Bundessozialgericht, Urteil vom 08.11.2011, Az. B 1 KR 19/10 R

1. Senat | REWIS RS 2011, 1659

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Gegenstand

(Krankenversicherung - Verordnung eines Arzneimittels während und außerhalb eines arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahrens jenseits seiner bestehenden Zulassung nur bei wissenschaftlichen Erkenntnissen über Nutzen und Risiken des Mittels aufgrund von Phase III-Studien - Bindung von Hochschulambulanzen an die im ambulanten Bereich geltenden leistungsrechtlichen Begrenzungen des Anspruchs der Versicherten auf Versorgung mit Fertigarzneimitteln - kein Ersatz der Zulassungsentscheidung durch die bloße Möglichkeit einer Zulassung im Verfahren nach § 25b Abs 2 AMG 1976)


Leitsatz

1. Während und außerhalb eines arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahrens darf ein Arzneimittel zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung jenseits seiner bestehenden Zulassung nur verordnet werden, wenn wissenschaftliche Erkenntnisse über Nutzen und Risiken des Mittels aufgrund von Phase III-Studien vorliegen, die eine erweiternde Zulassung ermöglichen (Klarstellung zu BSG vom 19.3.2002 - B 1 KR 37/00 R = BSGE 89, 184 = SozR 3-2500 § 31 Nr 8; Fortführung von BSG vom 26.9.2006 - B 1 KR 1/06 R = BSGE 97, 112 = SozR 4-2500 § 31 Nr 5).

2. Der Anspruch Versicherter auf außerhalb ihrer Zulassung verordnete Arzneimittel zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung richtet sich, soweit er nicht bereits spezialgesetzlich begründet ist, nach den allgemeinen, von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen (Klarstellung zu BSG vom 30.06.2009 - B 1 KR 5/09 = SozR 4-2500 § 31 Nr 15).

3. Hochschulambulanzen sind an die im ambulanten Bereich geltenden leistungsrechtlichen Begrenzungen des Anspruchs der Versicherten auf Versorgung mit Fertigarzneimitteln gebunden.

Tenor

Die Revision des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 17. Juni 2010 wird zurückgewiesen.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

I. Die Beteiligten streiten über die ambulante Versorgung des [X.] mit Fertigarzneimitteln, die das bakterielle Nervengift Clostridium botulinum Toxin Typ A (Botulinumtoxin A <[X.]/A>) enthalten.

2

Der bei der beklagten Krankenkasse ([X.]) versicherte, 1954 geborene Kläger leidet an einer infantilen Zerebralparese mit spastischer Paraparese der Beine. Wegen zunehmender, die [X.] weiter verschlechternder Beinspastik mit Betonung der Oberschenkelinnenseiten (Adduktorenspastik) behandelte ihn die Universitätsklinik für Neurologie des Universitätsklinikums M. ab Mai 2001 bis April 2005 im Rahmen mehrerer, jeweils mehrtägiger stationärer Aufenthalte auf Kosten der Beklagten mit einem [X.]/A-Präparat. Die Beklagte lehnte den bereits im August 2001 gestellten Antrag ab, die Kosten für eine ambulante [X.]/A-Therapie zu übernehmen (Bescheid vom 7.9.2001, Widerspruchsbescheid vom 17.1.2002). [X.]/A sei nämlich nicht für die Behandlung einer Adduktorenspastik zugelassen. Das [X.] hat die Beklagte verurteilt, dem Kläger eine ambulante [X.]/A-Therapie als zulassungsüberschreitende Anwendung (Off-Label-Use) zu gewähren (Urteil vom [X.]). Auf die Berufung der Beklagten hat das L[X.] die nunmehr auf Fortsetzungsfeststellung gerichtete Klage abgewiesen: Zwar sei derzeit keine [X.]/A-Therapie der fortbestehenden Adduktorenspastik des [X.] erforderlich. Doch bestehe ein Feststellungsinteresse, weil die [X.]/A-Therapie der Adduktorenspastik jederzeit wieder notwendig werden könne. Der Kläger habe nach § 27 Abs 1 Satz 2 [X.], § 31 Abs 1 [X.]B V keinen Anspruch auf Fertigarzneimittel mit dem Wirkstoff [X.]/A, da ihnen eine Zulassung für die Indikation "Adduktorenspastik" fehle. Sie erfüllten auch nicht die Voraussetzungen eines Off-Label-Use, da keine abgeschlossene einschlägige Phase [X.] veröffentlicht sei. Eine notstandsähnliche Situation, die eine grundrechtsorientierte Erweiterung des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung ([X.]) rechtfertige, bestehe ebenfalls nicht. Das den Kläger behandelnde Krankenhaus sei nicht nach § 116b [X.]B V berechtigt, die begehrten ambulanten Behandlungen der Adduktorenspastik zu erbringen. Ein Behandlungsanspruch nach § 117 [X.]B V scheitere daran, dass auch die [X.] nur innerhalb der von § 135 [X.]B V vorgegebenen Grenzen Leistungen erbringen dürften (Urteil vom 17.6.2010).

