Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.11.2018, Az. NotZ (Brfg) 6/18

Senat für Notarsachen | REWIS RS 2018, 1582

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Gegenstand

Bestellung zum Anwaltsnotar: Voraussetzungen für ein Absehen von der besonderen Bestellungsvoraussetzung der örtlichen Wartezeit


Leitsatz

Zu den Voraussetzungen für ein Absehen von der örtlichen Wartezeit gemäß § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BNotO.

Tenor

Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Senats für Notarsachen des [X.] vom 14. Mai 2018 wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.

Der Streitwert wird auf 50.000 € festgesetzt.

Gründe

1

Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Entgegen der Auffassung des [X.] liegt keiner der Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 111b Abs. 1 Satz 1 [X.] vor.

2

1. Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO i.V.m. § 111d Satz 2 [X.]). Das [X.] hat die Klage zu Recht abgewiesen. Dem Kläger kann die ausgeschriebene [X.] nicht übertragen werden, weil er die besondere Bestellungsvoraussetzung des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 [X.] (örtliche Wartezeit) im maßgeblichen Zeitpunkt des Ablaufs der Bewerbungsfrist nicht erfüllt hat und kein Grund vorliegt, von diesem Erfordernis in seinem Fall ausnahmsweise abzusehen. Wie das [X.] richtig gesehen hat, liegt ein Fall des Ermessensnichtgebrauchs oder -fehlgebrauchs nicht vor. Entgegen der Ansicht des [X.] hat der Beklagte insbesondere nicht die Reichweite des ihm eingeräumten Ermessens verkannt.

3

a) § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 [X.] ist eine [X.] und eröffnet damit der Landesjustizverwaltung kein uneingeschränktes Ermessen. Vielmehr sind nach der ständigen Rechtsprechung des Senats dem Ermessen enge Grenzen gesetzt. Die Bestellung eines Bewerbers, der die örtliche Wartezeit nicht erfüllt, ist auf seltene Ausnahmefälle beschränkt. Sie kommt nur in Betracht, wenn angesichts eines ganz außergewöhnlichen Sachverhalts die Abkürzung der Regelzeit aus Gerechtigkeitsgründen oder aus [X.] zwingend erscheint (Senat, Beschlüsse vom 14. März 2016 - [X.]([X.]) 5/15, D[X.] 2016, 879 Rn. 11; vom 26. November 2012 - [X.]([X.]) 6/12, NJW-RR 2013, 695 Rn. 17; vom 26. November 2012 - [X.]([X.]) 7/12, [X.], 151 Rn. 12; vom 17. November 2008 - [X.] 10/08, NJW-RR 2009, 350 Rn. 29; vom 24. Juli 2006 - [X.] 13/06, D[X.] 2007, 75, 76; vom 3. Dezember 2001 - [X.] 17/01, [X.], 968, 969). Zudem muss den Zwecken der örtlichen Wartezeit, wenn auch auf andere Weise, genügt sein (Senat, Beschlüsse vom 14. März 2017 - [X.]([X.]) 5/15, D[X.] 2016, 879 Rn. 11; vom 26. November 2012 - [X.] ([X.]) 6/12, NJW-RR 2013, 695 Rn. 19; vom 3. Dezember 2001 - [X.] 17/01, [X.], 968, 969). Voraussetzung dafür ist die Vertrautheit des Bewerbers mit den örtlichen Verhältnissen, die Schaffung der wirtschaftlichen Grundlagen für die [X.] und der organisatorischen Voraussetzungen für die Geschäftsstelle (Senatsbeschluss vom 26. November 2012 - [X.]([X.]) 6/12, NJW-RR 2013, 695 Rn. 19 mwN). Je kürzer die Dauer der hauptberuflichen anwaltlichen Tätigkeit in dem in Aussicht genommenen Amtsbereich ist, umso strikter sind die Ausnahmen zu handhaben (Senatsbeschluss vom 24. Juli 2006 - [X.] 13/06, D[X.] 2007, 75, 76).

