Bundesfinanzhof, Beschluss vom 22.03.2016, Az. VIII B 130/14, VIII B 17/15, VIII B 130/14, VIII B 17/15

8. Senat | REWIS RS 2016, 14072

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Gegenstand

Urteilsberichtigung


Leitsatz

1. NV: Mit der Vorlage einer Sache an den BFH gemäß § 130 FGO entfällt die Befugnis des FG, während eines beim BFH anhängigen Beschwerdeverfahrens einen erneuten Berichtigungsbeschluss gleichen Inhalts zu erlassen (Anknüpfung an den BFH-Beschluss vom 18. Februar 1986 VII B 113/85, BFHE 145, 574, BStBl II 1986, 413).

2. NV: Zuständig für eine Urteilsberichtigung ist gemäß § 107 Abs. 1 FGO das Gericht, das das zu berichtigende Urteil erlassen hat. Ist ein Rechtsmittel eingelegt, ist das Rechtsmittelgericht neben, aber nicht statt des FG für die Berichtigung der Entscheidung der Vorinstanz zuständig.

Tenor

1. Die Verfahren [X.]/14 und [X.]/15 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.

2. Auf die Beschwerde der Kläger wird der Beschluss des [X.], [X.], vom 1. September 2014  15 K 2982/11 und vom 3. Dezember 2014  15 K 2982/11 aufgehoben.

3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Gründe

1

1. Die Verfahren [X.] 130/14 und [X.] 17/15 werden gemäß §§ 121, 73 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) zur gemeinsamen Entscheidung verbunden. Das Finanzgericht ([X.]) hat in beiden Beschlüssen über dieselbe vom Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --[X.]--) begehrte Berichtigung der Gründe und des [X.] für das Streitjahr 2008 entschieden und beiden hiergegen erhobenen Beschwerden der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) nicht abgeholfen. Aus diesem Grund erscheint eine einheitliche Behandlung der Beschwerden sachgerecht.

2

2. Die Beschwerde ist begründet.

3

Die Berichtigungsbeschlüsse des [X.] vom 1. September 2014 und vom 3. Dezember 2014 hinsichtlich des Tenors und der Entscheidungsgründe des Urteils vom 10. Juli 2014 im Verfahren 15 K 2982/11 für das Streitjahr 2008 waren aufzuheben.

4

a) Der Berichtigungsbeschluss des [X.] vom 1. September 2014 ist unter fehlerhafter Anwendung des § 107 [X.]O ergangen.

5

aa) Entgegen der Auffassung der Kläger ist der Beschluss nicht wegen sachlicher Unzuständigkeit des [X.] verfahrensfehlerhaft ergangen. Das [X.] war trotz der im Verfahren [X.] 108/14 gleichzeitig anhängigen Nichtzulassungsbeschwerde für die Entscheidung über den [X.] des [X.] gemäß § 107 [X.]O und gemäß § 130 Abs. 1 [X.]O über die [X.] der Beschwerde sachlich zuständig.

6

Zuständig für eine Urteilsberichtigung ist gemäß § 107 Abs. 1 [X.]O das Gericht, das das zu berichtigende Urteil erlassen hat. Ist ein Rechtsmittel eingelegt, ist (daneben) auch das Rechtsmittelgericht für die Berichtigung der Entscheidung der Vorinstanz zuständig.

7

Dies entspricht sowohl der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu § 319 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO; s. Beschluss des [X.] --[X.]-- vom 9. Februar 1989 V ZB 25/88, [X.], 370) als auch zu § 118 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO; s. Beschluss des [X.] --BVerwG-- vom 16. Juli 1968 VI C 1.66, BVerwGE 30, 146) und findet auch im Rahmen des § 107 Abs. 1 [X.]O Anwendung.