3

Der Kläger rügt mit seiner Revision die Verletzung des Art 2 Abs 2 GG und des § 117 [X.]B V. Er habe wegen seiner schweren Erkrankung auch ohne Phase [X.]n Anspruch auf die ambulante [X.]/A-Therapie seiner Adduktorenspastik. Außerdem rügt er, das L[X.] habe eine im Jahr 2004 vorgestellte multizentrische doppelblinde, plazebokontrollierte Studie nicht berücksichtigt.

4

Der Kläger beantragt,
das Urteil des [X.] vom 17. Juni 2010 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 28. Februar 2006 mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass festgestellt wird, dass die Beklagte durch den Bescheid vom 7. September 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Januar 2002 rechtswidrig dem Kläger bei vertragsärztlicher Verordnung die Versorgung mit Fertigarzneimitteln, die den Wirkstoff Botulinumtoxin A enthalten, zur ambulanten Behandlung seiner Adduktorenspastik verweigert hat.

5

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

6

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

7

II. Die zulässige Revision des [X.] ist unbegründet. Zu Recht hat das L[X.] auf die Berufung der beklagten [X.] das [X.]-Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die Klage ist zwar als Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig (dazu 1.), aber unbegründet (dazu 2.-6.). Der Kläger hat gegen die Beklagte nämlich keinen Anspruch auf ambulante Behandlung seiner Adduktorenspastik mit einer [X.]/A-Therapie, auch nicht in einer Hochschulambulanz.

8

1. Der Kläger verfolgt sein Begehren zulässig mit der Fortsetzungsfeststellungsklage (§ 131 Abs 1 Satz 3 [X.]G). Diese Regelung des [X.]G gilt ausdrücklich für [X.], ist aber entsprechend auf kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklagen anzuwenden (stRspr, vgl zB B[X.]E 92, 46 = [X.]-2500 § 61 [X.] 1; [X.] in [X.], [X.]G, Stand Oktober 2011, § 131 Rd[X.] 59 mwN). Das ursprüngliche Leistungsbegehren des [X.] hat sich während des Rechtsstreits erledigt, weil eine [X.]/A-Therapie der Adduktorenspastik des [X.] im hier maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung beim L[X.] (vgl B[X.] [X.]-1500 § 54 [X.] 1 Rd[X.] 5 mit Blick auf die Zukunftsausrichtung des Naturalleistungsbegehrens; s dazu etwa B[X.]E 88, 166, 167 = [X.]-2500 § 28 [X.] 5 S 26 mwN; B[X.]E 91, 32 = [X.]-2500 § 28 [X.] 1, Rd[X.] 7) nach dessen nicht angegriffenen und damit den Senat bindenden Feststellungen (§ 163 [X.]G) medizinisch nicht erforderlich war.

