Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 30.05.2000, Az. 1 StR 610/99

1. Strafsenat | REWIS RS 2000, 2068

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[X.]/99vom30. Mai 2000in der Strafsachegegenwegensexuellen Mißbrauchs von Kindern- 2 -Der 1. Strafsenat des [X.] hat am 30. Mai 2000 gemäß § 349Abs. 4 StPO beschlossen:Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 27. April 1999, soweit er verurteilt wordenist, im Schuldspruch mit den Feststellungen aufgehoben.Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auchüber die Kosten des Rechtsmittels, an eine [X.] desLandgerichts München I zurückverwiesen.Gründe: [X.] hat den Angeklagten am 25. November 1997 wegensexuellen Mißbrauchs von Kindern in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheits-strafe von drei Jahren verurteilt. Dieses Urteil hat der Senat auf die [X.] Angeklagten mit Urteil vom 29. Juli 1998 (NStZ 1999, 42) im Schuldspruchmit den Feststellungen aufgehoben.Mit dem jetzt angefochtenen Urteil hat das Landgericht den Angeklagtenwegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern in vier Fällen zu einer Gesamtfrei-heitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt und ihn in zwei Fällenfreigesprochen. Die gegen die Verurteilung gerichtete Revision des [X.] -deführers rügt die Verletzung formellen und sachlichen Rechts. Das [X.] hat aufgrund der Sachrüge Erfolg.1. Zur Beweiswürdigung hat der Senat in seinem Urteil vom [X.] ausgeführt, die [X.] sei sich der Fallkonstellation [X.] ge-gen Aussagefl nicht ausreichend bewußt gewesen. Sie habe vor dem [X.] sich im Ergebnis widersprechender Gutachten über die [X.] Aussage des einzigen Belastungszeugen erhebliche Zweifel nicht ausge-räumt, die durch den Angeklagten entlastende Aussagen von Familienangehö-rigen entstanden waren. Außerdem habe die Einbeziehung dieser Aussagen indie erforderliche Gesamtwürdigung aller Beweise gefehlt.a) Im einzelnen hat der Senat beanstandet, die [X.] habe ihreZweifel an der Aussage des Geschädigten über frühere Mißbrauchstaten inM. , die nicht - wie von ihm behauptet - auch an den Samstagvormit-tagen stattgefunden haben konnten, mit theoretischen Erwägungen über mögli-che andere Tatzeitpunkte ausgeräumt.b) Zweifel an seiner Aussage bestanden auch deshalb, weil der Ge-schädigte dem Angeklagten vorgeworfen hat, er habe nicht nur ihn, sondernauch seine Schwester [X.]mißbraucht und ihn mit ihr im Bett angetroffen.Nachdem die Schwester dies bestritten hatte, hat die Kammer ihre Zweifel mitder Erwägung überwunden, die Erklärungen des Geschädigten hierzu beruhtenauf einem flIrrtumfl.c) Die [X.] hat weiteren, den Angeklagten entlastenden Aussa-gen der Mutter und der Schwester S. des Geschädigten allein deshalb- 4 -keine Bedeutung beigemessen, weil aus ihren Aussagen flihre Einstellung zuA. K. fl zutage getreten sei. Darin hat der Senat einen Zirkelschluß inder Beweiswürdigung [X.]) Schließlich hat der Senat die Prüfung möglicher Motive des Geschä-digten für sein [X.] als nicht ausreichend angesehen. Er hat [X.] erforderlich gehalten, einem vom Geschädigten in der Strafanzeige mitge-teilten Vorfall über besonders grausame Quälereien in der Badewanne, dernicht Gegenstand des Verfahrens war, unter dem Gesichtspunkt einerFalschbezichtigung nachzugehen und die Beweisbedeutung dieser Äußerungnäher zu prüfen.2. Über diese einzelnen Fehler in der Beweiswürdigung hinaus hat [X.] es insbesondere als Rechtsfehler angesehen, daß die [X.] kei-ne Gesamtwürdigung aller Aussagen vorgenommen hat, die für und gegen dieGlaubhaftigkeit der Tatschilderungen des Geschädigten sprechen. [X.] vor allem, daß die übereinstimmenden Aussagen der Zeuginnen aus demfamiliären Bereich, die seit Jahren vom Angeklagten getrennt leben und keinenAnlaß zu seiner Begünstigung haben, in die Gesamtwürdigung über die Glaub-haftigkeit der Aussage des Geschädigten nicht einbezogen worden sind.