Bundespatentgericht, Beschluss vom 28.02.2018, Az. 4 ZA (pat) 59/17, zu 4 Ni 79/17 (EP)

4. Senat | REWIS RS 2018, 13145

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Gegenstand

Akteneinsichtssache in einem Patentnichtigkeitsverfahren – keine oder eingeschränkte Akteneinsicht im zivilrechtlichen Verletzungsverfahren mangels eines rechtlichen Interesses – nicht ohne weiteres Indiz für die Annahme eines Geheimhaltungsinteresses im parallelen Patentnichtigkeitsverfahren – Erfordernis der Darlegung des berechtigten Interesses an der Geheimhaltung – Umfang


Leitsatz

1. Der Umstand, dass die Akteneinsicht im zivilrechtlichen Verletzungsverfahren Dritten nach § 299 Abs. 2 ZPO mangels eines rechtlichen Interesses nicht oder nur eingeschränkt gestattet wurde, indiziert für das parallele Patentnichtigkeitsverfahren nicht ohne weiteres die Annahme eines Geheimhaltungsinteresses nach § 99 Abs. 3 Satz 2 PatG.

2. Vielmehr hat der Antragsgegner im Einzelfall substantiiert darzulegen, aus welchen Gründen sich das berechtigte Interesse an einer Geheimhaltung ergibt. Hierzu genügt nicht die pauschale Begründung, mit der im Verletzungsprozess angegriffenen und dort technisch näher erläuterten Ausführungsform würden einem Mitbewerber untrennbar verbundene Ausführungen zum Schutzumfang des Streitpatents offenbart (hierzu BGH GRUR 2008, 633 – Akteneinsicht XIX).

Tenor

In der Akteneinsichtssache

betreffend das europäische Patent 1 480 575

([X.] 38 808)

hier: Akteneinsicht

hat der 4. Senat ([X.]) des [X.] am 28. Februar 2018 durch den Vorsitzenden [X.], die Richterinnen [X.] und Dipl.-Phys. Univ. Zimmerer

beschlossen:

Die Einsicht in die Akten des Verfahrens 4 Ni 79/17 (EP) wird gewährt.

Gründe

[X.]

1

Die Antragstellerin hat mit Eingabe vom 26. Oktober 2017 ([X.]. 1 d. A.) Antrag auf Akteneinsicht in die Verfahrensakten des [X.] 4 Ni 79/17 (EP) gestellt. Eine Begründung für die Akteneinsicht ist zunächst nicht gegeben worden.

2

Die Antragsgegnerin zu [X.] hat mit [X.] ihres Prozessbevollmächtigten vom 24. November 2017 ([X.]. 8 d. A.) beantragt, von der Akteneinsicht die Anlagen NK6a und NK6b sowie die Passagen Seite 19, zweiter Absatz, Seite 20, vorletzter Absatz, Seite 21 letzter Absatz und Seite 22, erster bis vierter Absatz auszunehmen. Die Antragsgegnerin zu I[X.] hat sich nicht geäußert.

3

Die Antragsgegnerin zu [X.] trägt vor, die zur Nichtigkeitsklage eingereichten Anlagen NK6a (Verletzungsklage) und NK6b (Replik der Patentinhaberin) enthielten technische Ausführungen bezüglich der angegriffenen Verletzungsform und Ausführungen zum Schutzumfang und der Auslegung des Anspruchs des mit der Nichtigkeitsklage angegriffenen Patents. In dem parallelen Verletzungsverfahren beim [X.] habe die Kanzlei [X.] im Namen der Firma [X.], [X.] und deren [X.] und [X.] Tochter Akteneinsicht beantragt. Das [X.] habe diesen Antrag am 9. Oktober 2017 zurückgewiesen. Vorliegend bestehe der starke Verdacht, dass die Antragstellerin als Dienstleister im Namen eines dieser Unternehmen handele. Auch wenn die Akteneinsicht im Zivilprozess anderen Anforderungen unterliege, solle auf diesem Wege keine Umgehung der zivilprozessualen Voraussetzungen erfolgen. An der Geheimhaltung der Anlagen NK6a und NK6b bestehe ein schutzwürdiges Interesse, denn sie enthielten nicht jedermann zugängliche Informationen und Aussagen. Mit weiterem [X.] vom 26. Januar 2018 trägt die Antragsgegnerin zu [X.] vor, die Anlagen NK6a und NK6b enthielten technische Ausführungen bezüglich der angegriffenen Verletzungsform und Ausführungen zum Schutzumfang und zur Auslegung des Anspruchs, die den Mitbewerbern nicht offenbart werden sollten. Der von der Antragstellerin vorgelegte Beschluss des [X.] (Beschl. v. 14.02.2012 – [X.]) bestätige die im vorliegenden Fall beantragte beschränkte Akteneinsicht.

