Bundesfinanzhof, Beschluss vom 14.04.2015, Az. VI B 15/15

6. Senat | REWIS RS 2015, 12787

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Gegenstand

Wirkungsloser Verzicht auf mündliche Verhandlung - Auslegung und Wirkung einer (erneuten) Verzichtserklärung


Leitsatz

1. NV: Ein vom Kläger erklärter Verzicht auf mündliche Verhandlung wird wirkungslos, wenn das FG gleichwohl eine mündliche Verhandlung anberaumt. Das FG darf danach nur dann ohne mündliche Verhandlung entscheiden, wenn die Beteiligten erneut darauf verzichten.

2. NV: Beantragt der Beteiligte in einem Verfahren mit geringem Streitwert die Erhebung eines Zeugenbeweises, liegt darin immer auch der konkludente Antrag auf mündliche Verhandlung.

3. NV: Dies gilt selbst dann, wenn der Prozessbevollmächtigte des Klägers am Terminstag telefonisch mitteilt, dass er und sein Mandant nicht zum Termin kommen können. Ein weiterer (u.U. erneuter) Verzicht auf die Durchführung der mündlichen Verhandlung ist darin nicht zu erblicken, und zwar insbesondere dann nicht, wenn der Prozessbevollmächtigte damit zugleich das Interesse an einer einvernehmlichen Lösung des Rechtsstreits kundtut.

Tenor

Auf die Beschwerde des [X.] wegen Nichtzulassung der Revision wird das Urteil des [X.] vom 12. Dezember 2014  5 K 47/14 aufgehoben.

Die Sache wird an das [X.] zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens übertragen.

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) wendet sich mit seiner Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des [X.] ([X.]) vom 12. Dezember 2014  5 K 47/14. Das [X.] hat in dem Verfahren die Klage, mit der der Kläger den anteiligen Abzug von weiteren Steuerberaterkosten in Höhe von 188 € als Werbungskosten bei den Einkünften des [X.] aus nichtselbständiger Arbeit begehrte, ohne mündliche Verhandlung abgewiesen.

2

Dem Urteil vorangehend hatten der vertretene Kläger und der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt) mitgeteilt, dass gegen die Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung keine Bedenken bestünden. Gleichwohl hat das [X.] mit Verfügung vom 10. November 2014 einen Termin zur mündlichen Verhandlung für den 8. Dezember 2014 anberaumt und mit Beschluss ebenfalls vom 10. November 2014 den Rechtsstreit dem Berichterstatter als Einzelrichter gemäß § 6 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) zur Entscheidung übertragen. Am 4. Dezember 2014 nahm der Berichterstatter mit einer der vom Kläger zur Frage zur Aufteilung der geltend gemachten Steuerberaterkosten (nach Arbeitsaufwand) in abzugsfähige Werbungskosten und nicht abzugsfähige Kosten der Lebensführung benannten Zeugin Kontakt auf. Mit Schriftsatz vom 7. Dezember 2014 beantragte der Prozessbevollmächtigte des [X.] erneut hierzu die Einvernahme eines Zeugen. Ausweislich eines Aktenvermerks des Berichterstatters teilte der Prozessbevollmächtigte des [X.] am 8. Dezember 2014 telefonisch mit, dass er und sein Mandat nicht zum Termin kommen könnten und grundsätzlich Interesse an einer einvernehmlichen Lösung des Rechtsstreits bestehe.

3

Mit seiner Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision macht der Kläger u.a. geltend, dass das [X.] ohne mündliche Verhandlung entschieden habe. Die Voraussetzungen des § 90 Abs. 1 und Abs. 2 [X.]O hätten nicht vorgelegen, so dass das [X.] den Anspruch des [X.] auf rechtliches Gehör verletzt habe.

Entscheidungsgründe

4

II. Die Beschwerde ist nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O begründet. Sie führt nach § 116 Abs. 6 [X.]O zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.].

