Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 11.10.2017, Az. 1 StR 305/17

1. Strafsenat | REWIS RS 2017, 4109

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:111017B1STR305.17.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 305/17

vom
11. Oktober
2017
in der Strafsache
gegen

wegen
Vergewaltigung

-
2
-
Der 1. Strafsenat des [X.] hat
nach Anhörung des [X.] und des Generalbundesanwalts
am 11. Oktober
2017
gemäß §
349 Abs.
4 StPO beschlossen:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 9. Januar 2017 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tatein-heit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt.
Dagegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf [X.] und die ausgeführte Sachrüge gestützten Revision. Das [X.] führt bereits auf sachlich-rechtliche Fehler hin zur Aufhebung einschließlich der vom [X.] getroffenen Feststellungen. Auf die Verfahrensrügen kommt es daher nicht an.
1.
Die vom Tatgericht getroffenen Feststellungen zum Schuldspruch we-gen Vergewaltigung (§
177 Abs.
2 Nr.
1 StGB aF; §
177 Abs.
6 Satz
2 Nr.
1 StGB) beruhen auf einer lückenhaften und deshalb durchgreifend rechtsfehler-haften Beweiswürdigung.
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3
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a)
Lückenhaft ist die Würdigung der Beweise insbesondere dann, wenn das tatrichterliche Urteil nicht erkennen lässt, dass der Tatrichter alle [X.], die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten
zu beeinflussen, in seine Überlegungen einbezogen und dabei nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt
hat ([X.] Rspr.; vgl. nur [X.], Urteil vom 13.
Juli 2017

3 [X.]/17 mwN).
b)
Solche Lücken enthält das angefochtene Urteil.
aa)
Das [X.] hat folgende Feststellungen zum Kerngeschehen der Vergewaltigung vor allem auf die als glaubhaft bewerteten Angaben der Nebenklägerin gestützt:
Nachdem die Nebenklägerin und ihre Freundin, die
Zeugin M.

, den
Angeklagten und dessen Begleiter in einer Diskothek kennengelernt, dort gemeinsam
getanzt sowie Alkohol konsumiert hatten, verlor die Nebenklägerin ihre Freundin aus den Augen und suchte diese. Mit der unzutreffenden Behauptung, die Zeugin M.

sei bereits mit seinen Begleitern in ein Hotel
vorgefahren, konnte der Angeklagte die Nebenklägerin veranlassen, ebenfalls mit einem [X.] zu diesem Hotel zu fahren. In dem zunächst angefahrenen Hotel

O.

500-Euro-Schein des Ange-
klagten aber nicht wechseln, so dass er sich gemeinsam mit der Nebenklägerin zu einem
anderen Hotel dieser Kette, dem späteren [X.], fahren ließ. Nach Eintreffen bezahlte der Angeklagte [X.] in bar für eine Nacht im Voraus. Die Nebenklägerin dachte sich zunächst nichts dabei, dass weder die Zeugin
M.

noch die Begleiter des Angeklagten sich dort befanden. Im [X.] an
zunächst einvernehmlich ausgetauschte Küsse wurde der Angeklagte zudring-lich. Auf einmal, ohne dass
sich die Nebenklägerin daran erinnern konnte, wie 4
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es dazu gekommen war, war sie nackt und der Angeklagte versuchte [X.] mit seinem Penis in sie einzudringen. Im weiteren Verlauf des Geschehens kam es mehrfach zu ungeschütztem
Vaginalverkehr, obwohl die
Nebenklägerin im-mer wieder versuchte, den Angeklagten wegzustoßen und ihren Körper wegzu-drehen.
bb)
Der Einlassung des Angeklagten, es habe lediglich einvernehmlichen Geschlechtsverkehr gegeben, ist das [X.] nicht gefolgt, sondern hat die Aussagen der Nebenklägerin zugrunde gelegt. Die beweiswürdigenden Erwä-gungen, mit denen das [X.] von zum Kerngeschehen des mehrfachen, durch Gewalt erzwungenen [X.] glaubhaften Angaben ausgeht, halten rechtlicher Prüfung nicht stand. Bei der Beurteilung des [X.] dieser Aussagen hat das [X.] sich aufdrängende Umstände nicht erkennbar bedacht und nicht in die gebotene Gesamtwürdigung eingestellt.
Ausweislich der Beweiswürdigung lag für die Nebenklägerin der aus-schlaggebende Grund zur Erstattung der Strafanzeige gegen den Angeklagten in dem Umstand, dass dieser sie durch Vortäuschen, ihre Freundin sei bereits in dem Hotel und sie würden sie dort treffen, aus der Diskothek weg und in das Hotel gelockt habe (UA S.
73). Als Kriterium für die Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin
und die Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen zum eigentlichen Tatge-schehen hat das [X.] maßgeblich auf die [X.] der Angaben über

O.

S.
69 und 70). Es gebe keinen Grund dafür, dass die Nebenklägerin sich die Komplikation der fehlenden Bereitschaft des Portiers im ersten Hotel, einen 500-Euro-Schein anzunehmen, ausgedacht habe (UA S. 70).
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Das [X.] hat sich bei der Bewertung der Glaubhaftigkeit der Aus-sage der Nebenklägerin nicht näher damit befasst, dass die Angaben über das von der Nebenklägerin selbst als wesentliches Motiv für die Anzeigeerstattung genannte Locken in das Hotel mit dem Versprechen, die Zeugin M.

dort zu
treffen, in sich widersprüchlich sind. Ausweislich der im Urteil dargelegten Aus-sage der Nebenklägerin hat der Angeklagte ihr schon bei dem Vorschlag, in ein

O.