4

Die Antragstellerin beantragt mit [X.] vom 8. Januar 2018 nochmals die unbeschränkte Akteneinsicht und vertritt die Auffassung, die Ausführungen der Antragsgegnerin zu [X.] zu einem möglichen Auftraggeber seien rein spekulativ. Die Begründung des behaupteten schutzwürdigen Interesses genüge nicht den Kriterien, die der [X.] in seinem Beschluss vom 14. Februar 2012 ([X.]. …) aufgestellt habe. Der [X.] sei zum einen der Argumentation der Aushebelung der Anforderungen an die Akteneinsicht im Zivilprozess nicht gefolgt und verlange zum anderen ein konkretes schutzwürdiges Interesse wie z. B. ungerechtfertigte Wettbewerbsvorteile. Das [X.] von Informationen über das parallele Verletzungsverfahren sowie über weitere Produkte begründe dieses Interesse allein noch nicht.

I[X.]

5

Der Antrag auf Akteneinsicht gemäß § 99 Abs. 3 Satz 3 [X.] ist in vollem Umfang begründet.

6

Die Einsicht in die Akten des [X.] ist grundsätzlich frei (§ 99 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. § 31 Abs. 1 Satz 2 [X.]). Der Darlegung eines eigenen berechtigten Interesses durch die Antragstellerin bedarf es nicht (st. Rspr., vgl. [X.], Beschluss vom 14.02.2012 – [X.]). Eine Ausnahme von der (unbeschränkten) Einsicht in die Akten besteht jedoch dann, wenn der Patentinhaber sich auf ein entgegenstehendes schutzwürdiges Interesse berufen kann, § 99 Abs. 3 Satz 3 [X.] (vgl. [X.] a. a. O.; [X.] GRUR 2007, 815 – Akteneinsicht [X.];

7

Es ist davon auszugehen, dass die Antragsgegnerin zu [X.] ein solches, der Akteneinsicht entgegenstehendes schutzwürdiges Interesse nicht dargelegt hat. Zwar geht der [X.] davon aus, dass die Parteien eines [X.] ein berechtigtes Interesse daran haben können, dass eine im Verletzungsprozess angegriffene und dort technisch näher erläuterte Ausführungsform sowie damit untrennbar verbundene Ausführungen zum Schutzumfang des Streitpatents einem Mitbewerber nicht offenbart werden (vgl. [X.] GRUR 2008, 633 – Akteneinsicht XIX; B[X.]E [X.], 254). Dies bedeutet aber lediglich, dass in den genannten Fällen zwar ein Geheimhaltungsinteresse vorliegen

8

Soweit die Antragsgegnerin zu [X.] darauf hinweist, dass das [X.] in sei- nem Beschluss vom 9. Oktober 2017 davon ausging, dass im Parallelverfahren vor dem [X.] ein nur beschränktes Einsichtsrecht in die Akten des [X.] gegeben ist, bezieht sich diese Entscheidung auf die zivilprozessuale Akteneinsicht gemäß § 299 Abs. 2 ZPO, die die Darlegungslast für ein rechtliches Interesse dem Antragsteller zuweist und damit anderen Voraussetzungen als die Akteneinsicht gemäß § 99 Abs. 3 [X.] unterliegt, die bei grundsätzlich freier Akteneinsicht dem Patentinhaber (Antragsgegner) die Darlegungslast für ein entgegenstehendes schutzwürdiges Interesse an der Geheimhaltung der Akte bzw. Teilen davon zuweist. Dass die jeweiligen Prüfungen zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangen, vermag keinen Vorrang einer getroffenen Entscheidung zu begründen, da jeweils unterschiedliche Rechtsgrundlagen gegeben sind.

9

Die Ausführungen der Antragsgegnerin zu [X.] zu einem möglichen Auftraggeber bewegen sich im spekulativen Bereich und stehen einer Gewährung der Akteneinsicht ebenfalls nicht entgegen.

Die Akteneinsicht ist daher uneingeschränkt zu gewähren.

Meta

4 ZA (pat) 59/17, zu 4 Ni 79/17 (EP)

28.02.2018

Bundespatentgericht 4. Senat

Beschluss

Sachgebiet: Ni

§ 299 Abs 2 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundespatentgericht, Beschluss vom 28.02.2018, Az. 4 ZA (pat) 59/17, zu 4 Ni 79/17 (EP) (REWIS RS 2018, 13145)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 13145

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