Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27.09.2011, Az. 1 StR 399/11

1. Strafsenat | REWIS RS 2011, 3000

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Gegenstand

Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt: Vorliegen eines sozialversicherungs- und lohnsteuerpflichtigen Arbeitsverhältnisses; unionsrechtskonforme Auslegung im Hinblick auf die Niederlassungsfreiheit


Tenor

Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 18. Februar 2011 werden als unbegründet verworfen.

Die sofortige Beschwerde des Angeklagten [X.]      gegen die Kosten- und Auslagenentscheidung dieses Urteils wird als unbegründet verworfen.

Die Beschwerdeführer haben die Kosten ihrer Rechtsmittel zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hat die Angeklagten wegen „gemeinschaftlichen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 13 tatmehrheitlichen Fällen in Tatmehrheit mit einem gemeinschaftlichen Verstoß gegen § 11 des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes“ verurteilt, den Angeklagten [X.]        zu der Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten, den Angeklagten [X.]zu der Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten.

2

Die auf die (für beide Angeklagten identisch) näher ausgeführten Sachrügen gestützten Revisionen sind unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

3

1. Nach den Feststellungen waren die Angeklagten geschäftsführende Gesellschafter der von ihnen im Januar 2007 gegründeten [X.].                                 GmbH (nachfolgend: [X.].   GmbH). Die Gesellschaft war im [X.]hmen ihres [X.] im Wesentlichen als Subunternehmer auf Baustellen für andere Firmen tätig.

4

Zur Erfüllung der aus den [X.] folgenden Verpflichtungen bediente sich die [X.].   GmbH [X.] Facharbeiter.

5

Diese hatten auf die Initiative der Zeugen [X.], Sa.  und P.     , die zuvor als Bauleiter [X.] Werkvertragsfirmen in [X.] tätig waren, im März, April und Juni 2007 drei Gesellschaften des bürgerlichen Rechts ([X.]) gegründet, die jeweils in D.      ansässig waren. Hintergrund der [X.] war, dass nach Erweiterung der [X.] durch den Beitrittsvertrag vom 16. April 2003 ([X.]. 2003, [X.] und [X.]) die Arbeitnehmerfreizügigkeit von Staatsangehörigen der [X.], zu denen auch [X.] zählte, bis zum 1. Mai 2011 beschränkt war, nicht aber die Niederlassungsfreiheit.

6

Die in der Folge von der [X.].   GmbH mit den vorgenannten [X.] geschlossenen Werkverträge nahmen hinsichtlich der von diesen zu erbringenden Leistungen auf ein Leistungsverzeichnis Bezug und nannten den Leistungsort. Darüber hinaus wurden die Leistungen nicht näher konkretisiert.

7

Die Werkverträge wurden tatsächlich nicht ausgeführt. Die [X.] Staatsangehörigen erbrachten ihre Leistungen nicht auf deren Grundlage, sondern auf der Grundlage der von den Angeklagten erteilten Arbeitsaufträge und anhand der ihnen von den Angeklagten überlassenen Pläne. Die Durchführung der Arbeiten organisierten die Zeugen [X.], Sa.  und P.     . Die „Gesellschafter“ wurden monatlich mit einem Stundenlohn zwischen sieben und zehn Euro entlohnt, wofür monatliche Stundenaufzeichnungen angefertigt wurden. Demgegenüber erfolgte keine Abrechnung anhand der Leistungsverzeichnisse oder aufgrund eines Aufmaßes. Der Charakter der Zahlungen der [X.].   GmbH an die [X.] wurde dadurch verschleiert, dass die Angeklagten Vorschussrechnungen der [X.] an die [X.].   GmbH erstellten.

8

Auch im Übrigen wurden die Buchhaltung und der Schriftverkehr der [X.] durch die Angeklagten veranlasst. Hierfür verwahrte der Angeklagte [X.]      sämtliche Geschäftsunterlagen aller drei BGB-Gesell-schaften, die Firmenstempel und die Bankunterlagen der Gesellschaften einschließlich der PIN der Bankkarten. Auf einem Notebook des Angeklagten [X.]      fanden sich Mustervorlagen sowohl für interne Vorgänge der [X.] (z.B. Kündigungen, Vollmachten u.a.) als auch für deren externe geschäftliche Korrespondenz (Gewerbeanmeldungen, Rechnungen u.a.).

