Bundesgerichtshof, Beschluss vom 05.10.2011, Az. 4 StR 465/11

4. Strafsenat | REWIS RS 2011, 2690

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Gegenstand

Strafverfahren: Antrag auf Vernehmung eines Zeugen zum Beweis; Ablehnung von Beweisanträgen wegen Ungeeignetheit; Begründungspflicht


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 19. Mai 2011 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg. Der Erörterung der Sachrüge und der weiteren Verfahrensrüge bedarf es daher nicht.

2

1. Nach den Feststellungen griff der Angeklagte die auf dem Sofa schlafende Geschädigte ohne Vorwarnung an und würgte sie in Tötungsabsicht, bis die gemeinsame Tochter [X.] H. [X.] betrat. Die sich gegen den Vorwurf der Heimtücke richtende Einlassung des Angeklagten, der Angriff sei aus einer verbalen Streitigkeit heraus entstanden, die in eine körperliche Auseinandersetzung umgeschlagen sei, hat das [X.] insbesondere aufgrund der Zeugenaussagen der Geschädigten und der gemeinsamen Tochter [X.] H. als widerlegt erachtet. Die Tochter hatte in der Hauptverhandlung erklärt, von einem Röcheln geweckt worden zu sein, [X.] aber nicht gehört zu haben.

3

2. In der Hauptverhandlung beantragte der Verteidiger die Vernehmung der Zeugin S. zum Beweis der Tatsache, dass [X.] H. gegenüber dieser unmittelbar nach der Tat angegeben habe, sie habe Geräusche in der Wohnung gehört, als ob etwas geschoben oder geruckelt werde, und sei deswegen aufgestanden, was die Annahme nahe lege, dass es, der Einlassung des Angeklagten entsprechend, zwischen diesem und dem Tatopfer vor der Tat einen Streit gegeben habe. Das [X.] wies den Antrag zurück und führte zur Begründung aus, „bei verständiger Auslegung“ sei der Beweisantrag wegen Ungeeignetheit gem. § 244 Abs. 3 StPO abzulehnen, da sich mit diesem Beweismittel das im Antrag begehrte Beweisergebnis nicht „nach sicherer Lebenserfahrung erzielen“ lasse. Ausführungen zum Grund für die angenommene Ungeeignetheit fehlen.

4

3. [X.] ist rechtsfehlerhaft und zwingt zur Aufhebung des Urteils.

5

a) Ein Beweisantrag kann wegen völliger Ungeeignetheit des Beweismittels im Sinne des § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO abgelehnt werden, wenn dessen Inanspruchnahme von vornherein gänzlich aussichtslos wäre, so dass sich die Erhebung des Beweises in einer reinen Förmlichkeit erschöpfen müsste ([X.], Beschluss vom 12. Januar 2010 – 3 [X.], [X.], 211 m.w.N.). Dies ist dann der Fall, wenn mit dem vom Antragsteller benannten Beweismittel die behauptete [X.] nach sicherer Lebenserfahrung nicht bestätigt werden kann (LR-Becker, StPO, 26. Aufl., § 244, Rn. 230). Zeugen sind grundsätzlich geeignete Beweismittel zum Nachweis des Inhaltes von ihnen geführter Gespräche. Im vorliegenden Fall käme die Annahme völliger Ungeeignetheit der Zeugin als Beweismittel daher nur dann in Betracht, wenn ausgeschlossen werden könnte, dass diese Zeugin den Gesprächsverlauf zuverlässig in ihrem Gedächtnis behalten hat (vgl. Senatsbeschluss vom 14. September 2004 – 4 [X.], [X.]R StPO, § 244 Abs. 3 Satz 2 Ungeeignetheit 23). Dies hat der Tatrichter anhand allgemeiner Lebenserfahrung unter Berücksichtigung aller Umstände zu beurteilen, die dafür oder dagegen sprechen, dass ein Zeuge die in sein Wissen gestellten Wahrnehmungen gemacht hat und sich an sie erinnern kann (Senatsbeschluss vom 14. September 2004 – 4 [X.], aaO). Eine solche Beurteilung enthält die Begründung des den Antrag ablehnenden Beschlusses nicht. Die völlige Ungeeignetheit der Zeugin als [X.] zu Bekundungen über ein Gespräch, das bei Antragstellung weniger als sieben Monate zurücklag und das einen außergewöhnlichen Lebensvorgang zum Gegenstand hatte, lag auch nicht auf der Hand.

6

b) Das Urteil beruht auf dem Verfahrensfehler. Das [X.] hat sich bei der Annahme heimtückischer Tatbegehung wesentlich darauf gestützt, die Einlassung des Angeklagten, dem Würgen sei eine Auseinandersetzung vorausgegangen, werde auch durch die Bekundung der Tochter [X.] widerlegt, die bekundet hatte, keine darauf hindeutenden Geräusche gehört zu haben. Es ist nicht auszuschließen, dass das Ergebnis der beantragten Beweiserhebung Einfluss auf die Überzeugungsbildung des [X.]s hinsichtlich der Annahme des [X.] der Heimtücke gehabt hätte.

7

4. Der Rechtsfehler nötigt zur Aufhebung des Urteils insgesamt, wenngleich die tateinheitliche Verurteilung des Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB an sich rechtsfehlerfrei erfolgt ist (vgl. Senatsurteil vom 20. Februar 1997 – 4 [X.], [X.]R StPO § 353 Aufhebung 1).

Ernemann                                     Cierniak                                 Franke

                          Mutzbauer                                   [X.]

Meta

4 StR 465/11

05.10.2011

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Halle (Saale), 19. Mai 2011, Az: 1 Ks 11/10, Urteil

§ 244 Abs 3 S 2 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 05.10.2011, Az. 4 StR 465/11 (REWIS RS 2011, 2690)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 2690

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