4

b) Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Regelung des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 [X.] und ihre Auslegung durch den Senat bestehen nicht (vgl. [X.] 110, 304, 322 ff.; [X.]; NJW 2005, 50 f.; Senat, Beschlüsse vom 14. März 2017 - [X.]([X.]) 5/15, D[X.] 2016, 879 Rn. 9; vom 26. November 2012 - [X.]([X.]) 6/12, NJW-RR 2013, 695 Rn. 17; vom 21. Februar 2011 - [X.]([X.]) 6/10, D[X.] 2011, 878 Rn. 2; vom 17. November 2008 - [X.] 10/08, NJW-RR 2009, 350 Rn. 26). Mit § 6 Abs. 2 [X.] werden die Kriterien des Art. 33 Abs. 2 GG an die Übertragung des Amtes des Anwaltsnotars näher konkretisiert und dadurch die Freiheit der Berufswahl in Gestalt subjektiver Zulassungsvoraussetzungen durch an den einzelnen Notarbewerber absolut gestellte Anforderungen (zusätzlich zu Anforderungen, die an ihn im Vergleich zu Mitbewerbern gestellt werden) beschränkt (vgl. [X.] 110, 304, 322). Die vom Gesetzgeber mit der Festlegung und Ausgestaltung der örtlichen Wartezeit in typisierender Betrachtungsweise erfolgte Ausübung seines Gestaltungsspielraums (vgl. [X.], D[X.] 2003, 375 zu § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 [X.]) einschließlich der mit der [X.] einhergehenden Einschränkung des Ermessens hat die Justizverwaltung zu achten. Die daraus resultierende Beschränkung eines Absehens von der Erfüllung der Wartezeit auf eng begrenzte Ausnahmefälle verstößt nicht gegen Art. 33 Abs. 2 GG. Denn nach ständiger Rechtsprechung des Senats kann - unter Berücksichtigung der eigenständigen Bedeutung der örtlichen Wartezeit - ein öffentliches Interesse, von der Einhaltung der örtlichen Wartezeit abzusehen, bei Vorliegen eines außergewöhnlichen Sachverhalts in der Bestenauslese liegen (Senatsbeschlüsse vom 26. November 2012 - [X.]([X.]) 6/12, NJW-RR 2013, 695 Rn. 18; vom 26. November 2012 - [X.]([X.]) 7/12, [X.], 151 Rn. 8 f.; vom 17. November 2008 - [X.] 10/08, NJW-RR 2009, 350 Rn. 31; vom 24. Juli 2006 - [X.] 13/06, D[X.] 2007, 75, 77; vom 3. Dezember 2001 - [X.] 17/01, [X.], 968, 969). Zudem ist der bei der Auslegung und Anwendung des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 [X.] zu beachtende Grundsatz der Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG) nicht verletzt. Die örtliche Wartezeit soll nicht nur verhindern, dass Bewerber, die die allgemeine Wartezeit des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 [X.] zurückgelegt haben, sich für die Bestellung zum Notar den hierfür am günstigsten erscheinenden Ort ohne Rücksicht auf dort bereits ansässige Rechtsanwälte aussuchen können. Sie soll auch eine gleichmäßige Behandlung aller Bewerber gewährleisten (Senatsbeschlüsse vom 26. November 2012 - [X.]([X.]) 6/12, NJW-RR 2013, 695 Rn. 16; vom 5. März 2012 - [X.]([X.]) 14/11, [X.], 1888 Rn. 6; vom 17. November 2008 - [X.] 10/08, NJW-RR 2009, 350 Rn. 29; vom 24. Juli 2006 - [X.] 13/06, D[X.] 2007, 75, 76). Es dürfen auch diejenigen nicht benachteiligt werden, die trotz an sich gegebener persönlicher und fachlicher Eignung für den Zweitberuf als Anwaltsnotar von einer Bewerbung mit Blick darauf absehen, dass die örtliche Wartezeit von ihnen noch nicht erfüllt ist (Senatsbeschluss vom 24. Juli 2006 - [X.] 13/06, D[X.] 2007, 75, 76).

5

c) Die Voraussetzungen für ein Absehen von der örtlichen Wartezeit haben der Beklagte und ihm folgend das [X.] in nicht zu beanstandender Weise verneint. Bedarfsgründe im in Aussicht genommenen Amtsbereich erfordern die Verkürzung der Regelzeit nicht, was der Kläger nicht in Frage stellt. Ein im Prinzip der Bestenauslese begründetes öffentliches Interesse, im Falle des [X.] von der Einhaltung der örtlichen Wartezeit ausnahmsweise abzusehen, besteht in Anbetracht der vom Kläger erzielten Prüfungsergebnisse nicht; auch Gerechtigkeitsgründe gebieten die Abkürzung der Regelwartezeit nicht, insbesondere handelt es sich bei der Verweisung des [X.] auf die Wartezeit nicht um ein sinnloses Beharren auf einer Formalie (vgl. hierzu Senatsbeschluss vom 24. Juli 2006 - [X.] 13/06, juris Rn. 15; zu § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 [X.] Senatsbeschluss vom 2. Dezember 2002 - [X.] 15/02, NJW-RR 2003, 642, 643). Bei seiner Entscheidung haben der Beklagte und ihm folgend das [X.] zu Recht potentielle Interessenten, die sich gegebenenfalls wegen Nichterfüllung der örtlichen Wartezeit nicht beworben haben, in den Blick genommen. Zutreffend berücksichtigt das angefochtene Urteil ferner den Umstand, dass dem Kläger im Zeitpunkt des Ablaufs der Bewerbungsfrist noch ein ganz erheblicher Teil (rund zwei Drittel) der örtlichen Wartezeit fehlte (vgl. Senatsbeschluss vom 24. Juli 2006 - [X.] 13/06, D[X.] 2007, 75, 76). Der Verweis auf die Erfüllung der örtlichen Wartezeit trifft den Kläger auch nicht unverhältnismäßig. Ihm ist es zuzumuten, sich nach Ablauf der örtlichen Wartezeit erneut zu bewerben. Nach alledem entspricht die angefochtene Entscheidung dem Grundsatz der Einzelfallgerechtigkeit.