9

Die [X.] waren allein für die [X.].   GmbH tätig. Um diesen Umstand zu verschleiern, schalteten die Angeklagten teilweise eine andere Firma (F.    Metallgestaltung) als Auftraggeber der [X.] zwischen. Tatsächlich wurden gegenüber dieser zwischengeschalteten Firma keine Leistungen erbracht. Diese erstellte lediglich „sog. Abdeckrechnungen“, wofür der Firmeninhaber als Honorar ca. fünf bis zehn Prozent des fingierten Auftragsvolumens erhielt.

2. Diese Feststellungen tragen die Wertung des [X.]s, dass die Werkverträge zwischen der [X.].   GmbH und den [X.] lediglich zum Schein geschlossen wurden und die [X.].   GmbH, als deren vertretungsberechtigtes Organ die Angeklagten handelten (§ 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB), Arbeitgeber der „Gesellschafter“ war. Für die Beurteilung, ob ein sozialversicherungs- und lohnsteuerpflichtiges Arbeitsverhältnis vorliegt, sind allein die tatsächlichen Gegebenheiten maßgeblich, nicht eine zur Verschleierung gewählte Rechtsform. Dementsprechend können die Vertragsparteien die sich aus einem Arbeitsverhältnis ergebenden Beitragspflichten nicht durch eine abweichende vertragliche Gestaltung beseitigen (st. Rspr.; vgl. zuletzt [X.], Beschluss vom 11. August 2011 - 1 StR 295/11 mwN).

3. Diesem Ergebnis stehen auch keine Rechtsakte der [X.] (Art. 288 A[X.]) entgegen, insbesondere ist die in Art. 49 A[X.] garantierte Niederlassungsfreiheit entgegen der Auffassung der Revision nicht berührt.

Art. 49 A[X.] garantiert die Möglichkeit für einen Gemeinschaftsangehörigen, in stabiler und kontinuierlicher Weise am Wirtschaftsleben eines anderen Mitgliedstaats als seines Herkunftsstaats teilzunehmen und daraus Nutzen zu ziehen, wodurch die wirtschaftliche und [X.] Verflechtung innerhalb der [X.] im Bereich der selbstständigen Tätigkeiten gefördert wird ([X.], Urteil vom 22. Dezember 2008 - [X.]/07, [X.][X.]). Die Niederlassungsfreiheit umfasst insbesondere die Aufnahme und Ausübung selbstständiger Erwerbstätigkeiten (vgl. [X.] in [X.]/Hilf/[X.], Das Recht der [X.], 43. Auflage 2011, A[X.] Art. 49 Rn. 16), wobei das Merkmal der Selbstständigkeit maßgeblich für die Abgrenzung von den abhängigen Beschäftigungen ist (vgl. [X.], aaO, Rn. 51).

Die danach vorzunehmende Abgrenzung erfolgt insoweit (auch) nach der Rechtsprechung des [X.] anhand objektiver Kriterien, die das Arbeitsverhältnis im Hinblick auf die Rechte und Pflichten der betroffenen Personen kennzeichnen. Das wesentliche Merkmal des Arbeitsverhältnisses besteht darin, dass jemand während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält ([X.], Urteil vom 3. Juli 1986 Rechtssache 66/85, [X.]; Urteil vom 20. November 2001 - [X.]/99, [X.]; Urteil vom 27. Juni 1996 - [X.]/94, [X.]). Die Antwort auf die Frage, ob ein solches Arbeitsverhältnis gegeben ist, hängt dabei von der Gesamtheit der jeweiligen Faktoren und Umstände ab, die die Beziehungen zwischen den Parteien charakterisieren, wie etwa die Beteiligung an den geschäftlichen Risiken des Unternehmens, die freie Gestaltung der Arbeitszeit und der freie Einsatz eigener Hilfskräfte ([X.], Urteil vom 14. Dezember 1989 - Rechtssache - 3/87, Agegate).

