Bundespatentgericht, Beschluss vom 04.05.2023, Az. 3 Ni 2/21 (EP)

3. Senat | REWIS RS 2023, 4857

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Leitsatz

Zur Bestimmung der objektiven Aufgabe bei medizinischen Indikationen.

Tenor

In der Patentnichtigkeitssache

betreffend das europäische Patent 1 559 427

([X.] 36 334.2)

und das ergänzende [X.]

hat der 3. Senat (Nichtigkeitssenat) des [X.] aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 4. Mai 2023 durch den [X.] Schwarz als Vorsitzenden, die [X.]in Dipl.-Chem. [X.], den [X.] Dipl.-Chem. [X.], den [X.] [X.] sowie die [X.]in [X.]. Philipps

für Recht erkannt:

[X.] Das [X.] Patent EP 1 559 427 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der [X.] für nichtig erklärt.

I[X.] Das ergänzende [X.] wird für nichtig erklärt.

II[X.] Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

[X.] Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des aufgrund der als [X.] 2004/041276 veröffentlichten internationalen Anmeldung vom 4. November 2003 unter Inanspruchnahme der Priorität aus der [X.] Anmeldung [X.] 2002323792 vom 7. November 2002 auch mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der [X.] in [X.] [X.] erteilten [X.]n Patents  1 559 427 (Streitpatent; im Folgenden: [X.]) mit der Bezeichnung „REMEDY FOR OVERACTIVE BLADDER COMPRISING ACETIC ACID ANILIDE DERIVATIVE AS THE ACTIVE INGREDIENT“ (in [X.] laut Streitpatentschrift: „[X.] VON BLASENHYPERAKTIVITÄT MIT EINEM ESSIGSÄUREANILIDDERIVAT ALS WIRKSTOFF“).

2

Das beim [X.]en Patent- und Markenamt unter dem Aktenzeichen [X.] 36 334.2 geführte Streitpatent betrifft die Verwendung des unter dem INN,,[X.]" bekannten Wirkstoffs (R)-2-(2-Aminothiazol-4-yl)-4'-[2-[(2-hydroxy-2-phenylethyl)amino]ethyl] essigsäureanilid oder eines Salzes davon zur Behandlung einer überaktiven Blase und umfasst den unabhängigen Patentanspruch 1 sowie die auf ihn zurückbezogenen [X.] bis 6.

3

Patentanspruch 1 lautet in der [X.]:

4

1. A remedy for use in the treatment of overactive bladder comprising ([X.])amino]ethyl] [X.] thereof as an active ingredient.

5

und in [X.] laut der Streitpatentschrift:

6

1. Heilmittel für die Verwendung bei der Behandlung einer überaktiven Blase, das (R)-2-(2-Aminothiazol-4-yl)-4’-[2-[(2-hydroxy-2-phenylethyl) amino]ethyl]essigsäureanilid oder ein Salz davon als Wirkstoff umfasst.

7

Auf der Grundlage des Streitpatents und der arzneimittelrechtlichen Genehmigung [X.]/1/12/809/001–014 vom 20. Dezember 2012 wurde am 28. August 2015,

8

berichtigt durch Beschluss des [X.] vom 7. Oktober 2016, das Ergänzende [X.] für das Erzeugnis „[X.]“ zugunsten der Beklagten mit einer Laufzeit vom 5. November 2023 bis zum 07. Januar 2028 erteilt.

9

Mit ihrer Nichtigkeitsklage begehrt die Klägerin zum einen die vollständige Nichtigerklärung des Streitpatents mangels Patentfähigkeit, hinsichtlich der Hilfsanträge auch wegen unzulässiger Erweiterung und in Bezug auf den Hilfsantrag 2 des Weiteren wegen nicht ausführbarer Offenbarung, und zum anderen auch des Ergänzenden Schutzzertifikats wegen Schutzunfähigkeit des Grundpatents. Die Beklagte verteidigt ihr Patent in der erteilten Fassung sowie jeweils als geschlossene Anspruchssätze in den Fassungen der [X.] und 2 vom 27. August 2021 sowie des [X.] vom 20. März 2023.

Die Patentansprüche in den Fassungen der Hilfsanträge lauten in der [X.] wie folgt (Änderungen gegenüber der erteilten Fassung gekennzeichnet):

Hilfsantrag 1:

1.    

A remedy for use in the treatment of overactive bladder comprising (R)-2-(2-aminothiazol-4-yl)-4’-[2-[(2-hydroxy-2-phenylethyl)amino]ethyl] [X.] thereof as an active ingredient, wherein it is a remedy for use in the treatment of urinary incontinence and/or pollakiuria.

2.    

A remedy for use according to claim 1 comprising a free substance of (R)-2-(2-aminothiazol-4-yl)-4’-[2-[(2-hydroxy-2-phenylethyl)amino]ethyl] [X.] anilide as an active ingredient.

3.    

A remedy for use according to claim 1 or claim 2, wherein it is a remedy for use in the treatment of overactive bladder as a result of benign prostatic hyperplasia.

4.    

A remedy for use according to claim 1 or claim 2, wherein it is a remedy for use in the treatment of urinary urgency.

5.    

A remedy for use according to claim 1 or claim 2, wherein it is a remedy for use in the treatment of urinary incontinence.

6.    

A remedy for use according to claim 1 or claim 2, wherein it is a remedy for use in the treatment of pollakiuria.

Hilfsantrag 2

1. A remedy for use in the treatment of overactive bladder resulting from an [X.] ([X.]) amino]ethyl][X.] thereof as an active ingredient, wherein it is a remedy for use in the treatment of urinary incontinence and/or pollakiuria.