6

d) Schließlich ist das angefochtene Urteil nicht deshalb unrichtig, weil rund zehn Monate nach Ablauf der für den Kläger maßgeblichen Bewerbungsfrist eine Änderung der [X.] in [X.] getreten ist, wonach konkurrenzlose Bewerber, die bei Ablauf der Bewerbungsfrist zwei Jahre der örtlichen Wartezeit erfüllt haben, unter bestimmten Voraussetzungen zum Notar bestellt werden können. Abgesehen davon, dass der Kläger bei Ablauf der Bewerbungsfrist auch eine zweijährige örtliche Wartezeit noch nicht erfüllt hätte, ist diese Verwaltungsvorschrift, die lediglich Kriterien für die Ausübung des Ermessens im Rahmen der vorrangigen gesetzlichen Regelung des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 [X.] enthält, schon nach ihrem zeitlichen Geltungsbereich auf die Bewerbung des [X.] nicht anwendbar.

7

Unzutreffend ist zudem die Ansicht des [X.], dass für die Frage der Erfüllung der Wartezeit auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen sei. Dem steht § 6 Abs. 2 Satz 1 [X.] entgegen, wonach die in den nachfolgenden Ziffern aufgezählten Kriterien "bei Ablauf der Bewerbungsfrist" erfüllt sein müssen.

8

2. Die Zulassung der Berufung ist auch nicht deshalb geboten, weil entscheidungserhebliche Verfahrensfehler (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO i.V.m. § 111d Satz 2 [X.]) gegeben wären. Entgegen der Ansicht des [X.] begründet es keinen Verfahrensfehler, dass das [X.] auf die Rechts- und Sachlage zum Zeitpunkt des Ablaufs der Bewerbungsfrist abgestellt hat.

9

3. Klärungsbedürftige Rechtsfragen, die der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 111d Satz 2 [X.] verleihen oder besondere rechtliche Schwierigkeiten im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO i.V.m. § 111d Satz 2 [X.] aufwerfen könnten, bestehen nicht. Ob in anderen Fällen [X.]n unbesetzt bleiben oder von der Voraussetzung der örtlichen Wartezeit abgesehen werden kann, ist in jedem Einzelfall nach den dafür maßgeblichen Kriterien zu entscheiden.

Auch besondere tatsächliche Schwierigkeiten im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO i.V.m. § 111d Satz 2 [X.] liegen nicht vor.

Wöstmann     

      

[X.]     

      

Müller

      

Strzyz     

      

[X.]     

      

Berichtigungsbeschluss vom 29. Januar 2019

Der Leitsatz der Entscheidung des Senats für Notarsachen vom 19. November 2018 wird wegen eines offensichtlichen Schreibversehens dahingehend berichtigt, dass es statt "[X.]" heißen muss "[X.]".

Herrmann     

      

[X.]     

      

Müller

      

Strzyz     

      

[X.]     

      

Meta

NotZ (Brfg) 6/18

19.11.2018

Bundesgerichtshof Senat für Notarsachen

Beschluss

Sachgebiet: False

vorgehend OLG Köln, 14. Mai 2018, Az: 2 VA (Not) 2/18

§ 6 Abs 2 S 1 Nr 2 BNotO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.11.2018, Az. NotZ (Brfg) 6/18 (REWIS RS 2018, 1582)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 1582


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. NotZ (Brfg) 6/18

Bundesgerichtshof, NotZ (Brfg) 6/18, 19.11.2018.


Az. 2 VA (Not) 2/18

Oberlandesgericht Köln, 2 VA (Not) 2/18, 14.05.2018.


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