9

Der Kläger hat ein berechtigtes Interesse an der Feststellung, dass die Beklagte sein Begehren rechtswidrig abgelehnt hat, da nach den Feststellungen des L[X.] Wiederholungsgefahr besteht (vgl zu den Fallgruppen des berechtigten Interesses [X.] in [X.], [X.]G, Stand Oktober 2011, § 131 Rd[X.] 75 ff mwN; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.]G, 9. Aufl 2008, § 131 Rd[X.] 10b mwN). Eine Wiederholungsgefahr setzt die nicht entfernt liegende Möglichkeit eines wiederholten Auftretens der Rechtsfrage beim Kläger voraus (vgl B[X.] [X.]-2500 § 17 [X.] Rd[X.] 13 mwN). So liegt es etwa, wenn sich konkret abzeichnet, dass unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen oder rechtlichen Umständen ein gleichartiges Leistungsbegehren wieder auftreten kann. Nach den Feststellungen des L[X.] kann bei der fortbestehenden Krankheit jederzeit wieder ein [X.]/A-Therapiebedarf im [X.] auftreten.

2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Versorgung mit einem den Wirkstoff [X.]/A enthaltenden Fertigarzneimittel im Rahmen ambulanter Behandlung seiner Adduktorenspastik. Die begehrten Fertigarzneimittel besitzen weder die erforderliche Zulassung zur Behandlung der beim Kläger bestehenden Krankheit (dazu 3.) noch besteht Anspruch auf eine Versorgung nach den Grundsätzen des Off-Label-Use (dazu 4.). Der Kläger kann auch keinen Einzelimport von [X.]/A enthaltenden Fertigarzneimitteln verlangen, weil weder ein sog [X.] noch ein Fall grundrechtsorientierter Leistungsausweitung gegeben ist. Auf ein sog Systemversagen kommt es in diesem Zusammenhang nicht an (dazu 5.). Schließlich ergibt sich auch nichts anderes daraus, dass die [X.]/A-Therapie durch die Universitätsklinik für Neurologie des Universitätsklinikums M. nach § 117 [X.]B V als ambulante Therapie durchgeführt worden ist und weiterhin durchgeführt werden kann (dazu 6.).

3. Versicherte können Versorgung mit vertragsärztlich verordneten Fertigarzneimitteln zu Lasten der [X.] - hier mit dem Wirkstoff [X.]/A - grundsätzlich ungeachtet weiterer Einschränkungen (vgl §§ 31, 34 [X.]B V) nur beanspruchen, wenn eine arzneimittelrechtliche Zulassung für das Indikationsgebiet besteht, in dem sie angewendet werden sollen. Fertigarzneimittel sind mangels Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit (§ 2 Abs 1 Satz 1, § 12 Abs 1 [X.]B V) nicht von der Leistungspflicht der [X.] nach § 27 Abs 1 Satz 2 [X.] 1 und 3, § 31 Abs 1 Satz 1 [X.]B V umfasst, wenn ihnen die erforderliche (§ 21 Abs 1 [X.] <[X.]>) arzneimittelrechtliche Zulassung fehlt (stRspr, vgl zB B[X.]E 96, 153 = [X.]-2500 § 27 [X.] 7, Rd[X.] 22 mwN - D-Ribose; B[X.]E 97, 112 = [X.]-2500 § 31 [X.] 5, Rd[X.] 15 - [X.]; B[X.] [X.]-2500 § 31 [X.] 6 Rd[X.] 9 - [X.]/[X.]; B[X.] [X.]-2500 § 31 [X.] 15 Rd[X.] 21 ADHS/Methylphenidat). So liegt es hier. Die begehrten Fertigarzneimittel mit dem Wirkstoff [X.]/A sind zulassungspflichtig. Weder in [X.] noch EU-weit liegt die erforderliche Arzneimittelzulassung für die Indikation Adduktorenspastik oder ein übergeordnetes Indikationsgebiet vor, das die Adduktorenspastik mit umfasst. Das steht nach den [X.] und deshalb den Senat bindenden Feststellungen des L[X.] fest (§ 163 [X.]G).