Auch nach diesen gemeinschaftsrechtlichen Maßstäben, die im Übrigen auch im Wesentlichen mit denen des [X.] Rechts übereinstimmen, steht auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen außer Frage, dass es sich bei den fraglichen Rechtsbeziehungen zwischen der [X.].   GmbH und den [X.] um Arbeitsverhältnisse handelte, für die allein die im Tatzeitraum nach Maßgabe des [X.] vom 16. April 2003 beschränkte Arbeitnehmerfreizügigkeit gilt (vgl. insoweit auch den Schlussantrag des Generalanwalts [X.] vom 18. September 2008 in der Rechtssache [X.]/07, [X.][X.] Rn. 35).

4. Vor diesem Hintergrund ist der [X.] nicht gehalten, dem Antrag der Revision zu folgen, nach Maßgabe von Art. 267 A[X.] ein Vorabentscheidungsersuchen an den [X.] zu richten. Dieses wäre nur geboten, wenn über die Auslegung der Verträge der [X.] oder der Handlungen der Organe, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der [X.] zu entscheiden ist, wobei grundsätzlich sämtliche Rechtssätze des [X.]srechts Gegenstand eines Vorabentscheidungsersuchens sein können ([X.]/[X.], [X.]/A[X.] 4. Aufl., A[X.] Art. 267 Rn. 8 ff.).

Sind demgegenüber - wie hier - die im konkreten Fall maßgeblichen Rechtssätze des [X.]srechts durch den [X.] eindeutig und zweifelsfrei ausgelegt und beschränkt sich die Anwendung des ausgelegten Rechts auf den konkret zur Entscheidung stehenden Einzelfall, ist diese Rechtsanwendung ebenso wie die Feststellung und tatsächliche Bewertung der dem Ausgangsverfahren zugrunde liegenden Tatsachen allein Aufgabe der innerstaatlichen Gerichte ([X.], Urteil vom 28. März 1979 - Rechtssache 222/78, [X.]; Urteil vom 18. Oktober 1990 - [X.]/88, [X.]/89, [X.]; Urteil vom 22. Juni 1999 - [X.]/97, [X.]; Urteil vom 4. März 1999 - [X.]/97, [X.] per la tutela del fromaggio Gorgonzola).

5. Auch im Übrigen hat die auf Grund der Sachrüge gebotene Überprüfung des Urteils keine den Angeklagten belastenden Rechtsfehler ergeben. Dies gilt auch für die Entscheidung des [X.]s, die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafen nicht zur Bewährung auszusetzen.

Die Strafkammer hat eine umfassende Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit der Angeklagten einschließlich deren Nachtatverhalten vorgenommen und das ihr insoweit zukommende Ermessen, dessen Ausübung das Revisionsgericht im Zweifel bis zur Grenze des Vertretbaren zu respektieren hat (st. Rspr.; vgl. [X.], Urteil vom 20. Dezember 1994 - 1 [X.], NJW 1995, 1038), pflichtgemäß ausgeübt. Rechtsfehler zeigen die Revisionen in diesem Zusammenhang nicht auf.

6. Die sofortige Beschwerde des Angeklagten [X.]      gegen die Kosten- und Auslagenentscheidung im angefochtenen Urteil ist als unbegründet zu verwerfen, da die Entscheidung der Rechtslage entspricht.

[X.]                               Wahl                                  Graf

                  Jäger                                 Sander

Meta

1 StR 399/11

27.09.2011

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Landshut, 18. Februar 2011, Az: 3 KLs 54 Js 1101/08, Urteil

§ 14 Abs 1 Nr 1 StGB, § 266a StGB, Art 49 AEUV

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27.09.2011, Az. 1 StR 399/11 (REWIS RS 2011, 3000)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 3000


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 1 StR 399/11

Bundesgerichtshof, 1 StR 399/11, 31.10.2011.

Bundesgerichtshof, 1 StR 399/11, 27.09.2011.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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