2. A remedy for use according to claim 1 comprising a free substance of ([X.])amino]ethyl] [X.] anilide as an active ingredient.

3. A remedy for use according to claim 1 or claim 2, wherein it is a remedy for use in the treatment of overactive bladder as a result of benign prostatic hyperplasia.

4. A remedy for use according to claim 1 or claim 2, wherein it is a remedy for use in the treatment of urinary urgency.

5. A remedy for use according to claim 1 or claim 2, wherein it is a remedy for use in the treatment of urinary incontinence.

6. A remedy for use according to claim 1 or claim 2, wherein it is a remedy for use in the treatment of pollakiuria.

Hilfsantrag 3 entspricht dem erteilten Patentanspruch 1 unter Streichung der erteilten Patentansprüche 2 bis 6.

Beide Parteien haben zur Stützung ihres jeweiligen Vortrags u.a. folgende Druckschriften eingereicht (Nummerierung und Kurzzeichen von den Parteien vergeben):

[X.]   

EP 1 559 427 [X.] (Streitpatent)

[X.]   

[X.] 99/51564 [X.]

BB07a 

[X.], [X.] et al., [X.]. [X.]., 2001, 44, 1436-1445

[X.]   

Fujimura, T. et al., [X.], 1999, 161, 680-685

B[X.]1   

Chancellor, [X.], [X.], 2002, 4, Suppl. 4, S50-S56

B[X.]3   

[X.] 99/20607 [X.]

B[X.]4   

EP 1 028 111 [X.]

B[X.]5   

[X.] 03/037881 [X.]

B[X.]6   

EP 1 440 969 [X.]

B[X.]8   

DE 103 51 271 [X.]

B[X.]9   

[X.] 2004/047830 [X.]

[X.]   

[X.] 02/00622 [X.]

[X.]   

Screenshot des [X.] „archive.org" zur Veröffentlichung der B[X.]1

BB32   

De Groat, [X.], Urology, 1997, 50 (Suppl. 6A), 36-52

[X.]   

[X.], „Phasen der Medikamentenentwicklung“, 2023, 1 Seite

[X.]     

[X.], Urteil vom 23. November 2022

Die Klägerin ist der Auffassung, dass das Streitpatent gegenüber den Druckschriften B[X.]8 und B[X.]9 nicht neu sei; diese Druckschriften, deren Zeitrang nach dem Prioritätszeitpunkt, aber vor Anmeldung des Streitpatents liegt, seien dabei als Stand der Technik gemäß § 3 Abs. 2 [X.] zu beachten, denn das Streitpatent nehme die Priorität der [X.] Voranmeldung zu Unrecht in Anspruch. Darüber hinaus fehle dem streitpatentgemäßen Gegenstand die erfinderische Tätigkeit gegenüber Verbindungen der Druckschrift [X.] mit B[X.]3/ B[X.]4 oder den Druckschriften [X.], B[X.]1, [X.] oder [X.] jeweils mit den Druckschriften B[X.]5/B[X.]6 sowie den Druckschriften B[X.]3/B[X.]4 oder B[X.]5/B[X.]6 jeweils mit den Druckschriften B[X.]1, [X.], [X.] oder [X.].

In den Fassungen der Hilfsanträge sei der mit ihnen beanspruchte Gegenstand zudem unzulässig erweitert und gegenüber dem benannten Stand der Technik aus denselben Gründen wie die erteilte Fassung nicht patentfähig. Darüber hinaus sei die Fassung nach Hilfsantrag 2 auch nicht ausführbar offenbart.

Die Klägerin beantragt,

das [X.] Patent 1 559 427 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der [X.] sowie das Ergänzende [X.] für nichtig zu erklären.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

hilfsweise die Klage mit der Maßgabe abzuweisen, dass das Streitpatent eine der Fassungen nach den [X.] 1 oder 2 gemäß Schriftsatz vom 27. August 2021 oder nach Hilfsantrag 3 laut Schriftsatz vom 20. März 2023 erhält.

Die Beklagte hält den Gegenstand des Streitpatents in wenigstens einer der verteidigten Fassungen für schutzfähig. Gegenüber B[X.]8 und B[X.]9 sei er neu, da sich ihnen nicht unmittelbar und eindeutig der streitpatentgemäße Wirkstoff zur Behandlung der überaktiven Blase entnehmen lasse; zudem seien diese Druckschriften kein Stand der Technik, da das Streitpatent seine Priorität zu Recht in Anspruch nehme. Auch die erfinderische Tätigkeit gegenüber dem benannten Stand der Technik könne nicht verneint werden. Die objektive Aufgabe bestehe dabei darin, zur Behandlung der überaktiven Blase einen neuen Wirkstoff zu finden. Eine Anregung für den Fachmann, den Weg der Erfindung zu beschreiten und sich für die Behandlung überaktiver Blasen konkret [X.] zuzuwenden, könne dem im Verfahren befindlichen Stand der Technik nicht entnommen werden.

Gründe

A.

Die zulässige Klage ist begründet. Das Streitpatent ist gemäß Artikel II § 6 Absatz 1 Nr. 1 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 Buchst. a) EPÜ i. V. m. Art. 52, 56 EPÜ und das auf seiner Grundlage erteilte [X.] nach Art. 15 Abs. 1 lit. c) der Verordnung ([X.]) Nr. 469/2009 des [X.] und des Rates vom 6. Mai 2009 über das ergänzende [X.] für Arzneimittel ([X.]. [X.]; im Folgenden: [X.]) jeweils für nichtig zu erklären, da der Gegenstand des Streitpatents sowohl in der erteilten Fassung als auch in den Fassungen der Hilfsanträge, mit denen die [X.] es verteidigt, nicht patentfähig ist. Auf die weiteren Fragen der wirksamen Beanspruchung der Priorität des Streitpatents, der Neuheitsschädlichkeit der [X.] und [X.] sowie der sonstigen möglichen Nichtigkeitsgründe, die einer Anspruchsfassung nach den [X.] ebenfalls entgegenstehen könnten, kommt es bei dieser Sachlage nicht mehr an, so dass diese Fragen dahingestellt bleiben können.