8

In der Rechtsprechung des [X.] ([X.]) wird eine Zuständigkeit des [X.] für die Entscheidung über einen [X.] gemäß § 107 [X.]O bejaht, wenn ein Beschwerdeverfahren über die Nichtzulassung der Revision anhängig ist ([X.]-Beschlüsse vom 18. August 1992 VII B 227/91, [X.]/NV 1993, 312; vom 25. November 1999 III B 5/99, [X.]/NV 2000, 844; vom 12. März 2004 VII B 239/02, [X.]/NV 2004, 1114; vom 2. Oktober 2014 VI B 52/14, [X.]/NV 2015, 217). Die Anhängigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde beginnt mit Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde beim [X.] gemäß § 116 Abs. 2 Satz 1 [X.]O (vgl. z.B. [X.]-Beschlüsse vom 30. September 2013 XI B 57/13, [X.]/NV 2014, 61; vom 17. September 2014 IX B 13/14, [X.]/NV 2015, 225; gleiche Auffassung [X.]hauff in [X.]/[X.]/ [X.] --[X.]--, § 36 [X.]O Rz 4). Dies ist hier der 1. September 2014, an dem die auch für das Streitjahr 2008 erhobene Nichtzulassungsbeschwerde beim [X.] eingegangen ist, die die Kläger später wieder zurück genommen haben.

9

Die mit Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde begründete Zuständigkeit des [X.] auch für eine Entscheidung in der Urteilsberichtigung gemäß § 107 [X.]O verdrängt aber die daneben fortbestehende Zuständigkeit des [X.] für die Entscheidung über den [X.] des [X.] nicht.

Der [X.] geht im Beschluss in [X.]/NV 1993, 312 ebenfalls von einer parallelen Zuständigkeit des [X.] und des [X.] für eine Tatbestandsberichtigung aus. Zwar wird vom [X.] zum Teil auch von einer "übergehenden Zuständigkeit" gesprochen ([X.]-Urteile vom 10. Dezember 2003 IX R 44/98, [X.]/NV 2004, 1265; vom 9. Mai 2012 I R 91/10, [X.]/NV 2012, 2004, Rz 13). Die Entscheidung in [X.]/NV 2012, 2004 zitiert allerdings die Entscheidung in [X.]/NV 2004, 1265, die auf das [X.]-Urteil vom 23. Januar 1969 IV R 36/68 ([X.]E 95, 97, [X.] 1969, 340) Bezug nimmt. In den Gründen der Entscheidung in [X.]E 95, 97, [X.] 1969, 340 verweist der [X.] auf die oben angeführte Rechtsprechung des [X.] zu § 319 ZPO, nach der eine parallele Zuständigkeit des Ausgangs- und des Rechtsmittelgerichts für eine Tatbestandsberichtigung nach Anhängigkeit des Rechtsmittelverfahrens besteht. Die Gefahr, dass in zwei Instanzen gleichzeitig einander widersprechende Entscheidungen über dieselbe Berichtigungsfrage ergehen, wiegt zudem geringer als das auch für das Rechtsmittelgericht zu bejahende praktische Bedürfnis einer Berichtigungsmöglichkeit (s. überzeugend zu § 319 ZPO [X.]/Jonas/Leipold, ZPO, 23. Aufl., § 319 Rz 22 f.; zustimmend [X.]/Vollkommer, ZPO, 31. Aufl., § 319 Rz 22; [X.]/Schütze/[X.], 4. Aufl., § 319 ZPO Rz 20; [X.]/Musielak, § 319 Rz 14; [X.]/[X.]/ [X.]/Hartmann, Zivilprozessordnung, 74. Aufl., § 319 Rz 27; [X.] in [X.]/[X.]/Bier, VwGO § 118 Rz 6).

