Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 11.09.2002, Az. 2 StR 193/02

2. Strafsenat | REWIS RS 2002, 1647

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[X.] DES VOLKESURTEIL2 StR 193/02vom11. September 2002in der [X.] -Der 2. Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom [X.] 2002, an der teilgenommen haben:Vorsitzende Richterin am [X.]. [X.]als Vorsitzende,[X.] am [X.]. [X.],[X.]in am [X.]. [X.],[X.] am [X.] undProf. Dr. Fischer als [X.],Staatsanwalt als Vertreter der [X.],Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,für Recht erkannt:- 3 -1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 9. Januar 2002 wird verworfen.Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und dieder Nebenklägerin hierdurch entstandenen notwendigen [X.] zu tragen.2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeich-nete Urteil mit den Feststellungen aufgehoben.Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auchüber die Kosten dieses Rechtsmittels, an eine andere Straf-kammer des [X.] zurückverwiesen.Von Rechts wegenGründe:[X.] hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tatein-heit mit Körperverletzung und wegen Geiselnahme in Tateinheit mit Körper-verletzung unter Einbeziehung von Einzelstrafen aus einer Vorverurteilung zueiner Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Von der [X.] (§ 66 StGB) hat es [X.] dieses Urteil haben sowohl der Angeklagte als auch (zuunguns-ten des Angeklagten) die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt.Der Angeklagte rügt die Verletzung materiellen Rechtes. Er beanstandetinsbesondere die Beweiswürdigung des Tatrichters.Die Revision der Staatsanwaltschaft, die ebenfalls die Sachrüge erhebt,wird vom [X.] im Ergebnis vertreten.Das Rechtsmittel des Angeklagten hat keinen Erfolg; das [X.] Staatsanwaltschaft hingegen greift durch.I[X.] hat folgende Feststellungen [X.] Der Angeklagte hatte mit der Nebenklägerin eine (intime) [X.] zog in ihre Wohnung ein, in der auch das am 8. September 1997 [X.] ([X.]) der Nebenklägerin wohnte. Am 12. Mai 1999 wollte der Ange-klagte von der Nebenklägerin Oralsex, was diese ablehnte. Er entschloß [X.], notfalls gegen deren Willen, den Geschlechtsverkehr mit ihr durchzufüh-ren. Die Zeugin empfand durch das Verhalten des fordernden Angeklagten ei-nen derartigen "Druck", daß sie aus der Küche ein Messer holte und sich [X.] den Armen verletzte. Der Angeklagte nahm das Messer an sich und erklärteder im Schlafzimmer auf dem Bett liegenden Zeugin sinngemäß, er werde [X.] zeigen, was richtige Angst sei. Er verlangte von ihr, daß sie ihn oral [X.]. Als sie dies ablehnte, fuhr er mit der Klinge des Messers über die [X.] Zeugin, vom Hals bis zum Bauch, ohne sie jedoch zu verletzen. [X.] er sie am Hals, drückte ihr die Luft ab und zwang sie, sein Ge-schlechtsteil in den Mund zu nehmen, indem er ihren Kopf gegen sein Knie- 5 -drückte. Da es bei dem Oralverkehr nicht zum Samenerguß kam, drehte [X.] die Zeugin in die Bauchlage und führte mit der noch Weinendenden Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguß aus. Darüber hinaus steckte ergegen den Willen der Nebenklägerin einen Finger in ihren Anus.2. Am 25. Mai 1999 kam der Angeklagte angetrunken nach Hause. Esgab Streit mit der Nebenklägerin. Der verärgerte Angeklagte sang der [X.] fortlaufend ein Lied vor, mit dem Refrain "der Tod kommt