I.

1. Das Streitpatent betrifft die Behandlung von überaktiver Blase mit [X.] (vgl. [X.] [0001], Patentanspruch 1). Nach den Erläuterungen des Streitpatents unterliegt die Blase einer doppelten Innervierung. Zum einen werde die Blase durch die adrenerge Stimulation sympathischer Nerven entspannt und zum anderen werde durch Stimulation von parasympathischen Nerven über den Muscarinrezeptor eine Kontraktion herbeigeführt. Geraten diese gegenläufigen Prozesse aus dem Gleichgewicht, könne es zu unkontrollierten Kontraktionen des Detrusor-Muskels und damit zu einer überaktiven Blase kommen (vgl. [X.] [0002]. Eine überaktive Blase zeichne sich streitpatentgemäß durch häufigen Harndrang aus, der mit Inkontinenz und Pollakisurie einhergehen könne (vgl. [X.] [0013], [0014]). Eine überaktive Blase sei bisher mit [X.] behandelt worden, was allerdings nur teilweise erfolgreich und mit erheblichen Nebenwirkungen verbunden gewesen sei, weshalb ein Bedarf an neuen Wirkstoffen gegen überaktive Blase bestünde (vgl. [X.] [0002] und [0003]). [X.] sei ein bekannter Wirkstoff zur Behandlung von Diabetes mellitus. Zudem sei bekannt, dass b3-Adrenorezeptor-Stimulantien geeignete Wirkstoffe u.a. zur Behandlung des Harndrangs und der Harninkontinenz seien (vgl. [X.] [0004] bis [0012].

2. Ausgehend hiervon liegt dem Streitpatent, das selbst hierzu keine Ausführungen enthält, die objektive Aufgabe zugrunde, für den bekannten Wirkstoff [X.] neue Anwendungsgebiete bzw. Indikationen aufzufinden.

Soweit die [X.] demgegenüber meint, die objektive Aufgabe des [X.] sei stattdessen darin zu sehen, eine verbesserte Therapie der überaktiven Blase bzw. alternative [X.] (= [X.]) zur Behandlung von [X.], akutem Harndrang, Harninkontinenz oder Pollakisurie bereitzustellen, kann dem aus rechtlichen und sachlichen Gründen nicht gefolgt werden.

2.1 Der Gegenstand der vom Streitpatent beanspruchten Lehre wird maßgeblich durch das Zusammenwirken von Problem und dessen erfindungsgemäßer Lösung charakterisiert ([X.], 31, 32 – Acrylfasern; [X.], 811, 814 – [X.]). Aus dem technischen Problem ergibt sich auch, ob der Stand der Technik Anlass bot, sich mit einer bestimmten Problemstellung zu befassen und hierfür eine bestimmte Lösung in Betracht zu ziehen; das technische Problem ist dabei aber so allgemein und neutral zu formulieren, dass sich die Frage, welche Anregungen der Fachmann durch den Stand der Technik erhielt, ausschließlich bei der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit stellt ([X.], 352 Rn. 17 – [X.]; [X.], 356 Rn. 9 – [X.]; [X.] 2020, 603 Rn. 12 – [X.]). Die Formulierung des technischen Problems richtet sich allerdings nicht nach der subjektiven Zielvorstellung des Erfinders, sondern nach dem, was die im Patent beschriebene Erfindung aus der Sicht des Fachmanns in der [X.] vor Vollendung der Erfindung ([X.] 1987, 510, 511 Mittelohr-Prothese) tatsächlich leistet ([X.], [X.] 1986, 803, 805 – [X.]; [X.], [X.], 602 Rn. 27 – Gelenkanordnung; [X.], [X.], 352 Rn. 11 – [X.]; [X.], [X.], 921 Rn. 14 – [X.]; [X.], [X.], 390 Rn. 32 - Wärmeenergieverwaltung). Durch die Bestimmung der objektiven Aufgabe wird zugleich auch der Ausgangspunkt für die fachmännischen Bemühungen zu einer Bereicherung des Stands der Technik ohne Kenntnis der Erfindung lokalisiert, von dem aus die hieran erst anschließende und davon zu trennende Prüfung auf Patentfähigkeit, insbesondere auf erfinderische Tätigkeit, zu erfolgen hat (vgl. [X.], [X.], 356 Rn. 9 - [X.]; [X.], a.a.[X.] - [X.]).

