Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 27.09.2011, Az. 1 StR 399/11

1. Strafsenat | REWIS RS 2011, 2971

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1
StR 399/11

vom
27. September
2011
in der Strafsache
gegen

1.
2.

wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt u.a.

-
2
-
Der 1. Strafsenat des [X.] hat am 27. September
2011 be-schlossen:

Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 18. Februar 2011 werden als unbegründet verworfen.
Die sofortige Beschwerde des Angeklagten R.

gegen die Kosten-
und Auslagenentscheidung dieses Urteils wird als unbe-gründet verworfen.
Die Beschwerdeführer haben die Kosten ihrer Rechtsmittel zu tragen.

Gründe:

r-enthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 13 tatmehrheitlichen Fällen in Tatmehrheit mit einem gemeinschaftlichen Verstoß gegen § 11 des Schwarz-.

zu der Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten, den Angeklagten S.

zu der Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten.

Die auf die (für beide Angeklagten identisch) näher ausgeführten [X.] gestützten Revisionen sind unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

1. Nach den Feststellungen waren die Angeklagten geschäftsführende Gesellschafter der von ihnen im Januar 2007 gegründeten [X.].

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GmbH (nachfolgend:
[X.].

GmbH). Die Gesell-schaft war im [X.]hmen ihres [X.] im Wesentlichen als Sub-unternehmer auf Baustellen für andere Firmen tätig.
Zur Erfüllung der aus den [X.] folgenden [X.] bediente sich die [X.].

GmbH [X.] Facharbeiter.
Diese hatten auf die Initiative der [X.]

, Sa.

und P.

, die zuvor als Bauleiter [X.] Werkvertragsfirmen in [X.] tätig waren, im März, April und Juni 2007 drei Gesellschaften des bürgerlichen Rechts ([X.]) gegründet, die jeweils in D.

ansässig waren. [X.] der [X.] war, dass nach Erweiterung der [X.] durch den Beitrittsvertrag vom 16. April 2003 ([X.]. 2003, [X.] und [X.]) die Arbeitnehmerfreizügigkeit von Staatsangehörigen der [X.], zu denen auch [X.] zählte, bis zum 1. Mai 2011 beschränkt war, nicht aber die Niederlassungsfreiheit.
Die in der Folge von der [X.].

GmbH mit den vorgenannten [X.] geschlossenen Werkverträge nahmen hinsichtlich der von [X.] zu erbringenden Leistungen auf ein Leistungsverzeichnis Bezug und nann-ten den Leistungsort. Darüber hinaus wurden die Leistungen nicht näher kon-kretisiert.
Die Werkverträge wurden tatsächlich nicht ausgeführt. Die [X.] Staatsangehörigen erbrachten ihre Leistungen nicht auf deren Grundlage, son-dern auf der Grundlage der von den Angeklagten erteilten Arbeitsaufträge und anhand der ihnen von den Angeklagten überlassenen Pläne. Die Durchführung der Arbeiten organisierten die [X.]

, Sa.

und P.

l-wischen sieben und zehn 4
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Euro entlohnt, wofür monatliche Stundenaufzeichnungen angefertigt wurden. Demgegenüber erfolgte keine Abrechnung anhand der Leistungsverzeichnisse oder
aufgrund eines Aufmaßes. Der Charakter der Zahlungen der [X.].

GmbH an die [X.] wurde dadurch verschleiert, dass die Ange-klagten Vorschussrechnungen der
[X.] an die [X.].

GmbH erstellten.
Auch im Übrigen wurden die Buchhaltung und der Schriftverkehr der [X.] durch die Angeklagten veranlas[X.] Hierfür verwahrte der Angeklagte R.

sämtliche Geschäftsunterlagen aller drei BGB-Gesell-schaften, die Firmenstempel und die Bankunterlagen der Gesellschaften ein-schließlich der [X.] der Bankkarten. Auf einem Notebook des Angeklagten R.

fanden sich Mustervorlagen sowohl für interne Vorgänge der [X.] (z.B. Kündigungen, Vollmachten u.a.) als auch für deren [X.] (Gewerbeanmeldungen, Rechnungen u.a.).
Die [X.] waren allein für die [X.].

