Bundesgerichtshof, Urteil vom 20.11.2012, Az. X ZR 108/10

10. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 1247

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Gegenstand

Schadensersatzklage eines übergangenen Bieters im Vergabeverfahren: Auslegung von Vergabeunterlagen hinsichtlich der Pflicht des Bieters zu einer rechtsverbindlichen Angebotsunterzeichnung; Schadensersatzanspruch bei Aufhebung einer Ausschreibung - Friedhofserweiterung


Leitsatz

Friedhofserweiterung

1. Der Erklärungswert der vom öffentlichen Auftraggeber vorformulierten Vergabeunterlagen ist gemäß den für die Auslegung von Willenserklärungen geltenden, auf den objektiven Empfängerhorizont der potenziellen Bieter abstellenden Grundsätzen zu ermitteln.

2. Der gestellten Vergabebedingung einer "rechtsverbindlichen" Unterzeichnung des Angebots kommt lediglich der Erklärungsgehalt zu, dass der Unterzeichner bei Angebotsabgabe über die erforderliche Vertretungsmacht verfügt haben muss.

3. Wann die Aufhebung einer Ausschreibung wegen "deutlicher" Überschreitung des vertretbar geschätzten Auftragswerts rechtmäßig ist, ist aufgrund einer umfassenden Interessenabwägung zu entscheiden, bei der insbesondere zu berücksichtigen ist, dass einerseits den öffentlichen Auftraggebern nicht das Risiko einer deutlich überhöhten Preisbildung zugewiesen werden, die Aufhebung andererseits aber auch kein Instrument zur Korrektur der in Ausschreibungen erzielten Submissionsergebnisse sein darf (Fortführung BGH, 8 September 1998, X ZR 48/97, BGHZ 139, 259 und BGH, 12. Juni 2001, X ZR 150/99, VergabeR 2001, 293).

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das am 5. Juli 2010 verkündete Urteil des 21. Zivilsenats des [X.] aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an den 1. Zivilsenat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerin beteiligte sich an der öffentlichen Ausschreibung der beklagten Gemeinde für eine Friedhofserweiterung mit Neubau der Friedhofsmauer und Aussegnungshalle. Die von der Beklagten gestellten Vordrucke für das Angebotsschreiben wiesen ein Feld für eine "rechtsverbindliche Unterschrift" und einen Stempel des Bieters auf und enthielten daneben den Hinweis:

"Wird das Angebotsschreiben nicht an dieser Stelle rechtsverbindlich unterschrieben, gilt das Angebot als nicht abgegeben."

2

Die Klägerin gab ein Angebot ab, das unter Berücksichtigung eines Preisnachlasses mit einer Angebotssumme von 261.368,78 € abschloss. Es war von einer Angestellten ohne einen Vertretungszusatz unterzeichnet und mit dem Firmenstempel der Klägerin versehen.

3

Das Angebot der Klägerin war, nachdem die Beklagte ein verspätet abgegebenes Angebot eines Wettbewerbers aus der Wertung nehmen musste, das preisgünstigste Angebot. Mit der Begründung, die Finanzierung sei nicht gesichert, hob die Beklagte das Vergabeverfahren auf und ging bei identischem Leistungsverzeichnis zur beschränkten Ausschreibung über, ohne die Klägerin daran zu beteiligen. Den Zuschlag erhielt ein Bewerber mit einem Angebotspreis von 242.000 €.

4

Die Klägerin hat [X.] auf Erstattung ihres positiven Interesses in Höhe von 5.001 € erhoben, die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und widerklagend die Feststellung begehrt, dass der Klägerin auch kein weiterer Schadensersatz zusteht. Das [X.] hat die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Es hat angenommen, dass der Klägerin zwar kein Anspruch auf Erstattung des positiven Interesses zustehe, wohl aber ein solcher auf Ersatz des negativen Interesses aufgrund der Nichtbeteiligung an der zweiten Ausschreibung. Gegen das Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt. Das Berufungsgericht hat unter Zurückweisung des Rechtsmittels der Klägerin die Klage insgesamt abgewiesen und nach dem [X.] erkannt.