Keine Zulassung für [X.] liegt darin, dass angeblich in [X.] eine Zulassung [X.]/A enthaltender Arzneimittel für Beinspastik ohne Bedeutung der Ursache, damit uU auch für eine Adduktorenspastik besteht. Insoweit eröffnet zwar § 25b Abs 2 [X.] die Möglichkeit eines erleichterten Verfahrens der gegenseitigen Anerkennung mit der Folge, dass das bereits in einem anderen [X.] zugelassene Arzneimittel grundsätzlich auch im Inland zuzulassen ist (näher dazu [X.] in Dieners/[X.], Handbuch des [X.], 2010, § 5 Rd[X.] 5 f und 156 ff; [X.]/[X.], Arzneimittelrecht, Stand Januar 2011, § 25b [X.] Rd[X.] 13 ff). Die bloße Möglichkeit, dass es einem pharmazeutischen Unternehmen offensteht, im Verfahren nach § 25b Abs 2 [X.] die Zulassung eines bereits in einem anderen [X.] zugelassenen Arzneimittels herbeizuführen, ersetzt aber nicht die Zulassungsentscheidung.

4. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Versorgung mit [X.]/[X.] Fertigarzneimitteln im Rahmen eines Off-Label-Use zur Behandlung der Adduktorenspastik auf Kosten der [X.], weder nach § 35c [X.]B V (dazu a) noch nach allgemeinen Grundsätzen (dazu b).

a) Bei der streitigen [X.]/A-Therapie handelt es sich um keinen durch § 35c Abs 1 [X.]B V und untergesetzliche Regelungen gedeckten Off-Label-Use. Nach § 92 Abs 1 Satz 1, Satz 2 [X.] 6 [X.]B V beschließt der Gemeinsame Bundesausschuss ([X.]) die zur Sicherung der ärztlichen Versorgung erforderlichen Richtlinien über die Gewähr für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten mit Arzneimitteln. Nach § 91 Abs 6 [X.]B V sind die Beschlüsse des [X.] mit Ausnahme der Beschlüsse zu Entscheidungen nach § 137b [X.]B V und zu Empfehlungen nach § 137f [X.]B V für die Träger iS des § 91 Abs 1 Satz 1 [X.]B V, deren Mitglieder und Mitgliedskassen sowie für die Versicherten und die Leistungserbringer verbindlich. Abschnitt K und Anlage VI der Richtlinie des [X.] über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Arzneimittel-Richtlinie <[X.]> vom 18.12.2008/22.1.2009, BAnz 2009, [X.] 49a , zuletzt geändert am 18.8.2011, BAnz [X.] 156 S 3609 vom 14.10.2011) enthalten Einzelheiten über die "Verordnungsfähigkeit von zugelassenen Arzneimitteln in nicht zugelassenen Anwendungsgebieten" und führen Wirkstoffe als verordnungsfähig (Anlage [X.]) bzw als nicht verordnungsfähig (Anlage [X.]) auf. Die [X.] benennt hierbei [X.]/A nicht. Es fehlt damit an der erforderlichen expliziten Regelung der Verordnungsfähigkeit für die von der Zulassung nicht abgedeckte Indikation. Auf die Frage einer verzögerten Bearbeitung kommt es insoweit nicht an (vgl § 35c Abs 1 [X.]B V gegenüber § 135 Abs 1 Satz 4 [X.]B V). Eine Verzögerung in der Bearbeitung könnte nur zur Anwendung der allgemeinen Regeln des Off-Label-Use führen (vgl dazu unten, b), nicht aber zu einer Zulassungsfiktion (vgl ähnlich bereits B[X.] [X.]-2500 § 31 [X.] 15 Rd[X.] 44).