Die objektive Aufgabe ist dabei unabhängig vom Stand der Technik aufgrund einer Auslegung der technischen Lehre des Streitpatents zu ermitteln ([X.]/[X.], [X.], 11. Aufl., § 1 Rn. 62); sie stellt daher wie diese trotz der ihr zugrunde zu legenden technischen Grundlagen eine Rechtserkenntnis und keine Tatsachenfeststellung dar ([X.], [X.], 859 Rn. 14 – [X.]). Für den hier vorliegenden Fall der medizinischen Indikation ist dabei zu beachten, dass die Erteilung eines Verfahrenspatents (vgl. [X.], Patentrecht, 8. Aufl., § 14 Rn. 217) für die bislang nicht bekannte therapeutische Behandlung einer Krankheit mittels eines bereits vorbekannten Stoffs durch Art. 54 Abs. 4 oder 5 EPÜ in Fortführung der bereits zuvor als „erweiterter Stoffanspruch“ praeter legem entwickelten Rechtsprechung ([X.], [X.], 729 – [X.]) eine Erweiterung der Patentierungsmöglichkeiten darstellt, denn ohne die Vorschriften des Art. 54 Abs. 4 und 5 EPÜ bzw. dem praeter legem entwickelten „erweiterten Stoffanspruchs“ wäre eine Patentierung mangels Neuheit des hierbei geschützten Stoffs i.S.d. Art. 54 Abs. 1 EPÜ und wegen des Patentierungsausschlusses für therapeutische Verfahren nach Art. 53 lit. c) EPÜ an sich ausgeschlossen (vgl. [X.]/Melullis, [X.], 12. Aufl., § 3 Rn. 376). Bei der medizinischen Indikation nach Art. 54 Abs. 4 oder 5 EPÜ liegt in den Fällen, in denen ein bereits bekannter und damit für sich genommen nicht neuer Wirkstoff für eine mit ihm bislang nicht durchgeführte Therapie einer Erkrankung verwendet werden soll, die tatsächliche Leistung der hierauf gerichteten Erfindung aber allein in dieser neuen, bislang nicht bekannten Behandlungsmöglichkeit mit dem vorbekannten Wirkstoff. Daher ist in diesem Fall patentrechtlich die Aufgabe darin zu sehen, für diesen bekannten Wirkstoff eine neue therapeutische Anwendung zu finden. Ob die tatsächliche technische Entwicklung dabei nicht von dem vorbekannten Wirkstoff ausgeht, sondern ihr stattdessen möglicherweise die Suche nach einer neuen Therapiemöglichkeit für eine bestimmte Krankheit zugrunde lag, die zum Auffinden des bekannten Wirkstoffs als Lösungsmittel führte, spielt dabei patentrechtlich keine Rolle (vgl. Urteil des Senats vom [X.] – 3 Ni 34/17, [X.] 2020, 20899 – Ubichinon).

Soweit die [X.] demgegenüber für ihre Bestimmung der objektiven Aufgabe des Streitpatents auf die Aufgabenformulierungen in den [X.]-Urteilen Escitalopram ([X.], [X.], 123), [X.] (a.a.O), [X.] (a.a.[X.]) und [X.] (a.a.[X.]) abstellt, übersieht sie, dass Gegenstand der diesen Entscheidungen zugrundeliegenden Patenten anders als im vorliegenden Fall (und auch im oben genannten Fall Ubichinon) jeweils nicht nur eine medizinische Indikation, also die Verwendung eines vorbekannten Stoffes für eine bislang mit ihm nicht bekannte Therapiemöglichkeit, sondern entweder ein neuer Wirkstoff oder eine Abwandlung eines bereits bekannten Wirkstoffes war, so dass sich hieraus zwangsläufig als objektive Aufgabe die Formulierung eines neuen oder abgewandelten Wirkstoffes für eine vorgegebene Krankheitsbehandlung ergab. Diese Sachverhaltsgestaltungen sind aber mit der vorliegenden nicht vergleichbar, so dass die in diesen Entscheidungen jeweils formulierte Aufgabenstellung für das hier zu beurteilende Streitpatent nicht herangezogen werden kann.

2.2 Dass die tatsächliche Leistung des Streitpatents nicht in der Entwicklung eines neuen, bislang unbekannten Stoffes zur Behandlung einer überaktiven Blase liegt, sondern im Auffinden einer Eignung des bekannten Stoffes [X.] zur Behandlung einer überaktiven Blase, wird auch durch das Streitpatent selbst bestätigt. Denn bereits Absatz [0004] des Streitpatents weist auf den Wirkstoff [X.] als Mittel zur Behandlung von Adipositas und Hyperlipämie hin, und zwar unter Hinweis auf [X.]/[X.], in denen [X.] als Vertreter der [X.] stimulierenden Wirkstoffe aufgezeigt wird. Der Fachmann wird somit vom [X.] bereits als erstes auf [X.] als [X.] stimulierenden Wirkstoff hingewiesen. Hieran schließen sich zwar in den Absätzen [0005] bis [0012] allgemeine Ausführungen zu bekannten Behandlungsmöglichkeiten mit anderen [X.] stimulierenden Wirkstoffen an. Danach beschäftigt sich das [X.] aber nur noch mit dem Wirkstoff [X.]. Andere Wirkstoffe als mögliche Lösung einer Aufgabe, die auf das Auffinden einer verbesserten oder alternativen Therapie der überaktiven Blase, von akutem Harndrang, Harninkontinenz oder Pollakisurie gerichtet wäre, werden im [X.] weder untersucht noch näher beschrieben. Schon diese Reihenfolge – zunächst Benennung von [X.] als [X.] stimulierenden Wirkstoff, sodann der allgemeine Hinweis auf therapeutische Einsatzmöglichkeiten von [X.] stimulierenden Wirkstoffen, darunter auch zur Behandlung der überaktiven Blase und schließlich die nähere Untersuchung nur noch von [X.] zur Behandlung eben dieser Erkrankung - zeigt, dass die objektive Aufgabe darin liegt, nach weiteren Indikationen für den bekannten Wirkstoff [X.] zu suchen. Die bloße allgemeine Erwähnung der [X.] stimulierenden Wirkstoffe und ihrer therapeutischen Einsatzmöglichkeiten geben dagegen keinen Hinweis darauf, die Aufgabe anders zu formulieren.