5

Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, verfolgt die Klägerin den geltend gemachten Anspruch auf das positive Interesse und den Antrag auf Abweisung der Widerklage weiter.

Entscheidungsgründe

6

I. Das Berufungsgeri[X.]ht hat seine Ents[X.]heidung sinngemäß im Wesentli[X.]hen wie folgt begründet: Ein S[X.]hadensersatzanspru[X.]h der Klägerin setze die Abgabe eines formal wirksamen Angebots voraus. Daran fehle es vor dem Hintergrund des von der [X.]n aufgestellten Erfordernisses einer re[X.]htswirksamen Unters[X.]hrift. Dieses stelle klar, dass das Angebot wirksam zu sein habe und so gefasst sein müsse, dass es nur no[X.]h angenommen zu werden brau[X.]he, um den Auftraggeber von Ungewissheiten und Verzögerungen freizustellen, die mit der Unterzei[X.]hnung dur[X.]h einen Vertreter ohne Vertretungsma[X.]ht verbunden sein könnten. Es sei zu respektieren, wenn der Auftraggeber si[X.]h den daraus mögli[X.]herweise erwa[X.]hsenden S[X.]hwierigkeiten ni[X.]ht stellen wolle und deshalb über ein ledigli[X.]h "unters[X.]hriebenes" Angebot hinaus die Re[X.]htsverbindli[X.]hkeit der Angebotserklärung fordere. Für die Klägerin habe demgegenüber die Angestellte ohne Ges[X.]häftsführerin oder Prokuristin zu sein und ohne Vertretungskennzei[X.]hen gehandelt. Dass sie als Sekretärin mit der Bearbeitung von Auss[X.]hreibungsunterlagen betraut gewesen und na[X.]h dem Ergebnis der landgeri[X.]htli[X.]hen Beweisaufnahme intern au[X.]h zur Unters[X.]hriftsleistung ermä[X.]htigt gewesen sei, genüge den Vorgaben der [X.]n ni[X.]ht. Dieser sei ni[X.]ht zuzumuten, erst dur[X.]h weitere Na[X.]hfors[X.]hungen zu klären, ob Vertretungsma[X.]ht vorgelegen habe.

7

II. Diese Begründung hält der re[X.]htli[X.]hen Na[X.]hprüfung ni[X.]ht stand. Die Klägerin hatte ein wirksames Angebot abgegeben.

8

1. Das Berufungsgeri[X.]ht hat Inhalt und Bedeutung der [X.] ni[X.]ht re[X.]htsfehlerfrei ermittelt.

9

a) Mit der [X.] hat die [X.] als Vergabestelle eine vorformulierte Vergabebedingung gestellt. Wel[X.]her Erklärungswert dem Inhalt von Vergabeunterlagen zukommt, ist na[X.]h den für die Auslegung von Willenserklärungen geltenden Grundsätzen (§§ 133, 157 BGB) unter Berü[X.]ksi[X.]htigung des Umstands zu ermitteln, dass die Vergabeunterlagen von der Vergabestelle vorformuliert sind ([X.], Urteil vom 10. Juni 2008 - [X.], [X.] 2008, 782 Rn. 10 - Na[X.]hunternehmererklärung). Maßgebli[X.]h für das Verständnis ist dabei der objektive Empfängerhorizont der potenziellen Bieter ([X.], Urteil vom 11. November 1993 - [X.], [X.]Z 124, 64; [X.], [X.] 2008, 782 Rn. 10; [X.], Urteil vom 3. April 2012 - [X.], [X.] 2012, 724 Rn. 10 - Straßenausbau).