Auch die Voraussetzungen des § 35c Abs 2 [X.]B V sind nicht erfüllt. Danach haben Versicherte außerhalb des Anwendungsbereichs des Absatzes 1 Anspruch auf Versorgung mit zugelassenen Arzneimitteln in klinischen Studien, sofern hierdurch eine therapierelevante Verbesserung der Behandlung einer schwerwiegenden Erkrankung im Vergleich zu bestehenden Behandlungsmöglichkeiten zu erwarten ist, damit verbundene Mehrkosten in einem angemessenen Verhältnis zum erwarteten medizinischen Zusatznutzen stehen, die Behandlung durch einen Arzt erfolgt, der an der vertragsärztlichen Versorgung oder an der ambulanten Versorgung nach den §§ 116b und 117 [X.]B V teilnimmt, und der [X.] der Arzneimittelverordnung nicht widerspricht. Der Kläger beansprucht die Versorgung indes nicht im Rahmen einer klinischen Studie.

b) Entsprechend der Anmerkung zu Abschnitt K [X.] bleiben die allgemeinen, vom erkennenden Senat entwickelten Grundsätze für einen Off-Label-Use zu Lasten der [X.] unberührt, wenn - wie hier - ein nicht in der [X.] geregelter Off-Label-Use betroffen ist. Die nach diesen Grundsätzen erforderlichen Voraussetzungen sind ebenfalls nicht erfüllt. Ein Off-Label-Use kommt danach nur in Betracht, wenn es 1. um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, wenn 2. keine andere Therapie verfügbar ist und wenn 3. aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann (vgl zB B[X.]E 97, 112 = [X.]-2500 § 31 [X.] 5, Rd[X.] 17 f - [X.]). Abzustellen ist dabei auf die im jeweiligen Zeitpunkt der Behandlung vorliegenden Erkenntnisse (vgl B[X.]E 95, 132 Rd[X.] 20 = [X.]-2500 § 31 [X.] Rd[X.] 27 mwN - Wobe-Mugos E; im Falle des Systemversagens s B[X.] [X.]-2500 § 27 [X.] 10 Rd[X.] 24 mwN - Neuropsychologische Therapie).

Von hinreichenden Erfolgsaussichten ist nur dann auszugehen, wenn Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das (konkrete) Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden kann. Dies kann nur angenommen werden, wenn entweder (a) die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt ist und die Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der [X.] (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlicht sind und eine klinisch relevante Wirksamkeit respektive einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen oder (b) außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse von gleicher Qualität veröffentlicht sind. Soweit man aus der früheren Rspr des Senats (B[X.]E 89, 184, 192 = [X.]-2500 § 31 [X.] 8 S 36) ein unterschiedliches Schutzniveau vor und während laufender Zulassungsverfahren ableiten kann, gibt der Senat diese Rspr klarstellend auf. Außerhalb und während eines Zulassungsverfahrens muss die Qualität der wissenschaftlichen Erkenntnisse über den Behandlungserfolg, die für eine zulassungsüberschreitende Pharmakotherapie auf Kosten der [X.] nachgewiesen sein muss, derjenigen für die Zulassungsreife des Arzneimittels im betroffenen Indikationsbereich entsprechen. Der Schutzbedarf der Patienten, der dem gesamten Arzneimittelrecht zugrunde liegt und in das Leistungsrecht der [X.] einstrahlt, unterscheidet sich in beiden Situationen nicht (vgl B[X.]E 97, 112 = [X.]-2500 § 31 [X.] 5, Rd[X.] 24 - [X.]; B[X.] [X.]-2500 § 31 [X.] 6 Rd[X.] 16 - [X.]/[X.]; B[X.] [X.]-2500 § 31 [X.] 15 Rd[X.]4 ADHS/Methylphenidat). Dies bedeutet, dass der während und außerhalb eines Zulassungsverfahrens zu erbringende wissenschaftliche Nachweis durch Studien erbracht werden muss, die die an eine Phase [X.] zu stellenden qualitativen Anforderungen erfüllen. Daran fehlt es. Nach den Feststellungen des L[X.], welche nicht mit durchgreifenden [X.] angegriffen und damit für den Senat bindend sind (§ 163 [X.]G), ist es zu einer abgeschlossenen, veröffentlichten Studie der [X.] mit Relevanz für den Kläger bisher nicht gekommen.