2.3 Entgegen der Auffassung der [X.] ist die Formulierung der Aufgabe durch den Senat auch frei von Lösungsmerkmalen. Denn wenn die tatsächliche Leistung des Streitpatents nur in der Anwendung von [X.] zur Behandlung der überaktiven Blase besteht, ist die erfindungsgemäße Lösung – Behandlung der überaktiven Blase durch den bekannten Wirkstoff - nicht Teil der vom Senat formulierten Aufgabe. Im Übrigen enthält auch die alternative Formulierung der [X.], worauf die Klägerin zutreffend in der mündlichen Verhandlung hingewiesen hat, durch Benennung der Erkrankung der überaktiven Blase Teile des Patentanspruchs.

2.4 Soweit der Senat im Folgenden zu einer unterschiedlichen Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit als der [X.] im niederländischen Parallelverfahren gemäß [X.] gelangt, beruht dies im Wesentlichen auf dieser abweichenden Definition der Aufgabe.

3. Der zuständige Fachmann, bei dem es sich um ein Team aus einem klinischen Urologen und einem im medizinischen Bereich tätigen Chemiker oder Pharmazeuten mit mehrjähriger Industriepraxis und speziellen Kenntnissen auf dem Gebiet der Arzneimittelentwicklung handelt, wird die erläuterungsbedürftigen Begriffe in den erteilten Patentansprüchen wie folgt verstehen:

3.1. Gemäß der Streitpatentschrift wird unter einer überaktiven Blase (= [X.]) eine Krankheit verstanden, die häufig zu akuten Harndrang führt. Sie kann neben [X.] andere idiopathische Ursachen haben. Eine überaktive Blase ist dabei oft von häufigem Harndrang (= urinary frequency: davon spricht das Streitpatent bei einer Blasenentleerung von mindestens zweimal pro Nacht und mindestens achtmal pro 24 Stunden), Harninkontinenz und Pollakisurie begleitet, muss aber nicht immer diese Begleitsymptome aufweisen (vgl. [X.] [0013] ab Satz 2 und Abs. [0014]).

3.2. [X.] (R)-2-(2-Aminothiazol-4-yl)-4’-[2-[(2-hydroxy-2-phenylethyl)amino]ethyl]essigsäureanilid hat den INN [X.] und ist ein [X.]. Da [X.], wie das Streitpatent im Abs. [0004] selbst angibt, bereits als Wirkstoff zur Behandlung von Diabetes mellitus u.a. aus der [X.]/[X.] bekannt ist, handelt es sich beim vorliegenden Streitgegenstand um die Beanspruchung einer zweiten medizinischen Indikation für [X.].

3.3. [X.]/[X.] werden auch b3-adrenerge [X.] oder b3-Adrenozeptor stimulierende Mittel (= b3-Adrenozeptor-Stimulantien) bezeichnet. Die b3-Rezeptoren werden insbesondere von dem Hormon Adrenalin aktiviert und kommen im menschlichen Herz, in der Gallenblase und im Magen-Darmtrakt sowie im Harnblasen-Detrusormuskel vor. Die [X.] erregen die b3-Rezeptoren und kommen zur Verwendung in der Therapie verschiedener metabolischer und gastrointestinaler Erkrankungen sowie von Blasenfunktionsstörungen in Frage (vgl. z.B. BB07a [X.] li [X.]. ab Z. 10).

II.

Der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit (Art. 56 EPÜ).

1. Einen geeigneten Ausgangspunkt stellt die [X.]/[X.] dar. Die beiden Druckschriften sind dabei als Einheit anzusehen, da die [X.] lediglich eine englischsprachige Übersetzung der in [X.] verfassten vorveröffentlichten [X.] darstellt. Die [X.]/[X.] beschäftigt sich ausschließlich mit dem Wirkstoff [X.]. Sie betrifft dessen Verwendung zur Behandlung von Diabetes mellitus und damit die [X.] der ersten medizinischen Indikation von [X.] (vgl. [X.] Abs. [0001] und Patentanspruch 6). Im Zusammenhang mit seinen bekannten Wirkungen weist die [X.]/[X.] den Fachmann zugleich darauf hin, dass [X.] ein selektiver [X.]-Agonist ist (vgl. [X.] Abs. [0002]).

Ausgehend davon schaut sich der Fachmann zur Lösung der [X.]en Aufgabe, für den Wirkstoff [X.] neue Anwendungsgebiete bzw. Indikationen aufzufinden, im Stand der Technik nach Anwendungsgebieten für [X.] um. Dabei trifft er auf eine ganze Reihe von Dokumenten, die eine Verwendung von [X.] zur Behandlung von Harnblasenstörungen und insbesondere von [X.] anregen. So lehren beispielsweise die BB07a und die [X.], dass [X.] zur Behandlung der überaktiven Blase geeignet sind (vgl. BB07a [X.] Abstract, li. [X.]. Z. 22 bis 25, [X.]. Abs.; vgl. [X.] S. 683/684 seitenübergr. Abs. und [X.] „Conclusion“ Abs. 1). Dieselbe Information erhält der Fachmann auch aus der [X.] (vgl. [X.] S. [X.] li. [X.]. Abs. 1 und 2). Bei der [X.] handelt es sich im Übrigen unabhängig von einer wirksamen Beanspruchung der Priorität der [X.] 2002323792 durch das Streitpatent um einen vorveröffentlichten Stand der Technik, da gemäß [X.] dieser Aufsatz am 22. Oktober 2002 und damit vor dem Anmeldetag der durch das Streitpatent in Anspruch genommenen [X.] Prioritätsschrift publiziert worden ist. Auch der [X.] entnimmt der Fachmann die Eignung von [X.] zur Behandlung von Harnblasenstörungen wie Pollakisurie, Harninkontinenz, neurogene Blasendysfunktion oder instabiler Blase (vgl. [X.] Patentansprüche 9 und 10 iVm [X.] 10 bis 33, [X.] 28 bis [X.]). In Kenntnis dieses Fachwissens war der Fachmann motiviert, [X.] zur Behandlung von Harnblasenstörungen und dabei auch von [X.] zu untersuchen. Darin wurde er bestärkt, weil die Fachliteratur von wenigen bzw. keinen Nebenwirkungen bei der Verwendung von [X.] zur Behandlung von Harnblasenerkrankungen berichtet (vgl. BB07a [X.]/1437 seitenübergr. Satz; [X.] S. 683 re. [X.]. Z. 12 bis 14, [X.] „Conclusion“ Abs. 1 le. Satz). Somit hat ausgehend von [X.]/[X.] in einer Zusammenschau mit dem Fachwissen zu [X.] Agonisten die neue Indikation für [X.] gemäß Patentanspruch 1 nahegelegen.