[X.] Nach § 358 Abs. 1 StPO ist nach Aufhebung einer Verurteilung [X.] einer Sache der neue Tatrichter bei seiner Entscheidungauch an die Auffassung des Revisionsgerichts zur Beweiswürdigung gebun-den, wenn das Urteil an lückenhaften Feststellungen und Mängeln bei der- 5 -Würdigung von Beweisen leidet. Die Mißachtung dieser Bindungswirkung imsachlich-rechtlichen Bereich ist auf die Sachrüge hin bei der erneuten [X.] beachten ([X.]/[X.] StPO 44. Aufl. § 358 Rdn. 10). Derneue Tatrichter hat diese Fehler bei der neuen Entscheidung zu vermeiden([X.] in [X.] 4. Aufl. § 358 Rdn. 9 m. w. Nachw.). Das nunmehr [X.] verstößt gegen § 358 StPO. Es weist im wesentlichen die glei-chen Beweiswürdigungsfehler auf wie das seinerzeit aufgehobene landgericht-liche Urteil. Die Überzeugungsbildung der [X.] hält erneut rechtlicherÜberprüfung nicht [X.]) Es bestehen bereits Bedenken dagegen, daß die [X.] dievom Geschädigten behaupteten ersten sexuellen Übergriffe des Angeklagten inM. und zu der körperlichen Züchtigung im kalten Wasser der Bade-wanne lediglich als Vorgeschichte in der Form eines Berichts zu den die [X.] tragenden Tathandlungen darstellt und sie damit der Beweiswürdi-gung entzieht. Auf den vom Senat ausdrücklich angesprochenen [X.] angeblicher Mißbrauchshandlungen an Samstagvormittagen gehtdas angefochtene Urteil nicht ein. Über den Vorfall in der [X.] mitgeteilt, der Geschädigte habe wie festgestellt ausgesagt.Eine an Realkennzeichen orientierte Analyse der Aussage über [X.] enthält die Beweiswürdigung nicht, obwohl die [X.] erkenn-bar ihre Überzeugung von der Glaubhaftigkeit der Aussage des [X.] auch auf diese Angaben stützt. Nach der Rechtsprechung des [X.] hätte die [X.] die Aussage zu diesen Punkten [X.] kritisch prüfen müssen. Hält der einzige Belastungszeuge seine Vor-würfe ganz oder teilweise nicht aufrecht oder stellt sich sogar die [X.] 6 -eines Aussageteils heraus, muß der Tatrichter regelmäßig außerhalb der [X.] liegende gewichtige Gründe nennen, die es ihm ermöglichen, [X.] im übrigen dennoch zu glauben (BGHSt 44, 153, 159).Auch die Genese der in der Anzeige enthaltenen Aussage über [X.] in der Badewanne und deren Entwicklung im weiteren Verfahren bis zuihrer Behandlung als Vorgeschichte werden nicht näher dargelegt. [X.], nach denen die Aussagen über diese frühen Vorfälle nicht auf einem rea-len Erlebnishintergrund beruhen könnten, werden nicht erörtert. Zweifel an [X.] der Aussage über die [X.] um den 14. Geburtstag [X.], die immerhin in zwei Fällen zu einem Freispruch aus tatsächli-chen Gründen geführt haben, werden im übrigen damit überwunden, daß [X.]erhebliche Schwierigkeiten hatte, Ereignisse korrektzeitlich einzuordnen oder genaue Angaben zu bestimmten Zeitpunkten [X.] zu machenfl.b) Bedenken bestehen auch dagegen, wie die [X.] ihre durchdie Zeugenaussage der Schwester [X.]hervorgerufenen Zweifel überwin-det. Die Schwester hat wiederum ausgesagt, der Angeklagte habe sie nichtmißbraucht und habe nicht mit ihr im Bett gelegen. Während der [X.] ersten Urteil mit einem Irrtum des Zeugen begründet wurde, führt die [X.] nun aus, sie könne diesen Vorfall nicht aufklären. Dies sei jedoch für dieLösung des Falles nicht entscheidend, denn es sei der Zeugin nicht gelungen,ihre