b) Dem Berufungsurteil ist ni[X.]ht zu entnehmen, dass das Berufungsgeri[X.]ht geprüft hat, wie das Erfordernis einer "re[X.]htsverbindli[X.]hen Unters[X.]hrift" aus Si[X.]ht der potenziellen Bieter zu verstehen war. Es s[X.]heint die Klausel dahin zu verstehen, dass sie ni[X.]ht nur eine wirksame, den Bieter re[X.]htli[X.]h bindende Unterzei[X.]hnung des Angebots verlangt, sondern dass au[X.]h na[X.]hgewiesen oder zumindest erkennbar sein muss, dass der Unterzei[X.]hner über gesetzli[X.]he oder re[X.]htsges[X.]häftli[X.]he Vertretungsma[X.]ht verfügt. Denn seine Feststellung, dass die Unterzei[X.]hnerin des von der Klägerin abgegebenen Angebots "intern zur Unters[X.]hrift bere[X.]htigt" gewesen sei, kann ni[X.]ht anders verstanden werden, als dass die Unterzei[X.]hnerin des Angebots die Klägerin kraft ihr erteilter Vollma[X.]ht vertreten konnte. Seine Annahme, dass dies den Vorgaben der auss[X.]hreibenden Stelle ni[X.]ht genüge, begründet das Berufungsgeri[X.]ht jedo[X.]h nur mit der Erwägung, es sei der [X.]n ni[X.]ht zuzumuten, die Vertretungsbere[X.]htigung des Unterzei[X.]hners erst dur[X.]h weitere Na[X.]hfors[X.]hungen zu klären. Ents[X.]heidend ist jedo[X.]h ni[X.]ht, was der [X.]n zuzumuten ist, sondern wel[X.]he Erklärungen die Bieter den Vergabeunterlagen als ihnen abverlangt entnehmen konnten.

2. Da weitere Feststellungen weder erforderli[X.]h no[X.]h zu erwarten sind, kann der Senat die Auslegung der [X.] selbst vornehmen (vgl. [X.], [X.] 2012, 724 Rn. 10 - Straßenausbau). Na[X.]h den maßgebli[X.]hen [X.] der mit der Auss[X.]hreibung angespro[X.]henen Bieterkreise ist ihr der Erklärungsgehalt beizulegen, dass der Unterzei[X.]hner bei Angebotsabgabe über die erforderli[X.]he Vertretungsma[X.]ht verfügt haben muss (in diesem Sinne bereits [X.], [X.], 789, 791; ebenso [X.]/A-Komm./[X.] § 21 Rn. 6 ff.). Der Gesi[X.]htspunkt einer interessengere[X.]hten Auslegung re[X.]htfertigt kein abwei[X.]hendes Ergebnis.

Soweit das Berufungsgeri[X.]ht das Risiko vollma[X.]htloser Vertretung bei Handeln einer Person, deren Vertretungsma[X.]ht ni[X.]ht dem Inhalt des Handelsregisters entspre[X.]he und die si[X.]h au[X.]h ni[X.]ht dur[X.]h eine Vollma[X.]htsurkunde legitimiere, für den öffentli[X.]hen Auftraggeber anspri[X.]ht, ist s[X.]hon fragli[X.]h, inwieweit die etwaige Erhebung dieses Einwands eines Bieters, der den Vertrag ni[X.]ht erfüllen will, bei wirkli[X.]hkeitsnaher Betra[X.]htung erfolgverspre[X.]hend und wahrs[X.]heinli[X.]h wäre. Jedenfalls wäre es mit dem Gebot der klaren und eindeutigen Abfassung von Vergabeunterlagen (vgl. [X.], Urteil vom 10. Juni 2008 - [X.], [X.] 2008, 782 Rn. 10 - Na[X.]hunternehmererklärung; [X.], [X.] 2012, 724 Rn. 9) unvereinbar, der Klausel aufgrund der Hinzufügung des Attributs "re[X.]htsverbindli[X.]h" (unters[X.]hrieben) na[X.]h dem Empfängerhorizont den Erklärungsgehalt beizulegen, mit dem Angebot müsse die Bevollmä[X.]htigung des Unterzei[X.]hners dokumentiert werden, wenn ni[X.]ht die gesetzli[X.]hen Vertreter oder Prokuristen des bietenden Unternehmens unters[X.]hrieben haben (dagegen au[X.]h [X.], aaO Rn. 12).