2. [X.]/[X.] stellt keinen wegen rückschauender Auswahl unzulässigen Ausgangspunkt dar, weil nach Ansicht der [X.] in dieser Druckschrift die [X.]-Aktivität von [X.] nicht als relevante Eigenschaft für die Behandlung von Diabetes mellitus, sondern lediglich für die Wirkung gegen Adipositas und Hyperlipidämie offenbart werde. Der [X.] ist bei ihrer Begründung zwar insoweit zu folgen, dass im Absatz [0002] der [X.] die [X.]-Aktivität im Zusammenhang mit der [X.] und Anti-Hyperlipidämie-Wirkung von [X.] offenbart wird. Allerdings versteht der Fachmann den gesamten Absatz [0002] derart, dass sämtliche darin beschriebenen Wirkungen von [X.], also die Wirkung auf die Insulinsekretion und Insulinsensitivität sowie die [X.]- und Anti-Hyperlipidämie-Wirkung dazu beitragen, dass [X.] als Wirkstoff zur Behandlung von Diabetes verwendet werden kann. Dies wird durch den Bezug auf die [X.]/[X.] bekräftigt (auch hier sind beide Druckschriften als Einheit anzusehen, da die [X.] wiederum lediglich eine englischsprachige Übersetzung der in [X.] verfassten vorveröffentlichten [X.] darstellt). In [X.]/[X.] wird explizit ausgeführt, dass die beschriebenen Amid-Derivate, von denen [X.] gemäß dem Patentanspruch 6 dieser Druckschrift ein bevorzugtes Beispiel darstellt, aufgrund derselben Wirkungen, also die Wirkung auf die Insulinsekretion und Insulinsensitivität sowie die [X.]- und Anti-Hyperlipidämie-Wirkung, als therapeutisches Mittel für die Behandlung von Diabetes mellitus verwendbar sind (vgl. [X.] Abs. [0054]). Für das, was der Fachmann der [X.]/[X.] als Lehre hinsichtlich des Wirkstoffs [X.] entnimmt, spielt es allerdings keine Rolle, ob die Wirkung auf die Insulinsekretion und Insulinsensitivität durch die [X.]-Aktivität von [X.] bedingt ist. Denn unabhängig davon lehrt diese Druckschrift unmittelbar und eindeutig, dass der Diabetes-Wirkstoff [X.] zu der Klasse der [X.]-aktiven Wirkstoffe gehört. Somit wird die [X.] der [X.]/[X.] nicht rückschauend auf die [X.]-Aktivität von [X.] eingeengt. Vielmehr motiviert diese Druckschrift den Fachmann, sich zur Lösung der streitpatentgemäßen Aufgabe mit der Wirkstoffklasse der [X.]-aktiven Wirkstoffe zu beschäftigen. Darin wird er wiederum durch den Bezug auf die [X.]/[X.] bestärkt, da diese Druckschrift expressis verbis lehrt, dass die selektive [X.] Wirkung der beschriebenen Amidverbindungen und damit auch des in dieser Druckschrift bevorzugten [X.]s zur Vorbeugung und Therapie verschiedener durch Stimulation des ß3-Rezeptors behandelbarer Krankheiten nützlich ist (vgl. [X.] Abs. [0057]).

3. Der Fachmann wird auch nicht dadurch von der Berücksichtigung der [X.]/[X.] abgehalten, weil er vermeintlich die in jedem Fall vorhandene Wirkung von [X.] auf die Insulinsekretion und Insulinsensitivität als unerwünschte Nebenwirkung bei der Behandlung der überaktiven Blase ansieht, die er vermeiden möchte. Ein derartiges, das Beruhen auf erfinderischer Tätigkeit begründendes Vorurteil liegt vor, wenn eine in den einschlägigen Fachkreisen allgemein und weit verbreitete Ansicht oder vorgefasste Meinung herrscht, die auf einer allgemein eingewurzelten technischen Fehlvorstellung beruht, die die Fachwelt daran gehindert hat, in Richtung auf die geschützte Lehre zu arbeiten oder auch nur Versuche in dieser Richtung zu unternehmen (vgl. [X.], [X.], 11. Aufl., § 4 Rn. 163), was allerdings nur bei bislang bestehenden [X.]ahmen technischer Unausführbarkeit oder Unerreichbarkeit des erzielten technischen Erfolgs zu bejahen ist (vgl. [X.]/Asaendorf/[X.]/Tochtermann, [X.], 12. Aufl., § 4 Rn. 96). Eine solche eingewurzelte technische Fehlvorstellung ist vorliegend nicht gegeben. Denn im Stand der Technik gibt es keine Hinweise oder Andeutungen dahingehend, dass die Wirkung von [X.]-aktiven Wirkstoffen bei der Behandlung der überaktiven Blase einen negativen, den Fachmann von der Berücksichtigung dieser Wirkstoffklasse abhaltenden Einfluss besitzen würde. Vielmehr wird im Stand der Technik bereits in vivo am Tiermodell die Wirkung von [X.]-aktiven Wirkstoffen bei der Behandlung der [X.] beschrieben (vgl. [X.] 1445 li. [X.]. [X.]. Abs.; [X.] S. 680 Abstract, „Materials and Methods“ [X.]. Satz und „Results“). Darüber hinaus wird im Stand der Technik berichtet, dass keine unerwünscht schweren Nebenwirkungen auftreten (vgl. BB07a [X.]/1437 seitenübergr. Satz; [X.] S. 683 re. [X.]. Z. 12 bis 14, [X.] „Conclusion“ Abs. 1 le. Satz). Zudem gehört es zur fachüblichen Vorgehensweise, dass in der sogenannten klinischen Phase IV ein Medikament in weiteren Studien daraufhin untersucht wird, ob es für die Behandlung weiterer Krankheiten in Betracht kommt (vgl. [X.] Abs. re. unten). Bei diesen Phase [X.] ist sich der Fachmann selbstverständlich der Problematik bewusst, dass Wirkstoffe, die hinsichtlich einer zweiten medizinischen Indikation untersucht werden, immer auch die Wirkung ihrer bekannten ersten medizinischen Indikation aufweisen. Dies führt in der fachüblichen Praxis aber nicht dazu, von derartigen Studien abzusehen. Schließlich wurden von der [X.] auch keine entsprechenden Belege oder Nachweise vorgelegt, so dass dieser Vortrag als unbegründete [X.]ekulation zu werten ist.