Das [X.] hatte als angerufenes Gericht daher den bei ihm erhobenen [X.] nicht gemäß § 70 Satz 1 [X.]O i.V.m. § 17a Abs. 2 Satz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes an den [X.] abzugeben, zumal es von der anhängig gewordenen Nichtzulassungsbeschwerde im Zeitpunkt der Entscheidung wohl keine Kenntnis hatte (vgl. [X.] in [X.], § 70 [X.]O Rz 5; Gräber/[X.], Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 70 Rz 4; Schoenfeld in [X.], [X.]O § 70 Rz 5; zur (umgekehrten) Abgabe des [X.] an das [X.] wegen instanzieller Unzuständigkeit s. [X.]-Beschlüsse vom 16. Dezember 1994 VIII S 4/94, [X.]/NV 1995, 800; vom 10. Dezember 2012 VIII S 23/12, [X.]/NV 2013, 570).

bb) Die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für eine Korrektur der Entscheidungsgründe und des Tenors nach § 107 [X.]O waren jedoch nicht erfüllt.

(1) Der in § 107 [X.]O verwendete Begriff der "offenbaren Unrichtigkeit" umfasst nach ständiger Rechtsprechung des [X.], ähnlich wie derjenige in § 129 der Abgabenordnung, alle bei der Abfassung des [X.]-Urteils unterlaufenen "mechanischen" Fehler. Ein solcher liegt vor, wenn eine in dem Urteil enthaltene Aussage die vom [X.] getroffenen Feststellungen oder die von ihm angestellten Überlegungen nicht zutreffend zum Ausdruck bringt und dies aus dem Urteil selbst heraus erkennbar wird. § 107 [X.]O greift dagegen nicht ein, wenn die ernstliche Möglichkeit besteht, dass die in Rede stehende Wendung auf einer unvollständigen Ermittlung oder einer unrichtigen Würdigung des Sachverhalts oder auf einem Rechtsirrtum des [X.] beruht. Die Berichtigung scheidet auch dann aus, wenn die Möglichkeit zu einer "mechanischen" Korrektur fehlt, weil eine zusätzliche oder erneute richterliche Würdigung des Sachverhalts erforderlich ist (s. zu dieser ständigen Rechtsprechung [X.]-Beschlüsse vom 29. Juli 2010 I B 121/10, [X.]/NV 2010, 2098; vom 25. Oktober 2011 IV B 59/10, [X.]/NV 2012, 251).

(2) Die Steuerberechnung des [X.] für das Streitjahr 2008 in den Gründen und der Tenor für das Streitjahr 2008 waren im Streitfall nicht in diesem Sinne "offenbar" unrichtig. Es bestand für einen objektiven Dritten nicht die Möglichkeit, eine offenbare Unrichtigkeit der Entscheidungsgründe und des Tenors in der vom [X.] beanstandeten Weise zu erkennen.

Das [X.] hat auf Seite 5 im Tatbestand des Urteils ausgeführt, im Streitjahr 2008 seien den Klägern Zinserträge in Höhe von 251.769,97 € im Rahmen einer Schätzung des [X.] zugerechnet worden. In dem vom [X.] im Urteil wiedergegebenen Antrag (Seite 6 des Urteils) beantragten die Kläger ebenfalls die Minderung ihrer Kapitalerträge um 251.769,97 €.

Das [X.] hat der Klage für 2008 stattgegeben. Auf Seite 14 im Rahmen der Ermittlung der steuerpflichtigen Einkünfte aus Kapitalvermögen für 2008 hat es die laut Einkommensteuerbescheid 2008 vom 4. Februar 2011 angesetzten Einkünfte (455.292 €) um die im Antrag der Kläger genannten Einkünfte aus Kapitalvermögen in Höhe von 251.769 € gemindert und ist zu "Einkünften aus Kapitalvermögen laut Urteil" in Höhe von 203.523 € gelangt. Im Tenor der Entscheidung hat es den angefochtenen Einkommensteuerbescheid 2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung mit der Maßgabe geändert, dass Einnahmen aus Kapitalvermögen in 2008 in Höhe von 203.523 € der Besteuerung zugrunde zu legen seien.