GmbH tätig. Um [X.] Umstand zu verschleiern, schalteten die Angeklagten teilweise eine andere Firma (F.

Metallgestaltung) als Auftraggeber der [X.] zwi-schen. Tatsächlich wurden gegenüber dieser zwischengeschalteten Firma kei-o-für der Firmeninhaber als Honorar ca. fünf
bis zehn
Prozent des fingierten [X.] erhielt.
2. Diese Feststellungen tragen die Wertung des [X.],
dass die Werkverträge zwischen der [X.].

GmbH und den [X.] ledig-lich zum Schein geschlossen wurden und die [X.].

GmbH, als deren vertre-tungsberechtigtes Organ die Angeklagten handelten (§ 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB), 8
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r. Für die Beurteilung, ob ein sozialversiche-rungs-
und lohnsteuerpflichtiges Arbeitsverhältnis vorliegt, sind allein die tat-sächlichen Gegebenheiten maßgeblich, nicht eine zur Verschleierung gewählte Rechtsform. Dementsprechend können die Vertragsparteien
die sich aus einem Arbeitsverhältnis ergebenden Beitragspflichten nicht durch eine abweichende vertragliche Gestaltung beseitigen ([X.] Rspr.;
vgl. zuletzt [X.],
Beschluss vom 11. August 2011 -
1 [X.] mwN).
3. Diesem Ergebnis stehen auch keine Rechtsakte der [X.] (Art. 288 A[X.]) entgegen, insbesondere ist die in Art. 49 A[X.] garan-tierte Niederlassungsfreiheit entgegen der Auffassung der Revision nicht be-rührt.
Art. 49 A[X.] garantiert die Möglichkeit für einen Gemeinschaftsangehö-rigen, in stabiler und kontinuierlicher Weise am Wirtschaftsleben eines anderen Mitgliedstaats als seines Herkunftsstaats teilzunehmen und daraus Nutzen zu ziehen, wodurch die wirtschaftliche und [X.] Verflechtung innerhalb der [X.] im
Bereich der selbstständigen Tätigkeiten gefördert wird ([X.], Urteil vom 22.
Dezember 2008 -
[X.]/07, [X.][X.]). Die Niederlassungsfreiheit umfasst insbesondere die Aufnahme und Ausübung selbstständiger Erwerbstätigkeiten (vgl. [X.] in [X.]/Hilf/
[X.], Das Recht der [X.],
43. Auflage 2011,
A[X.] Art.
49 Rn. 16), wobei das Merkmal der Selbstständigkeit maßgeblich für die Abgrenzung
von den abhängigen Beschäftigungen ist (vgl. [X.],
aaO,
Rn.
51).
Die danach vorzunehmende Abgrenzung erfolgt insoweit (auch) nach der
Rechtsprechung des [X.] anhand objektiver Kriterien, die das Arbeitsverhält-11
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nis im Hinblick auf die Rechte und Pflichten der betroffenen Personen kenn-zeichnen. Das wesentliche Merkmal des Arbeitsverhältnisses besteht darin, dass jemand während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung er-hält ([X.], Urteil vom 3. Juli 1986 Rechtssache 66/85, [X.]; Urteil vom 20. November 2001 -
C-268/99, [X.]; Urteil vom 27. Juni 1996 -
C-107/94, [X.]). Die Antwort auf die Frage, ob ein solches Arbeitsverhältnis gegeben ist, hängt dabei von der Gesamtheit der jeweiligen Faktoren und Umstände ab, die die Beziehungen zwischen den Parteien charakterisieren, wie etwa die [X.] an den geschäftlichen Risiken des Unternehmens, die freie Gestaltung der Arbeitszeit und der freie Einsatz eigener Hilfskräfte ([X.], Urteil vom 14.
Dezember 1989 -
Rechtssache -3/87, Agegate).