langsam", [X.] ihr erklärte, dieses Schicksal komme nunmehr auf sie zu. Dabei versetzte erder Zeugin, die auf dem Boden vor einem Heizkörper kauerte, massive Faust-schläge gegen den Kopf, so daß sie mit diesem gegen den Heizkörper prallte.Danach trat er ihr mit dem unbeschuhten Fuß gegen die Seite. Die Zeugin erlitteine Gehirnerschütterung und (später) deutlich sichtbare Hämatome an [X.].Unmittelbar nach diesen Übergriffen gegen die Zeugin begab sich [X.] zu dem Kind [X.], welches zwischenzeitlich zu weinen [X.] hatte. Er sprach beruhigend auf die Kleine ein. Dann nahm er sie auf sei-nen Arm und ging mit ihr in die Küche. Dort begab er sich zum geöffnetenFenster und hielt das Kind hinaus. Zugleich forderte er die Nebenklägerin, diezu ihrem Kind in die Küche eilen wollte, auf, zurückzutreten, ansonsten [X.]auf die Straße fallen lassen. Die Zeugin folgte dem Angeklagten,ebenso als er von ihr verlangte, sie solle ihre Mutter beschimpfen und sexuelleHandlungen an sich selbst vorzunehmen. Die Zeugin begann, ihre Mutter bei-spielsweise als Schlampe zu betitulieren, was den Angeklagten amüsierte.Zugleich tat sie so, als befriedige sie sich selbst. Hiernach forderte der Ange-klagte sie auf, die Wohnung zu verlassen. Auch dieser Forderung kam [X.], in entsetzlicher Angst um ihr Kind, nach. Der Angeklagte folgte ihr mit- 6 -dem Kind bis zur [X.]. Neben dieser Türe befindet sich ein Fenster,welches in das Treppenhaus mündet. Durch dieses Fenster hielt der Ange-klagte das Kind nunmehr in gleicher Art und Weise wie zuvor aus dem [X.] hinaus und veranlaßte hierdurch die Zeugin zunächst, sich überdie Treppe zu entfernen. Schließlich gebot er ihr, in die Wohnung zurückzu-kehren. Als die telefonisch von Nachbarn verständigten Eltern der Nebenkläge-rin kurze [X.] später eintrafen, hatte sich die Lage entspannt.3. Das [X.] ist davon ausgegangen, daß bei der ersten Tat [X.] Anhaltspunkte für eine Verminderung der Schuldfähigkeit des Ange-klagten vorgelegen haben. Bei dem zweiten Tatgeschehen hat die [X.] eine Blutalkoholkonzentration des Angeklagten von bis zu 2,77 %o ange-nommen und eine erhebliche Verminderung seiner Schuldfähigkeit bejaht.[X.] des Angeklagten:Die auf Grund der Sachrüge vorzunehmende Nachprüfung des [X.] hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erge-ben.Das [X.] erschöpft sich im wesentlichen in unzulässigenAngriffen gegen die tatrichterliche Beweiswürdigung ohne einen durchgreifen-den Rechtsfehler aufzuzeigen. Der behauptete Widerspruch der [X.] nicht vor. Denn die Fähigkeit auch ein komplexes Geschehen später re-produzieren zu können, bedeutet nicht zwangsläufig, daß dies nur geordnetund nicht sprunghaft erfolgen kann. Im übrigen wird auf die zutreffenden Aus-führungen des [X.]s in seiner Antragsschrift vom 24. Juni2002 Bezug [X.] 7 -Es kann dahinstehen, ob die Berechnung der Blutalkoholkonzentrationdes Angeklagten bei dem zweiten Tatgeschehen rechtsfehlerfrei erfolgte. Nachden Gesamtumständen lagen die Voraussetzungen des § 20 StGB ersichtlichnicht vor. Von einer erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit (§ 21StGB) ist der Tatrichter aber ohnehin ausgegangen.