Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 06.12.2000, Az. 2 StR 372/00

2. Strafsenat | REWIS RS 2000, 250

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[X.] DES VOLKESURTEIL2 StR 372/00vom6. Dezember 2000in der [X.] Vergewaltigung u.a.- 2 -Der 2. Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom [X.], an der teilgenommen haben:[X.] am [X.]. [X.]als Vorsitzender,die [X.]in am [X.]. [X.],die [X.] am [X.],Prof. Dr. [X.],die [X.]in am [X.]als beisitzende [X.],[X.]als Vertreter der [X.],Rechtsanwältin [X.], als Nebenklägervertreterin,Rechtsanwältin [X.]. ,Rechtsanwältin Dr. M.für den Angeklagten [X.] ,Rechtsanwalt Sc. aus [X.] den Angeklagten M. ,Rechtsanwalt [X.]. für den Angeklagten [X.]als Verteidiger,Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,für Recht erkannt:- 3 -Auf die Revision der Nebenklägerin wird das Urteil des [X.] vom 18. Januar 2000, soweit es die Angeklagten [X.] ,M. und [X.]betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlungund Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, aneine andere Jugendkammer des [X.] zurückverwiesen.Von Rechts wegenGründe:[X.] hat die Angeklagten vom Vorwurf freigesprochen, ander Nebenklägerin, der Zeugin [X.], gemeinschaftlich handelnd, eine sexu-elle Nötigung im besonders schweren Fall in Tateinheit mit gefährlicher Kör-perverletzung begangen zu haben, wobei zwei von ihnen mit dem Opfer [X.] vollzogen und einer davon zusätzlich den Oralverkehr.Gegen den Freispruch wendet sich die Revision der Nebenklägerin, mitder sie die Verletzung materiellen Rechts rügt und eine Verurteilung der Ange-klagten [X.] -Die Revision ist zulässig, auch soweit sie sich gegen die Heranwach-senden richtet (§ 109 Abs. 1 JGG). Mit ihr wird ein zulässiges Ziel im Sinne von§ 400 Abs. 1 StPO verfolgt. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des [X.] Urteils hinsichtlich der im Tenor benannten Angeklagten.[X.] den Feststellungen des [X.] befand sich die Nebenkläge-rin in einer Gruppe von jungen Leuten am 13. Juni 1999 gegen 0.30 Uhr aufdem Weg zu einem Kinderspielplatz. Unterwegs versuchte der [X.]die Nebenklägerin, welche stark angetrunken war, zu umarmen, was [X.] aber zurückwies, indem sie ihn von sich wegschob ([X.] eigentliche Tatgeschehen ereignete sich zwischen 1.00 Uhr [X.] Uhr auf dem Kinderspielplatz. Während dieses Tatgeschehens versuchtedie Zeugin [X.] zumindest einmal davonzulaufen. Dabei wurde sie vonmehreren, vielleicht von allen Angeklagten zurückgeholt. Sie wurde an [X.] festgehalten, da sie sich sträubte zurückzugehen. Sie erlittHautabschürfungen unter anderem an der rechten Hand. Ihre Unterarme warengerötet. Das [X.] hat zu Gunsten der Angeklagten angenommen, daßdas gewaltsame Zurückholen allein aus Sorge um die stark angetrunkene Zeu-gin [X.]geschehen sei, die sich überdies in der Gegend nicht auskannte- so die Einlassung des Angeklagten [X.]bei der richterlichen Verneh-mung ([X.], 18).Während die Zeugin mit dem Rücken auf der Rasenfläche lag, verkehrteder Angeklagte M. zunächst mit ihr vaginal, anschließend oral. Dann vollzogder Angeklagte [X.] mit der Zeugin, die sich nunmehr auf einer dort vorhande-nen Tischtennisplatte befand, den [X.], möglicherweise zusätzlich- 5 -auch den Beischlaf. Bei beiden Angeklagten kam es zum Samenerguß. DieFeststellungen zum [X.] beruhen auf dem Sachverständigen-gutachten zur DNA-Analyse. Als die wegen Ruhestörung alarmierten