Die sinngemäß erhobene Rüge des [X.], das L[X.] habe seine Pflicht zur Amtsermittlung (§ 103 [X.]G) verletzt, greift nicht durch. Eine Verletzung des § 103 [X.]G liegt lediglich vor, wenn das [X.] Ermittlungen unterlässt, obwohl es sich ausgehend von seiner Rechtsauffassung zu weiteren Ermittlungen hätte gedrängt fühlen müssen (stRspr vgl zB B[X.] [X.] 1500 § 160 [X.] 5; [X.] in [X.], [X.]G, Stand Oktober 2011, § 103 Rd[X.] 86 ff mwN). Daran fehlt es. Das L[X.] hat die Anforderungen des B[X.] zugrunde gelegt, wonach für einen Off-Label-Use zu Lasten der [X.] - wie dargelegt - einschlägige Studien der [X.] veröffentlicht sein müssen. Bei diesem Ausgangspunkt drängt es sich nicht auf, für den 1954 geborenen Kläger eine Studie zu würdigen, die im Jahre 2004 anlässlich der Jahrestagung der [X.] in [X.] vorgestellt wurde und der Frage des Effektes von [X.]/A bei der Behandlung der Adduktorenspastik bei Kindern mit Zerebralparese im Alter von zwei bis zu zehn Jahren nachging. Dies gilt erst recht unter Beachtung der Wertungen der Rspr, wonach in der [X.] versicherte Erwachsene grundsätzlich keinen Anspruch auf zulassungsüberschreitende Anwendung eines nur zur Behandlung von Kindern und Jugendlichen zugelassenen Arzneimittels unter erleichterten Voraussetzungen haben, selbst wenn eine gleiche Wirksamkeit des Mittels unterstellt wird (vgl B[X.] [X.]-2500 § 31 [X.] 15).

Es ist für den krankenversicherungsrechtlichen Anspruch des [X.] auch ohne Belang, dass eine Stellungnahme des [X.] die Anwendung von [X.]/A unabhängig von der Ursache befürwortet und nationale sowie [X.] Konsensusgruppen explizit [X.]/A bei Adduktorenspastik empfehlen (vgl Leitlinien der [X.], Therapie des spastischen Syndroms, Stand 2008, [X.]. Grundsätzlich bestimmen nicht Leitlinien und Konsensempfehlungen medizinischer Fachgesellschaften den Umfang der Leistungsansprüche der Versicherten der [X.]. Das Leistungsrecht ist vielmehr insbesondere von den Vorgaben des § 2 Abs 1 Satz 1 und 3, § 12 [X.]B V geprägt, wonach Qualität und Wirksamkeit der Leistungen dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse und dem Wirtschaftlichkeitsgebot entsprechen müssen. Für Fertigarzneimittel werden diese Anforderungen in der oben dargelegten Weise konkretisiert.

5. Der Kläger kann auch keinen Einzelimport nach § 73 Abs 3 [X.] von [X.]/A enthaltenden Fertigarzneimitteln zu Lasten der Beklagten verlangen. Weder ist ein sog [X.] (dazu a) noch ein Fall grundrechtsorientierter Leistungsausweitung gegeben (dazu b). Auf ein sog Systemversagen kommt es in diesem Zusammenhang nicht an (dazu c).

