamtzusammenhang spricht dafür, nächtliche Bereitschaftsdienststunden als [X.] iSv. § 27 Abs. 1 [X.] [X.] zu verstehen. Nach § 17 Abs. 1 Satz 3 [X.] [X.] wird die gesamte [X.] des Bereitschaftsdienstes als Arbeitszeit gewertet. Da § 27 Abs. 1 [X.] [X.] nicht zwischen „reinen“ Arbeitszeiten und [X.] differenziert, lösen nach der Systematik des Tarifvertrags auch Bereitschaftsdienststunden als „Arbeitszeit“ den Zusatzurlaub nach § 27 Abs. 1 [X.] [X.] aus.

3. Sinn und Zweck der Vorschrift bestätigen dies. Ein tariflicher Zusatzurlaub dient dem Ausgleich der durch Wechselschicht-, Schicht- und Nachtarbeit verursachten besonderen Belastungen (vgl. [X.] 17. November 2009 - 9 [X.] 923/08 - Rn. 21, [X.] TVöD § 46 Nr. 1 [Schichtarbeit, zu § 46 Nr. 7 [X.]]; 15. Juli 2009 - 5 [X.] 867/08 - Rn. 19, [X.]E 131, 215 [Nachtarbeit, zu § 48a [X.]-KF]; 7. November 2007 - 7 [X.] 820/06 - Rn. 21, [X.]E 124, 356 [Wechselschichtarbeit, zu § 48a [X.]]). § 27 Abs. 1 [X.] [X.] regelt den tariflichen Ausgleich iSv. § 6 Abs. 5 [X.] für die Belastung durch Nachtarbeit. Nach diesem Zweck ist der Auslegung der Norm der arbeitsschutzrechtliche Arbeitszeitbegriff zugrunde zu legen. Bereitschaftsdienst, den ein Arbeitnehmer in Form persönlicher Anwesenheit im Betrieb des Arbeitgebers leistet, ist nach der Rechtsprechung des [X.] in vollem Umfang als Arbeitszeit iSv. Art. 2 der Richtlinie 2003/88/[X.] anzusehen, ohne Rücksicht darauf, welche Arbeitsleistung der Betroffene während dieses Bereitschaftsdienstes tatsächlich erbringt ([X.] 1. Dezember 2005 - [X.]/04 - [[X.]] Rn. 46, Slg. 2005, [X.]; 5. Oktober 2004 - [X.]/01 bis [X.]/01 - [X.] ua.] Rn. 93, Slg. 2004, [X.]; 9. September 2003 - [X.]/02 - [[X.]] Rn. 75, Slg. 2003, [X.]; 3. Oktober 2000 - C-303/98 - [[X.]] Rn. 52, Slg. 2000, [X.]). Dem hat sich der [X.] angeschlossen ([X.] 23. Juni 2010 - 10 [X.] 543/09 - Rn. 20 ff., [X.] [X.] § 7 Nr. 4 = EzA [X.] § 7 Nr. 8). Bereitschaftsdienst in der Nachtzeit ist in seiner gesamten Dauer nach § 6 Abs. 5 [X.] auszugleichen, unabhängig davon, in welchen Arbeitsstunden tatsächlich Arbeitsleistung erbracht wurde (vgl. [X.] 15. Juli 2009 - 5 [X.] 867/08 - Rn. 21, [X.]E 131, 215). Für jede Stunde des nächtlichen Bereitschaftsdienstes besteht deshalb ein gesetzlicher Anspruch auf einen Belastungsausgleich, der durch § 27 Abs. 1 [X.] [X.] (wie durch § 28 Abs. 3 [X.]/[X.], vgl. [X.] 23. Februar 2011 - 10 [X.] - [X.] 2011, 1176) tariflich näher bestimmt wird.

4. Auch die Entstehungsgeschichte der Tarifnorm, auf die bei etwaigen [X.] zurückgegriffen werden kann ([X.] 24. Februar 2010 - 10 [X.] 1035/08 - Rn. 29, [X.] § 1 Auslegung Nr. 220), stützt dieses Auslegungsergebnis. Der in der Norm des § 48a Abs. 6 Satz 1 [X.]/[X.]-O enthaltene Vorbehalt, dass nur im Rahmen regelmäßiger Arbeitszeit geleistete Arbeitsstunden berücksichtigt werden, ist in § 27 Abs. 1 [X.] [X.] nicht enthalten.

5. Die Verfahrensrüge der Revision ist unbehelflich. Die Revision rügt, das [X.] habe den Beweisantritt in der Klageerwiderung vom 17. Oktober 2008 zur Entstehungsgeschichte des [X.] [X.] übergangen, wonach die Tarifvertragsparteien keine zum [X.] abweichende Regelung zum Zusatzurlaub treffen wollten. Auf die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrags kann zurückgegriffen werden, wenn nach Auslegung einer Tarifnorm nach Wortlaut, Wortsinn und tariflichem Zusammenhang Zweifel verbleiben ([X.] 24. Februar 2010 - 10 [X.] 1035/08 - Rn. 29 ff., aaO). Solche Zweifel bestehen jedoch nicht, ein vermeintlich abweichender tariflicher Wille hat sich im Tarifvertrag nicht manifestiert.

II. Nach § 27 Abs. 1 [X.] [X.] erhalten Ärztinnen und Ärzte für die Leistung von jeweils 150 [X.] einen Arbeitstag Zusatzurlaub. Dieser Ausgleich entspricht einem Zuschlag von etwa fünf Prozent und ist auch für [X.] nicht unangemessen (vgl. [X.] 15. Juli 2009 - 5 [X.] 867/08 - Rn. 22, [X.]E 131, 215). Für den Kläger errechnen sich bei 453 im [X.] geleisteten [X.] die geltend gemachten drei Zusatzurlaubstage. Diesen nach § 27 Abs. 1 [X.] [X.] erst im Jahr 2008 fällig gewordenen Anspruch hat der Kläger rechtzeitig am 25. Januar 2008 geltend gemacht.

III. [X.] folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Mikosch    

        

    [X.]    

        

    Mestwerdt    

        

        

        

    Thiel    

        

    A. Effenberger    

                 

Meta

10 AZR 208/10

14.09.2011

Bundesarbeitsgericht 10. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Schwerin, 20. Mai 2009, Az: 2 Ca 1573/08, Urteil

§ 1 TVG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 14.09.2011, Az. 10 AZR 208/10 (REWIS RS 2011, 3383)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 3383

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