Polizei-beamten eintrafen, lief die Nebenklägerin ihnen entgegen, rief um Hilfe underklärte, sie sei vergewaltigt worden. Zu Gunsten der Angeklagten geht das[X.] davon aus, daß der Verkehr von Seiten der Zeugin freiwillig er-folgte. Nach Auffassung der Kammer war die Zeugin trotz einer [X.] und nicht unerheblichen Alkoholisierung gleichwohl in der Lage,gegenüber den Absichten der Angeklagten einen zur Abwehr ausreichendenWiderstandswillen zu bilden und zu äußern ([X.], 19). Beim [X.] Polizei sei der Zeugin plötzlich bewußt geworden, daß sie etwas getanhatte, was sie normalerweise nicht getan hätte; krankheitsbedingt habe sie sichihr Verhalten in der Weise erklärt, daß sie vergewaltigt worden sein müsse ([X.]. 19, 20).Die Angeklagten haben in der Hauptverhandlung von ihrem [X.]weige-recht Gebrauch gemacht. Zur psychotischen Erkrankung der [X.] sich die Kammer den Ausführungen der Sachverständigen Dr. G. an, wonach am Tattag ein akut psychotischer Zustand nicht bestand. [X.] außerhalb einer akuten Phase seien Denk- und Wahrnehmungsstörun-gen möglich ([X.], 48).Nach Auffassung des [X.] spricht einiges dafür, daß die [X.]il-derungen der Zeugin [X.] zum [X.]rngeschehen, insbesondere auch hin-sichtlich der Gewalteinwirkung, erlebnisfundiert sind ([X.], 46). Die Be-kundungen der Zeugin zum [X.] wurden durch objektive Be-weismittel bestätigt. Für die Erlebnisfundiertheit zieht das [X.] auch die[X.]ilderung zu ihrem inneren Erleben heran, wonach sie befürchtet habe, [X.] 6 -gebracht zu werden, weil die Angeklagten doch wissen mußten, daß sie an-sonsten zur Polizei gehen werde ([X.], 46).Dennoch kann das [X.] seine Zweifel, ob es sich nicht mögli-cherweise nur um ein realitätsfremdes subjektives Erleben der Zeugin gehan-delt habe, nicht überwinden. Unter Einfluß des präpsychotischen [X.] der enthemmenden Wirkung des Alkohols seien [X.] Zeugin nicht ausschließbar ([X.], 53).III.Die Beweiswürdigung des Tatrichters ist rechtsfehlerhaft.1. Spricht der Tatrichter einen Angeklagten frei, weil er Zweifel an seinerTäterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies durch das Revisionsgerichtin der Regel hinzunehmen. Denn die Beweiswürdigung ist grundsätzlich [X.]. Der Beurteilung durch das Revisionsgericht unterliegt insoweitnur, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind.Das ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oderlückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze ver-stößt. Rechtlich zu beanstanden sind die Beweiserwägungen ferner dann,wenn sie erkennen lassen, daß das Gericht überspannte Anforderungen an [X.] Verurteilung erforderliche Überzeugungsbildung gestellt und dabei nichtbeachtet hat, daß eine absolute, das Gegenteil denknotwendig [X.] von niemandem anzweifelbare Gewißheit nicht erforderlich ist, vielmehrein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit genügt, dasvernünftige und nicht bloß auf denktheoretische Möglichkeiten gegründeteZweifel nicht zuläßt (vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16). An diesenMaßstäben gemessen hat das angefochtene Urteil keinen Bestand.