Behauptung, ihr Bruder habe eine blühende Phantasie und neige zuÜbertreibungen, zu belegen. Damit entzieht sich die Kammer jeder Auseinan-dersetzung mit diesem Teil der Aussage des Geschädigten. Sie läßt die Mög-lichkeit gezielter Falschbezichtigung des Angeklagten hinsichtlich der [X.] -ster [X.]weiter offen. Gleichwohl stützt sie ihre Überzeugung uneinge-schränkt auf die Angaben des Geschädigten, ohne die Zweifel über dieses er-hebliche Detail auszuräumen. Die Beweiswürdigung bleibt weiterhin wider-sprüchlich.c) Ähnliche Bedenken bestehen gegen die Behandlung der im einzelnennicht mitgeteilten Aussage der Mutter, die ausgesagt hat, sie habe von [X.] nichts mitbekommen. Sie wisse nicht, ob sie ihrem [X.] oder [X.] glauben solle. Trotz dieser den Geschädigten nicht [X.] Aussage über den Zeitraum, in dem die Zeugin mit dem Angeklagten zu-sammengelebt hat, kommt die [X.] zu dem Ergebnis, diese Aussagestütze weder die Überzeugung von der Glaubwürdigkeit des Geschädigten,noch erschüttere sie diese zugunsten des Angeklagten. Auch mit dieser [X.] entzieht sich die [X.] der Bewertung der Aussage des [X.]) Insbesondere vermeidet die [X.] eine Auseinandersetzungüber den Inhalt der sich widersprechenden Aussagen der Schwester S. und des Geschädigten. Diese Zeugin hat unter [X.] ausgesagt, ihr Bruder [X.] gegenüber zugegeben, den Angeklagten zu Unrecht belastet zu haben. Die[X.] hält die Zeugin flselbst trotz der Vereidigung nicht für glaubwür-digfl. Sie habe einen von ihr später geschriebenen Brief an die neue [X.] Angeklagten Œ darin hat sie, wie sie selbst einräumt, diesen des sexuellenMißbrauchs auch an ihr bezichtigt [X.] können. Wie die [X.]treffend ausführt, verkennt die [X.], daß es keinen schlechthinglaubwürdigen oder schlechthin unglaubwürdigen Menschen gibt. Die [X.] unterläßt es, die sich widersprechenden Aussagen des [X.] -und seiner Schwester zu einem entscheidungserheblichen Punkt auf ihrenkonkreten Aussagegehalt zu untersuchen.2. Auch im angefochtenen Urteil fehlt wiederum die vom Senat für uner-läßlich gehaltene Gesamtwürdigung aller Aussagen, die für oder gegen dieGlaubhaftigkeit der Aussage des Geschädigten sprechen. Die [X.]setzt sich mit den Aussagen der Mutter und der Schwestern jeweils einzelnauseinander und legt dar, weshalb jede einzelne Aussage die Überzeugungvon der Glaubhaftigkeit der Aussage des Geschädigten nicht erschüttern kann.Dies läßt besorgen, daß die Kammer mit ihrer Vorgehensweise nicht nur [X.] Aussage der Familienangehörigen unzulässig relativiert. Die [X.] auch verkannt, daß die im [X.] den Angeklagten entlastenden Aussagenaus dem familiären Umfeld in der Summe von besonderem Gewicht sind. [X.] in der Gesamtwürdigung daher ganz erhebliche Zweifel gegen wesentli-che Teile der Aussage des Geschädigten, bedarf es der Abwägung und [X.] ganz erheblicher Gründe, warum die [X.] der Aussage [X.] dennoch glaubt.3. Die Sache bedarf somit erneuter Verhandlung und Entscheidung. [X.] macht von der Möglichkeit Gebrauch, die Sache an ein anderes Landge-richt zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 Satz 1 StPO).- 9 -Mit dieser Entscheidung erledigt sich die sofortige Beschwerde, die [X.] gegen die Kostenentscheidung des angefochtenen Urteils einge-legt hat. [X.] ist wegen Urlaubs an der Unterschrift verhindert.[X.] Nack Boetticher

Meta

1 StR 610/99

30.05.2000

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 30.05.2000, Az. 1 StR 610/99 (REWIS RS 2000, 2068)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2000, 2068

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