Auch nach diesen gemeinschaftsrechtlichen Maßstäben, die im Übrigen auch im Wesentlichen mit denen des [X.] Rechts übereinstimmen, steht auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen außer Frage, dass es sich bei den fraglichen Rechtsbeziehungen zwischen der [X.].

GmbH und den [X.] um Arbeitsverhältnisse handelte, für die allein die im [X.] nach Maßgabe des [X.] vom 16. April 2003 beschränkte Arbeitnehmerfreizügigkeit gilt (vgl. insoweit auch den Schlussantrag
des Gene-ralanwalts [X.] vom 18. September 2008 in der Rechtssache [X.]/07, [X.][X.] Rn. 35).

4. Vor diesem Hintergrund ist der [X.] nicht gehalten, dem Antrag der Revision zu folgen, nach Maßgabe von Art. 267 A[X.] ein Vorabentschei-dungsersuchen an den [X.] zu richten. Dieses wäre nur geboten, wenn über die Auslegung der Verträge der [X.] oder der Handlungen der 14
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Organe, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der [X.] zu entscheiden ist, wobei grundsätzlich sämtliche Rechtssätze des [X.]srechts Gegenstand ei-nes Vorabentscheidungsersuchens sein können ([X.]/[X.], [X.]/A[X.] 4. Aufl., A[X.] Art. 267 Rn. 8 ff.).

Sind demgegenüber -
wie hier -
die im konkreten Fall maßgeblichen Rechtssätze des [X.]srechts durch den [X.] eindeutig und zweifelsfrei [X.] und beschränkt sich die Anwendung
des ausgelegten Rechts auf den konkret zur Entscheidung stehenden Einzelfall, ist diese Rechtsanwendung ebenso wie die Feststellung und tatsächliche Bewertung der dem [X.] zugrunde liegenden Tatsachen allein
Aufgabe der innerstaatlichen Ge-richte
([X.], Urteil vom 28. März 1979 -
Rechtssache
222/78, [X.]; Urteil vom 18. Oktober 1990 -
C-297/88, [X.]/89, [X.]; Urteil vom 22. Juni 1999 -
C-342/97, [X.]; Urteil vom
4. März 1999 -
C-87/97, [X.] per [X.] Gorgonzola).
5. Auch im Übrigen hat die auf Grund der Sachrüge gebotene [X.] des Urteils keine den Angeklagten belastenden Rechtsfehler ergeben. Dies gilt auch für die Entscheidung des [X.], die Vollstreckung der [X.] nicht zur Bewährung auszusetzen.
Die [X.] hat eine umfassende Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit der Angeklagten einschließlich deren Nachtatverhalten vorge-nommen und das ihr insoweit zukommende Ermessen, dessen Ausübung das Revisionsgericht im Zweifel bis zur Grenze des Vertretbaren zu respektieren hat ([X.] Rspr.;
vgl. [X.], Urteil
vom 20. Dezember 1994
-
1 [X.], NJW 1995, 1038),
pflichtgemäß ausgeübt. Rechtsfehler zeigen die Revisionen in diesem Zusammenhang nicht auf.
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6. Die sofortige Beschwerde des Angeklagten R.

gegen die Kos-ten-
und Auslagenentscheidung im angefochtenen Urteil ist als unbegründet zu verwerfen, da die Entscheidung der Rechtslage entspricht.
[X.]Wahl Graf

Jäger Sander
19

Meta

1 StR 399/11

27.09.2011

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 27.09.2011, Az. 1 StR 399/11 (REWIS RS 2011, 2971)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 2971

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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2 BvR 597/11

5 StR 467/10

1 StR 295/11

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