- 7 -2. Es bestehen hier insbesondere folgende durchgreifende Bedenkengegen die Beweiswürdigung:a) Die Beweiswürdigung ist lückenhaft.Die Kammer hat zwar die versuchte Umarmung durch den [X.]auf dem Weg zum Kinderspielplatz in Anwesenheit von zwei Zeugen [X.], nicht bedrohliches Verhalten bewertet ([X.]), sich [X.] damit auseinandergesetzt, wie die Ablehnung dieses Annäherungsver-suchs mit dem späteren angeblich freiwilligen Vaginal-, Oral- und [X.]in Einklang zu bringen ist, nachdem die nicht tatbeteiligten Zeugen die [X.] hatten. Das vorherige gegenteilige Verhalten trotz des gleichen psy-chischen Zustandes und der gleichen Alkoholisierung - eine weitere [X.] durch die Nebenklägerin ist nicht erfolgt - hätte einer Erörterungbedurft. Es handelt sich um einen wesentlichen Umstand, den der Tatrichter inseine Überzeugungsbildung von der Freiwilligkeit des späteren sexuellen Ge-schehens hätte einbeziehen müssen.Ferner läßt das Urteil eine zusammenschauende Würdigung des objek-tiven Tatbildes vermissen. Das [X.] bewertet lediglich die jeweiligenTeilaspekte für sich allein. Das wird der Struktur der Beweiswürdigung nichtgerecht. Der Versuch der Nebenklägerin davonzulaufen, das gewaltsame [X.] durch die Angeklagten, der Sexualverkehr mit zwei Männern [X.] in Anwesenheit anderer, die gravierenden Sexualpraktiken, die ver-streuten und beschädigten Kleidungsstücke der Nebenklägerin sowie Ort [X.] des Geschehens können nicht losgelöst voneinander bewertet werden.Alle diese Umstände des objektiven Verlaufs hätten in eine [X.] 8 -b) Es liegen auch unauflösbare Widersprüche vor.Das [X.] hält auf Grund des präpsychotischen Zustandes undder enthemmenden Wirkung des Alkohols hinsichtlich der Gewaltanwendungbeim [X.] ein realitätsfremdes subjektives Erleben durch [X.] für möglich, während es eine realitätsbezogene Wahrnehmungvon Gewaltanwendung beim Versuch wegzulaufen durch sie bejaht ([X.], 41). Für diese unterschiedliche Bewertung fehlt die erforderliche [X.].Ferner soll die Zeugin [X.]fähig gewesen sein, gegenüber den [X.] der Angeklagten einen zur Abwehr ausreichenden [X.] bilden und zu äußern. Das [X.] billigt ihr damit die Fähigkeit zu, sichobjektiv der Realität angemessen zu verhalten. Zutreffend weist die Revisiondarauf hin, daß das mit einem realitätsfremden subjektiven Erleben nicht ver-einbar ist.Erst recht ist nicht erklärbar, daß die Nebenklägerin im Zustand [X.] und starker Alkoholisierung beim Eintreffen der Polizei in derLage gewesen sein soll, spontan und reaktionsschnell derart komplexe Erwä-gungen anzustellen, daß sie ihr vorangegangenes Verhalten ethisch rechtferti-gen müsse und wie sie dies tun könne.c) Die Erwägungen des [X.] zur Erlebnisfundiertheit der ge-waltsamen sexuellen Handlungen lassen besorgen, daß das Gericht über-spannte Anforderungen an die zur Verurteilung erforderliche Überzeugungsbil-dung gestellt hat. Es führt selbst eine Reihe von Indizien für die Erlebnisfun-diertheit an. Naheliegende Zweifel hieran werden nicht hinreichend [X.] 9 -IV.Die Sache muß deshalb neu verhandelt werden. Der neue [X.] die Glaubhaftigkeit der belastenden Angaben der Zeugin [X.] umfas-send zu prüfen haben. Der [X.] darf erst nach einer erschöpfendenWürdigung des gesamten Beweisergebnisses zur Anwendung kommen (vgl.BGHR StPO § 261 Einlassung 5; [X.]/[X.], [X.] 261 Rdn. 26). Das Ergebnis eines Glaubwürdigkeitsgutachtens kann den[X.] bei der gebotenen umfassenden Bewertung der Indiztatsachen ledig-lich unterstützen.[X.] [X.] Rothfuß [X.] Elf

Meta

2 StR 372/00

06.12.2000

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 06.12.2000, Az. 2 StR 372/00 (REWIS RS 2000, 250)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2000, 250

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