a) Der erkennende Senat zieht im Rahmen des § 73 Abs 3 [X.] ausnahmsweise die Verordnungsfähigkeit von Arzneimitteln zu Lasten der [X.] selbst ohne Inlandszulassung in Erwägung, wenn es sich um einen Fall der Seltenheit handelt (vgl B[X.] [X.]-2500 § 31 [X.] 15 Rd[X.] 43 mwN). Die Voraussetzungen eines sog [X.]s sind indes nicht erfüllt. Die Inzidenz der spastischen Beinparese ist, wie schon die Zulassung von [X.]/A für den spastischen Spitzfuß belegt, für eine systematische wissenschaftliche Erforschung ausreichend hoch, um auch die Behandlung der Adduktorenspastik mittels [X.]/A auf ihre Wirksamkeit zu untersuchen. Das zieht auch der Kläger letztlich nicht in Zweifel.

b) Auch ein Anspruch auf [X.]/A enthaltende Fertigarzneimittel zu Lasten der Beklagten im Rahmen eines Einzelimports nach § 73 Abs 3 [X.] aufgrund grundrechtsorientierter Auslegung besteht nicht (vgl zu den Voraussetzungen [X.] 115, 25 = [X.]-2500 § 27 [X.] 5; B[X.]E 96, 153 = [X.]-2500 § 27 [X.] 7, Rd[X.]1/32 - D-Ribose; B[X.]E 96, 170 = [X.]-2500 § 31 [X.] 4, Rd[X.] 23 - Tomudex; B[X.] [X.]-2500 § 31 [X.] 8 Rd[X.] 16 mwN - Mnesis/[X.]; B[X.]E 100, 103 = [X.]-2500 § 31 [X.] 9, Rd[X.]2 - "[X.] Öl"; B[X.] [X.]-2500 § 31 [X.] 15 Rd[X.] 45 f mwN - ADHS/Methylphenidat).

Die verfassungskonforme Auslegung setzt ua voraus, dass eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende oder eine zumindest wertungsmäßig damit vergleichbare Erkrankung vorliegt. Um eine solche Erkrankung geht es bei dem Leiden des [X.] nicht. Nach den [X.] und damit den Senat bindenden Feststellungen des L[X.] (§ 163 [X.]G) leidet der Kläger an einer infantilen Zerebralparese mit spastischer Paraparese der Beine, Sekundärschäden am knöchernen Apparat (Coxarthrose, [X.]) und sich dadurch verstärkender Spastik bei in Ruhe einschießenden schmerzhaften Spasmen. Mit diesen Auswirkungen seiner Krankheit wird nicht die Schwelle erreicht, welche allgemein für eine grundrechtskonforme erweiternde Auslegung des Leistungsrechts der [X.] zu fordern ist. Das Kriterium einer Krankheit, die zumindest mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung in der Bewertung vergleichbar ist, umschreibt nämlich eine strengere Voraussetzung, als sie mit dem Erfordernis einer "schwerwiegenden" Erkrankung für die Eröffnung des Off-Label-Use formuliert ist (vgl B[X.] [X.]-2500 § 27 [X.] 10 Rd[X.]4 - Neuropsychologische Therapie; B[X.] [X.]-2500 § 31 [X.] 8 Rd[X.] 17 - Mnesis/[X.]). Das B[X.] hat dementsprechend das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Krankheit und eine Gleichstellung mit den in diesem Bereich zu verlangenden notstandsähnlichen Extremsituationen auch schon in ähnlichen Fällen mit durchaus gravierenden Beeinträchtigungen verneint (vgl die Übersicht in B[X.] [X.]-2500 § 27 [X.] 16 Rd[X.] 15 - [X.]).

c) Ein sog Systemversagen aufgrund zögerlicher oder willkürlicher Bearbeitung spielt weder im Rahmen des Einzelimports noch - über das oben Ausgeführte hinaus - für einen Off-Label-Use zu Lasten der [X.] eine Rolle, soweit allein die Versorgung mit einem Fertigarzneimittel betroffen ist. Anders liegt es lediglich, wenn zugleich und parallel hierzu eine neue vertragsärztliche Behandlungsmethode betroffen ist (vgl dazu B[X.]E 93, 236 = [X.]-2500 § 27 [X.] 1, Rd[X.] 22 ff - [X.]).