5

1. Die angegriffene Entscheidung verletzt den Anspruch des [X.] auf rechtliches Gehör. Das [X.] hätte nicht nach § 94a [X.]O ohne mündliche Verhandlung entscheiden dürfen. Nach Satz 2 dieser Vorschrift muss auch in den Fällen, in denen der Streitwert bei einer auf Geldleistung gerichteten Klage 500 € nicht übersteigt, auf Antrag eines Beteiligten mündlich verhandelt werden. Der Antrag kann sowohl ausdrücklich als auch konkludent gestellt werden (Senatsbeschluss vom 10. März 2011 VI B 147/10, [X.], 322, [X.] 2011, 556, m.w.N.). Hat ein Beteiligter die Erhebung eines Zeugenbeweises beantragt, so ist der Beweisantrag zugleich ein konkludenter Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung (Beschluss des [X.] --BFH-- vom 12. Januar 2011 VIII B 15/10, [X.], 630, m.w.N.; Gräber/[X.], Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 94a Rz 6, m.w.N.).

6

a) Der Senat kann dahinstehen lassen, ob der Kläger mit [X.] vom 9. April 2014 vorbehaltlos und damit wirksam auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet hat. Denn dieses Einverständnis hat jedenfalls durch die Anberaumung der mündlichen Verhandlung seine prozessrechtliche Wirkung verloren (vgl. Senatsbeschluss in [X.], 322, [X.] 2011, 556).

7

b) Auch hat der Kläger hernach nicht erneut sein Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt. Sein Verhalten war vielmehr auf die Durchführung einer solchen gerichtet. Denn er hat vorliegend mehrfach --zuletzt mit [X.] vom 7. Dezember 2014 und damit am Tag vor der anberaumten mündlichen Verhandlung in dieser Sache-- die Vernehmung seines Prozessbevollmächtigten zur Aufteilung der geltend gemachten Steuerberaterkosten in abzugsfähige Werbungskosten und nicht abzugsfähige Kosten der Lebensführung beantragt und damit hinreichend klar zum Ausdruck gebracht, dass eine mündliche Verhandlung stattfinden soll. Ob das [X.] dem Beweisantrag entsprechen muss, ist insoweit ohne Bedeutung; denn selbst dann, wenn das Beweismittel für die zu treffende Entscheidung unerheblich sein sollte, wird der mit dem Beweisantrag verbundene Antrag auf Durchführung der mündlichen Verhandlung hiervon nicht berührt ([X.] in [X.], 630, m.w.N.). Dies gilt selbst dann, wenn der Prozessbevollmächtigte des [X.] am Terminstag telefonisch mitgeteilt haben sollte, dass er und sein Mandat nicht zum Termin kommen können. Ein weiterer (u.U. erneuter) Verzicht auf die Durchführung der mündlichen Verhandlung ist darin nicht zu erblicken, und zwar insbesondere dann nicht, wenn der Prozessbevollmächtigte damit zugleich das Interesse an einer einvernehmlichen Lösung des Rechtsstreits kundtut.

8

2. Aufgrund des Verfahrensfehlers ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das [X.] zurückzuverweisen. Der Verfahrensfehler ist ein absoluter Revisionsgrund, bei dem gemäß § 119 Nr. 4 [X.]O davon auszugehen ist, dass das angefochtene Urteil auf der Verletzung von Bundesrecht beruht. Eine Sachentscheidung ist dem erkennenden Senat verwehrt (s. Senatsbeschluss in [X.], 322, [X.] 2011, 556, m.w.N.). Auch kann der Senat dahinstehen lassen, ob die angefochtene Entscheidung im Übrigen verfahrensfehlerfrei ist.

9

3. Die Übertragung der Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 [X.]O.

Meta

VI B 15/15

14.04.2015

Bundesfinanzhof 6. Senat

Beschluss

vorgehend Schleswig-Holsteinisches Finanzgericht, 12. Dezember 2014, Az: 5 K 47/14, Urteil

§ 90 FGO, § 94a FGO, § 119 Nr 3 FGO, § 119 Nr 4 FGO, Art 103 Abs 1 GG, § 116 Abs 6 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 14.04.2015, Az. VI B 15/15 (REWIS RS 2015, 12787)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 12787

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