Der mit der vom Berufungsgeri[X.]ht zitierten Ents[X.]heidung des [X.] vom 22. Dezember 2004 ([X.] 2005, 222) ents[X.]hiedene Fall wies die Besonderheit auf, dass si[X.]h die Vertretungsbefugnis des Bieters, eines städtis[X.]hen Eigenbetriebs, aus einer gesetzli[X.]hen Vors[X.]hrift, der Gemeindeordnung des [X.], ergab und das Angebot ni[X.]ht von der dana[X.]h vertretungsbere[X.]htigten Person unters[X.]hrieben war. Für die S[X.]hlussfolgerung, dass das Angebot eines Formkaufmanns (§ 6 HGB) nur dann im Sinne der [X.] "re[X.]htsverbindli[X.]h" unters[X.]hrieben ist, wenn es die Unters[X.]hrift des gesetzli[X.]hen Vertreters oder eines Prokuristen aufweist, oder ein Dritter seiner Unters[X.]hrift zumindest einen [X.] hinzugefügt hat, bietet die Ents[X.]heidung dieses Falles keine Grundlage. Das Gesetz sieht bei [X.] eine "re[X.]htswirksame", ni[X.]ht aus dem Handelsregister ersi[X.]htli[X.]he Vertretung dur[X.]h andere Personen als die gesetzli[X.]hen Vertreter und Prokuristen vor (§ 54 Abs. 1 HGB) und unters[X.]heidet generell zwis[X.]hen dem Bestehen von Vertretungsma[X.]ht und deren Na[X.]hweis. Der vom Berufungsgeri[X.]ht erwähnte [X.] ist ni[X.]ht konstitutiv für die Wirksamkeit der Erklärung einer zur Vertretung bevollmä[X.]htigten Person, sondern allenfalls für die Frage von Bedeutung, ob ihr Vertretungswille hinrei[X.]hend hervortritt. Im Streitfall war der Wille, für die Klägerin zu handeln, na[X.]h den Umständen (Firmenstempel im [X.] einer die Klägerin als Bieterin benennenden Urkunde) offensi[X.]htli[X.]h (§ 164 Abs. 1 BGB).

III. Das Berufungsurteil ist hierna[X.]h aufzuheben und die Sa[X.]he zur Prüfung der weiteren Voraussetzungen des von der Klägerin geltend gema[X.]hten S[X.]hadensersatzanspru[X.]hs an das Berufungsgeri[X.]ht zurü[X.]kzuverweisen. Dabei ma[X.]ht der Senat von der Mögli[X.]hkeit des § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrau[X.]h.

IV. Für die erneute Verhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

Ein auf das positive Interesse geri[X.]hteter S[X.]hadensersatzanspru[X.]h eines Bieters setzt na[X.]h ständiger Re[X.]htspre[X.]hung voraus, dass dem Bieter bei ordnungsgemäßem Verlauf des Vergabeverfahrens der Zus[X.]hlag hätte erteilt werden müssen und dass der ausges[X.]hriebene oder ein diesem wirts[X.]haftli[X.]h glei[X.]hzusetzender Auftrag vergeben worden ist ([X.], Urteil vom 8. September 1998 - [X.], [X.]Z 139, 259; Urteil vom 26. Januar 2010 - [X.], [X.] 2010, 855 Rn. 16 - Abfallentsorgung I). Die letztere Voraussetzung ist im Streitfall erfüllt. Dana[X.]h kann die Klägerin ihr positives Interesse erstattet verlangen, wenn die [X.] das erste Vergabeverfahren ni[X.]ht vergabere[X.]htskonform hätte aufheben dürfen, weil die Voraussetzungen aus § 26 Nr. 1 Bu[X.]hst. [X.] VOB/[X.] ni[X.]ht vorlagen.