[X.] der [X.] [X.] (§ 177 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1StGB) in Tateinheit mit Körperverletzung für das Geschehen am 12. Mai 1999hat keinen Bestand.Der Tatrichter hat rechtsfehlerhaft nicht geprüft, ob der Angeklagte nichtdie Voraussetzungen der Qualifikation des § 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB verwirklichthat. Nach den Sachverhaltsfeststellungen liegt es sehr nahe, daß der Ange-klagte das Messer nicht nur bei sich geführt hat (was bereits zu einer Strafbar-keit nach § 177 Abs. 3 Nr. 1 StGB führen würde, den das [X.] ebenfallsnicht erörtert hat), sondern es vorsätzlich als Drohmittel zur Überwindung [X.] der Nebenklägerin verwendet hat.Die erforderliche Aufhebung des Schuldspruchs wegen Vergewaltigung(gemäß § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB) erstreckt sich auch auf die tateinheitlich be-gangene Körperverletzung (vgl. u.a. [X.]R StPO § 353 Aufhebung 1).Hinsichtlich dieser Körperverletzung kommt auch eine Qualifikation als"gefährliche" im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB in Betracht. Der neue [X.] wird insoweit Feststellungen dazu zu treffen haben, wie fest und wielange der Angeklagte das Opfer am Hals gedrückt hat, damit eine sichere- 8 -Grundlage geschaffen ist für die Beurteilung der Frage, ob die Körperverlet-zung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung begangen wurde (vgl.u.a. [X.], [X.]. v. 15. Mai 2002 - 2 [X.] m.w.[X.] Auch die Verurteilung wegen Geiselnahme in Tateinheit mit Körper-verletzung war aufzuheben.a) Der Tatrichter hat es rechtsfehlerhaft unterlassen, beim ersten [X.] am 25. Mai 1999 erkennbar zu prüfen, ob es sich um einegefährliche Körperverletzung im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB handelt.Zur Bejahung der Alternative "mittels einer das Leben gefährdenden [X.]" ist nicht erforderlich, daß das Leben konkret gefährdet wird. [X.] ist, daß die Art der Behandlung nach den Umständen des Einzelfal-les abstrakt geeignet ist, das Leben des Opfers zu gefährden. Massive Faust-schläge gegen den Kopf des Opfers, so daß dieses mit dem Kopf heftig gegeneinen Heizkörper prallt, legen jedenfalls eine Prüfung und nähere Feststellun-gen des Tatrichters zu der abstrakten Eignung der Handlung zur [X.] nahe.Insoweit war auch die in Tateinheit stehende - für sich allein [X.] - Verurteilung wegen Geiselnahme mit aufzuheben.b) Der neue Tatrichter wird auch näher darzulegen haben, warum essich bei dem Tatgeschehen am 25. Mai 1999 um einen einheitlichen - zur An-nahme von Tateinheit führenden - Geschehensablauf ([X.]) handelt.Maßgebend dafür ist, daß sich das gesamte Tätigwerden auch für einen Drittenals ein einheitliches zusammengefaßtes Tun bei natürlicher Betrachtungsweisedarstellt. Hier ist zwar ein zeitlicher und räumlicher Zusammenhang gegeben,gleichwohl hat sich der Täter zunächst von der Nebenklägerin weg dem Kind- 9 -zugewandt und beruhigend auf dieses eingesprochen. Erst dann begann er [X.]. Hierin könnte, wovon auch die Anklage ausgegangen ist, [X.] der Handlung gesehen werden, die für einen Dritten die [X.] entfallen läßt. Dies wird vom neuen Tatrichter zu prüfen und zu erör-tern [X.] Die Verneinung der Voraussetzungen einer Unterbringung in der [X.] (§ 66 StGB) durch den Tatrichter weist ebenfalls Rechts-fehler auf.a) Entgegen der Auffassung des [X.] läßt sich den [X.] nicht eindeutig entnehmen (vgl. dazu auch die Ausführungen des [X.] in seiner Antragsschrift vom 25. Juni 2002), daß die formellenVoraussetzungen des § 66 Abs. 1 Nr. 1 StGB erfüllt sind. Denn die mitgeteiltenVerurteilungen zu