Die Steuerberechnung des [X.] in den Entscheidungsgründen entsprach damit sowohl dem Antrag der Kläger als auch der im Tatbestand wiedergegebenen Höhe hinzugeschätzter Kapitalerträge. Da die Entscheidung des [X.] vom Klageantrag gedeckt ist, liegt eine "offenbare" Unrichtigkeit des Urteils, die ein objektiver Dritter erkennen kann, nicht vor (s. dazu [X.]-Beschluss in [X.]/NV 2010, 2098, Rz 15). Die Berichtigung der Entscheidungsgründe i.S. des [X.] war vielmehr nur aufgrund einer (neuen) Würdigung des [X.] anhand der Akten in Form eines Vergleichs der veranlagten Kapitalerträge im angefochtenen Änderungsbescheid zur Einkommensteuer 2008 vom 4. Februar 2011 mit der Festsetzung der Einkünfte im vorher bestehenden Einkommensteuerbescheid 2008 vom 18. Januar 2010 möglich.

Auch eine Berichtigung des [X.] gemäß § 107 [X.]O für das Streitjahr 2008, die nur anknüpfend an eine Berichtigung der Einkünfteermittlung in den Gründen möglich wäre, kann nicht erfolgen. Eine "mechanische Korrektur" des Tenors gemäß § 107 Abs. 1 [X.]O ist regelmäßig nur dann möglich, wenn die in den Entscheidungsgründen enthaltene, ins einzelne gehende und begründete Berechnung der Steuer zu einem anderen Ergebnis gekommen ist, als die im Tenor des Urteils festgesetzte Steuer ([X.]-Beschluss vom 9. Juli 1997 V B 6/97, [X.]/NV 1998, 46). Wie dargelegt, kommt die Berichtigung der Steuerberechnung für 2008 in den Entscheidungsgründen nicht in Betracht. Da diese nicht möglich ist, kann auch der Tenor nicht hieran anknüpfend berichtigt werden.

b) Die Beschwerde ist auch hinsichtlich des Berichtigungsbeschlusses des [X.] vom 3. Dezember 2014 wegen eines Verfahrensfehlers begründet. Dieser Berichtigungsbeschluss des [X.] verletzt § 130 Abs. 1 [X.]O. Das [X.] war nach der Entscheidung, der Beschwerde der Kläger gegen den ersten Berichtigungsbeschluss vom 1. September 2014 nicht abzuhelfen, nicht mehr befugt, während des noch anhängigen Beschwerdeverfahrens beim [X.] einen inhaltsgleichen Berichtigungsbeschluss zu erlassen.

§ 130 Abs. 1 [X.]O sieht vor, dass das [X.] einer Beschwerde abzuhelfen hat, wenn es sie für begründet hält, und verlangt andernfalls die unverzügliche Vorlage der Beschwerde beim [X.]. Bei [X.] ist der [X.] ab Vorlage des Streitfalls als Beschwerdegericht für die Entscheidung in der Sache bis zum Abschluss des Beschwerdeverfahrens allein zuständig (s. z.B. [X.]-Beschluss vom 17. September 2002 III B 84/02, juris). Mit der Vorlage der Sache an den [X.] entfiel somit die Befugnis des [X.], während des anhängigen Beschwerdeverfahrens einen erneuten Berichtigungsbeschluss gleichen Inhalts zu erlassen (s. hierzu den insoweit übertragbaren [X.]-Beschluss vom 18. Februar 1986 VII B 113/85, [X.]E 145, 574, [X.] 1986, 413 zur "Abhilfe" durch Erlass einer inhaltsgleichen Entscheidung mit anderer Begründung).

3. [X.] beruht auf § 135 Abs. 1 [X.]O.

Meta

VIII B 130/14, VIII B 17/15, VIII B 130/14, VIII B 17/15

22.03.2016

Bundesfinanzhof 8. Senat

Beschluss

vorgehend FG München, 1. September 2014, Az: 15 K 2982/11, Beschluss

§ 107 FGO, § 130 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 22.03.2016, Az. VIII B 130/14, VIII B 17/15, VIII B 130/14, VIII B 17/15 (REWIS RS 2016, 14072)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 14072

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