4. Ausgehend von der Lehre der [X.]/[X.] muss das Augenmerk des Fachmanns nicht auf [X.] gelenkt werden, da diese Druckschrift nur den Wirkstoff [X.] betrifft. Vielmehr hat der Fachmann zur Lösung der Aufgabe gemäß I.2. insbesondere Anlass, von Druckschriften auszugehen, die sich schwerpunktmäßig mit dem Wirkstoff [X.] beschäftigen, da [X.] aufgrund der Aufgabe bereits im [X.] seiner Überlegungen steht. Ebenso ist der Einwand nicht überzeugend, dass in [X.]/[X.] [X.] nur eine von vielen in dieser Druckschrift beschriebenen Amidverbindungen darstelle, dessen Auswahl nur bei einer ex post-Betrachtung für den Fachmann auf der Hand gelegen habe. Denn [X.] ist in [X.]/[X.] im Patentanspruch 6 explizit als eine von neun Verbindungen genannt und wird durch diese Beanspruchung in einem Unteranspruch in den Fokus des Fachmanns gerückt, weil sie besondere Ausführungsformen der beanspruchten Erfindung betreffen (vgl. [X.]/Schacht [X.], 12. Aufl., § 34 Rn. 235).

5. Die [X.] mag zwar eine große Liste von Wirkungen aufzeigen, die alle auf [X.]-Aktivität beruhen sollen (vgl. [X.], [X.]/2 seitenübergr. Abs.). Die Behandlung der [X.] stellt in diesen Aufzählungen aber keine spekulative [X.] dar, die den Fachmann die Behandlung der [X.] durch [X.]-aktive Wirkstoffe als nicht wirkstoffklassentypische Indikation erkennen lassen würde. Denn zum einen wird in der [X.] das Augenmerk des Fachmanns auf die Behandlung der [X.] durch die Testmethode im experimentellen Teil gerichtet, wodurch er zugleich erkennt, dass die [X.]-Behandlung keine [X.]ekulation der Autoren der [X.] darstellt, sondern dass diese die [X.] als Indikation für Vertreter der Wirkstoffklasse der [X.] bereits in Betracht gezogen haben (vgl. [X.], [X.].). Zum anderen erhält er aus dem weiteren Stand der Technik zu [X.]-aktiven Wirkstoffen gemäß BB07a, [X.] und [X.] sogar den konkreten Hinweis, sich auf die Behandlung der [X.] zu konzentrieren, da sich diese Druckschriften ausschließlich mit der Indikation der überaktiven Blase beschäftigen und in diesem Zusammenhang [X.]-aktive Wirkstoffe als mögliche Therapeutika offenbaren (vgl. BB07a u.a. [X.] Titel und Abstract, S. 1440 spaltenübergr. Abs.; vgl. [X.] S. 680 Titel, Abstract, „Conclusion“ Abs. 1 [X.] li. [X.]. Abs. 2; vgl. [X.] S. [X.] Titel und Abstract iVm S. [X.] li. [X.]. Abs. 1 und 2).

6. Gegen eine Berücksichtigung des Standes der Technik zu [X.]-aktiven Wirkstoffen und dabei insbesondere der [X.] und der [X.] spricht auch nicht, dass in den Beispielen dieser Druckschriften insbesondere hinsichtlich der Behandlung der [X.] strukturell zu [X.] unterschiedliche Verbindungen offenbart worden sind. Denn die Lehre der [X.] betrifft die allgemeine Verwendbarkeit von [X.] als [X.]-aktive Arzneimittelwirkstoffe (vgl. [X.] [X.] 10 bis S. 4 Z. 24). Dabei lehrt diese Druckschrift, dass Verbindungen mit [X.]-Aktivität u.a. Wirkungen auf die überaktive Blase haben (vgl. [X.] [X.] 28 bis [X.]). Diese Wirkung wird im Test ab S. 22 der [X.] beispielhaft anhand einer [X.]-aktiven Verbindung nachgewiesen. Aufgrund dieser explizit offenbarten positiven Versuchsergebnisse hatte der Fachmann eine angemessene Erfolgserwartung, diese Indikation auch bei dem ihm als [X.]-aktiven Wirkstoff bekannten [X.] als [X.] zu untersuchen, auch wenn sich die Verbindung im Beispiel der [X.] strukturell von [X.] unterscheidet. Dasselbe gilt auch für die Lehre der [X.]. Auch aus dieser Druckschrift erhält der Fachmann die Lehre, dass die überaktive Blase mit [X.]-aktiven Wirkstoffen behandelt werden kann (vgl. [X.] S. 680 Titel und Abstract le. Satz). Dabei spielt es für die Motivation des Fachmanns bei der Berücksichtigung der Indikation [X.] zur Lösung der streitpatentgemäßen Aufgabe wiederum keine Rolle, dass sich die in [X.] untersuchten [X.]-aktiven Verbindungen strukturell von [X.] unterscheiden.