-

zu erwägen, wie damit
der erfolglose Versuch zu vereinbaren ist, in dem ersten angefahrenen Hotel [X.] anzumieten. Erst recht hätte es vertiefter Erör-terung für die Beurteilung der Zuverlässigkeit der Aussagen der
Nebenklägerin bedurft, welche nachvollziehbare Grundlage es für sie gegeben haben sollte, von der Anwesenheit der Zeugin M.

O.

und der zugrundeliegenden
Beweiswürdigung kann der Zeugin M.

die
Anmietung
eines Zimmers in einem anderen als dem zunächst mit dem [X.] angefahrenen Hotel nicht bekannt gewesen sein. Angesichts der von der Nebenklägerin
dem Wunsch, die Zeugin M.

wieder zu treffen, beigelegten
Bedeutung für ihre Bereitschaft, dem Angeklagten in ein Hotel zu folgen, genügt
die Erwägung, die Nebenklägerin sei trotz des geschilderten Ablaufs nicht miss-trauisch geworden, nicht dem Gebot, alle für die Beweiswürdigung bedeutsa-men Umstände in diese einzubeziehen.
Eine umfassende Beurteilung des
Realbezugs und der Zuverlässigkeit der Angaben der Nebenklägerin war zudem deshalb geboten, weil ihre [X.] der Tat in dem Hotelzimmer wenig detailreich ist und die Nebenklägerin gerade auch in Bezug auf die Ereignisse dort [X.] aufwei[X.] Soweit das [X.] beweiswürdigend von einem sehr indivi-duellen Geschehen durch den mehrfachen Wechsel zwischen Festhalten und 10
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Loslassen der Nebenklägerin durch den Angeklagten ausgeht, findet dieser Schluss keine ausreichende Grundlage in den dargelegten Inhalten der Aussa-gen der Nebenklägerin. Diese hat sich bereits, gegebenenfalls noch durch ihre Alkoholisierung erklärbar (vgl. UA S.
64 f.), nicht an den eigentlichen Beginn des
Vergewaltigungsgeschehens erinnern können. Die zur Erzwingung des an-gegebenen mehrfachen [X.]en Geschlechtsverkehrs durch den Angeklagten eingesetzte Gewalt wird von der Nebenklägerin bezüglich der konkreten Art der Anwendung in pauschaler Weise beschrieben. Ausweislich der Wiedergabe in den UrteilsgrünArmen

20). Dabei kann es sich bereits nach dem Aussageinhalt nicht um ein einheitliches Geschehen handeln. In zeit-licher Hinsicht vermochte die Nebenklägerin die Vorgänge jedoch nicht einzu-ordnen (UA S.
21). Sie konnte sich zudem weder daran erinnern, ob der Ange-klagte ein von ihr beschriebenes Würgen am Hals eingesetzt hat, um mit seinem
Penis in sie einzudringen, noch daran, ob der Angeklagte auch auf wei-tere Arten als [X.] ein Eindringen versucht hat. Angesichts dieser Umstände hätte es für die rechtlich gebotene lückenlose Beweiswürdigung einer umfas-senden Würdigung aller indiziell bedeutsamen Aspekte bedurft, um von der durch das Tatgericht angenommenen [X.] der Angaben der Nebenkläge-rin zum Kerngeschehen auf die Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen dazu schließen zu können.
In die erforderliche Gesamtwürdigung hätte das [X.]
zudem die Angaben der Zeugin M.

über das Verhalten der Nebenklägerin in der Tat-
nacht einbeziehen müssen. Die Zeugin hat angegeben, sie habe die Nebenklä-sei die Nebenklägerin nicht so, dass sie mit jemanden mitgehe (UA S.
30). Vor 12
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dem Hintergrund des vom Angeklagten angegebenen einvernehmlichen Geschlechtsverkehrs
und der vorstehend aufgezeigten Umstände in der Aussage
der Nebenklägerin zum Kerngeschehen war eine Berücksichtigung der Einschätzung der Zeugin M.

bei der Würdigung der Glaubhaftigkeit der
Aussage der Nebenklägerin rechtlich geboten.
2.
Die lückenhafte Beweiswürdigung, auf der die Verurteilung insgesamt beruht, führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils einschließlich der getroffenen Feststellungen. Der Rechtsfehler wirkt sich notwendig auf diese aus (§
353 Abs.
2 StPO).
3.
Der Senat weist im Hinblick auf die sich aus §
267 Abs.
1 Satz
1, §
261 StPO ergebenden Anforderungen an tatrichterliche Urteile darauf hin, dass die Beweiswürdigung keine umfassende Dokumentation der Beweisauf-nahme enthalten, sondern lediglich belegen soll, warum bestimmte bedeutsame Umstände so festgestellt worden sind ([X.]
Rspr.;
siehe nur [X.], Beschluss vom 25.
Juli 2017

3 [X.]/17 mwN). Insbesondere ist es nicht veranlasst, die Inhalte von Zeugenaussagen in ihren
Einzelheiten mitzuteilen, auf die es für 13
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die Beweiswürdigung des Tatgerichts nicht ankommt. Das gilt erst recht, wenn die Urteilsgründe die breit wiedergegebenen Zeugenaussagen als in der Beweiswürdigung
nicht berücksichtigt oder nicht verwertet bezeichnen.
[X.] Bellay

Cirener

[X.]

Meta

1 StR 305/17

11.10.2017

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 11.10.2017, Az. 1 StR 305/17 (REWIS RS 2017, 4109)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 4109

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3 StR 188/17

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