6. Die Begrenzung des Anspruchs des [X.] auf die Versorgung mit zugelassenen Arzneimitteln wird abgesehen von den dargestellten und hier verneinten Ausnahmen nicht dadurch aufgehoben oder geändert, dass eine Hochschulambulanz nach § 117 [X.]B V behandelt oder zur Behandlung in Betracht kommt.

§ 117 [X.]B V eröffnet den [X.] den Zugang zur ambulanten ärztlichen Versorgung, um die universitäre Forschung und Lehre zu unterstützen (vgl B[X.]E 82, 216, 221 = [X.]-5520 § 31 [X.] 9 S 37 f; zu § 117 Abs 2 [X.]B V: B[X.] [X.]-2500 § 117 [X.] 1 Rd[X.]5). Die von Ärzten in [X.] in dem für Forschung und Lehre erforderlichen Umfang erbrachten ambulanten Leistungen sind weiterhin Bestandteil der vertragsärztlichen Versorgung. Der Zulassungsausschuss (§ 96 [X.]B V) ist nach § 117 Abs 1 [X.]B V (idF des [X.] des [X.] in der gesetzlichen Krankenversicherung vom [X.], [X.]) verpflichtet, auf Verlangen von Hochschulen oder Hochschulkliniken die Ambulanzen, Institute und Abteilungen der Hochschulkliniken ([X.]) zur ambulanten ärztlichen Behandlung der Versicherten und der in § 75 Abs 3 [X.]B V genannten Personen zu ermächtigen. § 95 Abs 1 Satz 1, Abs 4 Satz 1 [X.]B V (ab [X.] idF von Art 6 [X.] 16 des [X.] vom 28.5.2008, [X.]) beschreiben näher die Rechtsfolge einer solchen Ermächtigung: Die ermächtigte Einrichtung ist zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung berechtigt und verpflichtet.

Hiernach vermag die Behandlung durch Ärzte einer Hochschulambulanz zugunsten des [X.] keinen anderen Versorgungsanspruch zu begründen als den, der ihm zusteht, wenn er sich in die Behandlung eines Vertragsarztes begibt. Auch die Ärzte einer Hochschulambulanz dürfen dem Kläger nur für die jeweilige Indikation zugelassene Fertigarzneimittel verordnen, es sei denn, dass eine gesetzliche oder richterrechtliche Ausnahme eingreift. Das ist indes - wie oben dargestellt - hier nicht der Fall.

7. [X.] beruht auf § 193 [X.]G.

Meta

B 1 KR 19/10 R

08.11.2011

Bundessozialgericht 1. Senat

Urteil

Sachgebiet: KR

vorgehend SG Dessau, 28. Februar 2006, Az: S 4/6 KR 14/02, Urteil

§ 2 Abs 1 S 1 SGB 5, § 12 Abs 1 SGB 5, § 27 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB 5, § 27 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB 5, § 31 Abs 1 S 1 SGB 5, § 35c Abs 1 SGB 5, § 35c Abs 2 SGB 5, § 91 Abs 6 SGB 5, § 92 Abs 1 S 1 SGB 5, § 92 Abs 1 S 2 Nr 6 SGB 5, § 95 Abs 1 S 1 SGB 5 vom 28.05.2008, § 95 Abs 4 S 1 SGB 5 vom 28.05.2008, § 116b SGB 5 vom 28.05.2008, § 117 Abs 1 SGB 5, § 103 SGG, § 131 Abs 1 SGG, § 21 Abs 1 AMG 1976, § 25b Abs 2 AMG 1976, § 73 Abs 3 AMG 1976, Abschn K AMRL, Anl VI Teil A AMRL, Anl VI Teil B AMRL

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 08.11.2011, Az. B 1 KR 19/10 R (REWIS RS 2011, 1659)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 1659

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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