Jugendstrafen lassen nicht sicher erkennen, ob [X.]in den früheren Verfahren bei wenigstens einer der einheitlich geahndetenVortaten eine Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verhängt hätte, [X.] diese Tat als Einzeltat gesondert abgeurteilt hätte (vgl. u.a. [X.]R StGB §66 Abs. 1 Vorverurteilungen 6). Jedoch liegen die formellen Voraussetzungendes § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB - auch die des § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB - vor. [X.] kommt es entscheidend darauf an, ob die Voraussetzungen des § 66Abs. 1 Nr. 3 StGB, die bei § 66 Abs. 3 StGB ebenfalls erfüllt sein müssen,rechtsfehlerfrei geprüft wurden. Dies ist nicht der [X.]) Die Begründung des Tatrichters, mit der ein Hang des Angeklagten imSinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB verneint wurde, begegnet rechtlichen Be-denken. Das Merkmal "Hang" verlangt einen eingeschliffenen inneren Zustanddes Täters, der ihn immer wieder neue Straftaten begehen läßt. [X.] derjenige, der dauernd zu Straftaten entschlossen ist, oder der [X.] 10 -grund einer fest eingewurzelten Neigung, deren Ursache unerheblich ist, immerwieder straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet (vgl. u.a. [X.]RStGB § 66 Abs. 1 Hang 1). An dieser Rechtsprechung hat sich das [X.]nicht orientiert. Es hat vielmehr - einem Sachverständigen folgend, der [X.] im Ergebnis wohl die Voraussetzung eines Hanges hier bejaht hat - fünfKriterien überprüft, deren Annahme unerläßlich zur Bejahung eines soge-nannten Hangtäters sei. Die Kriterien "kriminelle Entwicklung" und "Gleichartig-keit der Taten" seien zwar zu bejahen. Hinsichtlich der Kriterien der "Sozialisa-tion", der "[X.]" und "Sozialverhalten" würden aber letzte Zweifelverbleiben. Gegen erstes Kriterium spreche, daß der Angeklagte zu angepaß-tem Verhalten und guten schulischen Leistungen in der Lage gewesen sei, ge-gen die beiden anderen Kriterien, daß er seiner Freundin "durchaus [X.]". Unabhängig davon, daß die Prüfung dieser Kriterien nicht dievon der Rechtsprechung geforderte sorgfältige Gesamtwürdigung des Tätersund seiner Taten zu ersetzen vermag, ist deren Verneinung auch nicht ohneweiteres nachvollziehbar. Daß der Angeklagte seiner Freundin Gefühle entge-genbringt, ist für die Beurteilung eines "Hanges" im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3StGB unerheblich. Soweit auf die Anpassung des Angeklagten abgestellt wird,wird nicht erörtert, daß dies ersichtlich nur für die [X.] seines Haftaufenthaltsfestgestellt wurde.Der Zusatz der Strafkammer, daß "jedes weitere Körperverletzungsdeliktvon einiger Erheblichkeit dazu führen kann, daß bei erneuter Prüfung des § 66StGB die Voraussetzungen wohl zu bejahen sein werden" ([X.] unten),zeigt zum einen, daß den als einem Hang entgegenstehend angesehenen Ar-gumenten in Wirklichkeit kein Gewicht zukommt, zum anderen, daß der [X.] zu hohe Anforderungen an die Bejahung eines Hanges zum [X.]punktder Hauptverhandlung gestellt [X.] -- 12 -Danach war auf die Revision der Staatsanwaltschaft das Urteil insge-samt aufzuheben.[X.] Detter [X.] Rothfuß Fischer

Meta

2 StR 193/02

11.09.2002

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 11.09.2002, Az. 2 StR 193/02 (REWIS RS 2002, 1647)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2002, 1647

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