1. Ob es si[X.]h so verhält, wird na[X.]h Lage des Falles in erster Linie davon abhängen, ob die Differenz zwis[X.]hen den ges[X.]hätzten Kosten einerseits und den Angebotspreisen der ersten Auss[X.]hreibung andererseits eine Aufhebung na[X.]h § 26 Nr. 1 Bu[X.]hst. [X.] VOB/A 2006 gestatteten.

a) Wie der Bundesgeri[X.]htshof bereits ents[X.]hieden hat, kann es einen s[X.]hwerwiegenden Grund zur Aufhebung darstellen, wenn die vor der Auss[X.]hreibung vorgenommene Kostens[X.]hätzung der Vergabestelle aufgrund der bei ihrer Aufstellung vorliegenden und erkennbaren Daten als vertretbar ers[X.]heint und die im Vergabeverfahren abgegebenen Gebote deutli[X.]h darüber liegen ([X.], Urteil vom 8. September 1998 - [X.], [X.]Z 139, 280).

b) Für die S[X.]hätzung muss die Vergabestelle oder der von ihr gegebenenfalls beauftragte Fa[X.]hmann Methoden wählen, die ein wirkli[X.]hkeitsnahes S[X.]hätzungsergebnis ernsthaft erwarten lassen.

Die Gegenstände der S[X.]hätzung und der ausges[X.]hriebenen Maßnahme müssen de[X.]kungsglei[X.]h sein. Maßgebli[X.]h dafür sind im Ausgangspunkt die Positionen des Leistungsverzei[X.]hnisses, das der konkret dur[X.]hgeführten Auss[X.]hreibung zugrunde liegt. Das Ergebnis der S[X.]hätzung ist verwertbar, soweit sie mit diesem Leistungsverzei[X.]hnis übereinstimmt. Es ist gegebenenfalls anzupassen, soweit die der S[X.]hätzung zugrunde gelegten Preise oder Preisbemessungsfaktoren im Zeitpunkt der Bekanntma[X.]hung des Vergabeverfahrens ni[X.]ht mehr aktuell waren und si[X.]h ni[X.]ht unerhebli[X.]h verändert hatten.

[X.]) Wann ein vertretbar ges[X.]hätzter Auftragswert so "deutli[X.]h" übers[X.]hritten ist, dass eine sanktionslose Aufhebung der Auss[X.]hreibung na[X.]h § 26 Nr. 1 Bu[X.]hst. [X.] VOB/[X.]/§ 17 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A nF gere[X.]htfertigt ist, lässt si[X.]h ni[X.]ht dur[X.]h allgemeinverbindli[X.]he Werte na[X.]h Höhe oder Prozentsätzen festlegen. Vielmehr ist na[X.]h der Re[X.]htspre[X.]hung des Bundesgeri[X.]htshofs eine alle Umstände des Einzelfalls einbeziehende Interessenabwägung vorzunehmen (vgl. [X.], Urteil vom 12. Juni 2001 - [X.], [X.] 2001, 293, 298). Dabei ist davon auszugehen, dass einerseits den öffentli[X.]hen Auftraggebern ni[X.]ht das Risiko einer deutli[X.]h überhöhten Preisbildung weit jenseits einer vertretbaren S[X.]hätzung der Auftragswerte zugewiesen werden darf, sondern sie in sol[X.]hen Fällen zur sanktionsfreien Aufhebung des Vergabeverfahrens bere[X.]htigt sein müssen, dass andererseits das Institut der Aufhebung des Vergabeverfahrens ni[X.]ht zu einem für die Vergabestellen latent verfügbaren Instrument zur Korrektur der in öffentli[X.]hen Auss[X.]hreibungen bzw. offenen Verfahren erzielten [X.] geraten darf. Außerdem ist zu berü[X.]ksi[X.]htigen, dass § 26 Nr. 1 VOB/[X.] (§ 17 Abs. 1 VOB/A nF) na[X.]h Sinn und Zwe[X.]k der Regelung eng auszulegen ist ([X.], Urteil vom 8. September 1998 - [X.], [X.]Z 139, 259, 263) und dass au[X.]h mit angemessener Sorgfalt dur[X.]hgeführte S[X.]hätzungen nur Prognoseents[X.]heidungen sind, von denen die na[X.]hfolgenden Auss[X.]hreibungsergebnisse erfahrungsgemäß mitunter ni[X.]ht unerhebli[X.]h abwei[X.]hen. Das Auss[X.]hreibungsergebnis muss deshalb in der Regel ganz beträ[X.]htli[X.]h über dem S[X.]hätzungsergebnis liegen, um die Aufhebung zu re[X.]htfertigen.