7. Die weiteren Patentansprüche des [X.] bedürfen keiner isolierten Prüfung, weil die [X.] in der mündlichen Verhandlung erklärt hat, dass sie den Hauptantrag und die Hilfsanträge jeweils als geschlossene Anspruchssätze versteht und das Streitpatent in der Reihenfolge Hauptantrag und Hilfsanträge 1 bis 3 verteidigt (vgl. [X.] 2007, 862 – Informationsübermittlungsverfahren II; [X.] 1997, 120 – Elektrisches [X.]eicherheizgerät; B[X.] [X.] 2009, 46 – Ionenaustauschverfahren).

III.

Die [X.] kann ihr Patent auch nicht erfolgreich in den Fassungen der Hilfsanträge verteidigen, die sie nach ihrer Mitteilung in der mündlichen Verhandlung ohnehin nicht in Reaktion auf die klägerseits beanstandete fehlende erfinderische Tätigkeit formuliert hat.

1. Der Patentanspruch 1 des [X.] enthält durch Hereinnahme der Merkmale der erteilten Unteransprüche 5 und 6 als zusätzliches Merkmal, dass die Behandlung der überaktiven Blase auf eine Behandlung der Harninkontinenz und/oder der Pollakisurie beschränkt worden ist. Dieses Merkmal ist allerdings beispielsweise aus den Druckschriften [X.] oder [X.] bekannt (vgl. [X.] S. 683/684 seitenübergr. Abs; vgl. [X.] Patentanspruch 10, [X.] 12 bis [X.], v.a. [X.] 16 und 29/30, [X.] 14 bis 17, [X.] 28 bis [X.], v.a. [X.] 30 und [X.] 8/9). Damit kann das zusätzliche Merkmal im Patentanspruch 1 des [X.] ein Beruhen auf erfinderischer Tätigkeit nicht begründen.

2. Ob die gegenüber dem Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 zusätzliche Aufnahme des Merkmals „resulting from an imbalance of the automatic dual control of the detrusor muscle“ (= „resultierend aus einem Ungleichgewicht der dualen Kontrolle des Detrusormuskels“) im Patentanspruch 1 des [X.] eine zulässige Beschränkung darstellt, weil hiermit lediglich der physiologische Hintergrund beim Auftreten einer überaktiven Blase beschrieben wird (vgl. [X.] [0002], [X.] „Results“), kann dahingestellt bleiben. Denn gemäß der [X.]-Rechtsprechung [X.] und [X.] a ist ein Gegenstand nahegelegt, den der Fachmann zwangsläufig erhält, wenn er ein durch den Stand der Technik nahegelegtes Verfahren anwendet (vgl. [X.], [X.], 2012, 1130, Rn. 29 – [X.] und [X.], [X.], 2019, 157, [X.]. – [X.] a). Zudem ist nach der [X.]-Rechtsprechung [X.] eine Entdeckung biologischer Zusammenhänge als solche dem Patentschutz nicht zugänglich (vgl. [X.], [X.], 2011, 999, Rn. 44 – [X.]). Diese vom [X.] aufgestellten Rechtsgrundsätze sind auf das neue Merkmal im Patentanspruch 1 des [X.] anwendbar. Denn dieses neue Merkmal beschreibt lediglich den fachbekannten biologischen und damit nicht dem Patentschutz zugänglichen Zusammenhang zwischen der Ursache eines Ungleichgewichts der dualen Kontrolle des Detrusormuskels und der daraus resultierenden überaktiven Blase (vgl. [X.] aaO). Da sich dieser Zusammenhang zudem zwangsläufig bei der Anwendung der aus dem Stand der Technik gemäß [X.]/[X.] iVm dem Fachwissen zu [X.] gemäß BB07a, [X.], [X.] und [X.] einstellt (vgl. II.1.), kann dieses zusätzliche Merkmal nach der Fassung des [X.] eine erfinderische Tätigkeit nicht begründen.

3. Da mit der Fassung des [X.] lediglich noch der nach den vorstehenden Ausführungen nicht patentfähige erteilte Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag ohne die erteilten Unteransprüche beansprucht wird, erweist sich dieser wie der Hauptantrag als zur wirksamen Verteidigung des Streitpatents ungeeignet.

IV.

Da sich das Grundpatent als nicht patentfähig erweist, ist auch das auf seiner Grundlage erteilte, ebenfalls angegriffene ergänzende [X.] gemäß Art. 15 Abs. 1 lit. c) [X.] für nichtig zu erklären.

B.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 [X.] i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs. 1 [X.] i. V. m. § 709 ZPO.

Meta

3 Ni 2/21 (EP)

04.05.2023

Bundespatentgericht 3. Senat

Beschluss

Sachgebiet: Ni

Zitier­vorschlag: Bundespatentgericht, Beschluss vom 04.05.2023, Az. 3 Ni 2/21 (EP) (REWIS RS 2023, 4857)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 4857

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