Dass der Auftrag na[X.]h der bes[X.]hränkten Auss[X.]hreibung zu einer Auftragssumme von 242.000 € vergeben werden konnte, ist für die Frage, ob das wertungsfähige Submissionsergebnis der ersten Auss[X.]hreibung deutli[X.]h überteuert war, nur von einges[X.]hränktem Erkenntniswert. Denn dabei ist zu bedenken, dass das Submissionsergebnis der vorangegangenen öffentli[X.]hen Auss[X.]hreibung na[X.]h Maßgabe von § 22 VOB/[X.], § 14 VOB/A nF publik geworden ist und dass dies die Preisbildung im zweiten Vergabeverfahren beeinflussen konnte. Na[X.]h den Me[X.]hanismen des Marktes wird für einen Bieter, der das Ergebnis der ersten Auss[X.]hreibung kennt, die Annahme naheliegen, diesen Preis unterbieten zu müssen, um eine realistis[X.]he Chan[X.]e auf den Zus[X.]hlag zu haben, au[X.]h wenn das Angebot mit dem geringsten Preis (rd. 244.000 €) letztli[X.]h ni[X.]ht gewertet werden durfte. Dass die Baumaßnahme zum Preis von 242.000 € dur[X.]hgeführt wurde, re[X.]htfertigt unter diesen Voraussetzungen ni[X.]ht die Annahme, dass dieser Preis der Marktpreis (vgl. [X.], [X.] 2010, 96, 100) war.

d) Erweist si[X.]h der ges[X.]hätzte Auftragswert s[X.]hon im Ausgangspunkt als ni[X.]ht vertretbar, kommt es für die Re[X.]htmäßigkeit der Aufhebung auf die Differenz zwis[X.]hen dem angemessenen Wert und dem wertungsfähigen Submissionsergebnis an.

2. Soweit die [X.] die Aufhebungsents[X.]heidung mit der ni[X.]ht gewährleisteten Si[X.]herung der Finanzierung begründet hat, bemerkt der Senat, dass eine Aufhebung der Auss[X.]hreibung regelmäßig dann ni[X.]ht vergabere[X.]htskonform ist, wenn die fehlende Finanzierung auf Fehler des Auftraggebers bei der Ermittlung des [X.] und der daran ans[X.]hließenden Einwerbung der benötigten Mittel zurü[X.]kzuführen ist ([X.]Z 139, 280, 286). Zur Vermeidung irregulärer Vergabeents[X.]heidungen kann dem Auftraggeber darüber hinaus au[X.]h ni[X.]ht gestattet sein, na[X.]h Gutdünken eine bestimmte Auftragssumme na[X.]hträgli[X.]h für allein no[X.]h finanzierbar zu erklären. Im Streitfall hat die [X.] na[X.]h ihrem vom Berufungsgeri[X.]ht in Bezug genommenen erstinstanzli[X.]hen Vorbringen den günstigsten Angebotspreis aus der bes[X.]hränkten Auss[X.]hreibung als letztli[X.]h finanzierbar bezei[X.]hnet. Dies rei[X.]ht ni[X.]ht aus, um den Anspru[X.]h auf entgangenen Gewinn eines Bieters mit einem höheren, aber den vertretbar ges[X.]hätzten Auftragswert ni[X.]ht deutli[X.]h übersteigenden Preis erfolgrei[X.]h infrage zu stellen.

Meier-Be[X.]k                                     Keukens[X.]hrijver                                     Mühlens

                            [X.]

Meta

X ZR 108/10

20.11.2012

Bundesgerichtshof 10. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG München, 5. Juli 2010, Az: 21 U 5466/09

§ 133 BGB, § 157 BGB, § 17 Abs 1 Nr 3 VOB A, § 26 Nr 1 Buchst c VOB A 2006

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 20.11.2012, Az. X ZR 108/10 (REWIS RS 2012, 1247)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 1247

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